KAPITEL 5


Willow lebte am Rande von Innerforks in einem kleinen Backsteinhaus mit einem Strohdach und Rosen, die sich am Haus entlang rankten.
Ihr Grundstück war geräumig und das Haupthaus hatte früher gemeinsam mit einem kleinen Stall einem Bauern gehört, der Schafe gehalten und das Land hinter dem Haus bewirtschaftet hatte.
Willow liebte ihre kleine Welt, die von einem Holzzaun umgeben war und mit all den Blumen und Gerüchen der Kräuter in ihrem Garten eine seltsam schöne Idylle ausstrahlte.
Sie hatte auch keinen Grund unzufrieden zu sein.
Es war reichlich Platz.
Platz für ein Gemüsebeet, Platz für eine Terrasse und Gartenmöbel, Platz für ein wenig Kunst und natürlich Platz für Heaver, die jeden Tag einen anderen Baum brauchte, unter dem sie Schatten finden konnte.
Sie war wirklich eine kleine Diva. Aber gerade deswegen liebte Willow ihre Ziege.
Sie hatte ihren ganz eigenen Kopf und war doch, am Ende des Tages, ein sehr einfühlsames und liebevolles Wesen. Heaver mochte gewiss nicht jeden – der Postbote Mister Blocker hatte sich schon das ein oder andere Mal von ihr über den Hof jagen lassen müssen – aber die Menschen, die sie ins Herz schloss, beschützte sie wie ein Freund einen Freund beschützte. Sie war unheimlich treu.
Für Willow würde sie alles tun.
Und nicht anders ging es Willow.
Sie liebte ihre kleine Zicke.

Wesleys erste Begegnung mit Heaver verlief auf eine anders schöne Weise.
Sein erster Eindruck von Heaver war weder treu noch liebevoll und gewiss erfüllte Heaver nicht die Vorstellung, die Wesley am Montagnachmittag noch von Willows Mitbewohnerin gehabt hatte.
Heaver war ... weder ein Mensch noch besonders freundlich, als sie sich am Dienstag in aller Herrgottsfrühe Zutritt zum Gästezimmer verschaffte und auf vier Hufen in Richtung des Bettes zusteuerte, das üblicherweise niemals belegt war.
Heaver kannte jede Ecke ihres Hauses.
Sie kannte die schnellsten Wege von ihrem Körbchen im Obergeschoss in die Küche, sie wusste, wo Willow die Süßigkeiten lagerte, die für Ziegen eigentlich nicht gesund waren, sie wusste, dass das Toilettenwasser Toilettenwasser war und ganz gewiss wusste Heaver, dass das Gästebett niemals so durchwühlt war, wie jetzt.
Den Neuankömmling hatte sie gestern ziemlich misstrauisch vom Küchenfenster aus beobachtet, als er mit starrer Miene aus dem Auto – Aus ihrem Auto! – gestiegen war und einen Koffer hinter Willow – Ihrer Willow! – her ins Haus gezogen hatte.
Willow hatte gelächelt und irgendetwas mit ihm besprochen, dann war sie mit dem zerknautschten Mann im Obergeschoss verschwunden und hatte sich erst eine Viertelstunde später zu ihr gesellt – allein.
Natürlich hatte Willow von ihrer neuen Bekanntschaft erzählt. Sie erzählte Heaver immer alles und auch wenn diese ihr nicht wörtlich antwortete, verstand sie eine Menge von den Eindrücken und Gefühlen, die ihre Freundin hatte.
Von diesem Wesley wollte Heaver sich aber auch ein eigenes Bild machen. Es kam schließlich nicht alle Tage vor, dass ein männlicher Mensch das Haus betrat und sich dann auch noch im Gästebett einnistete, das Heaver manchmal für ihren Schönheitsschlaf am Mittag, Nachmittag oder frühen Abend nutzte.
Sie schlich also leise und bedacht, wie eine Ziege eben, an das Bett heran und stellte sich dann auf ihre Hinterbeine, um mit den Vorderbeinen auf die Matratze zu springen und dem Fremden einmal ins Gesicht sehen zu können.

Wesley schlief tief und fest.
Er hatte so grauenhaft auf den Autositzen gelegen, dass von Schlaf gar nicht die Rede gewesen sein konnte.
Das Bett, in dem er lag, entsprach nicht dem Luxus, den er von zuhause kannte, aber es reichte vollkommen aus. Noch war er dankbar, dass er dieses Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen hatte.

Heaver beobachtete den neuen Gast störrisch.
Er hatte seinen Mund einen Spalt weit offen und das kurze Haar hing ihm platt um den Kopf. Sein Arm war unter dem Kissen vergraben und seine Füße waren vollkommen von der Bettdecke verborgen.
Normalerweise beobachtete sie Willow, während diese schlief, aber irgendwie sah das anders aus.
Willows Mund stand niemals offen und sie gab im Schlaf auch keine Geräusche von sich. Außerdem war ihr im Laufe der Nacht meistens so warm, dass sie ein Bein aus den Fängen der Decke befreite und sich dann hin und her wälzte, bis Heaver sie aus dem Schlaf küsste.

Es ist morgen, dachte Heaver, und erinnerte sich an Willow, die schon seit Stunden auf den Füßen war.
Frühstück machten sie immer zusammen.
Wenn jetzt jemand neues dabei war, hieß das, dass auch er aufstehen musste, sonst würde es kein Essen geben.
Heaver wollte ihr Essen und genau aus diesem Grund sprang sie zurück auf ihre vier Beine, umrundete das Bett und biss dann fest in die Decke, um sie in einem Zug von Wesleys Körper zu zerren.
Anders als Willow schreckte dieses Exemplar von einem Menschen allerdings nicht aus seinen Träumen und wieder sah Heaver eine Differenz zwischen dem Fremden und ihrer Willow.
In Gedanken bei einem Bündel Möhren oder dieser braunen Schokoladenmasse, die Willow immer in einem Glas kaufte, griff Heaver nach einer anderen Maßnahme, für die sie sogar bei Willow immer ausgeschimpft wurde.
Menschen mochten es nicht, wenn man sie ableckte.
Sie mochten es nicht, wenn man sie säuberte.
Für Heaver war das merkwürdig.
Für Willow ekelig.
Und für Wesley ...
Nun ja, Wesley hatte sich bis jetzt noch nie mit einer solchen Situation auseinandersetzen müssen.
Er war niemals zuvor von einem Tier aufgeweckt worden.
Und dass er mal von einer Ziege geweckt werden würde, das hätte er sich auch in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Jetzt aber kam alles auf einmal.
Die Wärme der Decke war verschwunden, dafür schleckte etwas Nasses immer und immer wieder über seine Wange und kitzelte ihm über das Gesicht und die Unterarme. Als er verwirrt und verschlafen die Augen öffnete, erschreckte ihn der Anblick einer vollausgewachsenen weißen Ziege mit braunen Socken und kleinen spitzen Hörnern, die ihn aus starren, braunen Schlitzaugen musterte.

Wesley schrie.
Ja, er schrie.
Noch nie zuvor hatte er sich so sehr erschreckt und noch nie zuvor hatte er sich so bedroht gefühlt.
Was war das für ein Vieh und was hatte es in seinem Bett zu suchen?
Sein Gesicht war nass und in seinen Handflächen klebte weiß-grünlicher Schleim, dass er sich nicht nur unglaublich ekelte, sondern auch geschockt in seinen Kissen zusammenfuhr und nicht eine Sekunde daran denken konnte, dass das Heaver war.

Willow fuhr von einem lauten Schrei aus dem Obergeschoss zusammen und rieb sich die Hände, die vom Backen frischer Brötchen voller Mehl und Wasser waren, an einem Küchentuch sauber, ehe sie schnellen Schrittes die Treppe hinaufeilte und die Tür zum Gästezimmer aufriss.
Sie hatte mit allem gerechnet.
Mit der Angst und Phobie vor Spinnen oder Motten oder dem Schrecken, dass er doch tatsächlich bis halb zwölf geschlafen hatte.
Mit Heaver, die auf den Hinterhufen im Bett kniete und im Einklang des Geschreis meckerte und einem halbnackten Wesley Dillons, der kreidebleich, aber immerhin wach im Bett kniete und ihre Ziege anstarrte, als sei sie ein Alien, hatte sie allerdings nicht gerechnet.

»Was ... Wie ... Willow dein Viech von einer Ziege ist ausgebrochen!«, stotterte Wesley fassungslos ohne den Blick auch nur einmal von Heaver abzuwenden und machte sich auf seinem Kopfkissen noch ein bisschen kleiner.
Er schien töricht erschreckt. Willow konnte seine Brust hetzend auf und ab schlagen sehen und Wesleys Augen waren so panisch weit aufgerissen, dass Willow am Abzweig von Belustigung und Mittleid den zweiten Weg wählte.
Streng stemmte sie die Hände in die Hüfte und richtete ihren Blick auf Heaver, die von dem Geschrei und Theater nur die Hälfte zu verstehen schien.
Warum schrie dieser Neue denn so?
Sie hatte ihn doch bloß wecken wollen!
Und warum war Willow nun auf sie sauer?
Sie hatte doch nur selbst die Initiative ergreifen, den Neuen kennenlernen und ihn zum Esstisch holen wollen, damit sie endlich frühstücken konnten!

»Heaver! Sofort runter von dem Bett und dann ab nach unten mit dir! Im Gästezimmer hast du absolut nichts verloren!«, ergriff Willow laut und streng das Wort und deutete mit gerade ausgestrecktem Zeigefinger auf die Treppe nach unten.

War das ihr Ernst?
Seit wann durfte Heaver nicht mehr sein wo sie wollte?
Seit wann wurde Willow schon am Morgen so laut?
Und überhaupt, warum hatten sie denn noch nicht längst gefrühstückt?
Es war doch schon lange Zeit!

Heaver verstand die Welt nicht mehr.
Wesley glaubte in diesem Moment, sie niemals verstanden zu haben und Willow deutete noch immer starr auf den Weg ins Erdgeschoss und zog dabei ihre so schönen, geraden und dünnen Augenbrauen zusammen, dass sich in ihrem Gesicht Falten legten.

»Raus, Heaver!«, zischte sie ein zweites Mal und wusste ganz genau, dass ihre Ziege sie verstanden hatte.
Ja, das hatte sie.
Heaver war schlauer als so mancher Mensch und sie wusste, dass sie jetzt abzuzischen hatte, wenn sie heute auch noch einen einzigen Kartoffelchip bekommen wollte.
Meckernd zog sie ab und galoppierte die Treppe hinunter, während Willow sich einmal an die Stirn fasste, den Kopf schüttelte und dann doch amüsiert schnauben musste.
Dieses Tier war doch immer wieder für eine Überraschung zu haben.

Mitleidig sah sie nach einigen Sekunden auf und zu Wesley hinüber, der sich nur langsam von seinem Schock zu erholen schien.
Er atmete noch immer hektischer als üblich und schien erst jetzt für die Aufnahme der neugewonnen Informationen zu haben.

»Das ... das war Heaver?«, fragte er keuchend und sah erstarrt zu Willow hinüber, als hätte er einen Geist gesehen und sie nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Eine Ziege?
Eine ZIEGE?
Welcher normale Mensch hatte denn eine Ziege bei sich wohnen?
Diese Viecher wohnten im Stall oder auf einem Berg, für Wesley allerhöchstens in einem Zoo, aber doch nicht im Wohnhaus eines Menschen!
Wo war er hier bloß gelandet und, Himmel, worauf hatte er sich eingelassen?

Willow nickte langsam.
»Ja, das war Heaver, meine Ziege«, bestätigte sie die Annahme und trat dann einen Schritt weiter in den Raum.
Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen beiden aus. Das Bild war merkwürdig.
Ein vollkommen entblößter Wesley in Boxershorts mit schleimiger Haut, eine zerfressene Bettdecke und das Klappern von Heavers Hufen im Hintergrund.

Eine Weile sagte niemand ein Wort. Wesley musste sich von diesem Alptraum erholen und Willow suchte nach passenden Worten, die in den Ohren des Städters nicht halb so verrückt klingen würden, als sie tatsächlich waren.

»Ich weiß, was du denken musst. Ich hätte dich womöglich warnen sollen, aber du schienst gestern so erschöpft und warst schnell verschwunden, dass ich den Moment irgendwie verpasst habe.«

Wesley stieß die Luft aus.
Das war ja mal eine schöne Scheiße.
Jetzt hatte er ausgerechnet das verrückte Bauernmädchen mit der Hausziege erwischt.
Was kam noch?
Ein zahmer Waschbär, ein knuffiger Igel oder doch der Bauer zu diesem Mädchen?
Nein, nein, nein, das konnte er nicht fassen. Das war einfach ein wenig zu viel vom Chaos.
Er sollte jetzt ganz woanders sein. Er sollte jetzt eine Woche Urlaub haben, weil er die Prozesse so gut wie gewonnen hatte.
Er sollte mit Charles abends feiern gehen und vielleicht das ein oder andere nette Mädchen kennenlernen.
Er sollte alles, alles in Washington oder auf Hawaii oder den Malediven.
Aber doch nicht hier!
Nicht hier.
In Innerforks auf irgendeinem Bauernhof mit irgendeinem verrückten Mädchen und ihrer ... ihrer Ziege!

»Tut mir leid, dass sie dich geweckt hat. Sie weiß eigentlich, dass sie einen Menschen nicht so begrüßen soll und sie wollte dich auch nicht erschrecken.
Sie ist zahm, du brauchst also keine Angst vor ihr haben«, fuhr Willow fort.

Wesley schüttelte schnaubend mit dem Kopf.
Das war doch verrückt!
Das alles war viel zu viel des Unglücks. Womit hatte er das denn verdient?
Und er hatte immer gedacht, dass Hundemenschen mit ihren Kläffern am schlimmsten waren, die im Stadtpark bissig auf einen zu rannten und die Zähne fletschten, während ihre dämlichen Herrchen etwas von "Der will nur spielen!" kicherten.
Wesley mochte keine Tiere.
Er wusste nun wieder, wieso.
Sie waren ihm einfach nicht geheuer. Ebensowenig wie ihre Besitzer.
Alles Verrückte!, dachte er, während er sich langsam aufrappelte und schließlich aus dem Bett hob, um im angrenzenden Bad seine Arme zu säubern.

»Hat sie dich abgeleckt?«, fragte Willow dümmlich hinter ihm. Wesley betrachtete sie vom Badezimmerspiegel aus.
Da war sie ihm gefolgt und stellte diese verdammte Frage?
Fiel ihr nichts besseres ein?
»Nein, ich sabbere mir im Schlaf manchmal einen Liter Speichel auf den Arm, ist normal!«, murrte er mit zusammengepressten Zähnen und schrubbte mit seinen Fingernägeln und Seife über den Arm, um den widerlichen Mundgeruch dieser Ziege von sich zu wischen.
Igitt!

Willow biss sich auf die Lippe.
Ja, diese Frage war dämlich gewesen. Natürlich war das Heavers Schleim. Es war nur so untypisch, dass ihre Diva sich am Morgen so verhielt. Sie wusste ganz genau, dass Willow es hasste, wenn man sie ableckte und so oft, wie Heaver von ihr schon angepammt worden war, hatte sie nicht gedacht, dass ihre Ziege es gleich bei Wesley probieren würde.
Mit ihrem Vierbeiner musste sie dringend noch ein Hühnchen rupfen, denn das Schauspiel dieses Morgens durfte sich nicht wiederholen.
Wesley musste sie für irre halten. Aber vor allem seiner Laune wegen, musste Heaver sich bessern.
Ein schlechtgelaunter Wesley war nichts für jemanden, der zumeist gute Laune hatte.

»Es tut mir leid«, sagte sie, doch Wesley ignorierte das.

»Fuck! Diese grüne Scheiße geht nicht ab! Ist das Gras oder Kotze?«

Nicht lachen, Willow, nicht lachen!
Um Wesley nicht zu provozieren, ließ sie ihn lieber alleine und wollte sich Heaver sofort zuknöpfen.

»Ich glaube, ich spinne! Eine verdammte Ziege! Natürlich musste ich bei der komischsten und irrsten Tusse von allen landen! Die Verrückte hat sie doch nicht mehr alle!«

Er sagte es mehr zu sich selbst, doch Willow hörte ihn trotzdem.

xxxx

Willow war verschwunden.
Sie war gegangen.

Als Wesley nach einer langen Dusche, die ihn die Hälfte seines Duschgels gekostet hatte, endlich den Ziegenschleim von sich bekommen und sich Jeans und T-Shirt übergezogen hatte, lag das gesamte Bauernhaus in vollkommener Ruhe vor ihm.

Gestern war er zu müde gewesen und hatte nur mit halbem Auge das Haus betrachtet, das ihm ein Dach bot, aber jetzt wollte er sich genauer umsehen.
Das Gebäude war nicht unendlich riesig. Es war überschaubar, aber ziemlich gemütlich und warm gehalten.
Aus der Tür zum Gästezimmer heraus lief man direkt in den Flur, an den sich
vier verschlossene Türen hängten und in dem auch die Holztreppe mündete, die Wesley gestern mühselig mit samt Koffer hochgestiegen war.

Das gesamte Haus war mit honigfarbenem Eschenholz verkleidet, an dessen Wände mit Nägeln Bilderrahmen gehämmert worden waren.
Der Flur hielt sich noch einigermaßen schlicht, aber als Wesley die eckige Holztreppe hinabstieg, bombardierte ihn das Treppenhaus mit Sprüchen, Gartenbildern, Landschaftsportraits, Urlaubsfotos mit Freunden und Heaver. Ja, Heaver war überall. Aber Willow war auf kaum einem Bild zu erkennen.
Die typische Erinnerungswand voller Familienfotos und alten Kinderbildern blieb aus und stattdessen konnte Wesley Willow nur auf einem einzigen Foto gemeinsam mit Heaver entdecken.
Der schwarze Bilderrahmen hing sehr weit oben und zeigte Willow, die neben Heaver im Gras unter einem Kirschbaum saß und sich an den Kopf der Ziege kuschelte, während ihr Handy ein Selfie schoss. 
Es durfte allerhöchstens zwei Jahre alt sein.
Willows nussbraunes Haar war auf dem Foto genauso kurz und genauso gelockt wie heute. Auf ihren Wangen sprenkelten sich die kleinen frechen Sommersprossen, die Wesley schon gestern bemerkt hatte und sie wirkte genauso fröhlich und unbeugsam, wie Wesley sie kennengelernt hatte. Auf dem Foto war sie bloß jünger, aber heute mindestens genauso hübsch. 
Ein rotes Sommerkleid mit weißen Blümchen und leichten Puffärmeln schmiegte sich an ihren Körper und sie strahlte mit ihrem Lächeln und den verliebten Augen auf Heaver eine mitreißende Freiheit und Stärke aus, dass es in Wesleys Magen merkwürdig zu rumoren begann.
Schnell wandte er den Blick ab und betrachtete lieber Heaver genauer, die auf den Fotos mehr verrückt und lustig schien, als so bedrohlich wie heute morgen.
Auf einem Bild lag sie hoch oben in einem Birnbaum und döste in der Sonne. Auf einem anderen war sie um das Maul herum voller Schokolade und ein leeres Glas Nutella lag verschwommen auf dem Boden des Hintergrunds.
Auf wieder einem anderen, hatte Heaver kunterbuntes Fell und sah aus wie ein laufender Regenbogen, der, so zeigte ein viertes Bild, noch am selben Tag auf dem Jahrmarkt großen Gefallen daran gefunden hatte, die Heliumluftballons eines Clowns zu zerbeißen.
Wesley erwischte sich selbst mit einem Schmunzeln auf den Lippen, aber er erinnerte sich daran, dass er empört war und so schnell wie er hatte Grinsen müssen, war seine gleichgültige Fassade zurück. Doch er war nicht nur sauer auf Heaver und Willow. Er war auch sauer auf sich selbst, weil er Willow gegenüber so ausfallend geworden war.

Schnellen Schrittes lief er die restlichen Stufen hinab und blieb im Erdgeschoss stehen, das ein einziger großer Raum zu sein schien.
Direkt geradeaus der Treppe war die Küchenecke. Willow hatte eine bunte Küche. Jeder Schrank hatte einen anderen Farbanstrich und auf den Arbeitsplatten war das schlichte Chaos aus Töpfen, Brettchen, Obstkörben und Kräuterpflanzen ausgebrochen. Trotzdem wirkte die vollgestellte Küche auf ihre Weise sauber und ordentlich.
Einige Schubladen waren aufgezogen und der Backofen surrte, um sich abzukühlen, aber allein der köstliche Geruch nach frischem Brot und Marmelade ließ Wesley alles vergessen.
Hatte Willow etwa gebacken?
Es schien ganz so.
Eine köstliche Duftwolke, wie man sie nur am Morgen in einer Bäckerei kannte, lag in der Luft und schwirrte zwischen der Küche und der Wohnzimmerecke, die aus einer hellbraunen Ledercouch, einem Holztisch und einem Fernseher an der Wand bestand. Zwischen Küche und Wohnzimmer war eine Glasfront mit Terrassentür, die hinaus in den Garten führte.
Mit großen Augen und einen Moment überwältigt, blieb Wesley im Türrahmen zwischen draußen und drinnen stehen und bestaunte die Aussicht, die sich ihm bot.
Nach einem gepflasterten Terrrassenstück, auf dem sich ein sonnengebleichter Holztisch mit Stühlen wiederfand, folgte eine breite und tiefgrüne Rasenfläche mit einem Weg aus Steinen, der zu einem kleinen umzäunten Stück Land führte auf dessen Ackerfläche die verschiedensten Gemüse- und Obstsorten wuchsen und wucherten.
Das Geschwirr von Lebewesen war auf dem gesamten Grundstück zu erkennen. Überall wuchs etwas anderes. Es gab Beerensträucher aller Art. Wesley erkannte sein Hochbeet in größerer Form vor sich. Zwischen einem Birnbaum und einem Kirschbaum wehte eine Hängematte im Wind und es gab Blumen! Überall blühten sie.
Rosen wuchsen die Hauswände entlang, Sonnenblumen überragten den Zaun des Gemüsegartens, Tulpen, Krokusse, Stiefmütterchen und Gänseblümchen übersäten den Rasen und sprenkelten den bunten Anblick dieses Paradieses. 

Wesley konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Eindrucksvolles und einen so vollen Garten gesehen zu haben.
Überall wuchs und gedeihte etwas Anderes und für Insekten und kleine Tiere war dieser Garten ein Traum.

Gleich mehrere Vogelhäuser hingen in den Kronen der Obstbäume, an den Zaunpfählen fanden sich Insektenhotels wieder und überhaupt blühte alles ganz ideal für die kleinen fleißigen Helferlein der Natur.
Wesley war baff. So etwas gab es in Washington ganz gewiss nicht und das kleine Hochbeet auf seinem Balkon war nichts gegen dieses Gewimmel aus Leben und Gerüchen.
Bei Willow traf die Idylle auf Mutternatur und platzte wie eine Farbbombe. Offensichtlich liebte sie Pflanzen und Tiere und kümmerte sich täglich um ihr selbsterschaffenes Reich. Sie liebte ihren Garten und es machte sie glücklich, wenn die Vögel in ihren Bäumen zwitscherten oder sie in der Hängematte lag, ein Buch las und die Schmetterlinge über ihre Nase hinwegflogen.

In einer Welt, wo es nur Probleme gab, war dieser Garten Willows Luft zum Atmen. Hierhin konnte sie sich zurückziehen, hier war sie allein für sich und hier verurteilte oder belastete sie niemand.
Willow fühlte sich gebraucht, wenn sie sich um ihren Garten und dessen Lebewesen kümmerte und dieses Gefühl war für einen Menschen wie sie eine Lebensnotwendigkeit.

Wesley konnte mit einem Garten weniger anfangen. Aber ihm war doch imponiert.
So schnell wie das allerdings gekommen war, so schnell ließ er sich auch von dem gedeckten Gartentisch ablenken auf dem sich alle Leckereien für ein Frühstück stapelten.

Ein Korb voller frischer Brötchen – die Willow selbst gemacht haben musste – kleine Gläschen mit Marmelade und Honig, die feinsäuberlich mit geschwungener Schrift benannt worden waren, Käse aller Art, Tee, Kaffee und frische Milch.

Wesleys Magen knurrte geräuschvoll, als er näher trat, aber seine bis eben noch gleichgültig auferhaltene Miene zerfiel, als er die vielen kleinen Post-Its auf den Lebensmitteln entdeckte.

Irre Brötchen.
Irre Ziegenmilch.
Verrückter Käse.
Verrückter Kaffee.
Bauern Messer.
Bauern Teller.
Öko-Tee.

Auf alles hatte Willow einen Zettel geklebt und ihre bissige und selbstbewusste Stimme hallte Wesley in den Ohren, während er laß und sich selbst fluchen hörte.
Dieses Mädchen wusste mit Männern wie ihm umzugehen, und, scheiße, er spürte das komische Gefühl in seinem Bauch zurückkehren.
Das schlechte Gewissen – das sich sonst verbot, schlecht zu sein – war wieder präsent wie eh und je und er realisierte, was er getan hatte.

Er hatte Willow zutiefst beleidigt und sie verurteilt, obwohl sie ihm aus der Pampa geholfen, ihm etwas zu Essen spendiert und sogar ein Dach über dem Kopf geboten hatte.
Er war mehr als nur respektlos gewesen, obwohl es doch Heaver gewesen war, die ihn verärgert und Willow sich dafür entschuldigt hatte.
Sein Temperament hatte einen Menschen getreten, der ihm nichts getan hatte und so sehr Wesley dieses Gefühl auch hasste, er gestand sich seinen Fehler offen ein.

Was habe ich nur getan?

Nur einen einzigen Tag kannte er dieses Mädchen und schon hatte er nichts Besseres zu tun gehabt, als sie aus ihrem eigenen Haus zu jagen.
Er wollte sich nicht die Schuld geben und sich einreden, dass er ihr auch nie versprochen hatte, nett zu sein oder sich dankbar zu geben.
Aber der letzte Rest Menschlichkeit in ihm wusste, dass das reine Selbstverständlichkeit war.
Willow konnte schließlich nichts für seine eigene Dummheit und so sehr ihm das auch missfiel, in diesem Moment hasste er sich selbst.

Sie hatte sogar frische Brötchen gebacken, die besser schmeckten, als alles, was er jemals gegessen hatte!

So ein verfluchter Mist!

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