Kapitel 1
1 Jahr.
12 Monate.
52 Wochen.
365 Tage.
8.760 Stunden.
525.600 Minuten.
31.536.000 Sekunden.
So lange war er nicht mehr da. Und genau so lange redete ich nicht mehr.
Es ist jetzt nicht so, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Aber ich wollte einfach nicht. Ich befand es einfach nicht für nötig.
Warum sollte ich mich mit jemandem unterhalten, wenn Darian das nicht mehr konnte? Warum sollte ich einfach weitermachen, wenn Darian das auch nicht mehr konnte? Er war tot und daran konnte ich nichts mehr ändern, aber ich kann ihn auch nicht einfach vergessen.
Ich war dabei, als er gestorben ist; als er ermordet wurde. Ich war dabei, habe ihm aber nicht geholfen; ihn nicht gerettet. Und dass nur, weil ich Angst hatte. Angst, dass mir hätte wehgetan werden können. Doch genau das ist eingetroffen. Ich wurde verletzt, aber nicht körperlich, sondern psychisch.
Mein Herz ist aus meiner Brust gerissen und weggeschmissen worden. Es war ein Schmerz, der viel länger anhielt, als jeder körperliche hätte sein können. Ein Schmerz, der mein täglicher Begleiter war. Ein Schmerz, der nie aufhört, sondern für immer da sein wird.
Der Schmerz ist eine Erinnerung und eine Warnung.
Die Erinnerung, dass ich einen Menschen so sehr geliebt habe, wie ich es mir nie vorher hätte erträumen können.
Und eine Warnung, damit genau das nicht mehr passierte. Ich durfte niemanden mehr so sehr lieben, wie ich ihn geliebt habe, denn sonst würde dieser jemand mir auch weggenommen werden und mein Schmerz würde sich verdoppeln.
Und das dürfte niemals passieren, denn dann wäre ich verloren. Verloren in einer Welt aus Schmerz, Leid und der ständigen Gewissheit, dass es nie wieder besser werden konnte.
Aber meine Eltern verstanden das alles nicht. Wie denn auch? Ich habe ja nicht mit ihnen geredet. Und genau deswegen wollen sie mich in die Psychiatrie schicken. Ja, ich weiß, was viele sich jetzt denken:
Nur Verrückte und psychisch gestörte Menschen gehen dahin.
Das habe ich auch gedacht, aber Mom und Dad meinten, dass dies alles nur Vorurteile seien. Ich sollte der Psychiatrie eine Chance geben.
Und genau das machte ich. Warum denn auch nicht? Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Und das war bestimmt besser, als den ganzen Tag auf dem Bett zu sitzen, ins Leere zu starren und nachzudenken. Denn das war es, was ich seit ungefähr einem halben Jahr machte. Nach einem halben Jahr des Schweigens haben meine Eltern mich von der Schule genommen, da sie keinen Sinn mehr darin sahen, dass ich jeden Tag im Unterricht saß, nicht aufpasste und alle ignorierte.
Ich konnte es ihnen auch nicht verübeln. Ich hätte genau das gleiche an ihrer Stelle getan. Schließlich war die Psychiatrie war ihr letzter Versuch, mich wieder zum Sprechen zu bringen.
Ich hoffte nur sie würden nicht allzu enttäuscht sein, wenn sie bemerkten, dass die Psychiatrie mir auch nicht mehr helfen konnte. Denn ich hatte mich schon längst aufgegeben.
2 Stunden Fahrt mit dem Auto und dann waren wir da. Als wir vor dem riesigen Gebäude anhielten, dass sich eine psychiatrische Einrichtung nannte, musste ich seufzen. Das waren wohl mal die längsten 2 Stunden der Welt. Meine Mutter hatte mich die ganze Zeit vollgequatscht und mein Vater hatte nichts anderes gemacht, als Mom immer wieder bestätigend zuzunicken. Zum Glück war die Autofahrt vorbei und ich konnte einfach wieder allein sein. Aber da hatte ich mich gewaltig getäuscht.
Das erste, was passierte, nachdem wir aus dem Auto stiegen, war, dass eine große Frau auf uns zukam und uns alle herzlich begrüßte.
>>Hallo. Ihr müsst die Familie Sommer sein. Richtig? Ich bin Rosalie Lichtenstein, die Leiterin dieser Anstalt.<<
>>Guten Tag Frau Lichtenstein.<< antwortete Dad .
>>Nennen sie mich ruhig Rosalie. Uns ist es sehr wichtig eine gute Beziehung mit unseren Patienten zu haben. Folgen sie mir.<<
Rosalie lief mit uns im Schlepptau einen schmalen Weg entlang, bis wir vor der Eingangstür der Einrichtung ankamen.
>>Da sind wir.<<sagte die Frau zu uns und lächelte mir aufmunternd zu.
>>Keine Angst. Es wird dir hier bestimmt gefallen.<<
Ist klar. Wem gefällt denn bitteschön der Aufenthalt in einer Klapps Mühle?
Anscheinend ist Frau Lichtenstein mein skeptischer Blick nicht aufgefallen, denn sie redete ungerührt weiter. Ich hörte aber nicht zu. Ich hatte keine Lust mir ihr fröhliches Gerede anzuhören und so zu tun, als ob es hier ganz wunderbar wäre.
Nach 10 Minuten hörte sie endlich auf zu reden und fing an uns herumzuführen. Wir traten in das Gebäude ein und sahen eine riesige Treppe, wie sie immer in Märchen und Prinzessinnenfilmen gezeigt wurde. Mom klappte sogar der Mund auf. Es war hier wie in einem Märchenschloss, nur waren wir hier in keinem Märchen, sondern in einer Psychiatrie.
>>Ich weiß, ich weiß. Es ist schön hier, nicht war? Das hier war früher eines von vielen Schlössern, das die Königsfamilie besaß.<< Frau Lichtenstein ging links an den Treppen vorbei und zeigte uns alle Räume. Also den Speisesaal, das Gemeinschaftszimmer, eine Bibliothek und noch vieles mehr. Danach führte die Leiterin uns die Treppe herauf ins 1. Stockwerk, wo sich die Zimmer befanden. Vor der 3. Zimmertür hielt sie an, öffnete die Tür und ging einen Schritt zur Seite, sodass ich reingehen konnte.
>>Dies ist dein Zimmer. Du hast sogar ein eigenes Bad, welches hier nicht viele besitzen, aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen.<<
Ich konnte es mir schon fast denken, was sie damit sagen wollte. Viele hier verletzten sich selber oder hatten versucht sich umzubringen. Deswegen war es zu gefährlich für sie, zum Beispiel alleine zu Baden, da sie versuchen könnten sich selber zu ertränken.
(920 Wörter)
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