KAPITEL 8
Hatte er sich am Mittwoch noch vorgenommen seinen strikten Alltag zu halten und Willow so gut es ging auszublenden, warf Wesley am Donnerstag schon alle seine Pläne über den Haufen.
Die ganze Nacht über hatte er nicht schlafen können.
Ständig hatte ihm Willows Gesicht im Kopf herumgespukt und ihre Worte hatten ihn bis nach zwei Uhr in der Nacht so laut angeschrien, dass er sich zeitweilig das Kissen über den Kopf gestülpt hatte, um sie so irgendwie aus seinem Verstand zu verbannen.
Vergebens.
Vergeblich.
Willow hatte es schon wieder geschafft, ihn so frontal zu bombardieren, dass er sich jetzt schuldig fühlte.
Gott, was machte dieses Mädchen mit ihm?
Er verwandelte sich neben ihr in ein trauriges Kleinkind, das Ärger von seiner Mutter bekam.
Sie verhätschelte seinen Respekt.
Aber – Scheiße! – er konnte das nicht einfach ändern oder ausblenden.
So prägnant war das, was sie gestern Abend gegen seinen Kopf geworfen hatte und so wahr war es gewesen.Millionen von Menschen kämpften täglich um ihr überleben, lebten in Armut und auf der Straße und er regte sich über eine Ziege auf, die seinen Schuh auffraß?
Wesley wollte sich nicht schlecht fühlen.
Er wollte sich wirklich nicht schlecht fühlen.
Aber er fühlte sich schlecht.
Und er fühlte sich vor den Kopf gestoßen, dumm.
Das Mädchen vom Land, das Mädchen, das er dermaßen verurteilt hatte, hatte es tatsächlich geschafft, ihn mal wieder blöd aussehen zu lassen.
Aber komischerweise störte ihn das nicht.
Ganz merkwürdigerweise empfand er sogar ein Gefühl der Dankbarkeit darüber, dass sie einfach so schonungslos ehrlich gewesen und ihm ihre Meinung gegeigt hatte.
Das gefiel ihm allemal besser, als jemand, der einfach versucht hätte, dem Streit aus dem Weg zu gehen oder ihm auch noch recht zu geben.
Meine Güte, was war er nur für ein Idiot?
Wesley empfand selten so etwas wie Schuldgefühle.
Eigentlich empfand er niemals so etwas wie Schuldgefühle und er hatte auch noch nie den Wunsch danach gehabt, sich mit einer guten Tat bei jemanden zu bedanken.
Da er aber die ganze Nacht nicht hatte schlafen können und seinen Stolz das zusätzlich ziemlich klein getrampelt hatte, stand er an diesem neuen Morgen noch vor Sonnenaufgang auf, warf sich in ein lockeres T-Shirt aus Baumwolle und eine dunkle Jeans und tapste auf Zehenspitzen die Treppe hinab ins Erdgeschoss.
Die Uhr zeigte eine unmenschlich frühe Zeit von halb fünf an, aber Wesley fühlte sich aufgeweckter denn je.
Leise lief er über den Holzboden in Richtung der Terrassentür und kam dabei an Heavers Körbchen vorbei, das neben dem Sofa im
Wohnzimmer stand.
Auf dem Rücken liegend, die Hufe in die Luft gestreckt und den Mund weit offen lag die ulkige Ziege mit weißem Fell in ihrem Bettchen und schnarchte lauter, als Wesley dachte, jemand könnte es je.
Er verdrehte die Augen.
Aber irgendwo neben all dem Hass, den er in den letzten Tagen auf das Tier verspürt hatte, war dort jetzt auch der Anflug eines Grinsens, weil Heaver so verrückt und sonderbar war, dass es irgendwo wieder an Humor grenzte. Mit leicht erhobenen Lippen öffnete Wesley die Tür zum Garten, huschte in die Dunkelheit hinaus und schloss die Tür dann wieder hinter sich, um gar niemanden zu wecken oder frühzeitig auf ihn aufmerksam werden zu lassen. Das Letzte was er gebrauchen konnte, war es, Willow die Genugtuung zu geben, dass sie schon wieder gewonnen und ihn so weit in die Enge getrieben hatte, dass er jetzt sogar auf die Schnappsidee gekommen war, ihren Zaun zu reparieren. Eigentlich war Wesley schrecklich unbegabt, wenn es um handwerkliche Arbeit ging.
Er hatte keine Ahnung von Dingen rund um den Garten, gar von Hammer und Nagel.
Aber, wenn jemand wie Ricky angeblich ein Auto reparieren konnte, dann musste es für jemanden wie ihn – Wesley Dillons – auch möglich sein, einen Holzzaun wieder aufzurichten. Entschlossen und dieses Mal barfuß, um nicht noch einmal seine Schuhe zu zerstören, stellte er sich vor den zertrümmerten Haufen Holz und betrachtete den Zaun, der noch heil geblieben war. Eigentlich simpel.
An zwei waagerechte Holzbretter waren in kleinen Abschnitten von circa drei Zentimeter hunderte von senkrechten Holzbrettern genagelt.
Das zu reparieren musste er als Anfänger ja wohl auch hinkriegenden.
Ein paar Nägel ins Holz kloppen und schon sah das Ding wieder aus wie neu und Willow war hoffentlich zufrieden.
Dann mal los, Dillons!
xxxx
Willow stand seit geschlagenen vierzig Minuten am Küchenfenster und sah starr nach draußen.
Die Kaffeetasse in ihrer Hand war zu Anfang noch ganz heiß gewesen, aber mittlerweile würde nicht einmal ein Eiswürfel darin schmelzen.
Sie konnte nicht ganz glauben, was sie draußen in ihrem Garten sah.
Sie konnte es einfach nicht glauben.
Da stand ein Wesley Dillons in ihrem Garten.
Ein Wesley Dillons ohne Socken und ohne Schuhe in Jeans und T-Shirt, mit dreckigen Fingern und versuchte ihren Zaun zu reparieren.
Sie wiederholte sich in Gedanken.
Da stand Wesley Dillons, der hochnäsige und knauserige Anwalt, in ihrem Gemüsebeet und machte sich für sie die Hände schmutzig.
Ein seliges Lächeln legte sich auf Willows Lippen.
Es kam aus dem Nichts und blieb im Irgendwo. Aber sie verspürte keinen Funken von Abneigung mehr für den Mann, den sie gestern Abend noch angeschrieen hatte.
Er war ein guter Kerl.
Er war in seiner Menschlichkeit vielleicht ein wenig eingerostet,
aber er war ein guter Kerl.
Daran hatte sie nie gezweifelt und jetzt, gerade in diesem Moment, bewies er ihr, dass es da auch nichts zum Anzweifeln gab.
Denn auch in ihm blühte ein Funken von menschlichem Gewissen und wer ein Gewissen besaß, der hatte auch ein gutes Herz.
Wesley hatte ein gutes Herz.
Und ganz so untalentiert, wie er selbst gedacht hatte, war er gar nicht. Sich den noch heilen Abschnitt des Zaunes genau anguckend hatte er begonnen Löcher für die dicken Zaunpfähle, die das gesamte Gerüst letztendlich hielten, zu graben und dabei sogar auf den richtigen Abstand geachtet.
Zudem waren die senkrecht heilgebliebenen Zaunlatten wieder fest an den waagerechten festgenagelt und die zerbrochenen aussortiert und gezählt, dass er genau wusste, wie viel Holz er neu kaufen musste.
Wesley war zufrieden mit dem, was er geschafft hatte und, wenn er ganz ehrlich war, dann hatte es ihm bis jetzt sogar ein wenig Spaß gemacht das Holz auszumessen und wieder festzuschlagen. So gearbeitet hatte er noch nie. Er war fest davon überzeugt, ein Sesselsitzer im Büro zu sein. Trotzdem konnte er dem Praktischen etwas abgewinnen. (Irgendwie.)
Willow war auch zufrieden.
Sie fühlte sich gehört und das allein ließ ihren aufgekommenen Zorn auf Wesley abklingen.
Sie war glücklich darüber, mit ihrem Gespräch ganz offensichtlich einen Knopf gedrückt zu haben, der bei Wesley Einsicht erzeugt hatte.
Mehr hatte sie sich nicht von ihm gewünscht.
In einer engen hellblauen Jeans und einer luftigen, weißen Bluse mit roten Rosen trat Willow zu Wesley in den Garten und obwohl er sich eigentlich nicht hatte erwischen lassen wollen, war dieser Plan wieder einmal von seiner neuen Bekanntschaft vereitelt worden.
Mit einem freundlichen Lächeln, das ihr Gesicht erhellte und ihre geraden weißen Zähne zum Vorschein brachte, gesellte sich Willow zu Wesley in den Garten und sah ihn abwartend an.
Vielleicht hatte der gute Herr ja ein paar Worte dafür, dass er sogar auf den Entschluss gestoßen war, ihren Zaun zu reparieren.
Sie war wirklich und zutiefst überrascht von ihm.
Wesley wischte sich den Schweiß von der Stirn und schlug den Spaten in die Erde, ehe er sich die dreckigen Hände an der Hose abwischte und die Brünette vor sich betrachtete. Sie sah hübsch aus, wenn er sich das ehrlich eingestand.
Die leicht gewellten, glänzenden Haare, ihre dünne, aber kurvige Statur in den sommerlichen Kleidern, die weniger dem Bauernlook glichen, den er immer verurteilt hatte, als einfacher Mode, die ihrer Selbst schmeichelte.
Willow war eine äußerst schöne Frau. Schlicht und natürlich und den Rest ihres Ansehens machten ihr starker Charakter und die Frechheit, die sie besaß, aus.
Eine Frau, die Willow in ihrem Wesen glich, hatte Wesley noch nie zuvor kennengelernt.
Er kannte Frauen. Er kannte eine Menge Frauen und arbeitete auch mit vielen kompetenten und temperamentvollen, weiblichen Personen zusammen, bei denen man sofort sah, dass man sie nicht zu unterschätzen brauchte.
Aber keine Frau füllte wirklich den Kreis des Chaos, das Willow allein ihrer Charaktereigenschaften wegen, war. Da waren einige, die vorlaut waren, einige, die klug waren. Und da waren andere, die Humor hatten und wieder andere, die sexy waren.
Aber da war keine Frau, die wie Willow war.
Die wirklich auf jeden Punkt und noch viele, viele mehr zutraf.
Die lustig und klug und hübsch und vorlaut und wütend und freundlich und vorausschauend und kindlich und dann doch irgendwie ernsthaft und einfühlsam war.
Aber vielleicht war das gut so.
Denn Wesley wusste nicht, ob er diese Woche überleben würde, wenn es da noch mehr von dieser merkwürdigen Sorte Weib gab.
Willow war schon wirklich der Gipfel des Berges – ohne sie beleidigen zu wollen.
Wesley seufzte.
Dann lächelte er schwach und nickte langsam.
Du hast es verdient, dass sie dich auslacht.
Sei ehrlich, Dillons.
Du bist ehrlich, Dillons.
»Na, schön. Sag schon, was du zu sagen hast. Ich sehe, es prickelt dir auf der Zunge, mich zu belehren und meinen albernen Aufzug zu kommentieren. Na, mach schon«, forderte er sie auf, langsam ironisch amüsiert von den ständigen Misslagen, die zu Momenten wie diesen führten, wo sie einander gegenüberstanden und sich wieder zu versöhnen hatten, nachdem es zu einem Konflikt gekommen war.
Willow biss sich auf die Lippe.
Warum musste sie so grinsen?
Warum fand sie es mit einem Mal wieder lustig vor Wesley zu stehen?
Weil sie beide sich doch irgendwo – zwischen all den Sonderheiten und Abneigungen am Leben und Wesen des anderen – leiden mochten?
Vielleicht.
»Ich wollte sagen, dass dafür, dass ich von dir als das grüne Ökomädchen abgestempelt wurde, du dem Trend ziemlich schnell und ziemlich sexy nachgegangen bist, mit deinem neuen Spaten und den Schmutzfingern, Mister Ich-Bin-Eigentlich-Zu-Reich-Für-Sowas!«
Wesley machte es Willow nach, biss sich auf die Unterlippe und nickte, als Anerkennung dafür, dass sie ihn gleich mit dem ersten Satz am Kragen gepackt und über den Haufen geschmissen hatte.
Irgendwie hatte sie das fabelhaft drauf.
Direkt mit dem ersten Satz lief sie durchs Feuer, startete die Konversation und provozierte den Beginn.
Sie macht es interessant, dachte Wesley. Ja, wirklich, sie machte es spannend zu reden, zu argumentieren und frech zu sein.
»Ich schätze, deine neuen Spitznamen habe ich nach meinem Prozedere der Arroganz wohl verdient, was?«
Willow nickte und dann brach sie in Gelächter aus.
»Ja! Ja, das hast du und ich werde auch nicht damit aufhören. Aber eines muss ich dir lassen: Distanz zu halten und dabei dein kühles und leicht überhebliches Image zu halten, das kannst du perfekt und auch wenn es bei mir eher weniger Reize schlägt, ich glaube, jemanden wie Ricky hast du beeindruckt.«
»Na, immerhin«, druckste Wesley und wischte sich mit dem Arm über der Stirn, während er sich aus dem Garten bewegte und in Richtung Haus lief, um sich die Hände zu waschen.
Es war schon kurz nach zehn.
So langsam musste es mit den wesentlicheren Dingen weitergehen. Das Holz würde er morgen holen.
»Genau. Sieh es so«, hätschelte Willow ihn weiter und wusste, dass sie er es für den Moment recht gut aufnahm.
Wesley wusch sich in der Küche die Erde von den Fingern.
Heaver, die mittlerweile auch auf den Beinen war, beobachtete ihn und seine nackten Füße interessiert.
Wo sind denn seine leckeren Schuhe hin?, fragte sie sich.
Wesley wagte einen Seitenblick auf das weiße Tier.
Er drehte sich zu Willow um.
»Ich glaube, dein Unschuldslamm plant wieder ein Attentat auf mich«, verriet er seine Gedanken und hoffte innerlich ein wenig Mitleid zu erregen, um es nicht noch einmal zu einer Situation wie gestern Abend kommen zu lassen.
Rückblickend empfand Wesley nichts als Schamgefühl.
Willow schüttelte den Kopf.
»Keine Sorge, sie hat nur Hunger und das heute ausnahmsweise mal nicht auf deine Schuhe, sondern auf einen Teller Möhren und Äpfel bei Lila.«
Lila?
War das jetzt die beste Freundin der Ziege?
Hatten hier alle Leute so ein Viech im Haus?
»Nein, Wesley, Lila ist keine Ziege.«
Willow sah den Zahnrädern in Wesleys Kopf beim Einrosten zu.
Was dachte er denn bitte?
»Sie ist eine meiner besten Freundinnen und zusätzlich die Besitzerin des Cafés in dem wir am Montag waren. Erinnerst du dich?«
Wesley nickte.
Das ergab schon mehr Sinn und natürlich erinnerte er sich an die köstlichen Honigwaffeln, die er dort gegessen hatte.
Hm ... Mit Sahne und Sirup und Erdbeeren ...
»Also, bist du fertig?«
Was?
Wesley blinzelte perplex, als eine kleine Hand vor seinen Augen fuchtelte und ihn aus seinen leckeren Träumen rief.
»Hm?«
»Ich habe gefragt, ob du fertig bist. Ich sterbe vor Hunger!«, wiederholte sich Willow und deutete zur Verdeutlichung auf ihren Magen.
Wesley zog die Augenbrauen zusammen.
»Wir gehen alle? Ich soll mit?«
Willow rollte die Augen.
»Ja, du Blitzmerker, und für diese dumme Frage, die uns weitere und wertvolle zehn Sekunden gekostet hat, musst du gehen, wie du bist.«
Kurzerhand griff sie nach Wesleys großer Hand, klammerte sich an seinen Ring und Mittelfinger und zog ihn entschlossen hinter sich her aus dem Haus.
Wesley starrte auf die junge Frau, die seine kalten Finger umhüllte und sie festhielt. Ihre Hand war zu klein, um seine ganze zu umschließen.
Die Berührung kam für ihn so plötzlich und war so befremdlich, dass er bis zur Haustür zu nichts anderem fähig war, als ihr zu folgen.
Erst als sie mit ihrer Ziege über die Schwelle traten, hielt er sie zurück.
Willow sah fragend zu ihm auf.
Ihre großen Augen sahen unschuldig und warm in seine und dann ... für einen Moment ... lief alles in Zeitlupe.
»Ich ... Also ... Ähm ...«
Irgendwie fehlte Wesley das Talent zum Sprechen.
Für ein paar Sekunden war sein Kopf einfach nur leer.
Gefüllt mit ... Willow.
»Ja?«, fragte Willow.
Er konnte einfach nicht aufhören, sie anzusehen.
Nur sie. Nichts anderes.
»Ich rieche nach Schweiß. Ich sollte ... Also ... Gib mir fünf Minuten!«
Schon war er weg.
Einfach davon gerannt.
Verwirrt von sich selbst und diesen wenigen Sekunden.
xxxx
Lila staunte nicht schlecht, als sie ihre Freundin Willow durch die Schaufenster des Cafés die Straße entlanglaufen sah.
Da hatte Willow sich doch tatsächlich Washingtons begehrtesten Anwalt geschnappt und ihn um den Finger gewickelt.
Bei Gott, das war so kitschig, dass es wieder perfekt war.
Willow trug Bluse und Jeans. Ein typisches Outfit und dazu eines ihrer liebsten.
Er hingegen war wie am Montag ganz in sein Image getreten, trug eine beige-karierte Jeans Hose, schneeweiße Sneaker und ein eng anliegendes Poloshirt mit Kragen.
Wesley war zum Anbeißen.
Ein wirklich durch und durch attraktiver Mann.
Aber so wie man ihn jetzt sah, sah man ihn in den Medien selten.
Dort war er gefasst und ernst und professionell.
Hier war er mit Willow und irgendwie schien sie ihn geknackt zu haben.
Am Montag war er noch total angespannt und widerwillig mit ihr hierher gekommen. Er hatte griesgrämig geguckt.
Heute lachte er mit Willow über einen Witz, lief locker neben ihr her, folgte ihrem Finger, wenn sie auf etwas deutete und, was Lila besonders auffiel, er beobachtete Willow.
Er beobachtete sie durchgehend, schmunzelte über ihre Worte, folgte ihr bei jeder Bewegung mit den Augen.
Er war durch und durch auf seine Gesprächspartnerin fokussiert. Da gab es niemanden sonst.
Alles rundherum, das war egal. Das interessierte ihn gar nicht.
Auf Lilas Lippen schlich sich ein Lächeln.
Das war ja Zucker. Purer Zucker.
Und dazu war es unendlich schön, dass endlich ein Mann in die Stadt gekommen war, der Willow das Wasser reichen konnte, der mehr sah, als nur ihr gutgläubiges und großes Herz.
Willow selbst schien endlich einmal aufzutauen, Freude an einem Gespräch zu haben und sich voll und ganz auf ihren Gesprächspartner einlassen zu können.
Das machte Lila glücklich.
Glücklich, weil ihre Freundin glücklich zu sein schien.
Blieb bloß zu hoffen, dass das auch von Dauer war und dieser Mann schnell genug einsah, wie wertvoll das Mädchen neben ihm war.
Blieb bloß zu hoffen, dass er sie erst gewann, bevor er sie verlor.
»Hey, Lila!«, begrüßte Willow ihre Freundin einige Minuten später, als sie gemeinsam mit Heaver durch die Tür des Cafés trat – Wesley ihnen hinterher.
»Hey, Süße!«, grüßte sie zurück und umarmte ihre Freundin, ehe sie sich zu Heaver hinabbeugte und sie streichelte.
Die Ziege legte genüßlich den Kopf schief.
Lila war eine der wenigen Personen – neben Willow – die sie anfassen und streicheln durften. Eigentlich mochte sie das gar nicht gern, aber für einen großen Teller Möhren konnte man das ruhig über sich ergehen lassen.
»Na, Heavy, wie geht's?«, fragte Lila, wohlwissend, dass das Tier nur aus einem Grund hier war.
»Dein Pott Möhren steht schon an Ort und Stelle«, flüsterte sie und ließ Heaver dann los, die genau wusste, was das bedeutete.
Wie vom Blitz getroffen lief sie los in Richtung eines Tisches unter dem ihr Eimer des Glücks platziert stand.
Alle drei sahen ihr schmunzelnd hinterher.
Sogar Wesley, der sich noch im Hintergrund gehalten hatte.
»Lila, um ihn dir jetzt auch noch einmal persönlich vorzustellen, das ist Wesley. Und Wesley, das ist meine Freundin Lila, die Göttin unter der Sonne, wenn es um Waffeln geht!«, übertrieb Willow und stellte einander vor.
Lila sah Wesley freundlich an.
»Freut mich außerordentlich dich kennenzulernen, Wesley«, sagte sie und streckte ihre Hand aus.
»Die Freude liegt ganz bei mir«, erwiderte er mit rauer Stimme und schüttelte ihre Hand mit kräftigem Druck. Lila lief ein Schauer über den Rücken.
Sein Auftritt und seine Persönlichkeit schüchterten sie ein wenig ein. Im Gegensatz zu Willow besaß sie nicht halb so viel Selbstbewusstsein, wenn sie von einem Fremden umgeben war und dementsprechend zurückhaltender wurde sie. Wesley strahlte für sie Macht aus. Er war ein sehr prägnanter und gewürdigter Mann und das wusste er.
Die Menschen brachten ihm seinen Respekt und wenn nicht, dann verschaffte er ihn sich. Genau das strahlte er aus.
Stärke und Kraft.
Alles, was Willow nicht interessierte.
Lila hingehen ein wenig einschüchterte, trotz dass sie ihn nett fand.
»Wollt ihr euch schon einmal hinsetzen? Ich habe gerade frischen Teig für Waffeln gemacht«, fragte sie und grinste, als ihre Freundin wie wild zu nicken begann.
»Ja, unbedingt. Ich sterbe vor Hunger!«
Lila lachte und Wesley tat es ihr nach.
Er fand es unerklärlicherweise ziemlich amüsant, wenn Willow sich ein wenig kindlich zeigte und so aufgekratzt war.
Das war eine weitere, verspielte Seite an ihr.
Und sie war süß.
»Oh, nein, das wollen wir natürlich nicht. Ich beeile mich.«
Lila verschwand eilig durch eine Tür hinter den Kuchentresen und machte sich daran, für ihre Kundschaft Waffeln zu backen.
Wesley und Willow begaben sich an den Tisch am Fenster, an dem sie schon am Montag gemeinsam gesessen hatten.
Der Anfang der Woche schien schon eine Ewigkeit entfernt.
Die Zeit war geflogen.
Viel zu schnell vergangen.
»Eins muss ich deiner Ziege abgewinnen. Mit ihr ist immer etwas los und sie ist schlauer, als sie aussieht«, begann Wesley das Gespräch, seine Augen auf Heaver gerichtet, die die Karotten in sich hineinschlang und dabei gleichzeitig den Eimer durch den Vorraum des Cafés schob. Ihr Kopf war komplett in dem Gefäß verschwunden.
»Ja, das ist sie und das war sie auch schon immer. Ein sehr gewitztes, aber durchaus lustiges Tier«, bestätigte Willow und sah Heaver liebevoll an.
»Trotzdem ist sie mir nicht geheuer«, fügte Wesley hinzu und brachte sie damit beide zum Lachen.
»Du musst sie erst richtig kennenlernen, dann kannst du sie dir gar nicht mehr aus dem Leben denken. Außerdem ärgert sie dich nur, weil du dich von ihr ärgern lässt. Eigentlich mag sie dich, aber dich nerven mag sie momentan noch lieber. Du musst ihr zeigen, dass du ihr Freund bist, nicht ihr Feind.«
Wesley wusste nicht, ob er mit dieser Ziege überhaupt gut Freund sein wollte.
Allein die Vorstellung erschien ihm suspekt.
Willow sah seinen Blick sofort.
»Wenn Menschen Hunden clownsartige Kostümchen anziehen und Katzen an Leinen führen dürfen, dann kannst du auch mit einer Ziege befreundet sein, Wesley. So irrsinnig ist das gar nicht«, argumentierte sie.
Und wo sie recht hatte ...
»Mal sehen ... ich will sie dir als beste Freundin ja auch nicht ausspannen«, witzelte Wesley und zog eine Grimasse, die Willow lachen ließ.
»Ha! Das würde Heaver niemals zulassen. Wir sind schon seit Jahren beste Freunde und sie würde mich für niemanden ersetzen«, behauptete Willow sicher, bekam von Wesley aber nur einen zweifelnden Blick zurück.
»Sicher?«, hakte er nach.
»Zu hundert Prozent.«
Belanglos zuckte Wesley mit den Schultern.
»Na, schön, wenn du meinst.«
Aber wirklich überzeugt klang er dabei nicht.
Willow spürte einen kleinen Wettkampf um die Aufmerksamkeit ihrer Ziege in nächster Zukunft.
Nur zum Spaß natürlich.
In ihr kribbelte Vorfreude.
»Wie alt ist Heaver überhaupt?«, wechselte Wesley die Richtung des Gesprächs und sah Willow fragend an.
»Knapp sechs Jahre. Sie ist schon eine relativ alte Ziege«, erzählte Willow.
»Und so lange ist sie auch schon bei dir?«, fragte Wesley weiter.
»Ja, sie ist schon seit sie ein kleines Zieglein ist bei mir. Ich habe sie mit der Flasche aufgezogen.«
Das überraschte Wesley nicht.
Er hatte ein Foto an Willows Wand im Treppenhaus gesehen, wo sie ihre Ziege auf dem Schoß sitzen hatte und sie fütterte.
Damals war Heaver noch wesentlich kleiner und unschuldiger gewesen und auch Willow hatte auf dem Bild noch viel jüngere, kindlichere Gesichtszüge.
»Wie kam es dazu? Ich meine, man kommt schließlich nicht alle Tage an eine Ziege oder hast du speziell nach ihr gesucht?«
Wesley stellte eine Frage nach der anderen. Aber Willows Antworten interessierten ihn ehrlich.
Er hatte seit gestern Abend das Gefühl, dass er die gesamte Sache, rund um seine Autopanne, falsch angegangen war und dass er Willow besser kennenlernen sollte.
Dieses Gefühl hatte sich seit heute morgen und ihrem Spaziergang hierher nur bestätigt.
Es war leicht zwischen ihnen.
Leichte Konversation, leichtes Gelächter, leichte Stimmung.
Nichts hing schwer und dunkel wie eine Regenwolke zwischen ihnen.
»Nein, das habe ich nicht. Ich habe sie nicht gesucht.«
Willows Blick wurde ferner, ein wenig verfremdeter. Sie erinnerte sich zurück an den Tag, an dem sie das erste Mal durch Innerforks gefahren war um sich den alten Bauernhof anzusehen, den sie jetzt bewohnte.
Es war damals eine bloße Überlegung gewesen. Eine Anzeige in der Zeitung, die zu einem Besichtigungstermin geführt hatte, der nicht wirklich zu einem Kauf hatte führen sollen.
Aber so spielte das Leben eben und damals hatte es ihr ein deutliches Zeichen gesendet.
»Ich habe sie gefunden. Um genauer zu sein, habe ich sie gefunden, wie ich auch dich gefunden habe. Im Straßengraben. Total verängstigt und erfroren konnte sie nicht einmal auf allen Vieren stehen.
Ich habe damals noch nicht hier gewohnt. Aber ihr Anblick und die Tatsache, dass sie einfach irgendjemand dort ausgesetzt hat, hat mir das Herz gebrochen.
Also habe ich sie mitgenommen, zu einem Tierarzt gebracht und sie dann aufgepäppelt. Als es ihr wieder besser ging, habe ich in der Stadt gefragt, ob jemand eine Ziege vermisst.
Aber es kam nie jemand, der sich gemeldet hat.
Also habe ich sie behalten, weiter aufgezogen und bin schließlich mit ihr nach Innerforks gezogen, weil es in meiner damaligen Wohnung zu klein wurde.«
Wesleys Lippen lagen verbittert aufeinander.
Er war vielleicht nicht der größte Tierliebhaber und gewiss keiner ihrer Herzensretter, aber dass Leute ihre Haustiere aussetzten und
verhungern ließen, fand selbst er unmenschlich abartig.
»Das war eine sehr reife und verantwortungsvolle Entscheidung, sie zu behalten. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte«, gestand Wesley ehrlich.
»Ich fand es in erster Linie ziemlich anstrengend. Neues Haus, neue Umgebung und dann auch noch eine Ziege. Aber irgendwie hat sich alles gefügt und jetzt könnte ich nicht mehr ohne sie.«
»Das merkt man«, grinste Wesley.
»Das kann man auch ruhig.«
Willow machte kein Geheimnis daraus, eine Ziege als Freundin und Haustier zu haben.
Jeder aus der Stadt wusste davon und wenn sie deswegen komisch angemacht wurde, dann ignorierte sie das oder ließ ihr Haustier eben auf diese Person losgehen.
Das war dann nicht mehr ihre Angelegenheit.
»Aber kommen wir mal zu dir. Hattest oder hast du auch ein Haustier?«, drehte Willow den Spieß nun einmal um.
Wenn er schon von ihr eine so persönliche Geschichte aus der Vergangenheit erfahren durfte, dann konnte er ruhig auch ein wenig auspacken.
»Ich habe keines mehr. Dafür fehlt mir wirklich die Zeit und allgemein habe ich für Tiere auch nicht viel übrig. Aber meine Eltern hatten früher zwei Kaninchen. Wohlgemerkt die langweiligsten Haustiere, die man neben Goldfischen haben kann.«
Willow kicherte.
An dieser Aussage war etwas dran. Für Fische konnte sie sich selbst auch nicht begeistern. Aber Kaninchen waren doch putzig und mit denen konnte man wenigstens kuscheln. So langweilig waren sie also gar nicht.
»Wieso haben sie heute keine mehr?«
»Na ja, eines ist gestorben und weil meine Eltern es nicht vereinsamen lassen wollten, haben sie das andere an gute Freunde verschenkt. Kaninchen sind, soweit ich weiß, nicht gern allein, also war es zum Wohle des Tieres.«
»Und du hast nie darüber nachgedacht, dir selbst einen Hund oder eine Katze anzuschaffen?«
Wesley schüttelte den Kopf.
»Mal ehrlich«, begann er, »jeder in der Großstadt hat einen Hund, aber für die Viecher ist es doch nicht schön, in so einem Getümmel zu wohnen. Enge Wohnungen, Lärm, Autoabgase und kaum Platz um sich auszutoben.
Natürlich ist es für sie im Tierheim auch nicht viel schöner, aber dort geht es ihnen zumindest besser, als es ihnen bei mir gehen würde. Ich wohne in einem ganz normalen Penthaus im siebten Stock und eigentlich bin ich von früh bis spät aus dem Haus, dass ich nie da wäre. An den Wochenenden bin ich meist wegen Mandanten aus Nachbarstädten gar nicht erst in der Stadt und überhaupt müsste sich immer jemand anderes kümmern. Du siehst also, dass für ein Tier wirklich kein Platz bei mir ist.«
Willow nickte.
Bei Wesley schien es tatsächlich kompliziert zu sein.
Aber wenigstens war er einer dieser Menschen, die das auch einsahen und sich nicht erst einen Hund anschafften und dann über die Arbeit und die Konsequenzen nachdachten.
»Schade«, schmollte sie ironisch, »dabei würde ein Chichihuahua mit pinkem Halsband und Glitzer-Tragetasche so gut zu dir passen.«
»Diese kleinen Kläffer meinst du?«
Willow nickte grinsend.
»Nein, nein, wenn ich mir einen Hund anschaffen müsste, dann höchstens einen Berner Sennenhund«, erwiderte Wesley.
»Ja, die sind auch niedlich! Aber ich bin eher Team Klein-Aber-Fein. Dackel zum Beispiel finde ich total klasse.«
»Nein, die sehen aus wie laufende Würstchen und wackeln beim Laufen, das sieht doch blöd aus! Große Hunde haben wenigstens Ambitionen und können schnell rennen oder Blindenfüher werden.«
»Ach, das hängt doch vom Alter ab, nicht von der Länge der Beine«, entgegnete Willow und so führte sich ihre Argumentation weiter, bis Lila ihnen das Essen servierte und sie sich auf die Köstlichkeiten auf dem Tisch konzentrieren mussten, als darauf, welche Hunde die süßesten und besten waren.
Mit vollen Mägen, aber deutlicher Zufriedenheit verließen sie anderthalb Stunden später das Café und liefen weiter in Richtung Stadtkern.
Willow hatte Wesley schon auf dem Weg hierher einiges über Innerforks erzählt, aber sie wollte ihm auch noch den Rest des kleinen Städtchens zeigen, das mehr zu bieten hatte, als es anfangs schien.
Da waren Murrilas Porzellanladen, in dessen Schaufernster immer total niedliche Tischdekorationen und Geschirr ausgestellt waren, der Spielwarenladen von Mister Wonka, der wunderschönes Holzspielzeug mit kleinen Schnitzerein hatte, das Willow unbedingt haben wollte, wenn sie selbst einmal ein Kind haben würde.
Essenstechnisch war Innerforks auch nicht schlecht aufgestellt. Bei Lila gab es Brötchen und Kuchen, bei Riccardo italienische Köstlichkeiten von Pasta, Pizza bis süßer Eiscreme und ansonsten traf sich Innerforks zu später Stunde im Shootingstar, einer netten Diskothek, die zum Trinken und Tanzen einlud und auch viele Leute aus umliegenden Ortschaften anlockte.
Innerforks war kein Vergleich zu Washington. Aber gerade weil der Trubel eher ausblieb und alles ein wenig kleiner gehalten war, liebten die Einwohner ihr Zuhause.
Wesley war es nicht gewohnt durch klein gepflasterte Straßen zu laufen, an Häusern vorbeizukommen, die nicht schick modernisiert waren oder von jedem begrüßt zu werden, der ihnen bei ihrem Spaziergang entgegenkam.
Für ihn war immer alles eher groß und schick und eigentlich grüßte er nur selten jemanden.
Es war befremdlich von jedem ein Lächeln zu erhalten oder neugierig angesehen zu werden, einige Male sogar gefragt zu werden, ob man neu seie und man sich nicht schon von irgendwoher kennen würde.
Besonders Innerforks weibliche Publik sah gaffend aus dem Fenster, als Wesley neben Willow durch die Straßen bummelte.
Einen so schick gekleideten und durchtrainierten Anwalt sah man eher selten und er zog die Aufmerksamkeit auf sich.
Dasselbe galt allerdings auch für Willow.
Die schöne, schöne Willow, die für ihre Höflichkeit und Hingabe und ihren so liebevollen und netten Umgang von vielen geliebt und einigen beneidet wurde.
Ricky war bei weitem nicht der einzige, heiratsfähige Mann, der einen Narren an Willow gefressen hatte.
Nein, nein, da gab es noch einige mehr, die sich eine große Chance bei dieser Frau erhofften.
Wesley fiel das stark ins Auge, während sie dem ein oder anderen Kerl in seinem Alter über den Weg liefen.
Ebenso wie Willow der ein oder andere verführerische Blick ihrer Nachbarinnen nicht entging.
Wesley Dillons. Der berühmte Helfer in der Not.
Sogar nach Innerforks war sein Ruf also gekommen.
Das hatte sie nicht gewusst.
»Wollen wir uns zu Hause verstecken oder ein wenig abseits von den Augen laufen?«, fragte Willow ein wenig belustigt von einer Gruppe Studentinnen, die tuschelnd in einem der Vorgärten saßen und Wesley und ihr nachsahen.
Wesley schmunzelte leicht.
Sie hatten also denselben Eindruck gehabt. Aber sah Willow auch, was die männlichen Einwohner hier taten? Sah sie auch, wie sie die Aufmerksamkeit auf sich lenkte und wie diese Kerle sie anschmierten mit ihren Blicken?
Irgendwo, irgendwie störte ihn das gewaltig.
Er überlegte einen Moment.
Dann erinnerte er sich an die Bilder im Treppenhaus in denen Willow und Heaver in ihren Donut-Schwimmreifen auf einem See paddelten und die Sonne genossen.
Dort wollte er hin.
Zu dem von Wiesen umringten See, an dem sie schon oft gewesen zu sein schien.
»Weißt du ... im Treppenhaus ... da hängt dieses Bild mit Heaver und dir an einem See umringt von Blumen und Wald. Können wir da hingehen, wenn es in der Nähe ist?«
Willow blinzelte perplex.
Er hatte sich tatsächlich ihre Fotowand angesehen und er wollte an einen Ort, der ihr eine Menge bedeutete? An dem sie schon so manches Mal in der Sonne gelegen und ihre Geschichten weitergeschrieben hatte?
An einen Ort der Inspiration?
Ja, dort konnten sie hingehen.
Dort gingen nicht oft Leute hin.
Dort waren sie für sich und Heaver konnte ein wenig herumstreunen.
»Gerne.«
Sie lächelte ihn ehrlich mit leichter Verwunderung an.
Du überrascht mich immer wieder, Wesley Dillons!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top