🌟Kapitel 23🌟
"Endlich!", keuchte Kingsley, seine Beine links und rechts neben Harlow's Körper, um den Größeren im Gras festzupinnen, "Harlow, bei den Obersten-"
"Ich hab dir doch gesagt, verschwinde!", wehrte Harlow sich und versuchte Kingsley von sich herunter zu bekommen, während die Winde wieder zunahmen. Seine Augen waren rot und angeschwollen und auf seinen Wangen klebten noch getrocknete Tränen, die seine Sommersprossen überdeckten.
Kingsley antwortete auf diese Aussage nicht, sondern musterte einfach nur Harlow's trauriges Gesicht. Vorsichtig fuhr er mit seinem Daumen über Harlow's Wangen, um die Tränen abzuwischen.
"Hier", sprach er unbeholfen, während er immer noch auf ihm drauf lag und hielt Harlow die violette Blume ins Gesicht. Harlow runzelte die Stirn und griff automatisch nach dem Halm. Langsam setzte er sich auf, Kingsley wirkte noch ein wenig suspekt und blieb deshalb noch auf ihm drauf, bis er schließlich auf dem Schoß des Größeren saß.
"Oh", murmelte Harlow und versank mit seinem Blick in der Blume. "Nicht die beste Farbe", entschuldigte Kingsley sich und gab sein bestes, vom offensichtlichen Thema abzulenken. "Schon gut", antwortete Harlow mit kratziger Stimme und wischte sich eifrig übers Gesicht.
Kingsley öffnete seinen Mund, doch bemerkte dann, dass er absolut keine Ahnung hatte, was er jetzt sagen konnte. In Harlow's Augen bildeten sich bereits wieder schniefend die nächsten Tränen, während er sich wie ein Ertrinkender an der Blume festhielt.
"Ich... hab dich gesucht", erklärte Kingsley sich auf die Lippe beißend. Harlow nickte wortlos und kniff die Augen zusammen. Vorsichtig strich Kingsley ihm durch die Haare. "Sie sind alle weg", hauchte Harlow schließlich, Kingsley seufzte leise und nickte, "ich habe den Brief in deinem Zimmer gefunden."
Harlow schien noch etwas sagen zu wollen, doch die Worte erstickten in der Schnappatmung und dem daraus resultierenden Schluckauf. "Beruhig dich, Halo", versuchte Kingsley zu helfen, doch dies schön nach hinten loszugehen. "Beruhigen?! Wie soll ich mich beruhigen?!", kam es gequält zurück, gefolgt von einem kräftigen Stoß.
"Ich habe niemanden mehr, Kingsley ! Sie sind- sie sind alle tot!" Der Sturm eskalierte erneut, für Kingsley war es nur eine Frage der Zeit, bis ihre Lehrer sie unterbrechen würden. "Doch natürlich!", entgegnete Kingsley und kniete sich vor ihn, "Du hast mich!"
Harlow schüttelte wild mit dem Kopf und schniefte, "du wirst genauso abhauen! Du wirst mich auch verlassen! Jeder! Alle! Verschwinde doch einfach endlich!"
"Harlow, das stimmt nicht!", versuchte Kingsley durch ihn hindurch zu kommen, während der kalte Wind durch ihre Gewänder schoss. Die violette Blume wurde schließlich von der Kraft mitgezogen und versank im Strudel. "Du musst mir zuhören, Harlow!", bat Kingsley und nahm seine Hände, er wollte nur wirklich ungern Harlow den Lehrern überlassen. Die Strafen für die Zerstörung des Gartens und des unbefugten Verwendens der Fähigkeiten wären alles andere als angenehm.
"Ja, ich kann mir nicht vorstellen, wie das für die sein muss, aber das hier bringt absolut nichts! Lass uns hoch in dein Zimmer gehen!"
"NEIN!", schrie Harlow und entriss sich Kingsley's Händen, "was soll das nützen?! Hau ab! Es ist alles SINNLOS! Alle verlassen mich!" Kingsley's Finger begannen vor Nervosität zu zittern, er wusste langsam selber nicht mehr weiter. "Harlow, bitte!", flehte er und ergriff Harlow's Wangen, "ICH bin für dich da! Wir haben uns!"
"LÜGNER! Ich habe niemanden mehr! VERSCHWINDE!"
Der Kleinere stockte, als sein Herz aussetzte und sich der Brustkorb zusammenzog. Kingsley wusste schon immer, dass er in mancher Hinsicht anders fühlte und dachte, als die Bändiger in seinem Alter. Seien es Lebensansichten oder ein gewisses Maß an Empathie oder Gefühlsgebungen, irgendwas stimmte mit ihm nicht, das hatte er bereits früh bemerkt, doch gestört hatte es Kingsley nie. Gestört hatte es nie, kaltherzig oder selbstsüchtig zu sein, manchmal sogar ein wenig jähzornig.
Somit wunderte es ihn auch nicht, als innerlich sich eine kleine Flamme auftat, die sich freute. Dieser Funken, der bei dem Gedanken aufsprang, dass sie jetzt nur noch sich selbst hatten. Dass Harlow jetzt nur noch ihn hatte und niemanden sonst. Das altbekannte, siegreiche Gefühl in seiner Brust, das sich schlagartig in seinem Körper ausbreitete.
Harlow verdiente besseres als ihn, das wusste Kingsley schon lange. Dran ändern tat er jedoch nichts, wieso auch? Er war immerhin selbstsüchtig und hatte kein Problem damit, das auch öffentlich zuzugeben oder zu zeigen. Nie hatte Kingsley Konflikte mit seinen schlechtesten, bösesten und innersten Gedanken und Eigenschaften.
Nie außer in diesem Moment, in dem Harlow ihm schluchzend um den Hals fiel und ihm danke, dass Kingsley für ihn da sei. Viele Bändiger starben, Harlow's Familie nur ein Bruchteil davon, doch traurig war Kingsley nicht drum. Es fand es höchstens etwas schade, um das vergeudete Potential, doch sowas passierte. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal.
Doch dieses eine Mal war er traurig drum, dass er in dieser herzzerreißenden Szene zwischen Dreck und Blumen nichts außer Gleichgültigkeit und den Hauch von Freude empfinden konnte.
"Es tut mir Leid", brach Kingsley die Stille, immer noch schockiert von seiner inneren Eingebung. Harlow zögerte, wusste nur allzu gut, dass Kingsley sich nie ohne triftigen Grund entschuldigte. Bisher war es nur ein oder zwei Mal passiert. "Schon gut", antwortete der Blonde, "es ist ja schließlich nicht deine Schuld", fügte er noch hinzu.
Kingsley nickte wortlos und strich ihm abwesend über den Rücken, würde lieber sterben als Harlow jemals den richtigen Grund für seine Entschuldigung zu nennen.
Harlow drückte sich mehr an den Kleineren ran, sein Gesicht in Kingsley 's Schulter gedrückt, "versprich es mir", forderte er nuschelnd gegen den roten Samt, "dass du bleiben wirst."
Der Kleinere drückte kurz seine Nasenspitze an Harlow's Wange, eine innige Geste bei Bändigern, "ich weiß noch etwas viel besseres."
Harlow runzelte die Stirn und zog sich etwas zurück. Kingsley räusperte sich und leckte sich über die trockenen Lippen, nahm sanft eine von Harlow's Händen. "Ich... weiß nicht wirklich wie das funktioniert", murmelte Kingsley peinlich berührt und starrte auf ihre ineinander verflochtenen Hände.
"Was meinst du?", fragte Harlow verwirrt, "seid wann gibt es etwas, das du nicht weißt?" Kingsley schmunzelte daraufhin, "das ist eben nicht mein Spezialgebiet."
"Ich versteh es immer noch nicht", gab Harlow zu, "warum kannst du es mir nicht einfach versprechen?", fügte er noch besorgt hinzu. Kingsley zögerte und seufzte schließlich, "okay", sprach er und platzierte seine Hände an Harlow's Schläfen. Mit einem skeptischen Blick ließ er den Kleineren machen, "was... wird das?"
"Verstehst du's immer noch nicht?", brummte Kingsley, "dass sie dieses Thema aber auch strikt in der Akademie vermeiden. Ein wenig Aufklärung wäre jetzt ganz praktisch gewesen..."
"Eine Verbindung!", zischte Harlow überrascht und ergriff seine Hände, "Du-... d-das- eine Verbindung!"
"Fällt dir ja schnell auf", kommentierte Kingsley amüsiert. Harlow's bereits gerötete Wangen liefen tiefrot an, während er vor sich hin stotterte und Kingsley ihm stillschweigend zuhörte.
"A-A-Aber das ist von der Akademie verboten! Wir- Wir dürfen das erst nach unserem Abschluss vollziehen! Angeblich sollen es unvorhersehbare Auswirkungen bei zu frühen Verbindungen, da die Gehirnströme beider Parteien-"
"Harlow", unterbrach Kingsley den nervösen Vortrag des Größeren, "laut der Akademie ist es ja sogar verboten, eine Beziehung einzugehen oder sexuelle Aktivitäten auszuführen. Du weißt, dass wir die beide Verbote schon längst überschritten haben?"
Harlow verzog verlegen sein Gesicht und nuschelte ein leises 'ja'. Kingsley zögerte kurz und holte dann tief Luft, "ich will das. Ich bin bereit dafür. Diese verfluchte Akademie hat uns vorher auch nie aufgehalten und das wird sie jetzt auch nicht. Du willst ein Versprechen, du kannst es haben. Dafür will ich aber auch das selbe von dir." Harlow sah ihn für einen Moment tief in die Augen, ehe er nickte.
"Ja."
"Ja?
"Ja!"
"Bist du dir sicher?", fragte Kingsley nochmal nach, "eben schienst du noch sehr unsicher."
"Ich will es genauso sehr wie du", sprach Harlow entschlossen, "ich will niemals von dir getrennt sein." Kingsley lächelte und nickte verstehend. Stille brach zwischen ihnen ein.
"Und... wie machen wir das jetzt?"
"Weiß ich nicht."
Harlow biss sich auf die Unterlippe, ein Grinsen bildete sich, das schließlich in leisem Lachen endete. Ein wenig bizarr, aufgrund seiner roten, angeschwollenen Augen und der zerstörten Umgebung. Aber Kingsley war einfach froh, Harlow aufgemuntert zu machen.
Für einen Moment sah Kingsley den Blonden einfach nur an, wie er versuchte, sich zusammenzuraufen, was mit einer Mischung aus Lachen und Prusten endete. Letztlich konnte er nicht anders, als sich nach vorne zu beugen und ihm einen Kuss auf die Lippen zu verpassen.
Harlow stockte überrascht, doch lehnte sich ebenso weiter nach vorne und schloss seine Augen. Ein kurzer, angenehmer Moment der Stille, zusammen mit Harlow's rauen Lippen -vom vielen draufbeißen- führte wie üblich zu diesem warmen, aufregende Gefühl in Kingsley 's Brustkorb.
Kingsley wusste, dass es eventuelle Nachwirkungen haben könnte oder dass sie von der Akademie fliegen könnten, wenn es jemals rauskommen würde. Doch das Verlangen siegte über ihn. Die Selbstsucht, der Egoismus. Er wollte es, wollte ihn und niemand könnte Kingsley aufhalten. Nur er würde den Schönling aus der fünften Stufe bekommen.
Ihnen ging allmählich wieder die Luft aus, der Kuss wurde langsamer und Kingsley wusste, dass Harlow sich gleich zurückziehen würde. Im exakten Moment, als Harlow sich zurücklehnte, fuhr Kingsley weiter nach vorne und vertiefte den Kuss. Überrascht hielt Harlow sich an Kingsley's Gewand fest, um durch die plötzliche Aktion nicht nach hinten zu fallen.
Kingsley klammerte sich an das Gefühl, beschützte und behütete es, versuchte sich auf das Kribbeln zu konzentrieren, bis es immer mehr von ihm einnahm. Es fühlte sich an, als würde sich ein Tor in seinem Hinterkopf öffnen und eine Flutwelle von Emotionen hereinbitten, die Kingsley übermannten.
Und da war es, wie ein Band, dass sich urplötzlich festigte und spannte. Für die beiden Jungs war es wie ein Stoß, Harlow fiel nun gänzlich nach hinten um, während Kingsley grob auf dem Hintern landete. Verzweifelt griff der Kleinere sich ans Herz, dass drohte, ihm aus dem Brustkasten zu springen. Schnappatmung half nicht bei der Verarbeitung der plötzlichen Gefühlsgebung, wie er schnell bemerkte.
Kingsley spürte diese unsinkbare Trauer, die sich wie schwarzer Teer in seine Lungen und Halsröhre festklebte, bis sein Oberkörper zu schmerzen begann und er das Gesicht verzog. Schwindel und Übelkeit folgte als Resultat, Kingsley stützte seine Hände auf dem Boden ab und kniff die Augen kurz zusammen.
Er vernahm ein Rascheln gegenüber von ihm, da der Blonde sich nun gefangen hatte und sich aufsetzte. "Kingsley?", fragte er hauchdünn und hielt sich den Kopf, "geht es dir gut?"
Kingsley konnte auf die Frage gar nicht reagieren, ihm war es nicht möglich auch nur ansatzweise zu beschreiben, wie es ihm gerade ging. Die Trauer war am prominentesten, doch war es Verzweiflung, die folgte? Angst? Vielleicht sogar Wut? Rachsucht? Seid wann gab es überhaupt so viele verschiedene Emotionen?! Waren es überhaupt seine eigenen oder gingen sie nur von Harlow aus?
Eine warme Hand fand Platz an seiner Wange, "K-Kingsley?! Hey, King, was ist denn?" Kingsley hob seinen Kopf und sah ihm in die Augen, versuchte seinen Atemrhythmus gleichmäßig zu halten, "alles bestens", murmelte er und legte seine eigene, kalte Hand auf Harlow's.
Harlow musterte ihn aus großen, besorgten Augen, "du weinst", bemerkte er und strich ihm die einzelnen Tränen aus dem Gesicht. Kingsley zog die Augenbrauen zusammen und fasste sich vorsichtig unter die Augen. Seine Fingerkuppen fühlten direkt die kalte Nässe der Tränen, über die er sich gar nicht bewusst war.
"Oh", kam es von dem Kleineren, "ist mir nicht aufgefallen."
Beide blickten geschockt zur Seite, als sie leise Stimmen vernahmen. "Die Lehrer!", riet Harlow schwer schluckend, "wir müssen hier weg!" Der Blonde ergriff Kingsley's Hand und sprang vom Boden auf, zog den benommenen Bändiger mit sich, der nur hinter ihm her taumeln konnte.
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