KAPITEL 1
»Das Schicksal sagte dir:
"Geh zu ihr".«
»Hey, Charles!«
»Ja, ich bin noch auf dem Highway. Circa 'ne Stunde von D.C.«
»Ja, es lief gut, sogar sehr gut. Die Beweislage stand aber auch in jedem Fall zu meinen Gunsten und denen des Mandanten.«
»War ganz nett. Ich habe O'Conners mal wieder gesehen. Aber abgesehen von einem kleinen Tobsuchtsanfall war mit dem nicht zu reden. Er wird es, so glaube ich, niemals verstehen.«
»Ja, das Geld wollte er morgen überweisen und ansonsten steht die nächsten Tage nichts an, soweit ich weiß. Malia macht die ausstehenden Dokumente fertig und schickt mir die neuen Fälle per E-Mail und ansonsten ... Ach so, auf meinem Schreibtisch liegt noch eine dunkelblaue Akte, von der bräuchte ich eine komplette Kopie und Fotos. Könntest du die heute Abend noch machen und mir schicken?«
»Ich danke dir, mein Freund.«
»Ich weiß nicht. Gerade stecke ich im Stau fest, also komme ich vermutlich erst heute Abend an.«
»Ich werde mich auf jeden Fall später nochmal melden, wenn ich endlich wieder in meinem eigenen Bett pennen kann. Dieses Luxushotel war zwar piekfein, aber meine Wohnung konnte es nicht ersetzen.«
»Ja, ja, alles sauber und schick. Wellnessbereich, Pool, Sauna und eine Fitnessetage. Aber ohne Gesellschaft konnte ich das wenig genießen.«
»Ha-Ha! Ja, wir beide werden da ganz sicher nochmal hinfahren und den Laden aufmischen. Darauf freue ich mich schon. Vor allem, wenn du die kleine Latina am Foyertresen siehst. Die wär' was für dich, mein lieber Charlie.«
»Wie sie hieß? Sofia, glaube ich, aber ihren Namen spricht man bestimmt noch anders aus.«
»Ja, ich meine es ernst. Die war wirklich hübsch. Aber genug jetzt davon. Die Schlange löst sich hier langsam, ich muss auflegen.«
»Dir auch noch einen netten Tag. Bis später!«
Wesley Dillons warf das Smartphone auf den ledernen Beifahrersitz seines Porsches und sah dann zurück auf die Straße. Der Highway in Richtung Washington war an diesem Sonntagnachmittag bis auf die kleinste Lücke ausgefüllt und es schien, als sei ganz Amerika auf dem Weg in die Hauptstadt, um dem Präsidenten einen Besuch abzustatten.
Genervt trommelte Wesley mit den Fingern über das Sportlenkrad, ehe er seinen Kopf mit einem tiefen Seufzer auf den Arm stützte und sich damit abfand, dass seine Wohnung wohl noch einige Stunden auf ihn warten musste.
Erschöpft schloss er einen Moment die Augen.
Er war schon seit Stunden unterwegs und seit noch mehr Stunden auf den Beinen. Sein Magen knurrte. Er hätte heute morgen doch lieber noch im Hotel frühstücken sollen. Himmel, dieser Verkehr war ja nicht auszuhalten!
Ein Hupen ertönte und riss ihn aus seinen Gedanken.
Die Schlange vor ihm hatte sich gute drei Meter voran bewegt und stand nun wieder still. Verständnislos sah Wesley in den Rückspiegel und zog seine Augenbrauen zusammen, als der unverschämte Mann in dem weißen SUV ihm den Mittelfinger zeigte.
Was wollte die Pfeife denn?
Sah er nicht, dass diese drei Meter nichts ändern würden? Wenn er die auffahren würde, kamen sie beide trotzdem nicht früher an.
Arschloch, dachte Wesley und machte sich nicht die Mühe, der unhöflichen Aufforderung des Mannes nachzukommen.
Sollte der sich doch dumm und duselig gestikulieren.
Sogar seine Kinder hatte der Idiot auf der Rückbank sitzen.
Was ein tolles Vorbild!
Immer genervter sah Wesley sich um und überlegte, wie er sich diesem schrecklichen Autostau am schnellsten entziehen konnte.
Sein Blick blieb an einem vermoderten Straßenschild hängen, das auf eine Ausfahrt in gut fünfzig Metern hinwies.
Die darauf angeschriebenen Orte waren ihm kein Begriff und eigentlich waren Landstraßen immer ein dummer Umweg, aber heute war ihm das egal.
Von Innerforks musste es auch verbindliche Straßen nach D.C. geben und selbst, wenn er noch drei Stunden brauchen würde, Hauptsache er musste nicht mehr in diesem schrecklichen Feinstaub versauern und sich länger mit der Nervensäge auseinandersetzen, die schon wieder zu hupen begann.
Konnte dieser Kerl nicht mal die Füße stillhalten?
Die Leute hier waren doch alle genervt und wollten nach Hause.
Da musste er mit seinem Gehupe den Feierabend nicht auch noch zusätzlich vermiesen.
Die Minuten bis zu der kommenden Ausfahrt zogen sich in elendige Länge, aber irgendwann tauchte der verlassene und ziemlich unscheinbar befahrene Abweg auf und auch wenn niemand sonst Wesleys Idee zu teilen schien, lenkte er seinen Wagen nach rechts und fuhr kurzerhand vom Highway ab, auf die verlassenste aller Landstraßen, die er je gesehen hatte.
Büsche und Bäume umrandeten die Ausfahrt und gingen nach den ersten hundert Metern in grüne Felder und Wiesen über.
Weit und breit war kein Haus oder gar ein anderes Auto zu sehen.
Schon an der ersten Kreuzung bereute Wesley seine Entscheidung.
Hier war niemand und es wäre kein Wunder, wenn die Straße irgendwann nur noch zu einem Feldweg wurde.
Das Navi, das an der Frontscheibe hing, lenkte ihn in das wirre Nichts. Mehrmals schien es einen Weg in Richtung des Ziels zu finden, aber dann berechnete es die Strecke doch nur wieder neu und steuerte ihn in eine andere Richtung.
Der Porsche fuhr im Kreis und Wesley wusste längst nicht mehr, wo er war.
Rund um ihn herum waren nichts weiter als endlos scheinende Rapsfelder, die im Sonnenlicht glühten und ihm grell gelblich in den Augen stachen.
Er konnte sich nicht orientieren. Das Navi auch nicht und irgendwann schaltete er es einfach aus. Die mechanische Frauenstimme verursachte Kopfschmerzen und auf die hatte er nun wirklich keine Lust. Da vertraute er lieber auf seinen Verstand und das gute alte Glück und fuhr auf eigene Faust los.
Richtung Westen, ja, das konnte doch nie falsch sein.
Oder etwa doch?
Die Landstraßen schienen mit der Zeit immer schmaler zu werden, die Umgebung – wenn das überhaupt möglich war – immer verlassener und als es dann auch noch zu dämmern begann, da wusste Wesley, dass er keine Ahnung von den Himmelsrichtungen hatte und dass er wohl allem entgegen gefahren war, aber nicht seiner Heimat.
»So ein Mist!«, fluchte er und schlug auf das Lenkrad, ehe er das ausgeschaltete Navi wieder versuchte, einzuschalten, um zu sehen, ob dieser Computer ihn wenigstens wieder auf den Highway führen konnte.
Er hatte etliche, wertvolle Stunden hier in der Pampa vergeudet und dass Landstraßen für die Tonne waren, hatte sich mit diesem dummen Ausflug auch wieder bestätigt.
Was für eine blöde Schnapsidee!
Da wäre ihm der Kerl im SUV doch lieber gewesen.
Den hätte er am Ende wenigstens wegen Ruhestörung anzeigen können.
Entnervt drückte Wesley auf den Power-Knopf des Navis, aber der Bildschirm des Computers blieb schwarz.
Das Kabel war nicht vom Stecker getrennt, aber es schien kein Strom mehr zu fließen.
Stutzig und vollkommen genervt starrte Wesley von der Fahrbahn zu dem Navigationsgerät, bis die Anzeigen hinter dem Steuer plötzlich wie wild zu blinken begannen und dann alle tot zu sein schienen.
Das Scheinwerferlicht in der
Dämmerung versagte nur ein paar Sekunden später und nach einigen merkwürdigen Stottern blieb der Wagen mit einem Mal einfach stehen.
Fassungslos drückte Wesley das Gaspedal auf und nieder.
Er drehte den Schlüssel im
Zündschlüssel, schlug auf das Armaturenbrett vor lauter Frust, aber der Wagen gab keinen Ton mehr von sich.
Das konnte nicht wahr sein.
Nein, nein, das konnte einfach nicht wahrsein!
Das war zu viel des Guten.
Es war einfach zu viel.
Wo hatte sich die Kamera versteckt?
Wer wollte ihn hier verarschen?
Scheinbar niemand, denn nach einer hoffnungslosen Stunde des Motorhauben-Herumhantierends und wütenden Autoreifen-Tritten sprang noch immer niemand mit einem amüsierten Lächeln aus dem Gebüsch und schrie »April, April!« in den Himmel.
So ein Mist.
So ein verdammter Mist.
Wie sollte er denn jetzt von hier wegkommen?
Hier war absolut nichts, außer ein kaputtes Auto und er selbst.
War es denn zu viel verlangt, sich nach seinem Zuhause und Bett und ein wenig Ruhe zu sehnen?
War das nicht das, was man verdiente, nachdem man ein ganzes Wochenende Verhandlungen geführt und in einem Hotel geschlafen hatte?
Anscheinend nicht.
Anscheinend musste er sich für diese Nacht mit dem Autositz begnügen und darauf hoffen, dass morgen jemand kommen und ihn hier retten würde.
Vielleicht würde Charles seinen Arsch hierherschieben und ihn aus der Walachei holen – wenn er bis dahin wenigstens einen Balken Empfang bekam.
Angespannt und wütend auf das Auto, diese scheußliche Umgebung und sich selbst, hockte Wesley sich zurück in das Auto und rieb seine Hände aneinander.
Die Dunkelheit umwarb das Land und es begann zu tauen, was nur vorhersehen konnte, wie kalt die Nacht sein würde.
Um nicht zu erfrieren klappte Wesley den Fahrersitz nach hinten und zerrte an seinem Koffer, den er heute morgen einfach auf den Rücksitz geworfen hatte.
Zwischen ungewaschenen Hemden und Socken fand sich schnell ein Pullover, den er für Freizeitaufenthalte und die Zeit am Abend eingepackt hatte, um nicht den ganzen Tag in einem Anzug ersticken zu müssen.
Der Pullover war mehr eine Notlösung, im Laufe der Nacht begann er auch durch den dicken Baumwollstoff zu frieren, aber da das Auto nicht ansprang und die Heizung somit ebenfalls ausblieb, musste er das aushalten.
Frustriert über den Ausgang dieses eigentlich so erfolgreichen Tages starrte Wesley aus dem Autofenster in den Nachthimmel, der ironischerweise sternenklar war und den Vollmond in voller Pracht auf die Erde scheinen ließ.
Im Bad des Mondlichts fielen Wesley nach langen Minuten der Stille irgendwann die Augen zu.
Was für ein Misttag, war sein letzter Gedanke.
Nur etwa drei Kilometer von Wesley entfernt, trat Willow Telieve aus der Terrassentür in den Garten.
Sie konnte sich nicht erinnern, warum sie aus dem Schlaf geschreckt war, aber nun war sie hellwach und hatte keine Lust mehr, liegenzubleiben, wo doch der Mond so schön schien.
Auf nackten Füßen tapste sie durch das feuchte Gras und machte es sich in einem der Liegestühle auf der Rasenfläche ihres Gartens gemütlich, nur um sich dann zurückzulehnen und diese umwerfende Nacht zu genießen.
Um Willow herum surrten die Grillen und Glühwürmchen und sie konnte Heaver im Schlaf meckern hören.
Ja, es war eine herrliche Nacht, die ein wenig Abwechslung in Willows Alltag brachte, der ihr langsam beinahe langweilig wurde.
Willow hatte keine Ahnung.
Sie ahnte nicht, dass sie in weniger als vierundzwanzig Stunden jemanden in ihr Leben lassen würde, der für ordentlich Chaos und Aufruhr sorgen würde.
Sie ahnte nicht, wie viel Spaß sie in den nächsten Wochen haben und wie viel größer ihre kleine Welt werden würde.
Sie ahnte nicht, dass sie schon bald auf Wesley treffen würde.
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