Höllenfeuer
Am nächsten Tag stand Josuke vor den ersten Sonnenstrahlen auf, weil er Frühdienst hatte. Also brachte er die Zeit von vier bis Sechs Uhr damit zu die Tiere zu füttern und auf den Feldern zu sähen.
,,Na, auch schon auf den Beinen? Hattest du nicht letzte Woche erst Frühdienst? Ah, lass mich raten, du hast wieder Mist gebaut und als Strafe lässt Tomoko dich ackern?"
Josuke drehte sich zu der Stimme um und sah seinen Nachbarn hinter sich im Maisfeld stehen. ,,So in Etwa kann man es wohl ausdrücken. Teile mir jetzt ihre Woche mit meinem Opa, weil wir ihr einen Schrecken eingejagt haben. Vermutlich hat sie nur keine Lust es selbst zu machen."
,,Tja, Weiber halt. Apropros Weiber, ich hab zuhause ein kleines Problem. Meine Frau ist über Nacht erkrankt und als ich dich hier draußen gesehen habe, fiel mir ein wie gut du in Kräuterkunde bist. Ich weiß, wir haben alle viel zu tun, aber könntest du ihr irgendwas zusammenmixen? Ich habe kein Geld, aber ähm, wenn du mir nur etwas Zeit gibst... nächste Woche ist Wochenmarkt und dann kommt das Geld rein, also..."
Josuke hob abwehrend seine Sichel. ,,Lass Mal stecken. Solange ich weg von der Knochen Arbeit hier komme tue ich alles. Was für Symptome hat sie denn?"
Sein Nachbar kratzte sich an seinem kurzen Stoppelbart und dachte nach. ,,Nichts wildes, eigentlich, nur Husten und ein wenig Fieber."
,,Sag Mal... war sie in letzter Zeit Mal in der Stadt?"
Josuke sprach seinen Verdacht nicht laut aus, aber worauf er hinaus wollte war auch so mehr als nur offensichtlich. Sein Nachbar schüttelte den Kopf. ,,Nein nein und wie die Pest scheint mir das nicht. Sie hat nicht Mal eine einzige Beule."
Trotzdem, Josuke band sich lieber eines der Leinentücher seiner Mutter über Mund und Nase, bevor er mit dem Korb voller Kräuter zum Haus seiner Nachbarn ging. Die Frau lag im Bett und war recht blass im Gesicht. Josuke fühlte ihre Temperatur und schaute ihr in den Rachen. Es schien tatsächlich bloß eine einfache Grippe zu sein. Gut, auch die konnte tötlich enden, aber das wusste er zu verhindern.
Josuke machte sich an das Schnippeln der Kräuter, bemerkte dann allerdings rasch seinen Fehler. ,,Ich brauche noch Wasser vom Brunnen. Gebt mir fünf Minuten!", rief er dem Mann zu und lief dann von dem Haus in die Mitte des Dorfes, wo ihre Grundwasserquelle stand - Ihr heiliger Brunnen.
Josuke lies den Eimer an der Kurbel hinunter und zog ihn erst wieder hoch, als er ganz voll war.
Allerdings hatte er da schon so ein komisches Gefühl. Es stank nach Metall und Verwesung, alles andere als angenehm.
Und als er den Eimer oben hatte, erschrak er so sehr, dass er selbst fast über den Rand des Brunnens gestürzt wäre.
Sein Gesicht spiegelte sich in einer Scharlachroten Oberfläche.
Mit dem Eimer als Beweis lief er zurück zu den Haus seiner Nachbarn und stampfte die Kräuter zu einer Salbe zusammen. Eigentlich hielt er ja mehr von Schluck Medizin, aber was sollte er machen? Gedanklich abwesend gab er seinem Nachbarn die Salbe, der sich sofort daran machte sie auf Brust und Hals seiner Frau zu verteilen. Josuke starrte derweil bloß auf seine rote Reflektion in der Obefläche des Eimers und überlege was er jetzt tun sollte. ,,Draufstarren hilft nix, Junge. Wir müssen dem Dorfvorstand bescheid geben, dass unser Wasser verseucht wurde und ein paar Männer los schicken um Wasservorräte vom Fluss herzuschleppen. Also nenn mich verrückt, aber für blutiges Wasser habe ich keine natürliche Erklärung", rief sein Nachbar, doch Josuke winkte ab. Er hatte genug hexenstuss über Dämonen und Geister in den letzten Tagen gehört. Jetzt wollte er nur noch damit verschont werden!
,,Die Salbe braucht etwas länger zu wirken als die Tinkturen, aber in einer halben Stunde sollte sie wieder auf den Beinen sein. Ich gehe dem Dorfvorstand bescheid sagen!"
,,Was? Jaja, danke, JoJo. Und vergiss den Bluteimer nicht, sonst glauben die dir das nie!"
Josuke nickte und griff nach dem hölzernen Gefäss. Damit und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, machte er sich auf den Weg zum Dorfvorstand.
Noch am selben Tag war das ganze Dorf alamiert. Wasser Eimer wurden vom See auf das Maisfeld geschleppt und dort zur öffentlichen Verfügung gelassen. Es war müheselig und ganz sicher keine Dauerlösung. Wie konnte das Wasser überhauptet so verpestete werden? Gerüchte und Theorien gingen hausieren und Josuke hatte nicht den Nerv sich auch nur eine dieser Theorien anzuhören. Bis auf Gottes Rache käme da doch eh nichts.
Im Moment sah er nur eine Lösung und Himmel noch eins, hätte man ihn gestern gesagt, dass er heute schon wieder zum Schloss reisen würde, hätte er vermutlich geweint. Dabei wollte er seinem Neffen nach dem ganzen Dämonengefasel erst Mal aus dem weg gehen, aber was hatte er schon für eine Wahl?
Er versuchte heimlich mit dem Pferd wegzukommen, aber die Stute war kaum gesattelt, da versperrte seine Mutter die Tür zum Stall.
,,Nein." Sagte sie nur.
,,Ist es dir lieber zu verdursten? Das Flusswasser ist wohl kaum eine Dauerlösung. Wenn er im Winter zufriert..."
Josuke beendete den Satz nicht und führte das Pferd aus dem Stall. Tomoko machte nur widerwillig Platz. ,,Bis zum Winter dauert es noch und bei all den Leichen in der Stadt die komisch entsorgt werden, kann es vielleicht schon Mal passieren, dass unser Wasser vollgeblutet wird. Das vergeht wieder, also-"
,,Mom, bitte, fang du nicht auch noch mit irgendwelchen wilden Theorien an! Ich reite in die Stadt, ich werde nicht sterben und ich komme mit einer Lösung wieder. Wartet nicht mit dem Essen auf mich!"
Damit stieg er auf und ignorierte weitere Proteste. Wenn sie diese Diskussion noch einmal führen würden, würde einer von ihnen noch die ersten grauen Haare kriegen.
Als er angefangen hatte seine Maske zu tragen, war es sehr einengent und verwirrend gewesen. Das gefilterte atmen und die begrenzte Sicht machten ihm zu Beginn zu schaffen. Mittlerweile fühlte es sich eher komisch an, wenn er einen Tag verstreichen lies ohne sie getragen zu haben.
Wollte er zum Schloss kommen ohne alle paar Minuten als Pestdoktor identifiziert und zu einer kranken Person gezerrt zu werde, hätte er die Maske wohl ablassen sollen.
Andererseits war die Stadt eine luftverpestete Todesfalle und er wollte nicht als "seucheneindämmende Maßnahme" lebendig verbrannt werden und durch die Flammen das Ich-habs-dir-ja-gesagt-Gesicht seiner Mutter sehen.
Also setzte er die Maske auf und trug Scheuklappen, wie sie wohl eher sein Pferd gebraucht hätte, als diese Ratte an ihrem Bein vorbei flitzte. Die Stute scheute und Josuke musste sich gut festhalten, um nicht abgeworfen zu werden. Mit der beruhigendsten Pferdeflüsterer Stimme die er bei seiner momentanten Gefühlslage aufbringen konnte, beruhigte er das Tier und strich ihr vorsichtig durch die Mähne, bis sie ruhig auf dem Asphalt stehen blieb. ,,Ich weiß, ich kann die Drecksviecher auch nicht ausstehen. Aber wenn du mir einfach Berserk gehst, weil dir eine Ratte in den Weg springt, dann werden wir zukünftigt ein ernstes Problem haben!"
Ach was war nur in den letzten Tagen passiert, dass er hier in aller Öffentlichkeit stehen blieb und auf sein Pferd einredete? Sie brauchten eine Pause, alle Beide. ,,Also schön, ich sag dir was. Ich bringe dich zum Stallburschen, laufe den Rest zu Fuß und hole dich nachher wieder ab. Na, wie klingt das? Klingt das gut? Ja, das klingt gut, ich weiß." Grinsend zog er die Zügel an und ritt die letzten Meter zum Stall. Der Stallbursche kannte ihn und wusste was zu tun war. Josuke hatte kaum genug Geld für ein paar Stunden hingelegt, da war sein Pferd schon entsattelt, in eine Box gebracht und mit Futter versorgt worden. ,,Keine Sorge, Doc. Ich passe auf, dass ihr nichts passiert!", rief der Stallbursche grinsend, wobei sein sommersprossiges Gesicht seine Zahnlücke im Obergebiss freigab. Er konnte nicht älter als 13 sein, aber rote Haare, Sommersprossen und ein Muttermal auf der Wange hatten ihn als schlechtes Omen markiert in die Gosse getrieben. Hätte der Stallbesitzer ihn nicht eingestellt, wäre er wohl längst tot, wie Josuke mit einem schweren Gefühl im Margen feststellte. ,,Danke, Jimmy. Hast was gut bei mir. Hey, wie wäre es mit Medizin, damit dir dein Zahn nachwächst und diese hässliche Lücke endlich verschwindet?", neckte er den Kleineren mit Absicht provokant. Der Kerl ist in der Gosse groß geworden, der konnte was weg stecken. ,,Nur weilse gut zahlen, müssense nicht frech werden, Doc. Aber ja, etwas Mund Pflege täte mir ganz gut. Ey, versprechen Sie es?"
,,Die Medizin? Ja. Dass sie stark genug sein wird um deine Hackfresse zu richten? Ich bin Doktor, kein Zauberer!"
Und ehe das Hufeisen ihn treffen konnte, dass just in diesem Moment nach ihm geworfen wurde, stürmte Josuke lieber aus dem Stall. ,,Ich komme heute Abend wieder. Mit der Medizin!"
,,Ich nehmse beim Wort!", schrie Jimmy dem fliehenden Doktor nach, ehe er einsah, dass Josuke sich außerhalb seiner Wurfreichweite befand. Grinsend lies er das Hufeisen sinken und ging zurück in den warmen Stall.
,,Euer Brunnen ist verseucht?"
,,Ja, mit Blut. Also sei ein guter Neffe und König und tu was! Ein Bauerndorf ohne Brunnen ist wie ein Körper ohne Herz o-oder wie ein Engel ohne Flügel. Wie ein Diamant der nicht geschliffen wurde. Wie... wie... argh!"
Wenn er nicht immer so lange für seine Frisur brauchen würde, hätte Josuke sich die Haare längst gerauft, um seinen Frust irgendwie filtern zu können. An so übernatürlichen Quatsch glaubte er zwar nicht, aber langsam fürchtete er wirklich verflucht worden zu sein! Jotaro legte seine Papiere weg und seufzte. ,,Bevor du dir weiter die Zunge an hinkenden Vergleichen verknotest, sollten wir rational an die Sache ran gehen. Fakt ist, eine Wasserquelle wird nicht einfach so zu Blut, jedenfalls nicht, wenn kein Dämon im Spiel war", erklärte Jotaro ruhig, auch wenn er bereits ahnte auf taube Ohren zu stoßen. ,,DAS nennst du rational?! Es. Gibt. Keine. Dämonen! Hör zu, ich weiß nicht welche Art von Syphilies du dir eingefangen hast, um an solchen Wahnvorstellungen zu leiden, aber andererseits ist es ja auch kein Wunder, dass du komplett durchdrehst. Tuen das nicht alle Prinzen, die als Kind zu Königen werden und die Verantwortung für ein ganzes Königreich kriegen mit den hilfreichen Worten 'Hier, mach Mal'? Und noch was-"
---
,,-ich lasse mich sicherlich nicht von dir belehren nur weil du- Was zum...?" Josuke setzte seinem Schimpffluss ein Ende und starrte ensetzt auf Jotaros Schreibtisch. Gerade eben hatte der König dort noch gesessen, doch in einem einzelnen Wimperschlag war er verschwunden.
,,Dir das zu erklären wäre sehr Zeitaufwendig. Nicht, dass Zeit mir zu schaffen machen würde, aber bitte stell einfach keine Fragen. Erklär mir einfach nur mit deiner versteift 'realistischen' Logik, wie ich das gemacht habe..."
Die Stimme kam von hinter ihm. Vorsichtig drehte er sich um und stand seinem Neffen genau gegenüber. ,,Ich habe dafür keine Erklärung, außer dass ich total übermüdet bin... ich sollte nachhause. Könntest du morgen vorbei kommen und dir das anschauen oder wenigstens jemanden schicken?"
,,Ja, natürlich. Ich sage Koichi, dass er die Kutsche fertig machen sollte", meinte Jotaro ruhig, eine Hand schon an der Klinke, aber Josuke winkte ab. ,,Ich bin mit dem Pferd hier. Sollte sie langsam abholen, sonst krieg ich Ärger mit Jimmy. Wir sehen uns."
Als Josuke das Schloss verlassen hatte, sammelte er die Kräuter für Jimmys Medizin und machte sich so auf den Weg zurück zum Stall.
,,Oi Jimmy, sorry, hab mich ein wenig verquatscht!"
Keine Antwort. Schlief der Knabe schon?
,,Hey, Jimmy!"
Es ratschte und eine Sekunde später erhellte das kleine Licht eines Schwefelhölzchens den Stall. Die Person, die das Hölzchen hielt zündete eine Kerze an, so dass Josuke nun endlich etwas sehen konnte, doch eine Sekunde später wünschte er er könnte das Bild dass sich ihm bot wieder ungesehen machen.
,,Weißt du wieso ich Schwefelhölzchen so mag?", fragte der Mann, der ihm gegenüber stand mit einem hässlichen Grinsen. Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. ,,Als ich noch klein war, hörte ich das Märchen von dem kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzchen. Ihr böser Vater zwang das unschuldige Ding in eisiger Kälte Schwefelhölzchen zu verkaufen und am Ende erfriert sie im Schnee, nachdem sie noch versucht hatte sich mit den Hölzchen zu wärmen. Verstehst du, Kleiner? In diesem Märchen gibt es keinen Kuss der wahren Liebe oder das Siegen der Guten. Das kleine Mädchen war nicht böse und doch krepierte sie, grausam wie das echte Leben. Genau mein Humor."
Der Unbekannte schwang die Kerze mehr auf das was Josuke vorher nur im Schummerlicht gesehen hatte und nicht wahr haben wollte, doch jetzt wo dieser Psycho noch extra drauf leuchtete, musste er der Wahrheit ins Gesicht schauen.
Zu hoffen dass Jimmy einen schmerzlosen Tod hatte, wäre naiv gewesen. Sein sommersprossiges Gesicht war starr vor Angst und Verzweiflung, sein Körper war unnatürlich verrengt und es sah aus, als ob sein Peiniger ihm den Bauch aufgeschnitten und in seinen Organgen gewühlt hätte. Josuke spürte wie ihm übel wurde.
,,Der Kleine war bloß ein Vorgeschmack auf den echten Spaß, wenn du verstehst. Higashikata, richtig? Dürfte ich auch deinen Vornamen erfahren?"
Der Kerl kam auf ihn zu. Josuke wich zurück. ,,Jimmy war jung und unschuldig. Wie kannst du es wagen?!"
,,Was glaubst du wieso ich dir das Märchen von dem kleinen Mädchen erzählt habe? Gott ist es egal, ob du gut oder böse, jung oder alt bist. 'Vor Gott sind alle gleich' ist nicht zwingend positiv. Und Mal abgesehen davon macht eine Ratte mehr oder weniger auch keinen Unterschied. Dein Name!"
Er stieß mit den Rücken an die Stalltür und tastete nach dem Griff. ,,Wer will das wissen?!"
Er grinste. ,,Angelo."
Was fragte er eigentlich? Ihm war unterbewusst schon klar wen er da vor sich hatte, als er Jimmys Leiche gesehen hatte. ,,Kriege ich jetzt auch deinen Namen, Junge? Immerhin werde ich dich nachhause bringen. Oder willst du den ganzen Weg zu Fuß gehen, jetzt da ich ein wenig mit deinem Pferd gespielt habe?"
Angelo öffnete die Tür zur Box und die verrenkten Pferdebeine die Josuke sehen konnte, reichten ihm schon. Gleich würde er sich übergeben.
,,Josuke", sagte er, nach dem er sich wieder sicher war seiner Stimme vertrauen zu können, ,,ich heiße Josuke. Merk dir den Namen gut, denn ich werde derjenige sein, der dich auf direkten Weg zurück in die Hölle schickt!"
,,Große Worte. Vielleicht wäre es dann ja besser, wenn ich doch zuerst zur Hölle schicke!" Der Massenmörder riss ein Lederzügel von einen der Haken, stürmte auf Josuke zu und legte die Zügel um den Hals des Jungen. Er zog zu und der Türgriff entglitt Josuke. Als wäre das nicht schlimm genug, riss der Mörder ihm die Rabenmaske vom Gesicht, schleuderte sie in die Ecke und starrte ihm direkt in die Augen, als könnte er es kaum erwarten zu sehen, wie das Leben aus ihnen erlischen würde. Statt ihm den Gefallen zu tun, griff er nun nach den Lederriemen an seinem Hals und versuchte röchelnd für Platz zu sorgen. Die eine Hand hielt die Zügel davon ab ihn zu strangulieren, mit der anderen langte er nach Angelo und drückte dem Typen im verzweifelten Rettungsversuch Zeige- und Mittelfinger in die Augen. Angelo schrie auf und stolperte zurück, wobei er auch endlich die Zügel los lies. Erleichtert schnappte Josuke nach Luft, strampelte die Zügel von sich und stürmte aus dem Stall hinaus an die frische Luft.
Sein Pferd war tot und ohne seine Maske würden die Wachen ihn nicht ins Schloss lassen, weil sie ihn nicht erkennen würden.
Also blieb ihn nur noch die Option zu rennen und zu beten, dass dieser Psycho ihn nicht einholte. Er merkte kaum noch wie seine nackten Füße den Boden berührten, so schnell rannte er.
Erst nachdem er sich einem Vorsprung erlangt hatte erlaubte er sich kurz zu registrieren was gerade geschehen war. Jimmy, der nervige, kleine, gute Jimmy. Er hatte nie etwas böses getan und doch musste er ausgerechnet Angelo in die Hände fallen. Und warum? Nur weil Josuke keine lust gehabt hatte die letzten paar Meter mit einem bockenden Gaul zu beschreiten. Hätte er sie einfach mit zum Schluss genommen, dann wäre Jimmy vielleicht noch am Leben!
Aber Josuke hatte keine Zeit sich weiter vorwürfe zu machen. Als er aus einer Seitengasse auf die Hauptstraße stürzte, zwang er damit einen Pferdekarren zum anhalten. Das auftürmende Pferd hätte ihn zertrampelt, wenn er nicht gerade noch aus dem Weg gesprungen wäre.
Auf dem Bock des Karrens saß ein Mann im langen, schwarzen Kittel, mit einer schwarzen Rabenmaske, die der von Josuke so ähnlich war. Kein Arzt, nein, sondern ein Totengräber. Er hatte tote Pestopfer hinten auf dem Karren und brachte sie zur Pestgrube außerhalb der Stadt. Von dort aus wäre es sicher ein leichtes Angelo zu entkommen.
,,Ok, ich habe nicht viel Zeit, aber eine menge Münzen. Nimm mich mit, egal wohin du fährst! Wenn du zur Pestgrube fährst helfe ich dir sogar beim verbuddeln, aber bitte bring mich weg!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, schwang er sich neben den Totengräber auf den Bock und warf ich ein Münzensack in dem Schoß. Wenn er weiter so spendabel wäre, würde es zum Monatsende wohl noch düster werden, aber in dem Moment ging es ihm sowieso eher darum das Monatsende überhaupt noch zu erleben.
Der Totengräber packte das Säckchen stumm ein und fuhr los. Er redete nicht, kein einziges Wort. Vielleicht war er stumm? Ein Mönch mit Schweigegelüpte? Oder er achtete einfach sehr penibel auf dir geheimhaltung seiner Identität.
Er wusste nicht genau wann und wieso, aber irgendwann musste er eingeschlafen sein. Es waren anstrengend, aufwühlender Tage gewesen und er war gerade noch um sein Leben gerannt, also hatte er wohl das Recht dazu einzuschlafen.
Als er wach wurde, lehnte er mit der Stirn seltsam verrenkt an der Kante des Karrens und das Feld auf dem sie halt gemacht hatten, war bereits in die Dunkelheit der Nacht getaucht. Der Totengräber tauchte neben dem Karren auf und jetzt sah Josuke, dass die Ladefläche, die auf der Hinfahrt noch voller Leichen war, nun frei war. Seine Arbeit war getan. Was bedeutet, dass sich hier in der Nähe eine Pestgrube befinden musste und bei dem Gedanken stellten sich ihm die Nackenhaare auf.
,,Wo wohnst du?", fragte der Totengräber. Josuke erschrak. ,,Du sprichst?"
,,Offensichtlich. Es ist dunkel und gefährlich und bei dem Trinkgeld dass du gegeben hast, ist es ehrensache dich heile nachhause zu bringen, also wo wohnst du?"
Ein kleiner, rational denkender Teil in Josule schrie, dass er diesem Fremden nicht zeigen sollte wo er wohnte. Ein viel lauterer Teil in ihm schrie aber: "Josuke, du bist mitten in der Pampa, Gott weiß wo genau, hast keine Ahnung wo du hinmusst, es ist tiefste Nacht und ein irrer Massenmörder ist dir auf den Versen!"
,,Kennen Sie das Bauerndorf Morioh?"
Der Totengräber nickte.
,,Bringen Sie mich dahin, bitte."
Normalerweise lag Morioh zu dieser Zeit ruhig und dunkle da, so dass man es erst vom Nahen sehen konnte, doch jetzt sah das etwas anders aus. Morioh war hell erleuchtet von etwas, was Josuke beim näher kommen erschrocken als Feuer identifizierte. Jemand schrie und die Bauern liefen mit Leinentüchern über Mund und Nase wild von A nach B. ,,Nein nein nein, bitte nicht!", flehte er. Kaum war der Karren zum stehen gekommen, sprang er vom Bock und versuchte einen seiner beschäftigten Nachbarn zum anhalten zu bewegen.
,,Josuke", rief einer von ihnen erfreut, wurde dann aber schlagartig ernst. ,,Junge, wo warst du?! Hier ist die Hölle ausgebrochen! Wir haben verzweifelt nach dir gesucht! Deine Mutter ist los gegangen um dich zu holen!"
,,Sie ist WAS?!", schrie Josuke, hysterischer als geplant. Sein Nachbar amtwortete nicht, denn er hat den Totengräber entdeckt. ,,Sie schickt der Himmel, Sir! Bei uns ist die Seuche ausgebrochen und wir kommen mit dem bestatten der Leichen nicht hinterher! Bitte, helfen Sie uns!"
Der Totengräber antwortet nicht und griff einfach stumm nach großen Leinentüchern und Seilen, die hinten auf der Ladefläche lagen. Damit bewaffnet lies er sich ins Chaos reißen und war bald in einem der Häuser verschwunden.
Josuke aber blieb vor einem Haus stehen, das in Flammen stand. Die Tür war zugenagelt und mit einer Pestwarnung beschmiert worden. Das war sein Haus.
Wutenrbrannt packte er seinen Nachbarn am Arm und zerrte ihn vor das lodernd brennende Haus.
,,Wer ist da drin?!"
,,Hör zu, JoJo-"
,,In diesem Haus wohnen drei Menschen. Ich, meine Mutter und Grandpa! Mama und ich sind nicht zuhause. Sag mir, dass ihr mein Haus angesteckt habt, nur weil mein Opa sich infiziert hat und ich bringe dich um!" Er meinte jedes Wort davon ernst. Josuke hatte nie auch nur einen Gedanken an Mord verschwendet, aber er war so wütend und verzweifelt, dass er das Gefühl hatte mit den bloßen Händen morden zu können.
,,Er war einer der ersten die sich infiziert haben und er flehte uns an ihn in Quarantäne zu stecken, aber das mit dem Feuer waren wir nicht! Wir sind doch keine Babaren!", rief sein Nachbar über das toben des Feuers hinweg, ,,Die Brände fingen vor einer halben Stunde an und wir kommen mit dem löschen nicht- JUNGE, WAS TUST DU DA?!"
Josuke riss die Bretter von der Tür weg und befreite sich aus dem Griff seines Nachbarn, der versuchte ihn aufzuhalten. Allerdings wurden nun auch andere auf sie aufmerksam und ehe der Junge sich versah, zerrten mehrer Paar Hände ihn weg von der brennenden Hütte, die Mal sein Zuhause war. Sie brannte mit seinem Großvater nieder und niemanden hier schien das zu stören. ,,Sei nicht dumm, Mann! Wenn er nicht mittlerweile an der Pest gestorben ist, ist er längst erstickt. Du tust ihm keinen Gefallen, wenn du auch noch drauf gehst. Denk an deine Mutter!"
Da lies er endlich locker und spürte erleichtert, wie auch die Hände von ihm abliesen. Aber die Blicke blieben. Sie schauten bemitleidend und allein das trieb ihn in den Wahnsinn!
,,Mom... wo ist sie hingegangen? Wollte sie in die Stadt? Komm, jetzt sag schon!"
,,Josuke, kannst du infizierte Menschen heilen, so wie du meine Frau heute morgen geheilt hast? Denn wenn ja, brauchen wir dich jetzt hier!", rief der Nachbar, dem er am Morgen auf dem Feld getroffen hatte. Er atmete schwer und sah ein, dass es egoistisch wäre jetzt zu gehen, wo er so viele retten könnte. Aber sein Opa war tot und seine Mutter würde es auch bald sein, wenn sie sich in der Stadt ansteckte. Doch wo sollte er sie schon suchen? Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu helfen und zu hoffen, dass seine Mom von alleine wieder kommen würde.
Als die Brände gebändigt und die Leichen unter der Erde waren (jedenfalls die um die sich nicht das Feuer gekümmert hatte), war die Sonne bereits am Horizont wieder aufgegangen. Der Totengräber, der in Morioh geholfen hatte, verschwand vor seiner Entlohnung. Das waren arme Bauern, deren Felder gerade von Häusern überschlagenden Bränden vernichtet wurden. Sie standen einer Existenzkrise gegenüber und er würde ihnen nicht auch noch das letzte Hemd nehmen. Selbst die Goldtaler, die der Junge mit der seltsamen Frisur ihn in der Stadt gegeben hat, hat er ihnen in der Dorfmitte liegen gelassen und ist gegangen.
Den Karren stellte er in einem Hof ab, wo er auch die Pferde festband und entsattelte. Dann ging er in eines der Backsteinhäuser, das zwischen zwei anderen Häusern eingequetscht war und schon ziemlich heruntergekommen aussah.
,,Na sieh Mal einer an, wer hat sich denn da entschieden Mal wieder zuhause aufzukreuzen? So dämlich wie du bist dachte ich schon du seist in eine Pestgrube gefallen."
,,Es kam was dazwischen. Ein Bauerndorf wurde befallen."
Der Teller der geworfen wurde verfehlte den Totengräber nur knapp und zerbastet hinter ihm an der Wand, aber er zuckte nicht Mal. ,,Das ist Mutters gutes Geschirr. Wieso bewirfst du mich immer mit ihrem Geschirr, wenn ich dich wütend mache? Ist überhaupt noch was übrig?"
,,Jetzt komm mir nicht so! Wir schauen jeden Morgen welche Brennpunkte gesäubert werden müssen und erstellen dir daran eine feste Route. Du kannst nicht davon abweichen wie es dir passt! Haben die dich wenigstens gut berzahlt?"
Er zögerte kurz, entschied sich dann aber für die Wahrheit. Was brachte es zu lügen? ,,Sie waren bloß Bauern und ihr Dorf wurde zerstört. Ich habe nicht mit ihnen abgerechnet."
Der nächste Teller flog und zerschlug an der Wand. Eine der Porzellan Scherben wurde von der Wucht zurückgeschleudert und hätte ihm ins Gesicht geschnitten, wenn er nicht noch die Maske aufhätte. Der Mann ihm gegenüber seufzte genervt. ,,Du bist wirklich noch dümmer als ich dachte! Das ist das Bauerndorf, das Angelo angegriffen hat und du hilfst ihnen auch noch? Du gehst gleich nicht in die Schule! Leg dich Schlafen und mach dich bereit für die Arbeit. Heute will ich dich nicht mehr sehen."
,,Gleichfalls", murrte der Totengräber und verlies das Zimmer.
Dieser Junge, den er mitgenommen hatte, war das Higashikatas Enkel? Dann hatte er Angelo wohl einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Tja, egal, er konnte diesen perversen Psychopathen eh noch nie leiden.
------------------
Das Schwefelhölzchen Märchen ist übrigens nicht aus dem Mittelalter. 18te oder 19te Jahrhundert, meine ich. Yolo.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top