23 | es tut mir leid, junge | louis

vibe des kapitels: stay numb and carry on - madison beer
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Ich spürte gar nichts. Nichts. Ich war vollkommen betäubt. Die Welt flog vorm Autofenster an mir vorbei und ich starrte nach draußen und blinzelte.

Im Auto war es vollkommen still. Es lief kein Radio, man hörte kaum Fahrtgeräusche, weil es ein Elektrofahrzeug war und der Fahrer sprach auch nicht.

Kurz musterte ich Slava von hinten. Er sah stumm auf die Straße. Er war der Right-Hand-Man meines Vaters; er war wie sein Schatten immer da, sein Fahrer, sein Bodyguard, sein vermutlich engster Vertrauter. Und ich hatte ihn in meinem ganzen Leben wahrscheinlich nicht mehr als drei Sätze sprechen hören.

Ich wandte meinen Blick wieder von ihm ab, aus dem Fenster. Ich hatte das Gefühl, ich konnte die eisige Stimme meines Vaters immer noch durch mein Trommelfell schneiden hören. Er war die ganze Zeit so ruhig gewesen. Gruselig ruhig.

Er hatte mich weder angeschrien, noch mir irgendwie wehgetan, abgesehen davon, dass er meinen kaputten Arm etwas zu fest gepackt hatte, er war die ganze Zeit so unglaublich ruhig gewesen.

Aber ich genauso. Ich hatte immer gedacht, wenn es wirklich zu dieser Situation kommt, wenn mein Vater irgendwann wirklich von meiner Sexualität erfährt, würde ich eine Panikattacke nach der nächsten haben und mich stundenlang kaum bewegen können.

Aber ich fühlte gar nichts.

Ich hatte auch jegliches Zeitgefühl verloren und keine Ahnung wie lange Slava und ich schon in diesem Auto saßen. Die Welt draußen sah die ganze Zeit gleich aus. Seit einiger Zeit schon war alles neben der Fahrbahn ewige Weite. Felder über Felder, manche grün, manche komplett ausgetrocknet, zwischendurch mal ein einsamer Baum. Und der Himmel war erst grau gewesen und inzwischen dunkel.

„Falsch."

Dieses Wort. Es kam immer wieder. Falsch. Mein Vater hatte es so oft schon gesagt. So oft hatte ich Angst davor gehabt, es ihn in mein Gesicht sagen zu hören. Und all die anderen Dinge, die mich schon so lange terrorisierten hatten.

Aber als er es zu mir gesagt hatte, hatte ich gar nichts gespürt. Keine Wut, keine Panik und vor allem keine Angst.

Klar, mein Vater hätte mir vermutlich geglaubt, wenn ich ihm gesagt hätte, dass Zayn gelogen hatte, aber was hätte es für einen Sinn gehabt, es zu leugnen?

Ich war schwul. Also wieso versuchen noch irgendwas zu „retten"? Wieso noch lügen? Das hatte ich eh so satt.

Ich wusste nicht was jetzt passieren würde. Mein Vater hatte irgendwas von einer Tante gesagt, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte und jetzt saß ich unzählige Kilometer weit weg bei Slava im Auto, mit nicht viel mehr als meinem Handy und ein bisschen Kleidung im Gepäck.

Es fielen inzwischen Regentropfen gegen die Scheibe und zogen Schlieren hinter sich her. Mein Blick folgte einem Tropfen über das kalte Glas, bis ich ihn nicht mehr sah.

Der Himmel hatte sich immer weiter verdunkelt und dichte graue Wolken machten alles düster und trostlos.

Jeden Gedanken der kam schob ich sofort weg. Ich konnte jetzt über nichts nachdenken. Ich würde diesen Zustand, diese Betäubung, so lange wie möglich aufrechterhalten, denn sobald dieses Gefühl brach, würde ich brechen.

Und dafür war ich noch nicht bereit.

Meine Mutter, Harry, ich sperrte sie alle ganz weit nach hinten in die tiefsten Schubladen meines Gehirns. Ich konnte nicht darüber nachdenken. Ich durfte nicht.

Ich sah einen Blitz über den Himmel zucken und er war so definiert, es war fast schön.

Ich sah wieder zu Slava und mein Blick wanderte zu seinen Händen am Lenkrad und dem gold glänzenden Ehering. Ob er glücklich war? In seiner Ehe?

Ganz kurz wanderte meine Hand zur Kette um meinen Hals, aber auf halben Weg stoppte ich sie und verbannte den Gedanken wieder weit weg. Nicht an Harry denken. Nicht jetzt.

Ob Slava Kinder hatte? Genug Zeit mit seiner Familie verbrachte?

Vermutlich nicht, er war immer zur Stelle wenn mein Vater ihn brauchte. Er war eigentlich generell immer da.

Wieviele Beziehungen mein Vater wohl schon zerstört hatte, ohne es auch nur zu bemerken?

Vermutlich viel zu viele.

Allen voran unsere.

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Wir fuhren Ewigkeiten weiter, machten sogar irgendwann eine Essenspause bei einem Fast Food Laden und ich starrte nur aus dem Fenster und schlief zwischendurch, bis Slava irgendwann auf eine Auffahrt fuhr.

Ich hob den Kopf, den ich an die kühlende Scheibe gelehnt hatte und blinzelte. So. Da waren wir anscheinend.

Nur wo?

Das Haus, vor dem er geparkt hatte, war wie es aussah ziemlich alt, aus weißem Stein und mit einer Veranda, die ums ganze Haus ging, aber ziemlich gut instand.

Slava war ausgestiegen und ich saugte meine Unterlippe zwischen meine Zähne, schnallte mich ab und machte dann ebenfalls zögerlich die Tür auf.

Als meine Füße auf den Kies traten, mit dem die Auffahrt gefüllt war, streckte ich mich fast schon automatisch. Ich hatte wohl echt Ewigkeiten in diesem Auto gesessen. Ich meine wir waren die Nacht durchgefahren und es war trotzdem schon wieder fast dunkel.

Unsicher schlug ich die Autotür zu und sah dann einfach zum Haus. Wo zur Hölle waren wir?

Das Haus stand hier ziemlich einsam, es waren nur vereinzelt ein paar andere in der Ferne, aber vor allem war es umgeben von Feld und rechts begann in etwa zwei/drei Kilometern Entfernung ein Wald.

Ich entdeckte zwei Pferde einige hundert Meter weit weg, aber ich dachte nicht mal darüber nach wem sie gehörten.

Slava öffnete den Kofferraum und nahm meinen Koffer heraus. Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und stöhnte, als ich sah, dass ich hier keinerlei Verbindung hatte. Weder Mobilnetz, noch Internet. Und leer war mein Handy auch noch fast.

Ich öffnete die Kartenapp und zoomte heraus.

„Nebraska", flüsterte ich leise und runzelte die Stirn. Was?

In dem Moment stellte Slava den Koffer neben mir auf den Kies und ich hob den Blick.

Er sah mich irgendwie etwas komisch an. Ich runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen hoch und da fiel mir auf, was anders war.

Zum ersten Mal in meinen Leben sah ich bei Slava einen Gesichtsausdruck, der etwas anderes als Gleichgültigkeit ausstrahlte.

Er sah mich doch tatsächlich mitleidend, fast schon schuldig an.

„Es tut mir Leid, Junge", sagte er nach einer halben Ewigkeit und seufzte. „Du verdienst das nicht."

Ich starrte ihn nur an. Ich war immer noch wie betäubt, konnte sein Mitgefühl nicht mal richtig einordnen und nickte einfach langsam.

Dann wandte ich meinen Blick wieder aufs Haus.

Und in genau diesem Moment wurde die Tür geöffnet und eine schlanke, vielleicht 40-jährige Frau trat auf die Veranda. Sie kam die drei Stufen heruntergelaufen und auf mich und Slava zu und lächelte sanft.

War das meine Tante? Von der ich nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte?

Slava entschied wohl, dass sein Job getan war, denn er stieg genauso wortlos wie ich es eigentlich gewohnt war wieder ins Auto.

„Hallo", sagte die Frau, als sie vor mir stand und lächelte sanft. „Hallo Louis." Sie schien glücklich mich zu sehen, aber es war ein trauriger Unterton in ihrem Lächeln.

„Ääh...hi", antwortete ich, irgendwie überfordert mit der Situation.

Sie hielt mir die Hand hin. „Ich bin Cathrin. Deine Tante."

Ich ergriff ihre Hand, langsam und immer noch verwirrt. „Ich dachte immer mein Vater hat keine Geschwister."

Cathrin nickte. „Ich weiß, er...er wollte auch nie, dass ich dich kennenlerne."

Ich runzelte die Stirn. „Warum?"

Cathrin holte tief Luft und sah dann zu meinem Koffer. „Komm doch erstmal rein", sagte sie und nahm den Griff in die Hand.

Ich nickte (denn was sollte ich sonst tun?), sah nochmal zu Slava, der aber keinerlei Regung zeigte und folgte meiner Tante dann. Da ertönte das Geräusch von Reifen auf Schotter und als ich nochmal nach hinten sah, fuhr er weg. Okay. Das war es also wohl.

Die Tür des Hauses führte direkt in ein großes Wohnzimmer, das rechts in einen Essensbereich überging, von dem eine Küche abführte.

Einige Meter vor mir ging eine Treppe um die Ecke nach oben und alles war in dunklem Holz gehalten. Links ein großes Sofa, ein Ohrensessel, ein Kamin und ein Sofatisch. Alles erinnerte mich ein bisschen an eine Skihütte, aber es war eigentlich ganz gemütlich. Und das Haus schien wirklich groß zu sein, denn es führten noch zwei weitere Türen irgendwohin.

„Willkommen in...meinem Haus", sagte Cathrin und lächelte mich an. „Oder auch dem alten Tomlinson Anwesen, wenn man so will."

Ich sah sie nur an, immer noch nicht so richtig in der Lage die Situation zu verstehen und Cathrin schien mir das anzusehen. Ihr Lächeln wurde etwas sanfter und verständnisvoller.

„Also Louis, du sollst ein bisschen bei mir bleiben. Bis dein Vater..." Sie seufzte. „Ich weiß nicht genau wie lange. Aber keine Angst, du hast oben dein eigenes Zimmer und ich bin wirklich ganz nett. Ich kann dir alles zeigen, wenn du soweit bist, das Haus und die Weide und so, aber ich wenn du jetzt erstmal alleine sein willst, dann hab ich da vollstes Verständnis für."

Ich schluckte und nickte und zwang mich vorsichtig zurück zu lächeln.

„Na, dann komm mal mit", sagte meine Tante und trug meinen Koffer die Treppe rauf. Ich folgte ihr und runzelte die Stirn, weil die Stufen so sehr knarzten, da blieb sie plötzlich stehen und drehte sich zu mir um. „Ich muss die Treppe dringend sanieren lassen, sie ist sehr alt, deshalb solltest du diese Stufe auslassen", sagte sie und zeigte vor sich. „Die ist ziemlich morsch." Die Stufe hatte tatsächlich schon eine Art Riss, eine Delle und ich nickte einfach nur und machte nach ihr dann einen großen Schritt auf die nächste Stufe.

Es ging sogar noch weiter hoch als nur in den ersten Stock, die zweite Treppe führte zu einer Etage mit nur einem Zimmer. „Hier ist dein Reich", sagte Cathrin und machte die Tür auf. „Ich lass dich dann erstmal alleine. Wenn du soweit bist, oder was essen möchtest, kannst du gerne runterkommen, aber ich bin gut im Freiraum geben, okay? Fühl dich zu nichts gezwungen, auch nicht mit mir zu reden oder so, sondern fühl dich einfach wie zu Hause."

„Okay", sagte ich langsam, weil ich nicht die ganze Zeit nur nicken wollte und sie lächelte nochmal sanft und ging die Treppe dann wieder runter. Ich schob meinen Koffer mit dem Fuß in den Raum und zog die Tür hinter mir zu.

Dafür dass es ein Zimmer mit Dachschräge war, kam es einem ziemlich groß vor und weil auch nur ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch hier standen, sehr geräumig. Cathrin schien vor meiner Ankunft sauber gemacht zu haben, denn ich erkannte kein einziges Körnchen Staub irgendwo und das Bett sah sehr frisch bezogen aus.

Ich seufzte, öffnete das Dachfenster einen Spalt breit für frische Luft, ließ mich dann erschöpft aufs Bett fallen und starrte an die Decke.

Ich war vollkommen ausgelaugt. So sehr, dass ich es nicht mehr schaffte diese emotionslose Maske länger aufrechterhalten. Als meine Gedanken kamen, hatte ich keine Chance sie wieder zu verbannen.

Verdammt, ich war hier mitten im Nirgendwo, bei einer Tante, die ich noch nie gesehen hatte, Kilometer weit weg von meinem Mann und allem was ich kannte.

Meine Hand tastete nach dem Ehering um meinen Hals und schloss sich um das kühle Metall. Die gewünschte beruhigende Wirkung setzte aber nicht ein.

„Du hast sein Schlüsselbein gebrochen", tönte Harrys Stimme stattdessen schneidend in meinem Kopf und ich kniff die Augen zusammen und versuchte den Gedanken wieder verschwinden zu lassen. Nicht daran zu denken. Die Enttäuschung, von der seine Stimme getrieft hatte, der kalte Blick, mit dem er mich angesehen hatte.

„Ich will dich gerade nicht sehen."

Ich versuchte ruhig zu atmen.

„Nenn mich nicht so."

Ich presste meine Hände gegen meine Schläfen und versuchte mein Gehirn irgendwie zum Schweigen zu kriegen.

Es klappte nicht.

Ich versank.

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soooooo...der gute louis ist also in nebraska bei seiner tante. und ziemlich am ende. genauso wie harry...es geht also beiden nicht so bombe. aber wie könnte es auch anders sein, wenn sie nicht zusammen sind?

was haltet ihr von cathrin? glaubt ihr louis und sie werden sich verstehen?

und denkt ihr über slava? irgendwie mag ich den charakter mega gerne, keine ahnung warum haha

ich wünsche euch einen schönen sonntag und warne euch schonmal vor, dass ich nicht weiß, ob ich es schaffe nächste woche pünktlich zu updaten, ich muss die nächsten paar tage extrem viel lernen, weil ich zwei abiklausuren schreibe...

ich hoffe euch geht es gut :)

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