56 ⚜ Auf offener See

REBEKAH

Die tiefe Dunkelheit, in die mich der Dolch zog, erfasste mich und zerrte meine Seele in ein traumloses Nichts.
Es war nicht wie die anderen Male.

Erdolcht zu sein ist wie ein tiefer Schlaf, aus dem man nicht erwachen kann. Zuerst ist da nichts, aber wenn die Jahre verstreichen kehrt das nicht greifbare Gefühl einer großen Leere ein, die ich nicht bekämpfen kann.

Diesmal war die Leere von Anfang an da.

Ich spürte alles. Die Spitze des Dolches tief in mein Herz gebohrt, der weiche Untergrund und die Dämonen in meinem Kopf, die miteinander rangen und um den Sieg kämpften. Ich spürte den Drang mich zu bewegen, aber mein Körper ist wie erstarrt. Tot.

So sollte der Dolch nicht funktionieren.

Das einzige was ich aber wirklich greifbar fühlte war die Wärme an meinem Hals. Ich zermaterte mir den Kopf, dann fiel es wie Schuppen von meinen Augen. Es war die Kette, die Eliza mir zum Geburtstag schenkte. Der wunderschöne Rubin.

,,ELIZA!", schrie ich wütend, doch meine Stimme hallte ausschließlich in meinem Kopf. Ich hasste die Dunkelheit, das ungreifbare Nichts des Dolches, aber es war allemal besser als in meinem eigenen Kopf eingeschlossen zu sein. Mein eigener Verstand wurde zu meinem Gefängnis.

Zeit verging. Minuten, Stunden, Tage, vielleicht Wochen oder Jahre.

Ich versuchte mir Gehör zu verschaffen, schrie stundenlang die Namen meiner Geschwister und den von Eliza, aber um mich herum herrschte Stille.

Plötzlich bekam ich das Gefühl in den Fingern zurück, als habe jemand einen Schalter umgelegt. Die Eindrücke aus der Umwelt wurden klarer, immer zugänglicher. Schnell wurde mir klar, dass sich der Untergrund bewegte. Seit Jahrhunderten spürte ich keine Übelkeit mehr, aber meine Lippen waren so trocken und der Hunger nach Blut so unerträglich, dass mir zu einem der ersten Male seit meiner Verwandlung ernsthaft schlecht wurde. Mein Körper wurde hin und hergeworfen, rammte die Wände und es dauerte Stunden, bis ich es endlich schaffte die Augen zu öffnen.

Dunkelheit.

Panisch stützte ich die Hände an beiden Wänden ab und stellte fest, dass links und rechts nur wenige Zentimeter Platz waren. Keuchend zog ich den verhassten Dolch aus meiner Brust, während mein Körper unkontrolliert gegen die hölzernen Wände knallte. Ich lag in meinem verdammten Sarg.

Entschlossen hämmerte ich gegen den Deckel und schrie aus Leibeskräften.
Endlich öffnete jemand mühelos den Deckel und starrte mich fassungslos an. Die Sonnenstrahlen blendeten. Es handelte sich um einen Unbekannten Mann in Uniform. ,,Wie... Wie ist das möglich? Sie sind tot!", stammelte der arme Mann verwundert.

Ich fokussierte mich auf seine pochende Halsschlagader und leckte genüsslich die Lippen. Ein wahres Festmahl!

Der Mann stolperte einige Schritte zurück nachdem er sah wie sich mein Gesicht veränderte.

Blitzschnell befreite ich mich aus meinem Sarg und rammte ihm rücksichtslos die Zähne in den Hals. Gierig saugte ich ihm das Blut aus dem Körper und weil sich der Untergrund immer noch bewegte, stolperte ich dabei selbst unkontrolliert herum.

Erst als ich die Leiche fallen ließ realisierte ich, dass ich mich auf einem Schiff befand. Die unruhigen Wellen hatten die übelkeiterregenden Bewegungen verursacht.

,,NIKLAUS!", brüllte ich aus einem Instinkt heraus und lief über das Deck. Weitere Besatzungsmitglieder fielen meinem Hunger zum Opfer.

Plötzlich schubste mich jemand kräftig rückwärts und funkelte mich wütend an. ,,Wer hat den Dolch entfernt?", blaffte er.

,,Ich selbst", antwortete ich gleichgültig. ,,Was hast du mit mir gemacht?!"

,,Das ist unmöglich", behauptete mein großer Bruder und studierte jede kleinste Bewegung, als fürchte er, ich könne mich sofort wieder in einen gefühlslosen Ripper verwandeln. Die Dunkelheit spürte ich noch. Sie war ein Teil von mir und drohte, mich wieder zu übernehmen.

,,Wie oft willst du diesen verdammten Dolch noch in mein Herz rammen, Nik!?", fuhr ich ihn gereizt an und raufte mir die Haare, die sich aus der schönen Frisur lösten und offen über meine Schulter fielen.

Meine Konzentration richtete sich auf ein Crewmitglied, das den Kopf aus der Tür streckte und Klaus eine Frage stellte. Ich machte kurzen Prozess. Meine Zähne rammte ich in Vampirgeschwindigkeit in seinen Hals und tötete ihn schneller als Klaus es schaffte, mich rückwärts zu zerren. ,,Du warst nicht bei Sinnen, liebe Schwester, und bist es immer noch nicht!"

,,Ich bin nicht bei Sinnen?! Elijah und ich verbrachten die letzten fünfhundert Jahre damit dein unerträgliches Gejammer anzuhören, während du auf die Geburt eines Doppelgängers gewartet hast! Wie ein gestörter hast du uns Dolche ins Herz gestoßen, die Menschen getötet, die wir lieben und über unsere Leben entschieden, als seien sie deine! Ich mag einem Fluch ausgesetzt sein, aber du Nik, du bist seit fünfhundert Jahren nicht mehr bei Sinnen!"

Klaus umfasste meinen Hals und schnürte mir die Luft ab. Ächzend versuchte ich zu atmen, aber mein Bruder war zu stark. ,,Ausnahmsweise verzeihe ich deine Indeskrition, weil du verflucht wurdest, aber beim nächsten Mal kommst du nicht so glimpflich davon. Vielleicht töte ich doch noch deine kleine Freundin"

Mit aller Kraft schubste ich ihn von mir, packte ihn am Kragen und drückte ihn mit dem Rücken über Bord. Ohne ihn festzuhalten würde er meterhoch ins Wasser stürzen. ,,Solltest du auch nur in Erwägung ziehen, Eliza etwas anzutun, dann schwöre ich, dass du mich um deinen Tod anbetteln wirst."

Klaus verdrehte die Augen. ,,Wo wir gerade bei deiner Hexenfreundin sind - ich habe eine dunkle Vorahnung, dass sie etwas damit zu tun hat."

Mein Bruder ließ mich stehen und schlug den Weg zum Deck ein. Dort stand Eliza mit verschränkten Armen an der Reling und beobachtete uns. ,,Wie soll ich mich bei eurem Geschrei in Ruhe sonnen, hm?"

Klaus und ich sahen einander an. Klaus ergriff als erster das Wort. ,,Was hast du mit meinem Dolch angestellt, Hexe?"

Beschwichtigend hob Eliza die Hände. ,,Keine Sorge, deinem heiligen Dolch geht es gut. Allerdings habe ich Rebekahs Geburtstagsgeschenk ein wenig präpariert. Die Kette wurde mit einem Zauber belegt, sodass sie die Kraft des Dolches absaugt - ähnlich wie ich Magie absaugen kann."

Perplex starrte ich sie an. Das war... großartig!

Klaus sah das anders. Er ballte die Hände zu Fäusten.

Eliza grinste breit, Klaus ignorierend. ,,Ich konnte nicht länger zusehen, wie dein Bruder Jahrzehnte deines Lebens stiehlt."

Ich umarmte sie stürmisch und küsste sie auf den Mund. ,,Danke, du bist die Beste!"

,,Leider hat der Zauber nur einmalig gewirkt."

,,Dann wiederholst du ihn eben", flüsterte ich in dem Wissen, dass Klaus mich auf jeden Fall verstand. Neben der Freude lauerte aber etwas anderes, dunkleres. Ich spürte, wie die Dunkelheit mich wieder zu übermannen versuchte.

,,Du wagst es...!"

,,NIKLAUS!", entschärfte Elijah die Situation, bevor ein weiterer Mord geschah. Mein großer Bruder stieg über die Leichen unserer Besatzung hinweg und rieb sich die Hände. ,,Elizas Handlungen sind nicht relevant. Der Dolch hat Rebekahs Fluch nur verzögert, nicht zerstört. Wir müssen schnellstmöglich einen anderen Weg suchen und es aufhalten."

,,Warum sind wir auf diesem Schiff?", unterbrach ich ihn und strich eine blonde Haarsträhne zurück. Die schlagenden Herzen der restlichen Besatzung hämmerte unangenehm in meinen Ohren.

,,Gut, dass du fragst", nahm Eliza das Wort wieder an sich. ,,Regina ist verschwunden, aber wir haben einen Hinweis auf Katerina gefunden. Sie hat sich in einen Vampir verwandelt und ist auf dem Weg nach Amerika. Dein Bruder hielt es für eine großartige Idee, zuerst seiner Doppelgängerin hinterherzulaufen, anstatt Regina zu suchen, die deinen Fluch lösen könnte."

,,Unsinn!", sagte Klaus. ,,Katerina führt uns zu deiner verräterischen Hexenfreundin. Sie brauchte eine Hexe, um rechtzeitig zu entkommen. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: der Fluch und Katerina"

,,Sosehr ich deine Pläne schätze, Bruder, aber diesmal scheinst du dich von deiner Wut beherrschen lassen. Wir haben keinerlei Ahnung wo sich Katerina zum derzeitigen Zeitpunkt befindet", meinte Elijah. ,,Ich schlage vor wir beseitigen den Fluch auf andere Art und Weise."

,,Großartig", murmelte ich. ,,Sag doch einfach gleich, dass du keinen blassen Schimmer hast, wie wir mich davon abhalten, verrückt zu werden."

Elijah fuhr ungerührt fort. ,,Der Fluch ist zu mächtig, sonst könnte Eliza ihn absaugen. Das bedeutet, dass wir eine mächtige Hexe brauchen, die sich mit Flüchen dieser Größenordnung auskennt."

,,Und ich nehme an, dass du eine Hexe dieser Art kennst, Bruder?", wollte Klaus wissen.

,,Wir alle kennen sie. Ich spreche von unserer Mutter."





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