Two

Sofort änderte sich das Licht um sie her.

Alles wurde dämmriger und die Lichtstrahlen der Sonne schoben sich in schmalen Streifen durchs Blätterwerk. Dicke Baumstämme, mit Schlingpflanzen bewachsen, standen mächtig und eindrucksvoll da. Zeugen eines Lebens, das Louis bisher nur aus Büchern gekannt hatte. Seine Augen huschten über die grellen Blüten einer Allamanda cathatica und er zog ein Messer aus der Tasche. „Harry, würdest bitte ein Buch aus meiner Tasche nehmen?", bat er seinen Begleiter. „Ich denke, ich bin hier, um Sie zu beschützen, Sir", gab Harry zurück und grinste. Sie waren weit genug vom Strand entfernt, um den neugierigen Augen und Ohren der restlichen Forschercrew zu entgehen und so konnten sie die Masken abnehmen. „Du bist auch offiziell nur als Personenschützer hier und nicht als Begleiter", gab Louis zurück und schnitt eine Blüte vorsichtig vom Stängel ab. „Ja, da hast du Recht, aber zum Begleiter wurde ich erst", seufzte Harry, öffnete den Deckel des Rucksacks und nahm ein Buch heraus. Es hatte keine beschriebenen Seiten, doch das würde sich gleich ändern. Louis nahm die Blüte und legte sie vorsichtig zwischen zwei Blätter, dann zeichnete er mit flinken Strichen den Baum und die Form der Pflanze aufs Papier, notierte, wo man sie gefunden hatte und klappte das Buch dann wieder zu. „Das behältst du jetzt aber in der Hand, sonst muss ich es in wenigen Sekunden wieder aus der Tasche ziehen, weil du wieder etwas neues gesehen hast, das festgehalten werden muss", scherzte Harry und griff wieder sein Gewehr.

Er kannte ihn schon wirklich gut und das, obwohl sie sich eigentlich auch erst vor einigen Wochen näher gekommen waren. Harry war Soldat gewesen, hatte aber wegen einer Verletzung des Beins den Dienst aufgeben müssen. Nun nutzte er sein kämpferisches Können, seinen Mut und seine guten Augen, um Louis auf der Forschung an der Afrikanischen Westküste zu begleiten.

Die Fahrt auf dem Schiff war lang gewesen und sie hatten sich eine Kabine geteilt. Das Schiff war ausgebucht gewesen und den Luxus einer eigenen Kabine hatte man Louis nicht gegönnt. Im Nachhinein war er ziemlich froh darüber, denn ansonsten hätte er vielleicht nie ein Wort mit dem großen Mann gewechselt und sie wären nicht das, was sie jetzt waren. Mehr als Freunde. Wäre Harry eine Frau, dann wüsste Louis genau, was zwischen ihnen war, doch Harry war ein Mann und für das, was er empfand, gab es keine Bezeichnung. Sie musste noch erfunden werden und so kreativ Louis war, wenn es um die Namen neuer Pflanzen ging, so schwer fiel es ihm doch, seine Gefühle in Worte zu fassen. Manchmal saß er abends einfach am Feuer und beobachtete Harry, der sein Gewehr säuberte und sich dabei mit Öl die Finger schmutzig machte. Louis Arbeit war filigran. Harrys hart und anstrengend – das machte ihn unglaublich anziehend.

„Louis...wir sollten weiter", erinnerte Harry ihn und stupste ihn sanft an der Schulter an. „Ja, natürlich. Wir wollten heute ja noch den Wasserfall erreichen." - „Und uns auch noch auf den Weg zurück machen, denke auch bitte daran."

Weiter ging es also. Im Zick Zack zwischen Bäumen hindurch, über Baumstümpfe, die halb verfault und mit Flechten bewachsen waren, vorbei an Mammutbäumen, die so dick waren, dass sie beinahe so breit waren, wie ein Haus in der Londoner Innenstadt. „Es ist wunderschön, findest du nicht auch?", fragte Louis, blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken. Über sich konnte er nur ein Gewirr aus Pflanzen sehen. Die Luft war schwer und feucht, roch süßlich nach dem Duft der vielen Blumen und feuchter Erde. Irgendwo plätscherte ein Fluss und Vögel sangen schrill und laut in den Baumkronen. „Ich denke, ich werde deine Begeisterung nicht teilen können, aber es ist schön zu sehen, dass es dir hier gefällt", sagte Harry und behielt das undurchdingliche Dickicht im Auge. Hoch über ihren Köpfen sah Louis ein seltsam geformtes Blatt und reckte den Hals, um es besser sehen zu können. „Was ist das dort oben?", fragte er und deutete auf das Blatt. „Ein...Blatt?", fragte Harry und versuchte zu erkennen, was Louis genau meinte. „Hier sind überall Blätter, nein ich meine das, was eine so seltsame Form hat. Würdest du mir auf den Baum helfen?" Harry sah Louis irritiert an. Er war als Beschützer hier und nicht als Leiterersatz. Außerdem gehörte es sich nicht, einander anzufassen – zumindest nicht, wenn es über einen Handschlag hinaus ging. Und bei ihnen war es bisher nicht weiter gegangen.

„Ich werde dich gewiss nicht auf diesen Baum klettern lassen. Womöglich brichst du dir noch beide Beine und ich muss dich zum Lager zurücktragen. Kommt nicht in Frage." Louis seufzte frustriert. Er würde gewiss nicht auf eine solch seltene Pflanze verzichten, nur weil Harry ihm nicht helfen wollte. Fordernd streckte er die Hand aus: „Gib mir dein Buschmesser." Ohne zu Zögern, weil er einen direkten Befehl bekommen hatte, nahm Harry das breite Messer von seinem Gürtel und reichte es Louis. Die Schlingpflanzen am Boden machte es dem Forscher schwer, zu gehen, doch er kämpfte sich zum Baum durch und blieb davor stehen. Von dieser Perspektive aus, war der Baum doch wesentlich höher, als gedacht. Die Rinde war dick und borkig und mit Flechten und dicken Lianen bewachsen. Vielleicht könnte man sie nutzen, um daran hinauf zu klettern. Noch bevor Louis den Gedanken in die Tat umsetzen konnte, war Harry neben ihm und nahm ihm das Messer aus der Hand: „Oh nein, du kletterst gewiss nicht auf den Baum mit einem Messer in der Hand. Wenn du fällst, dann ist das wirklich nicht gut. Vor allem für mich. Nimm doch diesen Ast dort hinten und klettere daran hinauf." Harry deutete zu einer Liane hinüber, die in einem großen Bogen von einem Baum herabhing. 

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