Koichis Brief

Mein bestgeschätzter Rohan,

ich hoffe dieses Schreiben schafft es dich in bester Gesundheit und in einem fröhlichen Gemüt zu erreichen. Es könnte vermögen eben dieses fröhliche Gemüt zu trüben, so leid es mir auch tut, doch der König bat mich dir diese Zeilen zu schreiben und dich über die Entwicklung der Geschehnisse in Kenntnis zu setzen.

Und um es ganz offen zu sagen, es schmerzt mich dir diesen Brief schreiben zu müssen. Ich wünschte ich könnte dir einen kurzen Einzeiler schreiben, wie "Wir haben Reimis Mörder überführt", doch das wäre zu einfach und wie wir bereits wissen, das Leben ist nie einfach.

Was mich wirklich frustriert, ist, dass wir zum Haare raufen nahe dran waren. Es begann einen Tag nach unserer Zusammenkunft bei dir zuhause. König Jotaro bat mich die Stallburschen dazu anzuhalten die Kutsche fertig zu machen und zu zweit würden wir uns auf den Weg in die Stadt machen. Der Knopf, den der junge Shigechi seinem Mörder entwenden konnte, war unser einziger Anhaltspunkt. Wir hatten eine lange Liste mit Namen von Schneidern im Königreich und einen Vormittag Zeit um sie alle abzuklappern. Josuke wollte auch mit, aber Jotaro bestand darauf, dass er in die Schule ging. Wir setzten ihn dort ab und versprachen ihn uns am Nachmittag mit ihm zu treffen, damit er auch bloß nichts verpassen würde. Wir haben die ganze Kutschfahrt auf ihn eingeredet und an seinen Verstand appeliert, aber du weiß ja wie er sein kann.

Der Vormittag war lang und frustrierend. Jotaro schleppte mich von einem Schneider zum anderen, doch die Antwort blieb immer dieselbe. ,,Noch nie gesehen, den Knopf." Es war wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als wir einen weiteren Versuch wagten. Der Schneider hier war ein alter, gebrächlicher Mann, der etwas wirkte, als ob er mit den Gedanken noch in einem Traum aus vergangener Nacht festhängen würde. Er nahm den Knopf entgegen und musterte Jotaro misstrauisch. Mal wieder inkognito unterwegs bedeutet nicht, dass man nicht unentdeckt bleibt. ,,Verzeiht, aber kennen wir uns irgendwoher? Ihr kommt mir so bekannt vor."
,,Das bekomme ich öfters gesagt. Ich habe ein Allerweltsgesicht", erklärte Jotaro schnell, was dem Schneider zu reichen schien. Dessen Aufmerksamkeit galt nun der kleine Knopf zwischen seine Fingern.
,,Kenne ich."
,,Was? Ehrlich?!", rief ich. Ich konnte meine Aufregung kaum verbergen. Jotaro stieß mich ermahnend in die Seite, doch den Schneider schien mein Ausbruch kaum zu kümmern. Gemächlich und ohne jeglichen Stress drehte er sich zu einem Kleiderständer und besah einen violetten Gehrock. Ja wirklich, violett. Gewagte Farbe, wie ich finde. Nicht, dass es mir obliegt den Modegeschmack eines Mörders zu verurteilen, oh nein, verurteilen tue ich ihn für ganz andere Sachen.
,,Ich habe mir den Namen aufgeschrieben, sonst könnte ich mir meine Kunden sowieso nie merken. Er... wartet bittet, die Herren. Mein Augenlicht ist auch nicht mehr das was es Mal war." Er kniff die Augen zusammen und versuchte angestrengt den Text auf dem Etikett am Sakko zu erkennen.
,,Das... hm, das ist in der Tat merkwürdig. Ist das ein E oder ein B? Oder... nein, ich glaube das soll ein K sein..."
Ich machte einen Schritt vor und bot an das Schild für ihn zu lesen, doch als hätte Jotaro es geahnt zog er mich an der Schulter zurück.

Von da an ging alles sehr schnell. Ein lauter Knall hallte von den Wänden des Geschäfts wieder und die Tasse des Schneiders zersprang in weiße Scherben. Seine Hand war binnen weniger Sekunden zerfetzt worden, ja, sogar einen seiner Finger sah ich in der Zimmerecke liegen. Das Blut floss und der Schneider starrte fassungslos auf seine zerstümmelte Hand. Erst dann begann er zu schreien. Rohan, ich versichere dir hiermit gar nicht richtig in Worte fassen zu können, was dieser Schrei mit mir machte. Er versetzte mich in Panik, Angst und Schrecken und gab mir die Gewissheit, dass dieser nette, unschuldige Mann nicht mehr lange zu Leben hatte. Ich sah zum Gehrock rüber und erkannte von weitem eine blasse Hand, die aus dem Hinterzimmer heraus nach dem Ärmel griff. Vielleicht kannst du ja jetzt schon meine Frustration etwas nachvollziehen. Er war genau dort! Reimis Mörder. Der Mann, der Shigechi und Ryoko getötet hat. Er war dort zum greifen nahe! Und er schien Probleme damit zu haben die Jacke vom Bügel zu kriegen. Ich sah meine Gelegenheit und wollte losstürmen, doch Jotaro hielt mich fest. ,,Bleib hier, Koichi. Die Art wie er an der Jack zieht ist merkwürdig. Ich habe den Eindruck er legt es darauf an, dass wir näher kommen", flüsterte er. Jetzt sah ich es auch. Man musste sich schon dämlich anstellen. Ein Ruck und die Jacke wäre runter vom Hacken, doch er schien zu "hadern". Was er vor gehabt hätte, wären wir auch nur einen Schritt näher gekommen? Vermutlich hätte er versucht uns zusammen mit dem alten Schneider zu töten. Der Knall war so laut und etwas schleuderte uns zurück. Ich schloss die Augen und kam hart auf den Boden auf. Jotaro stand vor mir, die Arme über meine Schultern, als hätte er versucht mich vor was auch immer da gerade passiert ist, zu beschützen. Ein wahrer König durch und durch eben.

Von dem Mann war nicht mehr viel übrig. Ich denke das richtige Wort nachdem ich suche ist zerfetzt, obwohl auch dieses Wort implizieren würde, das noch etwas von ihm übrig ist. Nichts ist übrig geblieben! Leichen die sich einfach in ihre Einzelteile zersetzen, wie praktisch für einen Mörder...

Fast hätte ich bei all der Aufregung die vermeintliche Streunerkatze ausgeblendet, die über die Stelle tapste, auf der gerade noch der Schneider stand, doch etwas an ihr war merkwürdig. Als sie näher in das durch die Fenster einfallende Tageslicht kam, merkte ich auch was - Ihr Fell war an einer Seite ihres Gesichts völlig abgezogen und gab die Sicht frei auf ihren weißen Schädel. Mir gefror das Blut in den Adern und ich konnte nur erahnen, dass es Jotaro nicht besser erging.
,,Ist das sein Dämon?", flüsterte ich.
,,Kann sein. Falls ja, sollten wir dem Vieh nicht zu nahe kommen", antwortete Jotaro. Dann hielt er wohl die Zeit an, jedenfalls fand ich mich in einem Wimpernschlag an der anderen Ecke des Geschäfts wieder, doch das half herzlichst wenig. Die Katze kam weiter auf uns zu und Jotaro versuchte sie einfach wegzutreten, doch das Tier krallte sich an seinem Hosenbein fest. Sie fauchte, doch im nächsten Moment wurde sie gegen die Kleiderstange geschleudert. Keine Sekundr zu früh. Die Kleiderstange wurde in Fetzen zerrissen und mit ihr auch der Mantel. Unser einziges Indiz auf den Namen, des Mörders!
Obwohl er nicht mehr in tötlicher Nähe war, wurde Jotaro dennoch von der Wucht der "Explosion" nachhinten und gegen die Verkaufsauslage geschleudert. Selbst von meiner Position aus sah ich, dass er sich den Hinterkopf an der Holztheke aufschlug und konnte mir den darauffolgenden Schrei nicht verkneifen. Jotaro war ohnmächtig, also war ich auf mich allein gestellt. Die Katze berappelte sich recht schnell wieder und tapste auf uns zu, ziemlich deutlich machend, dass sie nicht eher ruhen würde, bis uns das selbe Schicksal ereilt war wie dem armen Schneider. Schnell fasste ich einen Entschluss, packte den König an den Armen und zog ihn, unter größter Anstrengung, hinaus auf die Straße. Erschöpft lehnte ich ihn gegen eine Hauswand, schaute mir seinen Hinterkopf an und ging sicher, dass er keine tötlichen Schäden davontrug, ehe ich aufstand und mich für einen Kampf bereit machte. Nicht, dass ich bereit war, aber es musste wohl sein.
Wie ein Reiter der Apokalypse kam die Katze unheilversprechend aus der Dunkelheit der Schneiderei hinaus auf die Straße getippert. Ich konnte nur erahnen, dass unser Mann die Flucht durch das Hinterzimmer bereits angetreten hatte und es nun seinem Dämonen überließ uns den Rest zu geben. Ich bin bloß ein kleiner, unwichtiger Mann, ohne nennenswert starke Fähigkeit, die mir in diesem Moment auch nur irgendwie helfen könnte.
Aber, um fair zu sein, mein Dämon hat mich schon einmal überrascht. Es ist wahr, dass sie sich mit uns zusammen entwickeln und an unseren Erfahrungen wachsen, so wie wir selbst. Ich habe Josuke sein Potential entfalten sehen und ich habe sogar gesehen wie du deine Fähigkeit auf neue Dimensionen ausbreiten konntest.
Bei mir geschah es immer, wenn ich mich in Schwierigkeiten befand und ja, auch wenn mein Dämon immer noch nicht der Stärkste ist, so kann ich voller Stolz sagen, dass ich ohne ihn jetzt wohl nicht mehr am Leben wäre...

Er manifestierte sich neben mir, etwas was er vorher noch nicht konnte, als grüne Höllengestalt. Unter anderen Umständen hätte ich es mit der Angst zu tun bekommen, doch in dieser Sekunde, mit dem König ohnmächtig am Boden, einem Mörder auf freien Fuß und einem feindlichen Dämon, der immer näher kam, konnte mir sein Erscheinungsbild nicht egaler sein. ,,Soll ich mich darum kümmern, Meister?", fragte er beiläufig. Reden. Das konnte er zuvor auch nicht. Ich nickte benommen, auch wenn ich noch nicht wusste was er mit "kümmern" genau meinte. Dann aber sah ich es mit meinen eigenen Augen. Er legte seine unmenschlich grünen Handgelenke aufeinander und nahm die Katze ins Visier, fast als würde er mit etwas auf sie zielen. Dann ließ er seine Hände auseinander schnacken und ich hörte was geschehen war, bevor ich es sah - Als sei die Katze zur schwer für den Boden auf den wir liefen, ist sie in der Erde eingesunken, der Steinboden der sie umgab war gebrochen und eingesackt und sie selbst kam keinen Zentimeter vom Fleck. Ich war mehr als nur erleichtert, doch da wusste ich auch noch nicht was auf mich zukommen würde.
,,Was uns Dämonen passiert, stößt auch unseren Wirten zu", meinte mein Dämon, ohne den Blick von der Katze abzuwenden. Er musste den Satz nicht näher erleutern, damit ich verstand. Unser Mann musste gerade ziemlich eingeschränkt in einer Handlungsvollmacht sein und es würde nicht lange dauern, bis er hier aufgekreuzt wäre.

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