Jisoo und der Festsaal
Obwohl es ein Dienstmädchenkleid war, sah es an ihr aus, wie die Robe einer Prinzessin. Mit einem Lächeln trat Jisoo durch die Luke. Ihr Fuß, der in absurd hohen Stilettos steckte, hatte den Boden noch nicht berührt, da waren die Engel schon an ihrer Seite und geleiteten sie durch den Gang wie ihre persönliche Eskorte.
Auch wenn sie die Engel nicht los wurde; auf dieser Seite der Tür schnupperte es nach Freiheit. Von dem dunklen Röhrengang zweigten in regelmäßigen Abständen gullydeckelähnliche Öffnungen ab, die von einem blauen Leuchten umrahmt waren. Die metallischen Wände dazwischen glitzerten im Licht der Sterne, das von einem langgestreckten Panoramafenster in der Decke herabfiel. Jisoo kam kaum damit hinterher, sich umzusehen. Der Impact der Eindrücke war so gewaltig, dass er in einem einzigen Gedanken in ihrem Hirn explodierte: Sie war in einem f***ing Raumschiff! Panik und Faszination packten sie von Kopf bis Fuß.
„Ich bin in einem Raumschiff!" Sie musste es laut aussprechen, um es zu glauben. Der größere Engel, der vor ihr lief, zuckte nur die Schultern, ohne sich umzudrehen und von hinten bekam sie ein dunkles Glucksen als Antwort.
Die Engel liefen schnell. Der Geräuschmix aus Stimmen und Geklapper, der so gar nicht in die fremdartige Kulisse passte, schwoll an. Seine Quelle kam vom Ende des Ganges, wo sich ein blendender Lichtkreis in hellem Orange erhob. Für Jisoo sah es aus, als ginge dort, jenseits einer weiteren Gullydeckeltür, eine Sonne auf. Während sie auf dieses Licht und den Lärm zusteuerten, konnte sie den Blick nicht davon abwenden. Ihr war, als würde sie mit jedem Schritt leichtfüßiger.
Gleich würde sie durch die große Luke ins Licht schweben. Endlich frei!
Sie beschleunigte die Schritte, doch da packte sie etwas an den Handgelenken und zog sie durch eine der Öffnungen in der Wand. Ehe sie reagieren konnte, wurde sie herumgewirbelt und gegen kühles Metall gepresst. Jemand lehnte über ihr, so nah, dass sein Knie sich unter ihren knappen Rock schob. Jisoo schnappte nach Luft. Sie zappelte, um ihre Hände zu entreißen, und dem Angreifer ins Gesicht zu rammen. Doch dazu fehlte ihr zum einen die Kraft und zum anderen das Licht. Es war so stockdunkel, dass sie nichts sah. Nur ein paar orange und hellblaue Lichtpunkte tanzten wild vor ihren Augen. Verlorene Nachbilder, nix weiter.
„Du hast zu lange in das Licht gesehen." Jisoos wilder Herzschlag beruhigte sich etwas, als sie die Stimme des größeren Engels erkannte. Er war es, der sie festhielt.
„Ich werde dir jetzt eine Aufgabe geben." Obwohl Jisoo immer noch nichts sah, spürte sie seinen intensiven Blick auf ihrem Gesicht.
„Wenn du sie annimmst, darfst du uns in den Raum mit dem hellen Licht folgen." Sie nickte und der Griff um ihre Handgelenke lockerte sich leicht. Es war komplett verrückt, doch Jisoo wollte nichts lieber als das. Für diesen Moment hatte sie jeden anderen Gedanken vergessen; selbst den an Flucht.
„Was soll ich tun?", fragte sie atemlos, und wünschte sich, ihm dabei in die Augen sehen zu können.
„Du wirst mein Dienstmädchen sein." Pah. Die Sache musste ja einen Haken haben.
Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie sah in der Finsternis vor ihr etwas aufblitzen, genau in der Höhe, in der sie seine Augen vermutete.
„Willigst du ein?" Sein Ton klang melodisch, fast sanft und beinah so, als hätte sie eine Wahl. Doch die hatte sie nicht. Nicht mehr.
Als sie zurück in den Gang traten, hatte sich etwas verändert. Die Engel marschierten zu zweit vorneweg und Jisoo stöckelte mit etwas Abstand hinter ihnen her.
Der Ärger über die Arroganz dieser Engel schwelte noch in ihrer Brust, doch beim Anblick des orangenen Leuchtens erlosch diese Glut. Das kraftvolle Flackern genügte, um jede ihrer Emotionen im Keim zu ersticken, doch das war nicht unangenehm; im Gegenteil. Jisoo hielt den Atem an, als sie den Engeln durch die runde Öffnung folgte.
Sie fand sich in einem Saal wieder. Ein gewaltiger Festsaal erstreckte sich vor ihr, kreisrund und gerahmt von massiven Säulen. Die Pfeiler reichten bis zur gewölbten Decke, die auch hier das Sternenlicht einließ. Doch statt die Decke abzustützen, öffneten sie sich nach oben wie antike Schalen und in jeder flackerte ein orangenes Licht. Aber Feuer war es nicht, denn es schenkte keine Wärme und das vertraute Knistern echter Flammen fehlte.
Jisoo staunte. Sie hatte sich nie mit Architektur befasst, und doch überraschte es sie, wie echt und vor allem irdisch alles aussah. Wie eine Halle aus einer vergangenen Zeit. Römisch. Herrschaftlich, vielleicht auch klassizistisch. Sie hatte keine Ahnung. Aber außerirdisch sah es nicht aus.
Die Botschaft begriff sie sofort: Die Engel verfügten über mehr Macht als jeder irdische Kaiser je hatte.
Auch die Leute, die sich im Saal tummelten, waren keine Aliens. Jisoo sah vor allem Männer; in schicken Anzügen und mit protzigen, goldenen Uhren an den Handgelenken. Sie standen in Grüppchen beisammen, pafften fette Zigarren und plauderten locker miteinander, als ginge es ums Wetter oder das nächste Pferderennen am Wochenende. Jisoo bekam fast den Eindruck, es habe nie eine Invasion gegeben.Doch dann wäre sie ja nicht auf einem Raumschiff gefangen.
Ihr klappte vor Unglaube der Mund auf. Also, was waren das für Menschen?
Zu spät bemerkte sie den Blick des Engels auf sich. Erst als sie das Tippen seiner Schuhspitze auf dem spiegelglatten Fußboden hörte, sah sie ihn an. Seine Brauen waren dicht zusammengezogen. Offenkundig hasste er es, zu warten.
„Hier!" Er drückte ihr das silberne Tablett in die Hand. „Sorge dafür, dass den Herrschaften", seine Arme beschrieben eine Geste, die den ganzen Raum umfasste, „nicht die Getränke und Zigarren ausgehen", dann beugte er sich zu ihr und ergänzte so leise, dass nur sie es hörte: „und vermeide es, direkt in die Feuer zu sehen." Damit ließ er sie stehen und lief durch die Menge, die sich, so bald er vorbeilief, teilte. Ein Raunen begleitete ihn, als er sich wie ein Herrscher durch den Saal bewegte und am anderen Ende auf einem gläsernen Sitz Platz nahm.
Ein Thron. Was zur Hölle war das hier?
Der Prozessor in Jisoos Oberstübchen arbeitete noch, als zwei Finger vor ihren Augen schnippten.
„Bereit?" Der andere Engel stand an ihrer Seite und als sie sich zu ihm drehte, reichte er ihr zu ihrer Überraschung die Hand. „Ich heiße übrigens Wooyoung." Froh, in dem gewaltigen Saal, gefüllt mit unsympathischen Menschen, jemanden zu kennen, nahm sie sie an.
Wooyoung brachte sie zur Bar, die am Rand des Festsaals aufgebaut war und zeigte ihr, wo der Champagner, die Zigarren, der Prosecco und der Wein zu finden waren. Er erklärte ihr alles, was sie wissen musste und versprach, ab und an zu schauen, wie sie zurecht kam.
Jisoo nickte und tat wie ihr geheißen. Doch ihr drehte sich fast der Magen um, als sie hautnah miterlebte, wie diese Männer hier lachten und sich unterhielten, als wäre es das normalste der Welt auf einem Alienraumschiff ein rauschendes Fest zu feiern und sich zu amüsieren.
Sie hoffte, dass es ihren Mädels auch gut ging, doch in der Tiefe ihres Herzens wusste sie, dass sie keinen Grund zum Feiern haben.
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