Teil 1 / 2
- DIE VEFILMUNG DIESES KAPITELS KÖNNT IHR OBEN SEHEN!!!-
"Flimmernde Hitze und qualm raubten mir den Atem, als ich verzweifelt versuchte, meinen schmerzenden Körper aus dem brennenden Gebäude zu schleppen. Meine Beine versagten, meine Lungen brannten, meine Augen tränten und in meinen Ohren rauschen die hungrigen Flammen, die danach lechzten, meinen Körper zu verschlingen und in einen Haufen Asche zu verwandeln.
Doch inmitten dieser Hitze war ein Geräusch. Es klang, wie wenn man mit einer Gabel über einen Teller schabt. Langsam und schwerfällig und schrill. Ich wagte nicht zu atmen, nahm mir doch der Rauch meine Sicht und ließ mich bei jedem Atemzug schmerzhaft aufkeuchen. Plötzlich wurde ich an den Hinterbeinen gepackt. Als ich mich wendete, erkannte ich, dass es das Pferd C73 war, welches mich durch den Gang zurück in das Gebäude schleifte. Ihre Augen glühten wie das Feuer um uns herum und ihr Pelz war zerrissen von den Flammen der Explosion, doch sie lebte noch. Unter ihrer blutigen, zerfetzten Haut schimmerten die Metallplatten, die Dr. Higgins ihr eingesetzt hatte und die bei jeder Bewegung übereinander schabten, während sie dabei ein fürchterliches Kreischen verursachten, sobald sie sich bewegte. Ich hatte keine Chance, mich gegen sie zu wehren. Sie würde mich töten, das wusste ich.
Weiter und weiter zog sie mich in die Hitze der Flammen, in einen Aufzug hinein, der abzustürzen drohte. Ich trat nach ihr, doch sie packte mich fester. Doch als ich in dem Aufzug war und versuchte, auf die Beine zu springen und ihr zu entkommen, riss sie ihr Maul mit zu einem fürchterlichen Schrei auf, als einige Funken, die ich aufwirbelte, ihre Mähne in Brand setzten. Sie sah aus, wie ein Dämon, als sie so vor mir stand und mich bedrohte. Dann kam sie näher - Schritt für Schritt für Schritt, bis sie direkt vor mir stand. Dann holte sie Luft und schrie erneut auf, dabei spie sie Funken und Feuer in meine Aufzugskabine, die bedrohlich zu wackeln begann und dann..."
"Jetzt übertreibst du aber", unterbrach Conor Jess in der kleinen, um ein Lagerfeuer herum versammelten Runde. "Angelica war zwar sogesehen ein Cyborg, aber Feuer speien konnte sie nicht."
Alle Augen richteten sich auf Jess, die schulterzuckend mit den Augen rollte und dann den Blick zu ihren Kindern, Josie und Simon, wendete. Zwölf Jahre waren die Geschehnisse der Hancester Science Laboratories nun her. Seither lebten Alex und sie zusammen und es hatte nicht lange gedauert, da hatten die Zwillinge, Simon und Josephine, genannt Josie, das Licht der Welt erblickt. Alle meinten, dass die beiden ihren Eltern fürchterlich ähnlich sahen, doch Simon sah von beiden, mit seiner wuscheligen Lockenmähne, Jess am ähnlichsten.
Seine braunen Augen waren ängstlich geweitet, als er der Geschichte seiner Mutter lauschte, während Josie, die kleine, braungeborene Schimmelstute, hibbelig auf Ort und Stelle tänzelte, weil sie es kaum erwarten konnte, das Ende der Geschichte ihrer Mutter zu hören.
Sie kam mehr nach Alex. Allerdings war ihre Neugier und ihre Abenteuerlust schon ein paarmal beinahe zum Verhängnis geworden, denn Josie war eine Ausreißerin. Als sie deshalb einmal beinahe in eine Baugrube gestürzt wäre, hatte Alex bei Ex-Präsidentin Baxter beantragt, die kleine durch einen Sicherheitsbeamten überwachen zu lassen, was Jess jedoch für unnötig gehalten und den Hengst sofort wieder weggeschickt hatte, als er vor ihrer Haustür gestanden hatte.
Auch Caroll hatte sich für diesen besonderen Abend Zeit genommen und sich von ihren Pflichten losgesagt, um einen Abend mit ihren alten Freunden zu verbringen. Schließlich hatten sie in der Vergangenheit viel zusammen durchgemacht. Nach ihrer Amtsablösung durch Präsident Lexington hatte sie sich der Malerei zugewandt und lebte mt ihren vier Katzen und ihrem Ehemann zusammen in einem Anwesen in Windsborough, Illinois. Dass sie an diesem Abend gekommen war, ehrte Jess über alle Maße. Schließlich hatte die Stute dafür extra ihren Privatjet in Bewegung setzen lassen müssen.
"Also, ich finde die Geschichte wahnsinnig spannend!", schnaubte sie mit interessiert gespitzten Ohren. "Schließlich basiert sie ja auf wahren Begebenheiten!"
"Tut sie das?", wimmerte Simon zitternd, der sich ganz fest an seinen Vater drückte. Der wusste jedoch mit der hilfesuchenden Gestalt, die sich an sein Vorderbein klammerte irgendwie nichts anzufangen. Deshalb schnaubte er seinem Sohn nur ein trockenes "Ja", zu.
"Sei froh, dass sie die Geschichte nicht auch noch auf 'Clyve, das Narbengesicht' ausweitet."
"Clyve, das Narbengesicht?"
Josies Stimme war voller Enthusiasmus und Neugierde. Ihre strubbelige Stehmähne stand kerzengerade nach oben, als sie einen aufgeregten Galoppsprung auf ihre Mutter zumachte. "Mama, warum erzählst du nicht davon?"
"Ich war ja noch gar nicht fertig!", wieherte Jess daraufhin empört. Jess Augen trafen die von Conor, der mit einem Nicken in Simons Richtung anzudeuten versuchte, dass das ängstliche Fohlen für heute genug Schauergeschichten gehört hatte.
"Mama, C73 gibt es nicht wirklich, oder?", fragte der kleine, völlig verängstigt. "Ich meine... Sie könnte wütend auf dich sein, dass du sie besiegt hast. Du hast sie doch besiegt, oder?"
"Sie ist tot", murmelte Alex seinem Sohn ins Ohr. "Ich habe deine Mutter vor ihr beschützt, so wie ich euch alle beschützen werde. Wenn du Angst hast, ist das in Ordnung. Aber sie ist nicht mehr hier."
"Es ist nur eine Geschichte", schnaubte Jess Simon aufmunternd zu. "Auch Angelica war nur ein ganz normales Pferd, wenn auch ein sehr gefährliches."
"Cool!", wieherte Josie begeistert. "Papa, wie hast du sie denn besiegt?"
"Das ist keine Geschichte für freche, kleine Fohlen", schritt Jess in die Unterhaltung ein, bevor Alex den Mund aufmachen konnte, um, ganz in seiner Manier, völlig direkt und ehrlich zu antworten. "Diese Geschichte darf Papa euch erzählen, wenn ihr älter seid!"
"Ach manno!", maulte Josie trotzig. Zu gerne hätte sie das Ende der Geschichte erfahren.
"Also,ich denke, ich mache mich dann mal zurück auf den Heimweg, es ist ein weiter Weg nach Windsborough", schnaubte Caroll müde, als sie ihre Salatschüssel packte und der noch immer sitzenden Jess dankbar den Hals über die Schulter legte. "War ein schöner Abend!"
"Danke, dass ihr alle gekommen seid! Das bedeutet den Kindern wirklich viel! Auch dass du hier warst, Conor!"
Conor grinste fröhlich durch seine altmodische Hornbrille, als auch er sich auf den Heimweg machte.
"Jederzeit wieder, liebe Jess!", schnaubte er freundlich. "Die Tüte mit den Marshmallows könnt ihr für die Kinder behalten!"
Conor wieherte Alex und Jess noch über die Schulter zu, bevor er durch das Gartentor verschwand. Dann kehrte Ruhe ein. Kaum waren die beiden außer Sicht, da versuchte Jess, sich wackelig auf ihre Beine zu heben. Sie hasste es, wenn andere Pferde mitansehen mussten, wie schwer sie sich nach all den Jahren noch immer damit tat, endlich ohne Gehhilfe laufen zu können. Ihre Hinterbeine waren nicht nutzlos geworden, dennoch versagten sie oftmals unverhofft einfach ihren Dienst und dann war sie völlig hilflos. Sie verfluchte die Tatsache, dass sie in diesen zwölf Jahren nicht mehr für ihre Gesundheit hatte unternehmen können.
Mit einem flinken Sprung eilte Alex ihr zu Hilfe, als sie zu stürzen drohte.
"Alles in Ordnung, ich hab dich", schnaubte er ruhig, als er Jess vorsichtig zurück auf die Beine schob. Er verharrte eine Weile, bis er sicher war, dass Jess alleine stehen konnte, bevor er das Lagerfeuer mit einem Eimer Wasser löschte und seine Routine mit einem "Es ist kurz vor zehn. Die Fohlen müssen in zwei Minuten und einunddreißig Sekunden im Bett sein..." beendete.
Lautes Gezeter von beidermaßen, Josie und Simon, tönten durch den Garten.
"Maaann, können wir nicht noch vier Minuten und neunundzwanzig Sekunden aufbleiben?", maulte Josie gähnend. "Ich bin noch gar nicht müde!"
"Nix da, ab ins Bett mit euch beiden! Und zwar dalli!"
Jess Stimme duldete keine Widerrede. Mit hängenden Ohren trotteten die Fohlen ind Richtung Haus zurück, dann spitzte Josie frech die Ohren, sich zu ihrem Bruder herüber beugend.
"Wetten, dass ich schneller im Bett bin, als du?"
"Das glaubst auch nur du!", japste der kleine Lockenkopf herausfordernd. Mit drei flinken Galoppsprüngen, trugen sie ihre Hufe zurück zum Haus und ins Badezimmer zum Zähneputzen. Es fühlte sich beinahe wie eine Ewigkeit an, bis ihre Zahnputzuhren durchgelaufen waren und sie endlich in ihre Betten hüpfen konnten.
"Ha! Ich war eine halbe Sekunde schneller, wie du!", lachte Josie triumphierend.
"Es heißt, eine halbe Sekunde schneller, als du", pampte Simon seine Schwester schmollend an. "Und außerdem habe ich dich gewinnen lassen."
"Klugscheißer", sie streckte ihrem Bruder die Zunge heraus, bevor sie ihren Kopf auf ihr Kissen fallen ließ. "Das würde ich jetzt auch an deiner Stelle sagen!"
Josie zog sich zufrieden ihre Decke über die Schultern und blickte den schwarzgeborenen Schimmel an, der im Bett gegenüber von ihr in ihrem Kinderzimmer lag. Das Licht in ihrem Zimmer brannte noch. Normalerweise kamen Alex und Jess immer noch einmal zu ihnen, um nachzusehen, ob sie auch wirklich schliefen und löschten es dann, damit es schön dunkel war. Doch selbst nach fast einer halben Stunde, war noch immer keiner von ihnen hier aufgetaucht.
"Josie?", flüsterte Simon unter seiner Decke. "Josie, bist du noch wach?"
"Ja", antwortete seine Schwester leise und auch ein wenig unsicher. "Was ist denn?"
"Wo bleibt denn Mama oder Papa? Sollten sie nicht schon hier gewesen sein?"
Josie musste zugeben, dass auch sie keine Ahnung hatte. Sie hatte sich auch schon gewundert, wo ihre Eltern steckten. Normalerweise waren sie immer sehr pünktlich. Vor allem ihr Vater. Aber ihre Uhr zeigte schon weit nach zehn Uhr. Selbst im Haus war es mucksmäuschenstill.
"Es wird schon nichts passiert sein", versuchte Josie ihren Bruder aufzumuntern. "Du weißt doch, dass Paps das klügste Pferd der Welt ist. Wenn irgendwas wäre, dann hätte er es sicherlich schon vorher gewusst und die Gefahr beseitigt. Manchmal wünschte ich auch, dass ich einen Computer im Kopf hätte. Denk doch mal, wie toll man da bei Mathe schummeln könnte!"
"Josie, das ist nicht lustig", schnaubte Simon grantig. "Ich gehe lieber mal nachsehen!"
Auf wackeligen Hufen tipptelte er leise zur Zimmertür, deren Griff er vorsichtig ins Maul nahm, um sie zu öffnen. Da krachte es plötzlich ganz laut und ein Blitz zuckte draußen über den Nachthimmel. Dennoch fühlte es sich an, als ob der Knall viel näher war, als der Blitz. Mit einem Mal war das Licht im Kinderzimmer aus und wieder kehrte Ruhe ein.
"Das war nur ein Blitz, Sim!", lachte Josie, als sie bemerkte, dass ihr Bruder, vor Schreck paralysiert, mit weit aufgerissenen Augen an der Tür stand. Er atmete schwer. Dann schüttelte er den Kopf.
"Das war kein Blitz, Josie. Es war auch kein Donner. Ich glaube, ich habe Mama schreien hören! Oh Gott, vielleicht war es C73!"
Mit einem Satz sprang Simon zurück in sein Bett, verkroch sich unter seiner Bettdecke und lugte zitternd darunter hervor, als er seine Schwester beobachtete, wie sie augenrollend aufstand, zur Tür ging und den Türknauf drehte.
Doch die Tür war verschlossen.
Josies Grinsen fror in ihrem Gesicht ein, als sie an der Tür rüttelte, doch das Schloss blieb verriegelt. Mittlerweile war Simon einer Panikattacke verfallen, schnappte nach Luft und starrte apathisch in die Ferne.
"Hör zu! Alles wird gut", presste Josie mit einem gezwungenen Lächeln hervor. "Die Tür klemmt bestimmt nur. Hast du noch irgendwo dein kleines Spion-Set, das du zu Weihnachten bekommen hast?"
Simon deutete zitternd auf eine kleine Schachtel auf der Kommode, seitlich an seinem Bett. Irgendwo da drin befand sich ein kleiner Dietrich und ein Übungsschloss, das er damit knacken geübt hatte. Aber er ahnte bereits, was Josie vorhatte.
"Josie! Was ist, wenn da draußen wirklich jemand ist? Wäre es nicht klüger, durchs Fenster abzuhauen und die Polizei zu rufen?"
Die kleine, braune Stute schüttelte jedoch nur den Kopf. "Da ist niemand, Simon! Das muss einer von Paps dummen Bodyguards sein, der auf mich aufpassen soll. Weiß der Herr, warum der mitten in der Nacht hier auftaucht und uns einsperrt."
Simon glaubte ihr kein Wort, auch wenn er das gerne getan hätte. Nein, ein Bodyguard war das ganz gewiss nicht. Er wusste, was er gehört hatte und der Schrei seiner Mutter war der eindeutige Beweis, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
Ruhig, wie eine Maus, steckte Josie Simons Dietrich in das Schloss und knackte es in weniger, als zehn Sekunden. Doch sie zögerte, als sie die Tür öffnen wollte.
"Ach! Glaubst du mir jetzt doch?", schnaubte Simon stichelnd. Seine Schwester schüttelte trotzig den Kopf und öffnete die Tür einen spaltweit. Dann zuckte ein weiterer Blitz über den Himmel. Dieses Mal war der Schrei von Jess ganz deutlich zu hören. Mit einem Mal stand Josies Fell zu Berge und sie sprang zu ihrem Bruder unter die Bettdecke.
"Du hattest recht!", flüsterte sie zitternd. "Da stimmt was nicht. Wir müssen die Polizei rufen!"
"Das habe ich doch gleich gesagt! Am besten fliehen wir durchs Fenster!"
"Spinnst du? Wie sollen wir da die Polizei anrufen? Unser Telefon und Mamas Handy sind in der Küche. Ich halte dir den Rücken frei und du rufst an, ok? Wenn jemand kommt, lenke ich die Aufmerksamkeit auf mich und locke ihn von dir fort."
"Das würdest du tun?"
"Na klar, kleiner Bruder. Trotzdem musst du jetzt ganz mutig sein! Für Mama und für Papa!"
Entschlossen nickend krochen die beiden Fohlen unter der Bettdecke hervor. Josie voraus schlichen sie sich auf den Flur hinaus. Die Augen leicht zusammengekniffen, um in der Dunkelheit besser sehen zu können, klapperten ihre Hufe ganz leise über den glänzenden Korkboden der schicken, einstöckigen Designerwohnung ihrer Eltern.
Simon überkam es mit einem Mal. Wenn der Strom ausgefallen war, dann würde auch das Telefon nicht funktionieren. Er würde also das Handy seiner Mutter benutzen müssen. Besorgt sah Josie sich nach ihrem kleinen Bruder um, der beinahe auf ihre Hinterhand aufgelaufen wäre, weil er mit seinen Gedanken völlig woanders gewesen war.
"Mama und Papa sind nicht im Wohnzimmer, aber die Terrassentür steht noch offen", flüsterte die Stute leise. In der Wohnung war nichts verändert. Es gab weder Anzeichen für einen Einbruch, noch waren Dinge durcheinander und zeugten von einem Kampf. Egal, wer hier gewesen war, er musste es geplant haben. Er war in weniger als einer Sekunde in das Haus eingedrungen und hatte die Eltern der Fohlen außer Gefecht gesetzt und sie verschwinden lassen.
"Du, Josie... glaubst du, dass ein Pferd alleine Mama und Papa überwältigen kann? Papa war doch mal ein Soldat? Sogar ein supersupersuper Soldat. Was ist, wenn da nicht nur ein Pferd in unserem Haus wa-"
"Papperlapapp!"
Josie stumpte Simon leicht mit dem Hintern in die Seite.
"Hier ist niemand. Wir rufen einfach die Polizei, dann wird alles gut."
"Mama!?", wieherte Simon ins Dunkel. "Papa!? Wo seid ihr?"
Keine Antwort. Die drückende Stille kroch den beiden Fohlen under den Pelz und löste einen unerträglichen Schauer aus, der ihre Rücken hinunter lief. Ihre Eltern waren weg. Spurlos verschwunden. Die Terrassentür stand offen und weit und breit war keine Spur von auch nur irgendeinem bekannten Pferd.
"Ich schau schnell im Garten nach und schließe dann die Tür. Geh du schon mal in die Küche und rufe die 911 an, ok? Das ist die Nummer der Polizei."
"Ich kenne die Nummer der Polizei!", schnauzte Simon sie verbittert an. Er hasste es, wenn seine Schwester ihn für dumm verkaufte, aber er sah ein, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, um mit ihr darüber zu streiten, wer der klügere von ihnen war. Deshalb verstummte er und nickte, bevor er in die Küche trottete.
Josie schlich unterdessen auf leisen Hufen hinaus in den Garten. Das Wasser im Swimmingpool schwappte leicht, die Feuerstelle hatte inzwischen zu rauchen aufgehört, aber ansonsten war alles ruhig. Nur die Bäume wippten im Wind, etwas entfernt rief ein Käuzchen, doch von ihren Eltern war noch immer keine Spur.
Aber warum schwappte denn das Wasser im Pool herum? War denn jemand kürzlich darin baden gegangen? Ein weiterer Blitz zuckte über das Firmament. Er erleuchtete den Garten und den Pool und ganz vage konnte Josie etwas erkennen, das dort auf dem Wasser trieb. Es sah beinahe aus, wie ein blondes Mähnenbüschel. Die Enden waren blutig, als hätte ein Pferd einem anderen das Büschel Mähne brutal herausgerissen. Aber es gab keine blonden Pferde in dieser Familie. Alex, Jess, Conor und Caroll hatten alle graues oder schwarzes Haar. Auch Simon und Josie selbst waren schwarzhaarig. Von welchem Pferd konnte das Büschel also stammen? Vorhin war es noch nicht dagewesen.
Ein weiterer Blitz gewährte Josie einen Blick auf den Rasen und sie erstarrte. Der Boden war vollkommen aufgewühlt, Rasenfetzen lagen verstreut auf dem Boden und überall lagen blutige Fellbüschel herum. Weiße und blonde.
"Papa!", entfuhr es ihr, als sie weiter in die Dunkelheit hinaus lief. "Papa, wo bist du?!"
Ein tiefes Schnauben ließ sie plötzlich aufhorchen. In freudiger Erwartung, ihren Vater zu sehen, sprang sie mit einem Satz herum und fand sich im Schatten eines Pferdes wieder, das zwischen ihr und dem Terrasseneingang stand.
"Dein Papi wird dir nicht mehr helfen, kleines", kicherte das fremde Pferd bosartig. Gerade wollte Josie nach ihrem Bruder schreien, da erhellte ein weiterer Blitz das Gesicht des Pferdes. Mit einem Mal wurde der kleinen Stute klar, dass dieser Fremde der Hengst gewesen sein musste, der mit ihrem Vater gekämpft hatte. In seiner Mähne fehlte büschelweise Langhaar und sein Pelz sah vollkommen zerfetzt und gerupft aus.
Aber das Schlimmste war sein Gesicht.
Die Hälfte seines Gesichts bestand nur noch aus fleischigen Narben und Muskeln, die sich über seinen Schädel spannten und helle, weißliche Flecken hatten. Einzelne Fellstoppeln wuchsen aus den teils nässenden Brandnarben des Hengstes, die durch den Kampf mit Josies Vater wieder aufgerissen waren. Blut strömte aus einigen Biss- und Schnittwunden an seiner Wange, doch das schien den Hengst gar nicht zu stören.
"Keine Sorge, meine liebe Freundin wird sich gut um deinen Bruder kümmern", lächelte er mit einer stoischen Ruhe, die für diesen Augenblick vollkommen unangebracht war. Dieser Hengst schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
Üblicherweise hätte die junge Stute ihrem Gegenüber nun einen frechen Konter geliefert, doch dessen Anblick, ließ Josie erstarren. Dieser Hengst machte ihr Angst. Nein, er war die Angst und sie war ihm schutzlos ausgeliefert.
"Clyve, das Narbengesicht...", röchelte sie noch zitternd, bevor das Pferd ihr vor die Brust trat, ihr einen Sack über den Kopf stülpte, ihr die Beine fesselte und sie dann durch den Garten zu seinem Wagen schleifte.
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"War doch klar, dass die Leitung bei Stromausfall tot ist!", wieherte Simon erbost, als er den Hörer zurück in die Station knallte. In so vielen Filmen hatte er es schon heimlich beobachtet. Immer, wenn die Hauptcharaktere in einem gruseligen Haus gefangen waren, war die Leitung tot oder der Strom fiel aus. In diesem Fall sogar beides.
Mit einem skeptischen Blick zur noch immer geöffneten Terrassentür, hielt der junge Hengst Ausschau nach dem Handy seiner Mutter. Dieses jedoch lag weder auf der Theke, noch auf der Kommode im Flur. Simon öffnete die Schubladen der Küche, tippelte hinaus ins Esszimmer, ins Wohnzimmer und von da aus ins Schlafzimmer seiner Eltern, doch Jess Handy blieb verschwunden.
Wo blieb nur Josie? Sie war schon viel zu lange da draußen! Wenn Simon es sich recht überlegte, verschwand immer eines der Pferde auf mysteriöse Weise, wenn zwei Partner sich trennten. Und dann war der Protagonist meistens auf sich allein gestellt. Er wollte aber nicht alleine sein! Er hatte ohnehin schon tierische Angst.
"Josie? Josie, wo bist du?", wieherte er schrill in die Nacht hinaus. Keine Antwort. Vielleicht war sie einmal ums Haus herum gegangen. Sie würde sicherlich gleich auftauchen. Das hoffte er zumindest.
Piep, Piep.
Der Klingelton seiner Mutter ertönte in seinen Ohren, als Simon die Tür zur Terrasse anlehnte, um den kalten, nächtlichen Luftzug zu stoppen. Wo hatte er das Handy denn übersehen? Der leuchtende Bildschirm strahlte ihm hell aus dem Eingang des Waschraums entgegen.
Ohne sich zu fragen, warum seine Mutter mitten in der Nacht eine Nachricht auf ihr Handy erhielt und warum das Handy auf dem Boden zur Tür des stockfinsteren Waschraums lag, stürzte er voran. Jubilierend hob er das Handy auf, hackte die 911 in die Tasten und wollte gerade auf 'Anruf' drücken, als ein heller Blitz aus der Kammer hervor schoss, das Handy von ihm stieß und das vor Angst schreiende Fohlen an die gegenüberliegende Wand des Flures presste.
Das Fell hing in Fetzen an ihr herab und ihr Atem stank faulig nach mürben Zähnen. Ein Blick in ihr weit aufgerissenes Maul ließ Simon jedoch sehen, dass die Stute, die ihn angegriffen hatte, gar keine eigenen Zähne mehr besaß. Stattdessen bohrten sich silbrig glänzende Dornen durch ihren Kiefer. ihre Mundwinkel hatte man ihr bis zum Beginn ihrer Ganaschen aufgeschlitzt und sie dann wieder provisorisch mit einem Nähfaden zusammengeflickt. Die Nähte rissen jedoch mit jedem Schrei weiter auf und ließen blutige Fleischwunden an ihrem Kiefer entstehen.
Diese Stute musste fürchterliche Schmerzen haben, doch Simon hatte keine Zeit dafür, sie für diesen Umstand zu bemitleiden, denn die Stute riss ihren Kiefer auf, um nach seinem Hals zu schnappen. Simon hatte Glück, dass er kleiner und wendiger war als sie, denn er schaffte es gerade noch, sich im letzten Augenblick unter ihr hindurch zu ducken, bevor ihre Zähne in die Wand hinter ihm einschlugen und sich tief in die Gipswand bohrten, hinter der einige Leitungen verliefen.
Hastig strampelte er sich frei und rannte zur Haustür. Er würde zu den Nachbarn rennen und dort Hilfe suchen. Doch als er an der Haustür rüttelte merkte er bereits, dass diese ebenfalls verschlossen war. Sein einziger Ausweg war also die Terrassentür.
Kaum drehte er sich um, hatte die Stute C73 sich befreit und setzte zu einem erneuten Angriff an. Simon nahm die Hufe zwischen die Beine und galoppierte so schnell er konnte auf die Terrassentür zu. Sein Vorteil war, dass die schweren Metallplatten seiner Verfolgerin sie langsam machten. Doch wenn sie erst einmal in Fahrt war, dann war sie deutlich schneller als er. Das merkte er auch, als er im Wohnzimmer angelangt war und das Gewicht der Stute mit voller Wucht auf seinem Rücken landete.
Ein stechender Schmerz fuhr Simon ins Bein, als ihre dolchartigen Zähne sich in seine Hinterhand bohrten. Doch Simon ließ nicht locker, trat und kickte um sich, ohne Rücksicht auf Verluste. Seine Hufe trafen auf Metall und weiches Gewebe dort, wo er Augen und Nüstern erwischte.
Mit einem schmerzverzerrten Aufschrei ließ die Stute einen Moment lang von ihm ab, schüttelte sich erbost den Kopf und holte dann nochmal zu einem Angriff aus.
Zähne trafen auf Metall, als Simon es im letzten Moment schaffte, einen dekorativen Kerzenleuchter vom Wohnzimmertisch zu schnappen, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Die Stute spuckte Blut, als sich einer ihrer Zähne lockerte, durch ihren Unterkiefer brach und klirrend zu Boden fiel.
Speichel und Blut rann aus dem Loch, das nun in ihrem Unterkiefer prangte. Sorgfältig betastete die Stute die Öffnung mit ihrer Zunge, fuhr ein paarmal prüfend die Konturen des Loches nach und leckte sich dann mit einem diabolischen Grinsen das Blut von den Lippen.
Ihre Grimmasse wurde immer breiter, als sie sich über Simon aufbaute, ihren verlorenen Zahn vom Boden schnappte und ihn wie einen Dolch über Simons Kopf kreisen ließ.
Der junge Hengst erhaschte nun zum ersten Mal einen Blick auf ihren Unterhals. Eine alte Schusswunde befand sich direkt zwischen ihren Wangenknochen.
Alex hatte sie getötet, hatte er gesagt. Hatte er sie erschossen? Und selbst wenn nicht... Das war eine Schusswunde und diese Stute lebte. Wie war das möglich? In all den Krimis seiner Eltern, denen Simon manchmal nachts gelauscht hatte, waren Pferde an derartigen Wunden gestorben, weil die Kugel ins Gehirn eingetreten war. Warum lebte diese Stute also noch?
Ein heftiger Tritt vor die Stirn, ließ Simon für einen Moment lang Sternchen sehen, bis er den starken Druck des Hufes der Stute an seiner Kehle bemerkte, die seinen Hals entblößte, um ihn mit dem ausgefallenen Zahn aufzuschlitzen.
Rauschend flackerten die Lichter des Hauses wieder an, als der Strom zurückkehrte und Simons Augen blickten durch die gläserne Rückseite ihres Anwesens hinaus in den Garten auf den beleuchteten Pool, der gespenstisch hin und her schwappte.
Das war die Lösung.
Mit einem gewaltigen Anflug von Ehrgeiz, rollte Simon sich unter der Stute weg, brachte sie zu Fall und galoppierte dann zur Terrassentür. Er kickte wild um sich, als er merkte, dass sie kurz davor war, ihn wieder zu überwältigen, doch da hatte er schon die Tür aufgerissen und nahm Anlauf, direkt auf den Pool zu.
'Simon, du musst jetzt schneller laufen, als du je gelaufen bist', sagte er zu sich selbst. 'Dein Vater war der beste Soldat aller Zeiten! Du hast das auch im Blut! Du schaffst das!'
Ein Blick nach hinten verriet Simon, dass die Stute ihm bereits gefährlich nahe gekommen war. Er musste noch schneller laufen. So schnell ihn seine Beine tragen konnten. Er spürte das Zupfen, als die Stute ihm zwei, drei Schweifhaare ausrupfte, dann sprang er mit einem gewaltigen Satz in den Pool und schwamm um sein Leben.
C73 hatte entweder nicht damit gerechnet, dass der Pool an dieser Stelle zu tief zum Stehen war, noch schien sie erwartet zu haben, dass ihre Rüstung sie am Schwimmen hindern würde. Während also Simon erschöpft am anderen Ende des Pools aus dem Wasser kletterte und sein Fell schüttelte, kämpfte die Stute im Wasser um ihr Überleben.
Immer und immer wieder stieß sie sich mit den Hinterhufen vom Grund ab, um Luft zu holen, doch ihre Kräfte schwanden zusehends. Luftblasen stiegen auf, als sie vergeblich versuchte, mit den Hufen am Beckenrand Halt zu finden, doch die Bemühungen erstarben schon bald und die Stute wurde still.
Schwer atmend ließ sich Simon auf das aufgewühlte Gras im Garten fallen und vergrub den Kopf zwischen den Vorderbeinen. Tränen rannen ihm in Sturzbächen die Wangen herab. Das war seine Schuld. Er hatte dieses Pferd getötet. Sie hätte ihn wahrscheinlich auch getötet, aber das machte ihn dennoch nicht zu einem besseren Pferd.
Wo waren nur seine Eltern, seine Schwester? Er hätte Josie niemals alleine hinausgehen lassen dürfen, hatte er doch geahnt, dass irgendetwas gefährliches im Gange war. Warum hatte er sie nicht gewarnt? Und jetzt war er alleine. Völlig alleine. Und in seinem Pool trieb die Leiche eines fremden Pferdes, das bis aufs Mark verstümmelt worden war.
"Du und deine Eltern ihr seid euch wirklich sehr ähnlich. Du hast Angelica ertränkt, du kleiner Mistkerl!"
Die Stimme über ihn erschreckte Simon weniger als die Tatsache, dass er jene erkannte. Sie gehörte keinem Pferd, das er persönlich kennengelernt hatte und dennoch hatte er sie oft genug in den Aufzeichnungen der Gerichtsprozesse seiner Eltern gehört, die er heimlich mitangesehen hatte.
Sie gehörte keinem Geringeren, als Clyve Higgins, dem Pferd, das seiner Mutter das Lächeln gestohlen hatte, welches sie auf ihren alten Fotos immer gehabt hatte. Ihr wunderschönes Strahlen hatte Simon nie mehr zu Gesicht bekommen. Ein Schmunzeln vielleicht, aber nichts zu vergleichen mit der Glückseligkeit, die sie damals ausgestrahlt hatte.
Dieser Hengst war verantwortlich dafür, dass seine Mutter ihn niemals mit zur Schule begleiten konnte, niemals mit ihm Fußball oder Wettrennen spielte. Und er war derjenige, der seinem Vater nicht nur das Lächeln, sondern seine gesamten Gefühle geraubt hatte.
Simon hatte gelernt mit der Behinderung seines Vaters zu leben. Schließlich vererbte sie sich nicht an seine Nachkommen weiter. Daraus resultierend hatte Simon eine ganz besondere Art entwickelt, sich in andere Pferde hinein zu fühlen, denn nur so konnte er sagen, wie es seinem Vater gerade ging, da dieser es selbst nicht ausdrücken konnte.
Und dieser Hengst dort über ihm war voller Hass. Ein Blick in seine blauen Augen, die kurz hinüber zum Swimmingpool schweiften, in dem C73s Leiche langsam am Grund im Rythmus der Wellen wippte, zeugte jedoch davon, dass dieser Hengst ebenso voller Schmerz und Angst steckte.
"Sie bekam, was sie verdiente", schnaubte Simon, einen Schniefer unterdrückend. Er durfte nun keine Angst zeigen. Dieser Hengst war verunsichert genug, auch, wenn er nach außen hin sehr sicher wirkte. Er schaffte es gut, diesen Schein aufrecht zu erhalten.
Mit dicht angelegten Ohren hob er den Kopf und blickte dem goldenen Hengst direkt in sein entstelltes Gesicht. "Und wenn du mir nicht sofort sagst, wo meine Familie ist, dann werde ich das für dich gerne wiederholen."
Der Palomino lachte lauthals auf, als er das hörte, kniff die Augen leicht zusammen, senkte den Kopf und flüsterte dann ganz leise in sein Ohr.
"Keine Sorge, ich werde dich zu ihnen bringen."
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