KAPITEL 7
Eines war Wesley am Mittwochmorgen klar.
Das, was gestern Abend geschehen war, durfte keinesfalls zur Routine werden.
Weder das Starren auf dieses so sonderbare Mädchen und ihre Ziege, noch die Tatsache, dass er sie den Tag über vertrieb und sich dann schlecht fühlte.
Sein Gewissen hatte bei seinem Aufenthalt hier absolut nichts verloren. Er konnte und wollte es nicht gebrauchen und alles, was Willow tat, tat sie aus eigener Hand, weshalb er ihr nichts schuldete.
Für sie beide war es das Beste, wenn sie nur das Nötigste miteinander zu tun hatten und beredeten.
Eine reine und formelle Ebene der Konversation, die Distanz hielt, ja, das gefiel Wesley und er würde strikt versuchen, Willow aus dem Weg zu gehen.
So war es das Beste für alle und so fühlte er sich auch am wohlsten.
Um den erzwungenen Aufenthalt in Innerforks so normal und geregelt abzusitzen, wie jeden seiner Arbeitstage stand Wesley um Punkt halb sieben auf und verschwand im Bad unter der Dusche.
Wegen der geschäftlichen Reise über das Wochenende und seiner Art, auf jedes mögliche Problem perfekt vorbereitet zu sein, hatte er nicht nur mehr als genügend Arbeitsunterlagen und Sachen aus dem Büro in den Koffer transportiert, sondern auch seinen halben Haushalt – sprich Drogerieprodukte, mehr als genügend Hemden und Hosen und seine Sportklamotten – mit sich genommen.
Sich schon wieder viel normaler fühlend, knöpfte Wesley sich die weißen Knöpfe seines Hemdes zu und strich die Falten glatt, ehe er das Hemd in seine Hose steckte und mit der Hand durch seine Haare fuhr.
Kleider machten Leute und diese Klamotten machten ihn
zu genau dem knallharten Anwalt, der er eigentlich war.
So kannte die Welt Wesley Dillons.
In Hemd und Krawatte und glänzenden Schuhen auf die sich niemals ein Fleck verirrte.
Er fühlte sich schon gleich viel besser in diesem Aufzug, als in dem Pullover, den er gestern getragen hatte. Mit gefasster Miene und seinem MacBook unter dem Arm lief er die Treppe hinunter und suchte in der Küche nach Kaffeepulver und Tassen.
Es war früh am Morgen und Wesley dachte nicht einen Moment daran, dass Willow schon auf den Beinen sein konnte.
Er glaubte sie und ihre Ziege in ihrem Schlafzimmer und war sicher, sie in der nächsten Stunde nicht zu treffen.
Wesley hatte keine Ahnung, dass Willow schon seit einer guten Stunde auf den Beinen war, Heaver längst gefüttert hatte und jetzt mit ihr im Gemüsegarten werkelte.
In den frühen Morgenstunden, wenn der Tau noch auf den Blättern ihrer Pflanzen perlte und die Sonne den Nebel am Horizont klärte, war es am angenehmsten Unkraut zu jäten und die Erde zu lockern.
Willow liebte die Arbeit im
Garten. Sie stand jeden Morgen früh auf, um im ersten Sonnenlicht nach ihrem Gemüse zu gucken.
Wenn Innerforks schlief, war das kleine Städtchen am schönsten und diese Meinung konnte Willow niemand streitig machen.
Während sie nun also verwachsenen Löwenzahn und andere Unkräuter aus der Erde riss und sie hinter sich warf, wo Heaver erfreut Rasenmäher spielte, kochte Wesley seinen Kaffee und schloss dabei sein Handy an ein Ladegerät, um sich endlich in der Kanzlei bei Charlie zu melden.
Am Sonntag war sein Kopf überall nur nicht bei der Arbeit gewesen und gestern hatte er sich viel zu lange mit seinem Gewissen und dem Frust geplagt, als dass er an ein Telefonat hatte denken können.
Heute wollte er das ändern.
Es war Zeit sich bei seinem langjährigen Freund und Partner zu melden, ihn zu bitten, alle möglichen Unterlagen und Dokumente, die er nicht schon auf seinem Laptop hatte, per E-Mail zukommen zu lassen und ihm dann die missliche Lage zu erklären, in der er sich befand.
Wesley wusste schon jetzt, dass er sich auf den ein oder anderen dummen Spruch freuen durfte, aber wenn er ehrlich war, wäre es umgekehrt genauso. Beide Männer zogen sich gerne einmal auf und machten Witze übereinander. Da war dann auch egal, dass sie Erwachsene waren und mit ihrer Kanzlei eine Menge Ansehen trugen. Als er endlich seine Tasse Koffein vor sich stehen und sein Smartphone geladen hatte, entsperrte Wesley sein Handy das erste Mal seit ganzen vierundzwanzig Stunden nur um festzustellen, dass er weder einen Balken Netz, noch Internet hatte.
Das kann doch nicht wahr sein, fauchte er in seinem Kopf und war kurz davor seine Kaffeetasse aus dem Fenster zu werfen, weil diese kleine Stadt ihn verarschen wollte.
»Es muss hier doch irgendwo Netz geben, verfluchte Scheiße!«, murmelte er und hielt sein Handy in die Höhe, während er durch das gesamte Erdgeschoss lief und nach einem Balken suchte.
Willow staunte nicht schlecht, als ein top gestylter Wesley Dillons aus der Terrassentür trat und zu früher Morgenstunde durch den Garten lief, sein Handy weit über dem Kopf haltend.
Sie kicherte leise, als sie ihn mit sich selbst reden hörte und er dann zu fluchen begann, weil er weder Netz bekam, noch seine Schuhe vom nassen Rasen verschont blieben.
Er schien sie nicht zu bemerken.
Er war ganz auf sich selbst und sein Handy fixiert bis er sich mit einem Mal an den Holzzaun, der den Gemüsegarten umrandete, lehnte und ein »Geht doch!« murmelte.
Willow hielt die Luft an. Sie wollte nicht lauschen, aber gleichzeitig verpasste sie den Moment, um sich bemerkbar zu machen. Also blieb sie einfach wo sie war und hoffte, dass der Rhabarber sie schützen würde.
Heaver war irgendwo im Gebüsch verschwunden und hatte sie allein gelassen.
»Charles, endlich erreiche ich dich!«, platzte es aus Wesley, der nur einen knappen Meter von Willow entfernt stand und heilfroh war, diese so bekannte und vertraute Stimme zu hören.
Willow hatte keine Ahnung, wer Charles war, aber er schien Wesley wichtig zu sein.
Vermutlich ein Freund oder Arbeitskollege.
»Das tut mir furchtbar leid, aber ich bin Sonntag nicht nach Hause gekommen.«
»Ja, lass mich doch erklären. Ich hatte eine Autopanne und bin irgendwo im Nirgendwo gelandet. Eine Frau, die hier in der Nähe wohnt, hat mich dann mitgenommen und mein Auto in die Werkstadt gebracht. Gestern hat sich herausgestellt, dass die komplette Batterie im Eimer ist und es wird noch eine Weile dauern, bis sie Ersatz haben, deswegen muss ich zunächst einmal hier bleiben.«
»Wo genau ich bin?«
Willow begannen die Füße einzuschlafen. Es war anstrengend, die gesamte Zeit in der Hocke zu knien.
Wesley lehnte ganz entspannt an dem Zaun. Er sah das Mädchen in den grünen Gummistiefeln und dem violetten Kopftuch zu keinem Zeitpunkt.
»Die Stadt heißt Innerforks oder so und ich wohne ... also ... ich bin in einem kleinen Hotel untergekommen.«
Willow spitzte die Ohren. In einem Hotel also?
»Ja, ich wollte zwar nicht auf dem Land versauern, aber meinen Wagen lasse ich hier bei diesen Leuten auch nicht allein. Könntest du mir also bitte Fotos von dem Papierkram auf meinem Schreibtisch schicken und die neuen Fälle zusenden. Ich gucke hier nach WLAN und hoffe, dass ich dann so in Kontakt mit dir bleiben kann.
Falls du mich nicht erreichst, dann liegt dass daran, dass es hier nirgendwo auch nur einen Balken Netz gibt. Ich bin wirklich am Arsch der Welt gelandet!«
Wesley lachte.
»Ja, ja, mach dich nur lustig. Wir reden in der Zukunft noch einmal, wenn dir dasselbe passiert und du in dieser verfluchten Stadt landest.«
»Ja, okay ... ich danke dir mein Freund und bitte entschuldige dich in meinem Namen bei Herrn Rush. Sag ihm, dass wir einen Todesfall in der Familie hatten, oder sowas, das schlucken alle Menschen.
Ja ... Nein, die habe ich Malia schon gegeben. Ja, ja in der grünen Mappe in der rechten Schublade von meinem Schreibtisch. Ja.
Okay, danke. Ich melde mich. Ja, ich versuche es. Dir auch viel Glück morgen. Beiß dir an Miss Ollivén nicht die Zähne aus.«
Wesley nahm das Handy von seinem Ohr und drückte auf den roten Hörer. Fast zeitgleich damit, pustete Willow all die angestaute Luft aus ihren Lungen und verlor dann die Balance, dass sie nach hinten in die neu aufgelegte Erde kippte.
Ein leiser Schrei entwich ihrer Kehle, der Wesley so heftig zusammenzucken ließ, dass er sich ein wenig zu stark gegen den Zaun lehnte und plötzlich mit samt den Holzlatten neben Willow in der feuchten Erde lag.
Ein wenig perplex sah er dem Mädchen neben sich in die Augen, mit dem er überall, aber nicht hier gerechnet hatte.
Nun aber lagen sie nebeneinander – Willow auf dem Rücken, Wesley auf dem Bauch – im Gemüsebeet und sahen sich in die Augen.
Einen Moment herrschte Stille, dann konnte Willow sich nicht mehr halten und lachte schallend los, so komisch war diese Situation.
Wesley hingegen war nicht nach lachen zu Mute. Er zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Hatte sie etwa die ganze Zeit gelauscht?
Hatte sie ihn schon wieder dabei beobachtet, wie er mit dem Handy in der Luft durch die Weltgeschichte gestapft war, wie der letzte Hahn im Korb, und dann auch noch gehört, wie er seinen guten Freund belogen hatte? Warum, warum mussten ihm in ihrer Nähe nur so viele Missgeschicke geschehen?
Wieso machte er sich vor Willow ständig zum Affen?
Und wie konnte sie ihn bitte so erschrecken, dass er mitsamt dem Zaun zu Boden gerissen war?
Die feuchte und schlammige Erde klebte unangenehm an seinem Hemd und Wesley überkam das Gefühl von Ekel.
Er lag in abgerissenen Kräutern und umgedrehter Erde, der Schmutz sog sich in den schneeweißen Stoff seiner Kleidung und die schicken Schuhe, die er sich erst letzte Woche neu gekauft hatte, konnte er jetzt auch vergessen.
Der Vorsatz, sich ein Stück der Normalität zu verschaffen, die er gewohnt war, war nun auch missglückt. Seine Kaffeetasse hatte er von sich geworfen und allein sein Handy schien von dem Sturz verschont.
Genervt, aber noch zu perplex und ungläubig über so viel Pech stemmte Wesley seine Hände in die Erde und setzte sich in eine aufrechtere Position.
Seine Finger waren braun gefärbt und auf seiner Brust klebte ein dicker Schlammfleck, der bei Willow das Wasser zum Überkochen brachte.
Dieser fassungslose und frustrierte Blick in Kombination mit dem eben noch so schick aussehenden Geschäftsmann, der jetzt voller Dreck inmitten ihres Gemüses lag, war einfach zu viel.
Ein lautes Kichern entwich Willow und verlor sich in einem Lachanfall, der sie Tränen weinen ließ.
Wesley sah verständnislos in Richtung des Mädchens, das für dieses Dilemma verantwortlich war, weil sie ihn erschreckt hatte, und ihn jetzt, total unverschämt, auslachte.
Was fiel ihr ein?
Das war überhaupt nicht lustig!
Die Klamotten konnte man allesamt wegwerfen und das hieß, man konnte ein halbes Vermögen zum Fenster hinauswerfen.
Sie hatte ja keine Ahnung, dass seine Kleidung kostete, als Willow im Monat verdiente.
»Das findest du lustig, was?
Dich hinter irgendeinem Busch zu verstecken und mir dabei zuzusehen, wie ich mich blamiere.«
Wesley versuchte nicht ganz so wütend und sauer zu klingen, als er tatsächlich war.
Er wusste, dass er zum zweiten Mal der eigene Ursprung für sein Unglück war. Dieses Mal wollte er seinen Zorn nicht an Willow rauslassen, obwohl ihm einige Worte auf der Zunge lagen, die sie zum Schweigen bringen würden.
Sie war einfach nur frech und unhöflich.
Aber was konnte man von einem Mädchen vom Land schon anderes erwarten?
Sie war nur in kleinen Teilen mit Zivilisation aufgewachsen und wenn sie den ganzen Tag mit einer Ziege redete, waren Höflichkeiten ein Fremdwort. Er wollte sich nicht aufregen.
Nur über sich selbst und die Tatsache, dass er schon wieder alles falsch gemacht hatte.
Wo war denn seine Professionalität hin? Wo hatte er sein makelloses Auftreten gelassen?
Es wurde von Tag zu Tag nur schlimmer.
Willow schnappte hörbar nach Luft, ehe sie mit einem breiten Grinsen in Wesleys Gesicht sah und schamlos nickte. Wozu sollte sie lügen?
Es war tatsächlich so, dass sie eine gewisse Schadenfreude darüber empfand, dass das Karma diesen arroganten Städter auch mal zu Fall brachte. Wortwörtlich.
»Du selbst bist für deine Blamage verantwortlich. Wie hätte ich ahnen sollen, dass du dich in diesen Schuhen überhaupt auf den Rasen traust, um dann auf knapp zwei Meter Abstand mit mir zu kommen und dich an meinen Gartenzaun zu lehnen, der ohnehin nicht der stabilste war? Du hast es dir selbst zuzutragen, dass du jetzt in meinen Karotten liegst und du hast es dir auch selbst zuzutragen, dass du diesen Zaun hier reparieren musst.«
Wie bitte?
Letzteres hatte er ja wohl missverstanden!
Sie wollte, dass er diesen Zaun reparierte?
Er kam gerne für die Kosten auf, aber er würde doch diesen Zaun nicht reparieren.
Das war eine lächerliche Aufforderung.
Niemals würde er das tun!
»Das kannst du-!«
Vergessen, wollte er fauchen, aber bevor er dazu kam, zurrte plötzlich etwas an seinem Bein und seine Augen weiteten sich beim Anblick von Heaver, die vollkommen entspannt zu seinen Schuhen stand und die Grashalme, die nass auf seinen Schuhen klebten, ableckte.
Willow brach erneut in ein Lachen aus, als sie ihrer guten Freundin dabei zusah, wie sie die Schuhe ihres neuen Mitbewohners säuberte und dem das gar nicht gelegen kam.
»Verrücktes Viech!«, hauchte Wesley immer fassungsloser und rappelte sich schneller als erwartet auf die Beine, um sich die Erde von der Hose zu klopfen und sein verrutschtes Ansehen zu richten.
Er versuchte sich zu fassen, atmete tief durch und löste einige Male seine Hände zu einer Faust, ehe er auf Willow hinabsah und sie kurz musterte.
»Das kannst du vergessen«, beendete er seinen Satz und deutete dann wild auf den am Boden liegenden Zaun.
»Niemals werde ich diesen Schrott anrühren. Frag doch diesen Ricky, ob der dir das repariert. Er sieht mir wie einer aus, der sonst nichts Besseres zu tun hat.«
Damit stapfte Wesley durch das Beet zurück auf den Rasen und in Richtung des Hauses, um bloß schnell genug von Heaver loszukommen, die ihm nachsah und noch einen Moment überlegte, ob sie den letzten Grashalm auf dem linken Schuh noch holen oder ihn als Willkommensgeschenk bei Wesley lassen sollte.
Willow grinste in sich hinein.
Natürlich war es viel zu schwierig für diesen Flegel einzusehen, dass er den Zaun kaputt gemacht und somit auch reparieren musste.
Es war zwar glücklicherweise nur ein Stück von zwei Metern des gesamten Zauns eingebrochen, aber das konnte trotzdem nicht für immer bleiben.
Amüsiert über seine Reaktion, aber fest davon überzeugt, ihn noch zu seinen handwerklichen Künsten zwingen zu können, erhob sich auch Willow und band das Tuch um ihren Kopf neu, das ihr ein wenig zu tief auf die Stirn gerutscht war.
Auch ihre Hose war vom Schlamm durchnässt und so sammelte sie die Holzlatten des Zaunes auf, legte sie auf dem Rasen zusammen und schüttelte noch einmal den Kopf über diesen merkwürdigen Unfall, ehe sie Heaver zu sich wank und mit ihr Richtung Haus lief.
Die liebe Hausziege hatte zwischenzeitlich einen Abstecher durch die Brombeerbüsche gemacht und war dementsprechend mit rotem Beerensaft und Grasabstrichen nur so übersät.
Willow seufzte.
Heaver nämlich liebte es, wenn ihr Fell so bunt war, wie nur möglich und sie ließ sich nur ungern mit dem Gartenschlauch sauber spritzen.
Sie schienen an dasselbe zu denken, als sie kurz vor der Terrassentür zum Stehen kamen.
»Du darfst eine Folge Friends gucken, wenn ich dich duschen darf«, schlug Willow einen Kompromiss vor, sah aber sofort, dass der Blick ihrer Ziege ein klares »Du kannst mich mal!« bedeutete.
»Zwei Folgen Friends?«
Heaver schüttelte den Kopf.
Sie wusste, dass ihre Besitzerin sie besser kannte und mit zwei Folgen Rachel und Joey konnte man sie nicht locken.
Zumal Heaver genau wusste, dass Willow heute Abend sowieso weiterschauen würde.
Nein, da musste sie schon mit etwas Besserem kommen und sie beide wussten, dass es da durchaus auch etwas gab, das besser war.
Heaver legte den Kopf schief.
Willow sah sie lange an.
Sehr lange.
So lange, bis sie seufzen musste und den Kopf hängen ließ.
Heaver war wirklich eine harte Nuss.
»Na schön, dann friss doch den Schuh. Aber mach mich nicht dafür verantwortlich. Du bist selbst schuld, wenn er dich heute Nacht ermordet.«
Willow griff nach dem Gartenschlauch und drehte den Wasserhahn auf, bis das kalte Wasser in einem langen Strahl aus dem Schlauch quoll, während Heaver innerlich vorfreudig grinste.
»Halt still«, wies Willow Heaver an, ehe sie im nächsten Moment ihre Hufe anspritzte und den Dreck von Gras und Erde an ihren Beinen hinablaufen ließ.
Nur ein paar Minuten später glänzte das cremig-weiße Fell der Ziege wieder.
Heaver schüttelte sich das Wasser vom Körper, ehe Willow sie in eine riesige Decke einwickelte und sie endlich ins Haus laufen und nach Wesleys Schuhen suchen durfte, die so herrlich nach Gras rochen.
Willow lief der fröhlich trabenden Ziege kopfschüttelnd hinterher.
Heaver war so sonderbar, dass es wieder genial war.
Sie liebte ihr ausgefallenes Haustier und während sie wusste, dass es in den nächsten zwanzig Minuten noch einmal heftig krachen würde und diesmal in Worten nicht in Zaunbrettern, lief sie in die Küche und kramte nach der Gummibärchentüte im Hängeschrank neben der Dunstabzugshaube.
Zucker war das Einzige, was sie in der nächsten Diskussion mit Wesley bei Laune halten würde.
Das wirklich einzige bei diesem Stadtmenschen ...
xxxx
Weder Willow noch Welsey konnten glauben, was nur eine knappe halbe Stunde später geschah.
Ein Handtuch um seine Hüfte gewickelt und eines auf seinem Kopf zusammengebunden verließ Wesley ein zweites Mal frisch geduscht an diesem Tag das Badezimmer und war auf dem Weg in sein Schlafzimmer, als ihm dort der Weg verwehrt wurde.
Genüßlich an seinem Schuh knabbernd lag Heaver im Türrahmen zu seinem Zimmer, hatte die Vorderhufe ganz entspannt vor ihrem Körper überkreuzt und zog an den Schnürsenkeln seiner überteuerten Schuhe, als seien sie ziemlich zähe Spagetti.
Wesley erstarrte in seiner Bewegung.
Das konnte nicht wahr sein.
Das konnte doch wirklich nicht wahr sein.
Hatte dieses Viech denn nichts Besseres tun, als ihm nach nur einem Tag dermaßen auf den Sack zu gehen?
Konnte diese Ziege nicht einfach in dem Stall wohnen, wo Ziegen üblicherweise lebten?
Das war doch nicht mehr normal.
Das war doch einfach nicht zu glauben.
Er hatte immer gedacht, dass er bei seinen Eltern im Irrenhaus gelandet war. Na ja ... falsch gedacht!
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Karotten du dir von diesen verdammten Schuhen kaufen könntest, dumme Ziege?«, fragte Wesley stöhnend und näherte sich Heaver, um ihr ganz dezent den zweitausend Dollar Schuh zu entwenden.
Die Ziege legte unschuldig den Kopf schief, während sie provozierend lange mit ihrer Zunge über die Schuhsohle leckte und dann – innerlich hämisch grinsend – zu Wesley aufsah, der angewidert das Gesicht verzog.
»Das wirst du büßen!«, grummelte er und stürzte sich in der Sekunde wütend auf Heaver, in der sie entschied, dass es besser Zeit wurde, das Weite zu suchen.
Ganz geheuer war ihr dieser Mann dann doch nicht.
Meckernd sprintete Heaver die Treppe hinunter, Wesley ihr in seinem leicht bekleideten Handtuch-Outfit dicht auf den Fersen.
Willow lag zusammengekauert auf dem Sofa im Wohnzimmer und erlag dem Zuckerkoma, als es auf der Holztreppe laut polterte und keine zwei Sekunden später eine lachende Heaver um die Kücheninsel trabte und sich von dem hochangesehenen Anwalt jagen ließ, der doch tatsächlich einen Handtuch-Turban auf dem Kopf hatte.
Willow verschluckte sich beinahe an ihrer Spucke, als sie diesen lächerlichen und doch ziemlich attraktiven Männerkörper sah.
Blass gebräunte Haut, ein vernehmliches Sixpack, das seinen Oberkörper muskulös und statisch formte und dazu die kleinen Wassertröpfchen, die über seine Arme und Muskeln fuhren.
Er sah nicht schlecht aus.
Ganz im Gegenteil.
Dieser Mann war äußerst attraktiv.
»Gib mir sofort diesen verdammten Schuh, du Hexe!«
Und wütend.
»Wenn ich dich in die Finger kriege, bringe ich dich um! Sei dir sicher!«
Okay, sexy und äußerst wütend.
Willow erhob sich schleunigst.
Sie wollte weder Wesley länger brüllen hören, noch morgen früh Heavers ausgestopften Kopf über dem Kamin hängen haben.
»Heaver, es reicht!«, herrschte sie ihre Ziege an und stemmte die Hände in die Hüften, ehe sie ihre Ziege zu sich zitierte.
Sofort in ihrem Gerenne gestoppt, spitzte Heaver ihre Ohren und lief dann ganz brav zu ihrer Besitzerin, während Wesley ein weiteres Mal erstarrte und ihm beinahe die Röte in die Wangen stieg, weil er erst jetzt begriff, dass Willow schon wieder alles mitbekommen hatte, was er gesagt und getan hatte.
Heaver brachte Willow den glorreichen und zerkauten Schuh.
Willow sah sie tadelnd, aber mit einem leichten Grinsen an.
»Hättest du nicht wenigstens warten können, bis er sich etwas angezogen hat? Du beschämst uns Menschen, Süße«, kicherte Willow und streichelte Heaver, ehe sie ihr andeutete, sich schleunigst vom Acker zu machen.
Heaver verstand.
Willow sah ihr einen Moment hinterher, ehe sie sich mit einem Lächeln an Wesley wandte und ihn unverhohlen ansah.
Dieser war zu einem Eisklotz mutiert und das sah äußerst komisch aus.
»Schickes Outfit«, prustete Willow und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen.
Wesley zog die Augenbrauen zusammen.
Machte sie sich etwa schon wieder über ihn lustig?
Hatte sie denn gar keinen Respekt?
Er war ... er war Wesley fucking Dillons! Über den machte sie nie jemand lustig!
Erbost hob er einen Finger.
Denn was genug war, war genug.
»Das waren zweitausend Dollar teure Schuhe, die deine Ziege da zerfressen hat! Die wirst du mir ersetzen!«, wütete er los und riss zeitgleich das Handtuch von seinem Kopf, weil er sich vor ihr extrem dämlich vorkam.
Willow brachte diese Schimpftriade noch mehr zum Lachen.
Wollte er vielleicht noch irgendetwas? Sie verklagen?
Heaver in den Knast bringen?
Mal ehrlich, wie kam man überhaupt auf die Idee, sich so teure Schuhe zu kaufen?
Es war doch nicht vollkommen hinterweltlich, dass eine Ziege sie zerkaute.
Ganz im Gegenteil.
Damit musste man rechnen.
»Sonst noch irgendwelche Wünsche, Wesley Dillons?«, fragte Willow unberührt und blickte Wesley fest entgegen.
Sie hatte keine Angst vor diesem Mann und sie würde sich ihm ebensowenig beugen.
Macht hin oder her.
Sie war eine selbstbewusste und schlagfertige Frau.
Das würde auch der Staranwalt aus Washington noch früh genug bemerken.
»Ja, ich will das du dieses kontrolllose Tier anleinst. Bin ich denn wirklich der Erste, der sich hier beklagt?«, stieß er fassungslos aus und schmiss die Arme in die Luft.
Willow nickte, dann fuhr sie urplötzlich aus der Haut:
»Ja, ja das bist du! Und wenn du nur halb so pingelig und angespannt sein würdest, wie du es jetzt bist, dann müsstest du dich auch nicht so aufregen! Du bist gefrustet und wütend, dass du hier sein musst, dass dein Auto im Eimer ist, dass hier alles so viel unmoderner, als in deiner wunderschönen Stadt mit all den hochmodernen Techniken ist. Du bist angeekelt vom Landleben, der Tatsache, dass eine Ziege in meinem Haus lebt und ich das Klischee von einem Mädchen auf dem Land bin. Gut! Okay! Ich habe es verstanden, Mister Staranwalt im schicken Prosche. Ich habe es verstanden! Aber ich kann nicht ändern, was passiert ist. Dein Auto ist nun mal schrott und du bist jetzt eben für ein paar Tage deinen Luxus los. Aber – bei Gott! – worüber regst du dich überhaupt auf? Diese Schuhe kannst du dir bei deinem Budget doch bestimmt achtzigtausend Mal kaufen und es ist ja wohl kein Weltuntergang für ein paar Tage ohne Telefonnetz zu leben. Am anderen Ende der Welt würden Menschen sterben für ein Leben wie dieses hier. Dort schert sich niemand auch nur eine einzige Sekunde um seine verdammt überteuerten Schuhe! Es gibt auch noch Menschen, die wirkliche Probleme haben!
Denk doch mal ein bisschen nach!«
Willows Wangen hatten sich vor Zorn erhitzt.
Alles, was ihr auf der Zunge gelegen hatte, war aus ihr herausgeplatzt und erst jetzt spürte sie, dass sie das unbedingt einmal gesagt haben wollte.
Mit Adrenalin gefüllt, pustete sie sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und sackte dann ein wenig erschöpft in sich zusammen, weil es wirklich kräftezehrend war, so laut und ehrlich zu sein.
Aber sie hatte das sagen müssen.
Um seiner und ihrer Willen.
Weil es die Wahrheit war.
Sie stritten sich hier um vollkommen dämliche Dinge.
Andere Menschen lachten Tränen wegen ihnen beiden und ihrer ätzenden Luxusprobleme.
Manche Menschen besaßen nicht ein einziges Paar Schuhe und sie stritten hier über ein zweitausend Dollar Paar?
Das war verrückt.
Das war krank.
Und ganz, ganz falsch.
Wesley schluckte.
Willow schluckte ebenfalls.
Dann sahen sich beide betreten in die Augen, musterten einander lange und eindringlich, bis Willow sich nach einer Ewigkeit des Schweigens verlegen räusperte, sich leise entschuldigte und in nächster Sekunde aus der Haustür gerannt war.
Wow, dachte Wesley, und wieder hast du es vergeigt.
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