Kapitel 1
...Hi
Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
Eomma hat mir dieses Notizbuch hier gegeben.
Sie meinte, ich solle vielleicht mal versuchen, ein Tagebuch zu führen oder zumindest meine Gedanken aufzuschreiben.
Sie sitzt gerade noch neben mir und beobachtet mich erwartungsvoll....
Ich will sie nicht enttäuschen deswegen tu ich so als ob ich hier was wahnsinnig wichtiges reinschreiben würde.
Also hier meine Gedanken:
Das ist eine bescheuerte Idee.
Ich werde das wahrscheinlich eh nicht lange machen.
Sowas halte ich nie lange aus.
Aber egal.
Solange sie glücklich ist.
Seufzend klappe ich den hellgrauen Buchdeckel zu.
Er ist hässlich. So... leer.
Ich werde den Buchdeckel wahrscheinlich bald vollkritzeln.
In meinem Leben ist schon genug Leere, da brauche ich nicht noch welche auf dem Buchdeckel.
Ich sehe auf.
Meine Eomma grinst mich glücklich an.
"Na siehst du!
Ich verspreche dir, es wird immer erleichternder, seine Gedanken irgendwo festzuhalten!"
"Ja, da bin ich mir sicher."
Ich schenke ihr ein kleines Lächeln.
Das Lächeln erreicht mein Herz nicht, aber Eomma ist glücklich.
Sie sieht mich mit einem wehmüzigen Blick an.
"Wie lange ist es her, dass du das letzte Mal gelächelt hast, Schätzchen..."
Seufzend streichelt sie über meine bleiche Wange.
"Ich weiß, es ist schwer für dich mein Liebling. Aber du weißt dass wir immer für dich da sein werden.
Wir stehen das gemeinsam durch, ja?"
Ich verkneife mit ihr zuliebe ein Schnaufen.
Sie tut so, als gäbe es noch Hoffnung.
Dabei weiß sie genau, dass es schon fast an ein Wunder grenzen würde, wenn ich älter als 20 werde.
Sie bemerkt meinen resignierten Blick und gobt mir noch einen letzten Kuss auf die Nasenspitze, bevor sie aus dem Zimmer geht.
Ich lasse diese Gefühlsregungen und diese Liebe mir gegenüber nur bei ihr und Appa zu.
Sie waren schon von Beginn an dabei, sie kennen das Risiko, mich zu lieben.
Sie wissen dass es jederzeit vorbei sein kann.
Deswegen lasse ich sie die verbliebene Zeit nutzen.
Alle anderen weise ich ab.
Wozu denn auch Liebe von anderen, als von meinen Eltern?
Ich sterbe doch eh in spätestens eineinhalb Jahren.
Es würde sich für niemanden lohnen.
Ich würde mich in unnötige Hoffnungen hineinsteigern und die andere Person würde unnötige Schmerzen erleiden, wenn es so weit ist.
Wie gerne würde ich mein Leben einfach beenden...
Aber ich will meinen Eltern nicht noch mehr Schmerz bereiten, als sie eh schon jedes Mal haben, wenn ich wieder einen Anfall habe.
Also warte ich.
Noch höchstens eineinhalb Jahre, dann dürfte es soweit sein.
Um ehrlich zu sein, freue ich mich schon ein bisschen.
Ich weiß, das ist krank.
Aber ey, ich bin seit fast acht Jahren nur im Krankenhaus und hatte schon sechs Jahre Zeit, mich mit meinem Tod abzufinden.
Am Anfang habe ich gekämpft, ja.
Ich ging zu jeder Untersuchung, hab alles mit mir machen lassen, damit es mir besser geht.
Einerseits für meine Familie, aber auch für meine Freunde.
Ja... damals hatte ich noch welche.
Aber als ich dann nach ungefähr eineinhalb Jahren erfahren habe, dass ich tatsächlich sterben werde, hab ich keine Lust mehr auf irgendwas gehabt.
Ich lag tagelang einfach nur da, weinte, hörte Musik und malte.
Als mich meine damaligen Freunde Wochen nach meinem 12. Geburtstag besuchten, erklärte ich ihnen schon fast emotionslos, was Sache war.
Eher hätten meine Eltern sie nicht zu mir gelassen.
Wie schon gesagt, in der ersten Woche und noch ein bisschen länger war ich nicht mehr als ein überemotionales Wrack.
Ich hätte schlicht und einfach kein Gespräch führen können.
Nach drei Wochen erlaubten meine Eltern dann also den Besuch, und ich erklärte meinen Freunden alles.
Danach wollten sie mich noch ein paar Mal besuchen, aber ich wurde mit jedem Mal kälter, bis sie irgendwann einfach nicht mehr kamen.
Ich sah keinen anderen Weg, die Freundschaft unauffällig zu beenden. Ich wollte sie nicht mit reinziehen, also stieß ich sie von mir.
Und wirklich, ich war damals echt fies.
Um ehrlich zu sein, bin ich es immernoch.
Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass selbst das Krankenhauspersonal mich mittlerweile hasst.
Ok, Hass ist vielleicht übertrieben.
Sie können mich nicht leiden.
Also: Ziel erreicht.
Ich werde in Ruhe gelassen und kann alleine vor mich hinfaulen.
Viel mehr mache ich den Tag über nicht wirklich:
Ich schlafe ewig, gehe mich waschen, esse, zeichne, höre Musik oder mach selbst welche, lese, schreibe oder träume.
Ja, ich träume.
Wenn ich daliege und einfach nur die Decke anstarre, beginnen sich in meinem Kopf die schönsten Gedanken zu formen.
Ich stelle mir vor, wie wir ans Meer fahren, ich schwimmen gehe oder ich auf Felsen klettere, so wie früher.
Das versüßt mir die Tage in gewisser Weise.
Jedesmal wenn ich aber wieder 'aufwache', ist es als würde eine weitere hoffnungsgefüllte Blase in meinem Herzen platzen.
Nicht, dass da noch welche wären.
...jetzt, wo ich gerade darüber nachdenke, ist es doch echt ironisch; ich rede hier irgendwas von wegen Hoffnung im Herzen, dabei ist das doch gerade Schuld an dem ganzen Übel.
Ironie ist halt einfach ne Bitch.
Aber hey, das kann ich auch.
Und wie ich das kann.
Ironischsein ist ein Etwas, was mir eigentlich ganz gut liegt.
Das braucht man aber auch.
Wenn man seinem Gegenüber schon keine körperliche Backpfeife verpassen kann, muss man ihm eben verbal die Seele aus dem Leib prügeln.
Ab und zu, wenn es mir besonders gut geht, überrede ich meine Eltern, bzw. meine Pfleger dazu, mit mir rauszugehen.
Ich liebe es, wenn wir im nah gelegenen Park unterwegs sind.
Ich meistens im Rollstuhl, damit ich mein armes, armes Herz auch ja nicht überanstrenge.
Wenn wir dann die weißen Kieswege entlangrollen, und ich das Knirschen unter den Rädern höre, bin ich einfach glücklich.
Wenn ich die weiß blühenden Kirschbäume und die rosanen Blüten der Pfirsichbäume sehe, wie sie über mir herunterrieseln, fühle ich mich wohl.
Wenn ich endlich mal wieder den leichten Wind um meine Nase spüren kann, fühle ich mich frei
Ich liebe diesen Park.
Er ist eher japanisch, mit Teichen, Hügeln und vielen kleinen Pavillions.
Ich war schon viel zu lange nicht mehr dort.
Aber, ich meine, was will man machen, wenn das eigene Herz keinen Bock auf ordentliches Arbeiten hat und die Eltern einem deshalb jede körperliche Anstrengung und jede Aufregung verbieten?
Versteht das nicht falsch, ich kann sie auch verstehen.
Schließlich lieben sie mich und wollen, dass mir noch so viel Zeit wie möglich bleibt.
Aber es ist einfach sinnlos.
Mein gesamtes Leben ist sinnlos.
Weder kann ich mich fortpflanzen und damit den biologischen Lebenssinn erfüllen, noch bereichere ich Irgendjemandes Leben.
Ich mache Leben eher schwerer als schöner.
Ich bin sinnlos.
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