25 | nein, ich...ich meine ihn | louis

vibe des kapitels: the remedy for a broken heart (why am i so in love) - xxxtentacion
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„Hey Silva", flüsterte ich leise, als die Stute neugierig auf mich zulief. Ich strich ihr sanft übers Fell, dann hielt ich ihr den Apfel hin, den ich aus der Küche mitgenommen hatte. Sie schnupperte erst und fraß ihn dann behutsam von meiner Hand.

Ich kletterte über den Zaun und ließ mich im Schneidersitz ins Gras sinken. Dann lehnte ich mich an die Holzlatten hinter mir und schloss die Augen.

Irgendwie war es hier erstaunlich friedlich. Ich war erst seit drei Tagen hier, aber schon ziemlich eingelebt. Morgens aß ich mit meiner Tante zusammen Frühstück, die mir wirklich eine Menge Freiraum gab, sie erzwang auch keine Gespräche, ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie sich sicher war ich würde schon auf sie zukommen, wenn ich so weit war.

Den Tag verbrachte ich meistens einfach draußen oder auf der Veranda, auch wenn das Wetter zu wünschen übrig ließ. Das WLAN meiner Tante war gerade kaputt, aber morgen sollte wohl jemand kommen, um es zu reparieren. Und abends half ich ihr beim Kochen und auch wenn ich mich wirklich blöd anstellte (ich hatte schließlich noch nie etwas gekocht) zeigte sie mir geduldig, wie ich das Gemüse am besten schnitt oder wie man Zwiebeln anbriet.

Wir redeten auch dabei nicht viel, aber langsam wurde ich viel entspannter in ihrer Nähe und gewöhnte mich an ihre Anwesenheit. Sie strahlte irgendwie etwas Gelassenes aus und ich hatte in letzter Zeit so viel Stress gefühlt, es war eine willkommene Abwechslung, einfach mal zu entspannen. Ich hatte das Gefühl zum ersten Mal seit Jahren hatte sich mein Herzschlag wirklich mal beruhigt.

Silva schnupperte in meinen Haaren herum und ich lächelte nur zu ihr hoch. Ich hatte nie gewusst, dass ich Pferde mochte. Aber das tat ich wirklich. Sie strahlten irgendwie extreme Ruhe aus. So wie alles hier. Ich hatte fast das Gefühl die Zeit war stehen geblieben, hier in Nebraska.

Ich war mal eben in ein anderes Leben geschlüpft und ich fand es gar nicht mal so schlecht. Das Einzige was es schwierig machte war Harry. Und meine Mutter, aber Harry mehr.

Das Letzte was er gesagt hatte war „ich brauch nur ein bisschen Zeit, Louis." gewesen. Die bekam er jetzt. Aber ich wurde trotzdem anxious, wenn ich darüber nachdachte und ich vermisste ihn so unendlich.

Allerdings gab mir meine innere Ruhe irgendwie die Fähigkeit rationaler darüber nachzudenken. Harry liebte mich. Daran würde auch die Sache mit Zayn ziemlich sicher nichts ändern.

Nachdenklich drehte ich den Ring an meiner Kette und nahm sie dann ab.

Mein Herz wurde warm, als ich an unsere Hochzeit dachte und ich ließ den Ring lächelnd in meine Hand fallen, bevor ich die Kette wieder umhängte. Dann steckte ich den Ring an meinen Finger.

Denn wer sollte mich hier schon sehen und dann denken „Oh wow, er trägt einen Ehering."? Hier konnte ich wirklich ich selbst sein und das fühlte sich gerade so befreiend an, dass ich kaum wusste wohin mit meinen Gedanken.

Noch breiter lächelnd drehte ich den Ring an meinem Finger und drückte dann meine Lippen gegen das Metall.

Ich vermisste ihn so sehr, aber Harry und ich würden das schon irgendwie schaffen. Wir würden alles schaffen. Ich war da zuversichtlich. Nur wusste ich nicht wann.

Ich kramte meine Kopfhörer aus meiner Hosentasche und brauchte erstmal eine halbe Minute sie zu entwirren. Dann nahm ich den MP3-Player meiner Tante, den sie irgendwo gefunden hatte und machte Musik an. Mein Handy war irgendwie nur noch so halb zu gebrauchen, es hatte einen ganz schönen Schaden erlitten als ich den Abhang zum Bach runtergeschlittert war und es wurde jeden Tag schlimmer. Ich war mir sicher es würde bald ganz den Geist aufgeben. Außerdem war hier eh kein Empfang und meine Tante hatte wie gesagt gerade kaputtes WLAN.

Bestimmt anderthalb Stunden saß ich einfach nur bei den Pferden im Gras, sah dabei zu, wie sie sich gegenseitig über die Weide jagten oder ruhig herumstanden und grasten und hörte Musik. Ich versuchte mich einfach nur auf den Moment zu konzentrieren und nicht mal so viel nachzudenken und komischerweise funktionierte es sogar irgendwie.

So friedlich war ich wirklich seit Jahren nicht mehr gewesen.

„Louis?"

„Hm?" Ich drehte mich um und zog meinen Kopfhörer aus dem rechten Ohr. Meine Tante stand auf der Veranda und lächelte mir zu.

„Ich wollte jetzt kochen, hast du Lust mir zu helfen?"

Ich nickte, stand auf und klopfte mir den Dreck von der Hose. Dann kletterte ich durch den Zaun und lief zu Cathrin. Sie lächelte mir zu und wir gingen zusammen wieder in die Küche.

„Was machen wir denn?", fragte ich und lief automatisch zur Spüle, um mir die Hände zu waschen.

Sie deutete auf Kartoffeln und Nudeln, sowie Hackfleisch, das neben dem Herd lag. „Ich dachte ich mach meine berühmte Suppe."

Ich grinste und trocknete meine Hände ab. „Heißt?"

„Kartoffel-Nudel-Hackbällchen. Ist wirklich lecker, vertrau mir."

Ich grinste. „Okay, was soll ich tun?"

Sie überlegte kurz und gab mir dann den Sack mit den Kartoffeln. „Du kannst die Kartoffeln schälen und in kleine Stücke schneiden, ich mach dann schonmal die Hackbällchen."

„Okay." Ich füllte einen Topf mit lauwarmen Wasser und holte mir dann den Schäler und ein Messer und setzte mich an den Tisch. Kurz darauf setzte Cathrin sich mir gegenüber, zog einen goldenen Ring von ihrem Finger und begann dann kleine Frikadellen zu rollen.

Eine Weile herrschte eine angenehme Stille, dann brannte mir aber eine Frage auf der Zunge.

„Ähm...", begann ich und ließ die Kartoffel, die ich gerade schälen sinken. Meine Tante sah zu mir auf.

„Ja?"

„Weißt du eigentlich...also weißt du eigentlich warum ich hier bin?", fragte ich und sie öffnete überrascht ihren Mund ein Stück.

Dann seufzte sie. „Der Anruf von Theo war sehr kurz, um ehrlich zu sein."

Theo. Es war komisch, dass sie ihn Theo nannte. Mein Vater war überall nur Ted. Sogar bei Leuten, die er nicht mochte.

„Er meinte nur so viel wie...ich schicke meinen Sohn zu dir, bei mir kann er nicht bleiben, er ist schwul." Sie runzelte die Stirn. „Nur nicht in den Worten."

Ich klammerte meine Finger um die Kartoffel in meiner Hand. Nein. Ich konnte mir schon denken, dass mein Vater ganz andere Worte benutzt hatte. Ich war Cathrin dankbar, dass sie sie nicht aussprach.

„Und ich..." Sie seufzte. „Ich dachte mir besser du kommst einfach zu mir, als dass er sich was Schlimmeres ausdenkt."

Ich sah sie einige Sekunden nur stumm an. Dann nickte ich. „Danke."

Ihr Blick wurde weich. „Louis, ich wollte dich eh mein ganzes Leben lang schon kennenlernen. Für mich war das fast ein Geschenk. Du brauchst dich wirklich nicht zu bedanken."

„Wieso...wieso wollte mein Vater denn eigentlich nicht, dass ich dich kennenlerne?"

Cathrin seufzte und wischte ihre Hände an dem Tuch neben ihr ab. „Dein Vater ist, als unser Vater gestorben ist, umgezogen, um Tomlinson Corp zu leiten und hat abgesehen von der Firma alles was mit seinem bisherigen Leben zu tun hatte für immer ausgeschlossen und verdrängt." Sie kratzte sich am Handgelenk. „Er hat immer nur darauf gewartet, dass Dad stirbt, damit er endlich abhauen konnte."

Ich runzelte die Stirn. „Was? Warum das denn?"

Cathrins Gesicht verdunkelte sich. „Wir sind hier aufgewachsen, Louis", sagte sie. „In diesem Haus. Und sagen wir es mal so, es war trotzdem nicht gerade unser Zuhause. Für ihn noch weniger als für mich."

Ein schweres Gefühl erfasste mich.

„Unsere Kindheit war..." Sie ließ nachdenklich Luft aus ihren Lungen entweichen und starrte kurz in die Luft. „Ich versuche es gut in Worte zu fassen, aber es ist schwierig. Unsere Kindheit war das Gegenteil davon, wie eine Kindheit sein sollte, sagen wir es so. Dein Großvater war ein Monster." Sie starrte in das Hackfleisch vor sich. „Jeder Tag war der Horror und Theo und ich, wir...wir haben wirklich einfach nur jeden Tag gehofft, dass er zu viel trinkt und nicht mehr aufwacht. Mum hat nie was gemacht, sie stand immer nur in der Küche und hat so getan, als würde sie das alles nicht mitkriegen. Und dann hat sie abends unsere Schwellungen gekühlt und sich mit uns in den Schlaf geweint, weil er zu ihr genauso schrecklich war wie zu uns."

Ach du Scheiße.

„Und ich bin sechs Jahre jünger, dein Vater hat mich auch noch immer so gut es ging vor Dad beschützt. Was nur heißt, dass er doppelt so viel abbekommen hat. Er hat echt eine Menge Scheiße durchmachen müssen und ich kann dir nicht mal genau sagen was, ich hab nur die Hälfte mitbekommen und ich war viel zu jung alles zu verstehen. Und als Dad dann gestorben ist, hat er seine Chance genutzt, das alles hinter sich zu lassen. Leider auch mich und Mum."

Ich sah sie nur an und schluckte. Jetzt ergab es auch Sinn, dass sie ihn Theo nannte. Wenn er alles vergessen wollte, was mit seinem früheren Leben zu tun hatte, dann vermutlich auch seinen Namen.

„Er ist nicht mal zu ihrer Beerdigung gekommen. Alles was ich mitkriege sind die Artikel im Internet. Ich hab ihn nicht mehr gesehen, seit ich vierzehn war", sagte sie und trank einen Schluck Wasser.

Ich riss die Augen auf. „Seit du vierzehn...wie alt bist du jetzt?"

„Einundvierzig."

„Oh wow." Ich kratzte mir am Kinn und wusste nicht ob das jetzt gut oder schlecht war. Denn ja, sie war seine Schwester, aber mein Vater war jetzt nicht wirklich die beste Gesellschaft.

Und das ergab jetzt Sinn. Er war einfach psychisch komplett kaputt. Alles immer nur zu verdrängen half ja auch absolut nicht dabei, Trauma irgendwie zu verarbeiten. Wenn überhaupt machte es es nur noch schlimmer.

„Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, ob das gut oder schlecht ist."

Ich sah auf. Cathrin schien ähnliche Gedanken zu haben wie ich.

„Denn am Telefon..." Sie seufzte. „Er klang so sehr wie Dad, das hat mir fast Angst gemacht."

Ich fing fast an zu weinen. Cathrin schien das zu merken, denn sie sah mich besorgt an und reichte mir dann ihre Hand. Ich hatte Kartoffel und Schäler längst abgelegt und nahm sie dankbar an.

„Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt?"

„Nein, nur..." Ich holte tief Luft und kämpfte die Tränen zurück. „Es tut gut zu wissen, dass es nicht...nicht an mir liegt."

Cathrin schien sofort zu verstehen was ich meinte und ihr Griff verstärkte sich. „Oh Louis."

„Ich dachte immer es wäre irgendwie meine Schuld, dass mein Vater...also, dass er so ist wie er ist und dass ich ihn so verachte, aber irgendwie doch nicht hassen kann und dass...keine Ahnung, dass er mich nicht liebt oder zumindest nicht so richtig und ich...na ja, es liegt gar nicht an mir?"

Cathrin schüttelte sofort den Kopf. „Auf gar keinen Fall. Das ist sein...sein Problem, seine psychischen Schäden."

„Das...ich..." Ich fand gar keine Worte.

„Louis, sowas ist nie Schuld der Kinder. Das musst du verstehen, okay? Wenn Eltern so sind, wenn Eltern ihre Kinder so behandeln, das ist immer ihr Problem. Ausnahmslos. Okay?"

Ich nickte. Dann stand ich auf und umarmte meine Tante. Sie erhob sich, um die Umarmung richtig erwidern zu können und strich mir sanft über den Rücken.

„Ist es...ist es okay, wenn ich kurz hoch gehe?", fragte ich und sie nickte.

„Klar, ich schaffe das auch alleine, ich sag dir dann einfach Bescheid, wenn das Essen fertig ist." Sie lächelte und ich nickte nochmal, lächelte sanft zurück und ging nach oben.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und atmete tief durch. Und es war irgendwie sehr leicht. Es tat gut.

Das alles zu wissen war keine Entschuldigung für sein Handeln, aber es war eine Erklärung.

Und ich hatte ja gar nicht gewusst wie dringend ich eine gebraucht hatte.

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„Du magst es hier, oder?", fragte Cathrin und ich schluckte den Löffel Suppe herunter und nickte lächelnd.

„Es ist so extrem friedlich. Ich hab das Gefühl mein Leben war noch nie so...ruhig. Vor allem in den letzten Monaten nicht."

Cathrin lächelte. „Ja, das hat dieser Ort irgendwie so an sich."

Ich seufzte leise. „Aber ich vermisse Harry", sagte ich dann. „Ohne ihn könnte ich nirgendwo länger bleiben."

„Oh." Cathrin sah überrascht aus. „Dein Freund?"

Ich lächelte. „Mein Mann." Ich wusste nicht, warum ich ihr das erzählte, aber ich wollte es irgendwie. Ich fühlte mich wohl bei ihr.

Sie musterte mich und blinzelte. „Was?", fragte sie dann und ich lächelte, sah auf meine Finger und zeigte auf den Ring.

„Ich bin verheiratet."

„Wie bitte?" Cathrin klang zwar geschockt, aber irgendwie auch amüsiert. Ich blickte wieder zu ihr hoch und sah ein ungläubiges Grinsen in ihrem Gesicht. „Du bist verheiratet?"

Ich nickte lächelnd. „Das weiß aber keiner. Also außer Harry natürlich. Und dem Typen der uns verheiratet hat."

Eine halbe Minute musterte sie mich nur, dann kniff sie die Augen zusammen. „In Vegas?"

Meine Tante hatte wohl eine gute Kombinationsgabe. Ich nickte grinsend.

„Als Theo auf Meetings der Pharmamesse war, hast du einfach mal eben so geheiratet?"

Ich runzelte die Stirn. „Ich denke, als wir geheiratet haben, hat er geschlafen. Es war ziemlich spät."

Cathrin gab ein leises Lachen von sich. „Also das ist krass."

Ich zuckte nur weiterhin grinsend mit einer Schulter.

Nach ein paar anderen etwas belangloseren Gesprächsthemen waren wir mit dem Essen fertig und gingen nach dem Abspülen zusammen in die Bibliothek. Es war einer der Räume, der vom Wohnzimmer abführte und definitiv gemütlich. Die hohen Wände waren bis oben vollgepflastert mit Büchern und in der Mitte stand ein rundes Sofa mit unzähligen Kissen.

Cathrin hatte mir erklärt, dass es sich bei ungefähr fünfzig Prozent dieser Bücher um alte Stammbäume unserer Familie handelte und der Rest irgendein kostbarer Wertbestand oder alte Tagebücher oder auch einfach alte Romane waren.

Sie saß oft hier und las, wenn sie Zeit hatte und heute wollte ich mich zu ihr setzen und selber mal ein Buch anfangen. Ich konnte mich kaum an das letzte Mal erinnern, dass ich wirklich ein Buch gelesen hatte. Ehrlich gesagt wusste ich nicht ob ich das überhaupt schonmal getan hatte.

Meine Tante hatte ein paar Empfehlungen, ein Regal rechts von der Tür war sogar mit etwas neueren Büchern gefüllt, darunter einige von ihren Lieblingsromanen und ein paar Sachbücher über Psychologie.

Und so saßen wir beide ein paar Minuten später auf dem Sofa, hatten unsere Füße auf dem Tischchen in der Mitte abgelegt und lasen. Und es fiel mir sogar sehr leicht in die Geschichte einzutauchen, schon nach ein paar Seiten fesselten mich die Charaktere und ich wusste schon was ich die nächsten Abende machen würde.

Eine halbe Stunde später oder so musste ich aber eine Pause machen, um mir ein Glas Wasser zu holen, weil ich Durst hatte und dachte dann kurz etwas nach als ich wieder bei meiner Tante saß, das Buch neben mir auf dem Sofa liegend.

Es war als wäre ich ein anderer Mensch, seit ich hier war. Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Aber hier war ich so friedlich und ruhig und ich mochte Pferde und lesen und kochte sogar gerne mit Cathrin, nichts was ich hier machte hatte ich vorher schon mal so genossen. Dieses Leben hier war so...einfach, aber es war auch echt. Vielleicht war es das, was mir so gefiel. Das Echte. Das Reale.

Ich brauchte kein Leben in der High-Society, ich brauchte einfach nur ein kleines Haus und Frieden.

Aber vor allem Harry. Jede weitere Stunde, die ich von ihm getrennt war fiel mir auf wie krass ich ihn vermisste. Es kam mir fast schon irreal vor, wie sehr ich ihn liebte. Das war doch in unserem Alter gar nicht normal, oder? Wir sollten eine Jugendliebe haben, vielleicht auch die „erste große Liebe", aber mir war klar, dass Harry der Einzige für mich war.

Ich sah zu meiner Tante. Mir brannte jetzt schon seit unserem Gespräch am Küchentisch eine Frage auf der Zunge und ich musste sie jetzt einfach stellen.

„Cathrin?"

Sie sah von ihrem Buch auf und mich aufmerksam an. „Ja?"

„Ich...ich hätte eine Frage."

„Okay?"

„Also...ein bisschen persönlich."

Sie lächelte. „Frag."

„Ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, also sag wenn ich irgendeine Grenze überschreite", fing ich an. „Aber...warum wohnst du hier so...so alleine in dem Haus, das...das Dad sogar so sehr hasst, dass er nie wiederkommt?"

Cathrin lächelte traurig und schlug ihr Buch ganz zu. Sie legte es auf den kleinen Tisch vor uns und drehte sich zu mir. „Na ja", begann sie. „Ich hab eine Menge schlechte Erinnerungen an diesen Ort, das stimmt schon. Aber nachdem Dad tot und Theo weg war haben Mum und ich hier noch einige Jahre lang zusammen gelebt. In der Zeit musste ich mich ziemlich viel um sie kümmern, aber es war eigentlich echt schön. Ich würde sagen, die guten Erinnerungen überschatten einfach die negativen." Sie lächelte sanft.

„Vor allem hat es mein Mann hier aber geliebt. Ich konnte es nicht übers Herz bringen wegzuziehen."

Mein Blick schoss zu dem goldenen Ring an ihrer Hand, um den sich ihre Finger jetzt schlossen und ihn nachdenklich drehten. Der war mir eh schon aufgefallen.

„Dein...dein Mann?"

Sie seufzte. „Er ist vor drei Jahren gestorben", sagte sie dann. „Reitunfall."

Mein Herz wurde schwer. Wieviel hatte meine Tante eigentlich alles durchstehen müssen? Heilige Scheiße. „Oh Cathrin, das...das tut mir Leid." Ich war mir sicher mein Gesichtsausdruck spiegelte meine ernsthafte Bestürzung ziemlich gut wider.

Sie lächelte traurig, aber irgendwie nostalgisch. „Ist schon okay. Man lernt damit klarzukommen."

„Trotzdem, das klingt sehr...einsam."

Sie lachte leise. „Ich hab ja Freunde, Louis."

Ich lächelte sanft und legte dann kurz meine Hand auf ihren Arm. „Und jetzt hast du auch mich."

Sie lächelte zurück, musterte mich kurz und nickte dann. „Ja", sagte sie. „Jetzt hab ich auch wieder Familie."

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Tief inhalierte ich den Rauch und legte mich nach hinten, den Rücken auf die unbequemen Dachziegel, um in den Himmel zu blicken.

Ich hatte ein winziges bisschen Gras in einer Hosentasche gefunden und das nutzte ich jetzt aus. Die innere Ruhe die sich über die letzten Tage in mir ausgebreitet hatte war immer noch da. Und ich hatte nicht mal das Gefühl, dass sie so schnell wieder gehen würde. Seit der Panikattacke am Montag, als ich angekommen war, hatte ich mich nicht mal ein einziges Mal in meinen Gedanken verlaufen.

Und es tat so gut.

Ich nahm den letzten Zug und drückte den Joint neben mir auf den Dachziegeln aus. Es war heute sogar im Verhältnis zu den letzten Tagen sehr warm, aber es sah sehr nach Regen aus.

Eine Weile blieb ich einfach auf dem Dach liegen, starrte in die Wolken und atmete. Dann irgendwann hörte ich meine Tante nach mir rufen und hob den Kopf. Ich kletterte durch das Dachfenster zurück in mein Zimmer und sprang von meinem Bett.

„Ja?"

„Louis, der Handwerker ist weg, das WLAN sollte wieder gehen, willst du das Passwort?" Cathrins Schritte ertönten auf der Treppe und ich nahm mein Handy aus meiner Hosentasche.

Es funktionierte noch, aber sicher nicht mehr lange. Deshalb war es vielleicht sogar schon unnötig es überhaupt in das WLAN einzuloggen. Andererseits hatte man hier eh keinen Empfang, Internet war die einzige Möglichkeit Harry erreichen zu können. Und ich musste mit ihm sprechen.

Ich kam aus meinem Zimmer und lief meiner Tante entgegen. „Ja. Das wär cool."

„Okay." Sie lächelte und reichte mir einen Zettel mit dem Internetzugang. Ich machte mein Handy an und suchte nach dem richtigen WLAN. Auf der linken Seite waren merkwürdige schwarze Flecken auf dem Display, die vermutlich durch Wasser entstanden waren, das durch die Risse im Display gedrungen war.

Ich gab das Passwort ein und stockte kurz vor dem Verbinden Button.

Meine Tante kam etwas näher und sog Luft ein. „Hast du Gras geraucht?", fragte sie dann mit gerunzelter Stirn.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Es zu leugnen hätte eh keinen Sinn. „Schlimm?", fragte ich also und se grinste nur und schüttelte den Kopf.

„Nein, nur sehr illegal." Sie zuckte mit den Schultern. „Aber hier ist ja niemand. Wer sollte dich schon erwischen?"

Ich grinste zurück und sah dann auf mein Handy.

Mein Finger schwebte immer noch über dem Knopf.

„Alles okay?" Cathrin runzelte die Stirn. Ich seufzte.

„Ich vermisse Harry. Und ich hoffe irgendwie, dass er mir geschrieben hat, aber was wenn nicht? Ich meine er wollte ein bisschen Zeit für sich, was wenn er nicht mal gemerkt hat, dass ich weg bin? Außerdem hält mein Handy glaub ich echt nicht mehr lange durch."

Cathrin legte den Kopf schief. „Verbind dich doch jetzt erstmal und lass alles auf dich zu kommen."

Ich sah sie etwas zweifelnd an, nickte dann aber und und klickte einfach.

Nach ein paar Sekunden hatte sich die Verbindung eingestellt und dann prasselten Nachrichten auf mein Handy ein. Verschiedenste Benachrichtigungen von Apps, ein paar von meinen Freunden.

Welche von Harry.

Ich las Louis., irgendwas anderes und dann alles okay? Ich hoffe dir geht's gut, ich liebe dich.

Ich atmete auf und wollte darauf gehen, in dem Moment poppte aber eine Benachrichtigung von Instagram auf und ich klickte stattdessen aus Versehen darauf. Ich fluchte leise und wollte zuerst schell die App wechseln, da stockte ich.

Es war ein neuer Post von Harry.

Mit Taylor.

Und der Caption couple photo dump.

Es waren verschiedene Fotos. Sie sahen alle aus als wären sie von einem Fotografen gemacht worden, aber so, dass es nicht danach aussah.

Echte Fotos sahen anders aus. Echte Fotos waren persönlicher, witziger, einfach realer. Wie die paar Fotos, die ich von Harry und mir hatte.

Ich musste zugeben, die Fotos waren gut. Man würde es ihnen fast abkaufen. Aber ich tat das nicht. Mein Mann machte seine Sache gut, für andere konnte es wirklich so aussehen als wäre er in Taylor verliebt. Aber ich kannte ihn. Und mich sah er ganz anders an.

Dann fiel mir allerdings auf einem Bild etwas auf. Sie lagen zusammen auf seinem Bett, ihre Hände auf seiner Brust verschränkt und er...er trug seinen Ring nicht.

Er trug Ringe, aber nicht den am Ringfinger. Unseren Ehering. Ich blinzelte. Aber er hatte mir doch noch geschrieben? Er machte sich Sorgen um mich, unser Streit hatte nichts an unserer Beziehung verändert. Oder?

Fuck, ich musste ihn sehen.

Ich musste zu ihm. Alleine schon, weil es ihm wegen der ganzen Taylor Sache nicht unbedingt gut gehen konnte, ich wusste noch genau wie er mir erzählt hatte, dass sein Vater niemals an seinen Instagramaccount kommen würde. Und jetzt das.

Ich wechselte schnell die App, ging auf unseren Chat, aber dann fiel mir mein Handy aus der Hand, weil sie so zitterte und landete auf der Treppe.

„Fuck", rief ich und hob es schnell auf, aber der Sturz hatte ihm den letzten Rest gegeben. Das Display zeigte nur noch ein paar komische Lichtblitze und Risse.

Cathrin musterte mich mit einem ein bisschen hilflosen Gesichtsausdruck und ich biss mir auf die Innenseite der Wange. Was sollte ich denn jetzt tun? Harry würde angezeigt werden, dass ich seine Nachrichten gesehen hatte, aber ich hatte ihm nicht antworten können.

Ich musste zu ihm.

Dann runzelte ich die Stirn.

Denn was hielt mich davon ab?

„Cathrin?"

„Ja?" Sie sah mich fragend an.

„Ist hier irgendwo ein Bahnhof in der Nähe?"

Sie schien sofort zu verstehen, was ich meinte. Und stellte nicht mal Fragen. Außer „Soll ich dir den nächsten Zug buchen?"

Meine Tante war toll. Sie war einfach toll.

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Zwei Stunden später mussten wir los. Das einzige was ich mitnahm war ein Zettel mit Cathrins Nummer, das ausgedruckte Zugticket, etwas Geld von meiner Tante und mein Handy, aber nur für die Simkarte, damit ich mir auf dem Weg ein billiges Klapphandy oder so kaufen konnte, um sie erreichen zu können.

Den Rest der Sachen in meinem Koffer ließ ich erstmal hier, ich konnte ja eh nicht zu Hause bleiben. Aber ich musste zu Harry.

„Louis, kommst du, wir müssen los!", rief Cathrin von unten und ich steckte mein Handy, das ich noch in der Hand hatte in meine Hosentasche und rannte dann die Treppe herunter. Jetzt auch noch den Zug zu verpassen wäre dumm.

Allerdings vergaß ich in der Eile die kaputte Stufe zu überspringen.

Und krachte voll ein.

„Ahh, scheiße!", fluchte ich laut und zog meinen Fuß vorsichtig zwischen dem kaputten Holz hervor.

„Alles okay?"

Cathrin tauchte neben mir auf und musterte mich besorgt.

„Ja, ja", winkte ich ab. „Ich glaub deine Treppe hat's schlimmer getroffen."

„Ach." Jetzt winkte sie ab. „Wie gesagt, ich muss die eh sanieren. Hauptsache dir ist nichts passiert."

„Ja, nein, alles-" Ich stockte, als ich etwas entdeckte. „Sekunde." Ich griff in das Loch in der Treppe und bekam die weiße Ecke zu fassen. Als ich meine Hand zurückzog hielt ich ein Foto in der Hand.

Ein uraltes Foto. Jemand hatte mit Tinte oder so September 1826 auf den weißen Rand geschrieben.

1826!

Aber das war nicht mal das Schockierendste an dem Bild. Darauf abgebildet waren zwei Männer in Hemden und Cowboyhüten. Das klang jetzt erstmal harmlos, aber...

„Wer ist das?", fragte ich atemlos.

Ein paar Sekunden war Stille. Dann holte meine Tante tief Luft. „Das äh...", fing sie an. „Wenn ich die ganzen Stammbäume richtig im Kopf habe, dann müsste das Jack Tomlinson sein. Dein Ururururgroßvater oder keine Ahnung wie viele Urs. Aber was macht das Bild in-"

„Nein, ich...ich meine ihn", unterbrach ich meine Tante und befeuchtete meine trockenen Lippen. Mein Finger zeigte auf den zweiten Mann, der auf dem Foto war. Den, um den mein Ururururgroßvater den Arm gelegt hatte und der mit ihm in die Kamera grinste.

„Das?", fragte Cathrin. „Keine Ahnung, er kommt mir aus den Büchern nicht bekannt vor. Ich schätze einfach ein Freund von Jack. Warum willst du das wissen?"

„Weil er..." Ich stockte und räusperte mich. „Weil er ein Styles ist."

„Was?" Cathrin lachte. „Louis, das kann nicht sein. Das Foto ist von 1826, unsere Familie ist schon deutlich länger mit den Styles verfeindet. Das ergibt keinen Sinn."

„Doch, aber...es muss einer sein." Ich konnte den Blick gar nicht von dem Foto nehmen. „Hundertprozentig."

Ich spürte Cathrins Blick von der Seite auf mir. „Warum bist du dir da so sicher?", fragte sie.

„Weil er...weil er genauso aussieht wie Harry."

„Harry? Dein Mann Harry?"

Ich nickte.

Ihr Blick flog von mir zum Bild in meiner Hand und wieder zurück. „Du...Harry ist ein Styles?"

Ich nickte vorsichtig.

Cathrin starrte mich eine Weile stumm an. Dann lachte sie leise. „Wow, Louis, also du hebst das gegen-die-Eltern-rebellieren auf ein ganz neues Level."

Ich musste ebenfalls lachen. Das war ja auch eine interessante Sichtweise.

„Du hast ernsthaft einen Styles geheiratet." Sie kratzte sich über der Augenbraue. „Wahnsinn."

Ich nickte und deutete dann auf das Foto. „Und das hier kommt mir komisch vor. Wieso umarmt mein Ururururgroßvater jemanden, den er eigentlich hasse sollte? Das ergibt doch keinen Sinn."

„Da hast du allerdings Recht." Meine Tante nahm mir das Bild aus der Hand und drehte es um. „Hm."

„Und vor allem was zur Hölle macht es in der Treppe?"

„Ist da noch mehr?"

Ich runzelte die Stirn, umgriff das kaputte Holz der Stufe und rüttelte daran. Mit einem Krachen löste es sich und die Stufe zeigte ihr komplettes Innenleben.

„Hier ist ein...Hut." Ich griff nach der Kopfbedeckung und zog sie aus der Treppe. Der Hut war komplett verstaubt und zog Spinnweben mit sich. Leicht angeekelt entfernte ich alles und drückte dann gegen die Beulen im Hut, sodass er seine ursprüngliche Form annahm. „Was...hat das alles zu bedeuten?"

Ich sah verwirrt zu meiner Tante, die sah aber genauso ahnungslos aus wie ich. „Ich hab nicht die leiseste Ahnung, Louis."

Ein paar Sekunden starrten wir beide nur auf das Foto, die kaputte Treppe und den Hut. „Das hier ist was Großes, oder?", frage ich. „Was Wichtiges?"

Meine Tante atmete tief durch und nickte. „Das kommt mir allerdings auch so vor." Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr und ihre Augen weiteten sich. „Verdammt, Lou, wir müssen los. Ich verspreche dir, ich les die ganze Bibliothek durch, um mehr über das alles hier rauszufinden, okay? Aber du kriegst deinen Zug nicht mehr, wenn wir jetzt nicht losfahren."

Kurz starrte ich noch auf das Foto, dann schluckte ich und nickte. „Ja, ist gut."

Harry zu sehen war jetzt das Wichtigste. Alles in mir verzehrte sich nach ihm. Diese Fotos mit Taylor schlugen mir immer noch auf den Magen und ich musste einfach aus seinem Mund hören, dass ihm gesagt wurde den Ring abzunehmen. Dass er mich immer noch liebte. Dass die Sache mit Zayn nichts geändert hatte.

Denn verdammt, ich liebte diesen Jungen so sehr, dass ich es nicht verkraften würde, wenn das irgendwie anders war.

„Lass uns los."

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happy pride month, everyone!!

hier habt ihr endlich ein neues kapitel :)

dass dieses hier so lange gedauert hat, hing unter anderem auch damit zusammen, dass ich ewig gebraucht habe mich für eine version der backstory von cathrin und louis' vater zu entscheiden, ich hatte zu viele verschiedene ideen (sie gay zu machen war übrigens auch eine dieser ideen haha, das haben ja manche von euch gedacht). im endeffekt bin ich mit dieser sehr zufrieden und denke es ist die beste (manche wären auch echt zu heftig gewesen).

aber wie hat es euch gefallen?

was sagt ihr zu der ganzen zweihundert jahre altes foto sache?

ach und ich denke ich werde mich jetzt weniger danach richten welcher tag ist, sondern mehr danach wann ich ein kapitel fertig habe, ihr könntet also immer mal wieder überrascht werden. aber mindestens eins pro woche will ich euch geben :)

ich hoffe es geht euch gut und wünsche euch noch einen schönen abend

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