Fremdgesteuert

Die Prophezeihung über diesen Fluch, die Ryoko gemacht hat, hatte Josuke längst verdrängt. Er war erschöpft von der Aufregung der letzten Tage und hatte einfach vor bis zu Kakyoin und Josephs Ankunft durchzuschlafen. Selbst seine Motivation als Pestdoktor zu arbeiten und zur Schule zu gehen ging mittlerweile gegen Null, er wollte einfach nur Schlafen und alles vergessen.

In seinen Träumen war allerdings nur Feuer. Er stand wieder vor seiner längst zerstörten Hütte in Morioh und sah zu wie sie in den Flammen aufging. Als er dieses Mal losstürmte um die Bretter abzureißen und die Tür einzutreten, hielt ihn niemand auf. Statt im Hausinneren, fand er sich allerdings auf einem weiten Feld, umgeben von Menschen, die alle samt verängstigt oder gar verabscheuend auf ihn nieder sahen.
,,Der Angeklagte wird der Hexerei als schuldig befunden", rief jemand hinter ihm, doch er schaffte es nicht sich umzudrehen. Keiner seiner Muskeln wollte auf ihn hören, als wäre er fremdgesteuert.
Im Augenwinkel sah noch die Fackel, ehe die Welt um ihn herum in Flammen aufging. Durch die brodelnde Feuerwand sah er wie seine Mutter sich in der Menschenmenge durchkämpfe und ihn vielsagend ansah. Ihr berühmter Ich-hab's-dir-doch-gesagt-Blick.

Mit einen Mal wurde er aus den Traum raus gerissen, ab in den Nächsten. Ein Blick an sich herab verriet ihm, dass er seine Arbeitskleidung trug. Er befand sich in einer dreckigen Seitengasse und ihm gegenüber stand ein Junge von vielleicht 12 Jahren, den er aus der Schule kannte.
Dann bemerkte er, dass seine Hand eine Sichel fest umklammert hielt, eine ähnliche Sichel wie er sie in Morioh immer für die Ernten gebraucht hatte.
,,Oh, guten Abend Doktor!", rief der Junge und hob grinsend die Hand. Auch Josuke musste grinsen, obgleich man es unter seiner Maske nicht sah. Menschen mieden Pestdoktoren meistens, wenn sie nicht gerade an der Pest erkrankt waren. Sie hatten Angst vor ihm und hielten ihn für ein schlechtes Omen. Kinder hingegen, die waren zu naiv um ihn irgendwas böses anzudichten.
Die perfekte Grundlage um diesen Mistkerl zu geben was er verdient.
Josuke war kurz überrascht über diesen Gedanken. Der Junge hatte ihm nichts getan!
Da bewegte sein Körper sich erneut von alleine und er stürmte auf den Jungen zu, dem kaum Zeit blieb zu schreien, ehe Josuke ihn am Hals gepackt gegen die Steinwand presste und mit der Sichel in das rechte Auge seines Mitschülers hackte. Der Junge schrie und dem Pestdoktor wurde kotzübel, doch seine Hand hörte nicht auf zu ziehen, bis er den aufgespießten Augapfel rausgezogen hatte. Sichel und Kind lies er fallen, eher er aus der Gasse stürmte.

Josuke erwachte Schweißgebadet in seinem Zimmer und stellte schnell fest, dass er auf dem Fußboden neben dem Bett lag. Normalerweise würden die Erinnerungen an seine Träume wenige Sekunden nach dem Erwachen erblassen, doch diesesmal behielt er jedes Detail bei sich. Dabei war es nicht Mal das Feuer, das ihn so verstörte, sondern die Schreie seines Mitschülers, dem er im Traum das Auge ausgerissen hatte.
Danach hat er ihn mit der offenen Wunde im Dreck liegen lassen. Wäre das nicht nur ein Traum sondern die Realität, würde er vermutlich langsam an einer Infektion sterben.

,,Oi... hast du auch so schlecht geschlafen wie ich?"
Josuke sah auf. Die Tür zu seinem Zimmer stand offen und Okuyasu stand im Türrahmen. ,,Verzeih, ich weiß ich bin heute früh dran, aber ich bin seit halb vier wach. Ich habe die ganze Nacht von Feuer geträumt und so einen Scheiß."
,,Geht mir auch so", erwiderte Josuke trocken, das Detail über den einäugigen Jungen lies er allerdings aus ,,glaubst du das ist der Fluch vor den Ryoko uns gewarnt hat?"
,,Keine Ahnung. Nachdem dein Dorf niedergebrannt und mein Bruder vor unseren Augen im Feuer gestorben ist, könnte es aber auch ein Zufall sein. Du solltest dich anziehen oder wir kommen zu spät."
Okuyasu verschwand ohne ein weiters Wort und Josuke machte sich fertig. Das mulmige Gefühl der Vorahnung aber blieb in seinem Bauch bestehen.

In der Schule war Okuyasu dann so gereizt von der schlaflosen Nacht, dass er sich glatt mit zwei elfjährigen Jungs anlegte, die auf ihren Plätzen saßen. Nachdem Okuyasu und Josuke sich angefreundet hatten, mussten sie Josukes Sitznachbarn bestechen Plätze mit Okuyasu zu tauschen, damit sie zusammen sitzen konnten. So konnten sie diesen Platzdiebstahl nicht auf sich sitzen lassen!
Gerade als Okuyasu seinen 1,49 Meter großen Mitschüler am Kragen packte, unterbrach sie das Krachen eines Zeigestocks auf Holz. Ihr Lehrer war da und verprügelte Mal wieder sein Pult mit seinen Zeigestock, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.
,,Okuyasu, Josuke, setzt euch sofort hin! Wir wollen anfangen!"
,,Das versuchen wir ja, aber diese Pimpfe sitzen auf unseren Plätzen!", schrie Okuyasu und rüttelte dabei seinen Klassenkamerad einmal gut durch, der mit seinen kurzen Beinen vergeblich versuchte nach seinem Angreifer zu treten.
,,Mann, beruhig dich! Wir wussten nicht, dass das eure Plätze sind! Andy und Finn sind heute nicht zum Unterricht erschienen, also wollten wir uns auf ihre Plätze setzen! Wir haben uns nur in der Reihe vertan!"
,,Oh, ja, das stimmt. Andy und Finn sitzen normalerweise vor uns", murmelte Okuyasu, jetzt schon eher kleinlaut, und lies den Jungen los. ,,Na schön, dann will ich Mal nicht so sein, aber beim nächsten Mal gibt es ein Veilchen aufs Auge, verstanden?!"
,,Ein Veilchen? Mensch, Okuyasu, Finn wäre froh, wenn er nur ein Veilchen am Auge hätte. Seine Mutter sagt, dass er nicht zur Schule gekommen ist, weil ihm ein Auge ausgestochen wurde, von einem Mann in Pestarzt Verkleidung", rief der eine Junge.
,,Ja, und jetzt kämpft er wohl mit einer Infektion um sein Leben. Der ist hin, das sage ich dir", ergänzte der Andere. Okuyasu öffnete den Mund zu einem stummen "Oh", während Josuke spürte wie ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Vor seinem geistigen Auge sah er erneut in Finns vor Panik verzerrten Gesicht, eine Sekunde später das selbe Gesicht, doch blutüberströmt und nur noch mit einem Augen. Wie war das möglich?

,,So, ich sage das jetzt nur noch einmal und danach gibt es eine Tracht Prügel! Hinsetzen! Alle! Nur du nicht, Josuke. Teil' die Schiefertafeln aus! Na wird's bald?"
Josuke horchte auf und wartete kurz, bis er sicher war, dass er seinen Beinen wieder trauen konnte. Dann ging er zu den Schrank mit den Schulmaterialien und holte den Stapel mit den Schiefertafeln hervor. Als er durch die Reihen ging und die Tafeln verteilte, merkte er, dass er bei jeder Bewegung die er tat aufs genauste beobachtet wurde und zwar weder von Okuyasu, noch von seinem Lehrer.
Als er in der letzten Reihe angekommen war und die übrigen fünf Tafeln verteilen wollte, stolperte er praktisch über nichts, wie auch immer das passieren konnte.
Josuke stürzte, die Tafeln entglitten ihm und kamen scheppernd auf. Er musste nicht Mal aufsehen um zu wissen, dass alle ihn anstarrten.
Stattdessen sah er fassungslos auf die zerbrochenen Schiefertafeln und fragte sich, was nur sein Problem mit den Teilen war.
,,Mein Gott, kannst du denn nicht besser aufpassen? Hast du eine Ahnung wie teuer diese Tafeln sind? Los, feg die Scherben auf! Kinder, ich hole eben Ersatztafeln aus dem Nebenzimmer. Wehe, wenn ich wieder komme und hier ist wieder so ein Krach!", rief ihr Lehrer und verlies dann das Klassenzimmer. Kaum war er weg, redeten alle wild durcheinander und Okuyasu lief zu seinem Freund, um ihm beim Scherben aufsammeln zu helfen.
,,Hey, ist alles in Ordnung?", fragte er leise. Josuke nickte. ,,Muss, schätze ich. Die schlaflose Nacht hat mir echt zugesetzt. Hey, sag Mal, können wir nachher zu Finn? Wenn das mit der Infektion stimmt, würde ich ihm gerne heilen."

Okuyasu wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da erhob ein Junge aus der letzten Reihe sich, ging genau auf sie zu und kickte in den Scherbenhaufen, den die Beiden gerade erst zusammengerafft hatten. Sie sahen auf und blickten in ein höhnisch grinsendes Gesicht.
,,Oi, was soll der Mist? Ich wische den Boden gleich mit deinem Gesicht, Mal sehen ob du das dann immer noch so komisch findest, Hazamada!", rief Okuyasu und stand auf, die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Klassenkamerade wich zurück.
,,Beruhig dich Mal, ja? Ich wollte nur eben vorbei und der Scherbenhaufen lag nun Mal im Weg. Ist doch nicht meine Schuld, dass Josuke so ein Tollpatsch ist und außerdem habe ich euch über Finn reden hören. Bleibt mir bloß weg mit diesem Hundesohn!"
,,Hazamada, wie alt bist du noch Mal? Vierzehn? Fünfzehn?", mischte Josuke sich ein. Sein Mitschüler schnappte empört nach Luft.
,,Ich bin sechzehn!"
,,Ist ja noch schlimmer. Finn ist zwölf. Wie kannst du bitte mit einen zwölfjährigen Stress haben?"
Okuyasu nickte zustimmend. ,,Ja und außerdem kämpft Finn gerade um sein Leben. Egal wie viele Süßigkeiten er dir geklaut hat oder wie er bei Himmel und Hölle geschummelt hat, jetzt über ihn herzuziehen ist echt das letzte, du Giftzwerg!"

Hazamada lief rot an und sah in etwa so aus, als ob er gleich explodieren würde, doch ihr Lehrer rettete sie vor dieser Wutattacke.
,,Ich meine mich zu erinnern Josuke gebeten zu haben die Scherben aufzusammeln. Heißt ihr Beiden zufällig Josuke?", fragte er, nachdem er die Ersatztafeln in der letzten Reihe verteilt hatten. Okuyasu und Hazamada schüttelten die Köpfe. ,,Na dann abmarsch zurück auf eure Plätze! Josuke, schlaf' nicht ein. Wir wollen heute noch mit den Unterricht anfangen!"
Okuyasu und Hazamada stürmten zurück auf ihre Plätze und Josuke entsorgte die Scherben, ehe er sich neben Okuyasu setzte und versuchte den Unterricht zu folgen. Stattdessen sah er allerdings immer Mal wieder über die Schulter zu Hazamada und beschloss, dass der Kerl verdammt noch eins gruselig und verdächtig war. Irgendwas stimmte nicht mit dem!
Und dann war da auch noch die Sache mit Finn, die ihm keine Ruhe ließ. Irgendetwas war da im Gange. Schon wieder.

,,Weißt du, das letzte Mal, dass ich nach der Schule los gezogen bin, um einer vermeindlich kranken Person das Leben zu retten, bin ich dir in die Arme gelaufen. Man munkelte damals, dass Keicho und du mit der Pest infiziert wart."
Okuyasu musste grinsen und griff instinktiv nach Josukes Hand, weil er der Meinung war, dass gute Freunde so etwas tun durften. Sie waren auf den Weg zu Finns Haus, nachdem der Schultag ihnen nichts alls Ärger und Kopfschmerzen bereitet hatte.
,,Im nachhinein bin ich ganz froh, dass du aufgetaucht bist. Ok, ja, wir wollten uns gegenseitig umbringen und so, aber jetzt hab ich dich echt gern'. Lieber dich als Freund, als so einen Giftzwerg wie Hazamada!"
,,Das lässt dir wohl keine Ruhe, was?"
Okuyasu zögerte kurz und verstärkte den Griff um Josukes Hand. Er wagte es kaum ihn anzusehen. ,,Du hast schlecht geschlafen, es ging dir nicht gut und du hast nun Mal die Tafeln fallen gelassen. Damit warst du schon gestraft genug, aber Hazamada hat es gewagt noch eins oben drauf zu legen. Wäre der Lehrer nicht rein gekommen, hätte ich für nichts garantieren können. Du kennst meine Fähigkeit, ich hätte ihn ins Nirgendwo verbannt!"
,,Übertreibst du es nicht etwas? Hey, Okuyasu, schaust mich jetzt bitte Mal an?"
,,Lass uns einfach zu Finn gehen. Nicht, dass er uns noch weg stirbt."

Finns Mutter war so verzweifelt, dass sie jede Hilfe annahm. Selbst die von zwei Schuljungen aus der Klasse ihres Sohnes. Sie erzählte ihnen, dass Finn die ganze Zeit etwas von einem Pestdoktor in schwarzer Robe faselte und Josuke merkte, wie sich dabei Okuyasus Blicke in seinen Rücken bohrte. Unbehaglich begann er damit Kräuter zu schneiden, während Finns Mutter los ging, um Wasser zu holen. Okuyasu nahm ihm gegenüber platz.
,,Pestdoktor, also."
,,Komisch, was?" Josuke lachte nervös.
,,Josuke, ich bin vielleicht blöd, aber ich bin nicht dumm. Du bist den ganzen Tag schon so komisch drauf und jetzt soll es ein Pestdoktor gewesen sein, der Finn das angetan hat? Ich will dir nichts unterstellen, aber weißt du was darüber?"
Josuke hielt inne und überlegte. Was hatte es einen Sinn weiter zu lügen. Geschlagen nickte er und senkte seine Stimme zu einen leisen Flüstern. ,,Ich... habe letzte Nacht geträumt Finn das Auge mit einer Sichel ausgerissen zu haben."
,,DU HAST WAS?!"
,,Pssst nicht so laut!
Ab da wich er den fragenden Blicken aus und kümmerte sich nur noch um die Medizin. Sollte Okuyasu doch denken was er wollte. Er hat Finn nichts getan, ganz egal was er auch geträumt hat.
,,Ich unterstelle dir nichts. Ich mache mir nur Sorgen."
,,Hör auf unsere Freundschaftstelepathie dafür zu missbrauchen meine Gedanken zu lesen. Wieso solltest du mir nichts unterstellen? Ich träume Finn ein Auge auszustechen und am nächsten Morgen hat ihm ein Mann in meiner Arbeitskleidung ein Auge ausgestochen. Ich hab das Gefühl ich verliere den Verstand und dann ist da auch noch mein Job und die Schule und..."
Er merkte nicht wie hart er die Zutaten mit dem Messer zerhackte, bis Okuyasu es ihm vorsichtig abnahm und den alten Holztisch von Felix Familie mit der flachen Hand nach Kratzer abfühlte. ,,Noch Mal Glück gehabt."
,,Was interessiert mich der Tisch? Okuyasu, ich habe vielleicht einen Menschen im Schlaf verletzt und ich weiß nicht wie!"
Okuyasu behauptete von sich selbst dumm zu sein, doch vielleicht unterschätzte er sich damit selbst. Sozial ist er intelligenter als manch anderer, ja, vielleicht sogar intelligenter als Josuke. In diesem moment drückte er seinen Freund an den Schultern auf den hölzernen Schemel in der Zimmerecke und machte sich dann selbst an das Hacken der Zutaten.
,,Ich muss die Medizin zubereiten, sonst wirkt sie nicht."
,,Ich denke dein Dämon wird schon ein Auge zudrücken, wenn dir jemand in diesem Zustand die Messer Arbeit abnimmt. So und jetzt noch Mal zum mitschreiben - Entweder bist du neuerdings Wahrsager und dieser Traum war eine Vision oder du standest unter dem Einfluss eines Dämons. Da Ryoko meinte, dass dieser Zukunfsfirlefans nicht leicht zu lernen ist, vermutlich eher letzteres. Also mach dir jetzt keinen Stress oder deine heißgeliebten Haare kriegen eine graue Tönung."
Josuke erinnerte sich daran, dass Keicho vor seinen Tod die eine oder andere graue Strähne hatte und schüttelte sich. Nein, Okuyasu hatte Recht, das musste nicht sein.
Aber es war schwer sich zu entspannen, wenn man glaubte jemanden in Schlaf schwerverletzt zu haben und Angst haben musste, dass es in der darauffolgenden Nacht wieder geschah. Was sollte er tun? Nie wieder schlafen?
Seufzend machte er die Medizin fertig und lies die Flasche auf den Tisch stehen, wo Felix Mutter sie finden konnte. Er wollte nur nachhause.

Okuyasu begleitet ihn bis zu seiner Zimmertür, als ob das nicht der totaler Umweg gewesen wäre, und sah seinen Freund mahnend an. ,,Versuch zu schlafen. Ich hole dich Heute Abend für die Tour ab. Es sei denn du willst den Abend Mal frei haben."
,,Solange wir die Pest im Königreich haben? Kontraproduktiv. Aber Danke."
Sie verabschiedeten sich und obwohl sich seine Gefühlslage dagegen zur Wehr setzte, schlief er ein, sobald sein Hinterkopf sein Kissen berührt hatte.

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