Jennie und die 42


Jennie drehte den Regler für die Geschwindigkeit zu heftig nach rechts. Die Kugel erzitterte und hüpfte in einem Satz nach vorn, doch anstatt wie ein Geschoss durch die Nacht zu zischen, hob sie nach oben ab.

Panisch riss sie den Steuerhebel zu sich ran. Ein gewaltiger Ruck ging durch das Flugobjekt, aber an der Flughöhe änderte sich nichts. „Aber wieso?" Sie rüttelte an dem Hebel und starrte mit offenem Mund aufs Cockpit, doch bevor sie weitere Dinge ausprobieren konnte, ging es rückwärts.

Aber ich habe doch gar nichts ...

Jennie verstand die Welt nicht mehr. Sie kam sich vor wie auf dem Jahrmarkt, in einem dieser Fahrgeschäfte, wo man in kleinen, an langen Stangen befestigten Kapseln sitzt, die sich im Kreis drehen und dabei hoch und runter gehen, oder rückwärts ihre Runden drehen.

Es kribbelte in ihrem Bauch und sie war kurz davor zu kreischen, wie in einer Achterbahn.

Denn das hier war krasser als jede Rummelattraktion. Mit einem Anflug von Übelkeit blickte sie nach oben durch das Glasdach der Kapsel. Ein Metallarm, ähnlich dem des Müllautos, das früher die Altcontainer abgeholt hatte, hielt ihr Vehikel in seinem Greifarm fest umschlossen. Das Metall ächzte unter dem Druck. Er wird mich zerquetschen. Panisch sah sie nach unten und kreischte los: Das Ding hatte sie bereits höher gehoben als ein Kran eine Palette Ziegel.

Wenn der mich fallen lässt bin ich Mikroplastik, nein Mikrometall!

Jennie zwang sich, Ruhe zu bewahren und ließ ihren Blick am Greifarm entlanggleiten. Er verschwand in der größeren Kapsel mit dem Blaulicht.

Na toll. Die haben mich einfach aus der Luft gegriffen wie ein lästiges Insekt!

Sie hielt den Steuerknüppel noch immer umklammert, als sie fühlte, wie er unter ihren Händen vibrierte. Kurz darauf wurde der Bordcomputer im Cockpit schwarz und sämtliche digitalen Anzeigen erloschen.

Jennie riss die Augen auf. Sie hatte keinen Plan von Alientechnik, doch sie wusste, dass das nicht gut sein konnte.

Ihre Nackenmuskeln verspannten sich, während sie angestrengt auf das leise Surren des Motors lauschte. Puh, wenigstens der hatte sie nicht im Stich gelassen. Noch nicht.

Die größere Flugkugel beschleunigte ihr Tempo. Das Ächzen des Metallarms drang verzerrt an ihre Ohren und war schrecklicher als jedes Horrorfilmgeräusch.

Jennie erstarrte in ihrem Sitz. Ein heller Lichtstrahl, der aus der großen Kapsel kam, drang durch das Glasfenster hindurch genau in ihr Gesicht. Er blendete sie und sie fühlte sich wie vor einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt: Keine Frage; das würde unangenehm enden und wenn sie Pech hatte verdammt wehtun.

Trotzdem blieb sie, wo sie war und wartete ab. Vielleicht lag es am Licht, vielleicht an ihrer Müdigkeit, doch sie hatte plötzlich das Gefühl, nicht einen Finger heben zu können.

Als sie begriff, wo die Reise hinging, gelang es ihr gerade mal, eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu schütteln. Die Blaulichtkapsel schleppte sie tatsächlich bis zum ehemaligen Polizeipräsidium.

Das Symbol des goldenen Adlers mit geöffneten Schwingen auf blauem Grund war überall von der Fassade verschwunden und der Seitentrakt zur Hälfte eingestürzt, doch das ehrwürdige Hauptgebäude schien intakt zu sein.

Jennie hielt in Erwartung, dass es gleich rasant nach unten gehen würde, die Luft an, doch stattdessen wackelte die Kapsel hin und her und näherte sich dem Dach des Gebäudes.

Durch die Scheiben sah sie einen aufgemalten Kreis. Einen Hubschrauberlandeplatz!

Der Greifarm senkte sich über dessen Mitte. Jennie war dankbar, hatte sie doch das Gefühl, dass die Höhe langsam reduziert wurde. Nur noch ein paar Meter und dann ...

Und schon sauste sie nach unten. Es ging so schnell, dass sie nichts merkte, außer wie die Schwerkraft an ihr riss. Ein gewaltiger Ruck durchfuhr ihre Wirbelsäule, als die Kapsel aufprallte.

Es knallte dumpf und knirschte verdammt unschön. Die Kapsel wackelte noch ein paar Mal hin und her, als würde sie auf schwankenden Wellen im Wasser treiben, dann stoppte sie und blieb leicht schräg liegen.

Kang Yeosang wird mich umbringen!

Mit zittrigen Fingern löste Jennie den Sicherheitsgurt.

Sie hatte ihre Situation noch gar nicht richtig begriffen, da hörte sie von draußen Schritte und Sirenen.

Etwas klatschte von außen an die Scheibe ihrer Kapsel und im nächsten Moment gingen die Lichter im Cockpit wieder an und die Tür öffnete sich, wie von Zauberhand.

Jennie starrte hinaus und direkt in den Lauf einer Laserwaffe.

Sie schluckte tief und ihre Handflächen wanderten ganz automatisch nach oben.

„Rauskommen!" Hinter dem Laser tauchte ein Helm auf. Jennie konnte fast nichts erkennen, da das Licht, sie so blendete.

Sie kniff die Augen zusammen und stolperte Richtung Tür, stieß mit ihrem Knie irgendwo heftig an und betete, dass sie nicht gleich kopfüber aus der Kapsel fallen würde, da sie den Ausgang nicht richtig erkannte.

Das Licht senkte sich im letzten Moment und sie griff die Verkleidung der Tür und ließ sich nach draußen rutschen.

Der Helm stand jetzt genau vor ihr – oder besser fast über ihr, denn sein Träger war ein ganzes Stück größer als sie. Zu ihm gehörte ein kompletter Millitäranzug. In tiefem Schwarz, mit unzähligen Gurten und Taschen, aus denen lauter merkwürdiger Kram ragte, dessen Nutzen Jennie nie herausfinden wollte. Es sah aus wie die komplette Ausrüstung einer Elitetruppe an einem einzigen Typ. Einschüchternd.

Sie starrte das Ungetüm vor sich an und bemerkte, dass der Kerl in seinem Anzug hin und her wackelte. Verwundert neigte sie den Kopf und im nächsten Moment knickten ihr die Beine weg. Ihre Knie knallten auf Beton, ihre Finger wischten über den Rand des aufgemalten Kreises, als suchten sie daran Halt und sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.

Ein sicherer Griff unter ihrer Achsel zog sie zurück auf die Füße und da verstand sie: Nicht er hatte gewackelt, sondern sie.

Die Hand in dem riesigen Handschuh war noch da. Ohne sie läge Jennie schon längst wieder auf dem Dach.

„Zu viel", murmelte sie. „Zu viel", und wusste nicht, ob der Typ im Anzug sie überhaupt verstand.

Anscheinend schon. Denn er packte sie an den Armen und warf sie sich wie einen Sack über die Schulter. Mit schweren Schritten stapfte er zu einem Durchgang ins Gebäude und Jennie sah hinab auf seine schwarzen Boots.

„42" war das Letzte, das sie dachte, bevor ihr Blick sich ganz im Dunkel verlor.


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Auch hier noch schnell die Ankündigung: Da ich am Picture Award teilnehme und meine Story: Die Maske des Dogen. Das Geheimnis von Venedig bis 15 Dezember fertig haben muss, kommen derzeit hier keine Updates. Ich schaff es nicht -.-

Aber wenn der Wettbewerb durch ist, geht es hier wieder regelmäßig weiter: versprochen!

In der Zwischenzeit könnt ihr mich gern in Venedig besuchen kommen :)

Und wenn ich es schaffe, zwischendrin mal was aus dem Ärmel zu schütteln, kommt auch eher was ;)

Bis bald ^.^

Ihr könnt ja bis dahin raten, wer sich unter dem Helm verbirgt ;) (Ätsch! Ich weiß es ^^°)

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