Eleven

Eleven

Jacobs Kopf brummte schrecklich. Das war gestern definitiv ein Glas zu viel.

Er öffnete so langsam wie es ihm möglich war seine Augen, schloss sie jedoch gleich wieder schnell, da die Sonne ihm die Ehre machte, heute Morgen durch sein Fenster zu scheinen und ihm das Gesicht zu erleuchten.

Der Assassine stöhnte und drehte sich zur Seite.

Sein Kopf versuchte zu verarbeiten, was gestern Nacht geschehen war, doch ihm schossen so viele Bilder zugleich vor Augen, dass er nicht hinterherkam.

Er erinnerte sich jedoch daran, mehrere Menschen gestern Nacht geküsst zu haben – und einer von ihnen war Rose.

Zur Hölle. Jacob stöhnte erneut und rieb sich die Schläfe.

Er war zu weit gegangen. So verflucht zu weit. Wie hatte er das nur tun können?! Er hatte sich doch gesagt, sie wäre tabu! Sie war nichts für ihn. Wie hatten der Alkohol und sein Körper ihn nur überstimmen können?!

Jacob versuchte Roses Gesicht vor Augen zu behalten, in seiner Erinnerung zu kramen, doch es verschwamm zu viel. Er musste vieles im Suff gesagt und es wohl deswegen nicht in Erinnerung behalten haben.

Das einzige, was ihm dazu noch einfiel, war, dass es ihm gefallen hatte – und zwar sehr. Er erinnerte sich nicht genau daran, wie sie küsste, doch sein Körper wurde warm und in seinem Bauch tobten ihm die lästigen Schmetterlinge herum – daher ahnte er, dass es ihm sehr gefallen hatte.

„Ich hasse dich", sagte er sich leise und linste durch die Augen, in einen Spiegel, der ihm sein verkatertes Ich zeigte.


Rose saß immer noch auf ihrem Bett und ließ sich durch den Kopf gehen, was gestern Nacht geschehen war.

Sie hatte so viele Anstandsregeln gebrochen, ihre Eltern würden sie hochkant rauswerfen, würden sie davon Wind bekommen. Sie hatte sich nicht länger als ein herausragender Gast verhalten oder wie eine vornehme, unberührte Dame. Sie hatte ihren Lüsten nachgegeben und sich etwas genommen, was ihr nicht zustand.

Sie hatte Jacob einfach geküsst.

Im Nachhinein wusste sie nicht mehr, was in sie gefahren war, sich umzudrehen, jedoch hatten ihr Körper und ihre Gefühle sie einfach überstimmt. Sie hatte nur zusehen können, wie es geschah und sie sich einen Kuss von einem Mann gestohlen hatte. Einem Mann, der nicht ihr Zukünftiger war. Sie hatte eine der obersten Regeln gebrochen, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte.

Das war kein Anstand, das war Anstandslosigkeit.

Ihre Lippen kribbelten noch immer allein bei dem Gedanken daran, wie Jacobs weiche Lippen die ihren berührt hatten. Er war so überrascht gewesen, dass sie ihn auch gewollt hatte – und so erregt. Wie er ihren Namen gegen ihre Lippen geraunt hatte, hatte sie Sachen spüren lassen, die sie noch nie gespürt hatte. Sie dachte, in der Kutsche mit Daren vor Tagen wäre es unangenehm gewesen, das Gefühl zu haben, feucht zu werden, doch das zu gestern Nacht war gar nichts dagegen. Es war ihr peinlich gewesen, nach dem Toilettengang dann wieder ins Bett zu ihrer Schwester zu kriechen.

Trotzdem zuckten ihre Mundwinkel nun leicht nach oben als sie an Jacob dachte – und sie merkte dies kaum.

Wie verhielt sie sich ihm gegenüber nun? Was tat man, wenn man sich nicht seines Standards verhielt? Was bedeutete dieser Kuss?

Rose erhob sich tief einatmend aus dem Bett und zog sich ihren Morgenmantel über, sah auf die Enden ihrer Schlaufe.

Ihr schoss das Bild in den Kopf, wie Jacob danach gegriffen und sie zu sich gezogen hatte.

Solches Herzklopfen hatte sie wirklich noch nie erlebt.

Rose fuhr leicht zusammen als jemand hinter ihr schmatzte und drehte ihren Kopf.

Elisé seufzte und drehte sich von ihr fort – schlief weiter.

Die siebzehnjährige schluckte, ehe sie zu ihren Klamotten sah.

Entweder riskierte sie, dass sie jemand nicht salonbereit zu Gesicht bekam oder ihre kleine Schwester zu wecken.

Rose war noch nicht bereit dazu, dass sie jemand in einem solchen Aufzug sah, deswegen entschied sie sich dazu, sich einzukleiden und schlüpfte in ihre Strumpfhose und ihre Schuhe, ehe sie sich ihren Petticoat und Rock anzog. Noch entschied sie sich gegen einen Reifrock, dafür wäre später genügend Zeit.

Sobald sie ihr Oberteil angezogen hatte, entschied sie sich ihre Haare noch offen zu lassen und machte sich dann immer wieder tief einatmend auf den Weg zur Küche.

Als sie sehr leise durch den Zug ging, strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und lugte vorsichtig in den Gemeinschaftswagon. Nach gestern Nacht wusste sie nicht, ob schon jemand wach war, denn die Uhr zeigte ihr kurz nach acht an.

Alles schien ruhig, auch der Gemeinschaftswagon, den sie letztlich betrat – denn er war leer.

Rose beschloss zur Küche weiterzugehen wie geplant. Die junge Frau wusste, sobald sie anfangen würde zu kochen, würden ein paar von den Rooks aufstehen und ihr Gesellschaft leisten.

Sie hob beide Augenbrauen als sie Geräusche im nächsten Wagon vernahm und dann Rico entdeckte, der Teller stapelte.

„Guten Morgen", sagte sie leise und legte die Hände aneinander als er aufblickte und lächelte.

„Den wünsche ich." Er neigte den Kopf. „Ich hoffe, die Jungs haben Sie und Ihre Schwester gestern nicht geweckt."

„Nein, nein." Rose schüttelte schnell den Kopf und entschloss, Rico zur Hand zu gehen. „Sie... waren also nicht dabei?"

Er schüttelte den Kopf. „Ich überlass es meistens den jüngeren, ordentlich einen draufzumachen", scherzte er und ihre Mundwinkel zuckten als sie ihre liebsten Kochutensilien in dieser Küche abgewaschen und bereit zur Benutzung auf der kleinen Arbeitsfläche sah. „Und ich habe mir heute Morgen gedacht, ich könnte Ihnen damit ein wenig helfen."

Rose hob kurz ihren Blick, bevor Rico sich die Teller nahm und sie hinüber in den Gemeinschaftswagon trug.

„Danke schön", erwiderte sie leise.


Widerwillig hatte Jacob es geschafft, sich aus seinem Bett zu kämpfen und seine Hose anzuziehen.

Müde rieb er sich über die Augen. Er bekam in letzter Zeit zu wenig schlaf und daran war der braunhaarige Mann nicht gewöhnt.

Wie konnten Menschen nur so früh aufstehen? Vor zehn lief für den Assassinen einfach schlecht.

Jacob schaute auf seine Schusswunde hinab, atmete tief ein. Eine Narbe, die für immer bleiben würde. Es würde ihn für immer an sie erinnern. Denn hätte er sich nicht eingemischt, wäre es nie dazu gekommen.

Er fragte sich noch immer, was ihn an diesem Abend dazu getrieben hatte, Rose zu folgen, anstatt direkt zum Zug zu gehen und sich aufs Ohr zu hauen.

Der junge Assassine seufzte und schüttelte seinen Kopf. Ohne ihn wäre sie in einer unglücklichen Ehe gelandet. Die sie, wenn sie Pech gehabt, nicht überlebt hätte – und das war ein schrecklicher Gedanke, dem sich der einundzwanzigjährige nicht stellen wollte. Vielleicht waren es einfach seine ausgebildeten Sinne gewesen, die ihm gesagt hatten, dass diese Frau in Gefahr schwebte.

Er stöhnte entnervt. Seit wann machte er sich so viele Gedanken am frühen Morgen?

Erst mal sollte er etwas essen und trinken, um dem Kater entgegenzuwirken.

Rose würde sicher gerade wieder kochen. Es blieb also etwas übrig – nicht wie wenn Rico kochte und sich jeder drüber hermachte.

Für den Rest seiner Klamotten nahm sich Jacob die Zeit, die er brauchte. Er würde sicher nach gestern Nacht nicht ohne Hemd zum Frühstück erscheinen und Rose noch mehr in Verlegenheit bringen als ohnehin schon.

Er musste sich auch noch dringend überlegen, wie er sich dafür bei ihr entschuldigen konnte.

Rose indes hatte Recht behalten. Sobald sie die erste Portion Speck fertig gebraten hatte, waren ein paar Rooks an ihr vorbei und in den Gemeinschaftswagon getorkelt.

Rico hatte ihr beim Decken des Tisches weiterhin geholfen und auch fürs Frühstück leistete er ihr nun eine angenehme Gesellschaft. Dafür war die junge Frau sehr dankbar.

„Meint ihr, der Boss kommt heute wieder nicht?", fragte Oliver und lehnte sich beim Trinken seines ersten Glases Wassers gegen die Zugwand.

Gus verschluckte sich an seinem Wasser und fing an zu lachen. „Wieso?", fragte er. „Vermisst du ihn so sehr, Oliver?", brachte der blondhaarige belustigt hervor.

Rico runzelte die Stirn und sah die beiden Störenfriede durch die offene Tür an. „Was habt ihr jetzt wieder angestellt?!", rief er laut und Rose begann, knallrot anzulaufen, drehte ihr Gesicht fort.

Olivers Gesicht wurde nicht minder rot. Er verschränkte schnell die Arme vor der Brust. „Sehr erwachsen von dir, Gus", murmelte der neunzehnjährige und starrte ein wenig wütend auf das warme Brot hinab, das Rose heute früh gebacken hatte.

Es war schon beinahe zehn, langsam müsste so ziemlich jeder wach werden.

„Jetzt ärger den Jungen nicht so, Gus", bat August. „Er hat sein Fett schon wegbekommen." Oliver wurde noch röter. „Mit Liebe." Der Wagon wurde von Gelächter erfüllt und Rico seufzte tief.

„Ich werde schauen, was sie gestern angestellt haben, wenn das in Ordnung ist, bevor Frye ihnen den Kopf kürzt."

Rose nickte stumm, sah hinunter auf die Pfanne, in der sie den letzten Speck briet, der von dieser Woche übriggeblieben war.

Rico war noch nicht zurück als Rose bereits fertig war und den Herd ausschaltete. Deswegen entschloss sie sich, schnell nach Jacob zu sehen und sich dem Gespräch über den geteilten Kuss nun zu stellen.

Rose verließ den Wagon und dachte nach, wie sie Jacob am besten darauf ansprechen könnte.

„Kleiner Tipp." Rose zuckte zusammen als sie die Stimme James' hinter sich vernahm. „Er mag's laut."

Rose könnte nicht röter werden als der Rook verschwand und noch in der Küche aus der Tür hinauslief und den Zug verließ.

Ihr Bauch hatte bei diesem Mann kein gutes Gefühl, doch gleich darauf erwärmte es sich als sie die Hand hob, um gegen Jacobs Tür zu klopfen, und sie geöffnet wurde.

Sie hielt inne und ihr Herz machte einen Sprung als sie Jacob in die braunen Augen blickte.

Sie starrten einander an, ohne etwas zu sagen und Paul zog die Augenbrauen zusammen als er geradewegs durch all die offenen Türen auf die beiden blicken konnte.

„Hey, Jungs", wisperte er laut und jeder hielt kurz inne und stoppte mit seinen Gesprächen. „Wusstet ihr eigentlich, dass Frye auch sprachlos werden kann?"

„Das Großmaul?" Edward lachte. „Beweis es." Paul deutete auf die beiden jungen Menschen, mehr als dreißig Meter vom Gemeinschaftswagon entfernt.

Jacob nahm die Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und starrte Paul im nächsten Moment nieder, der sofort zu kippeln aufhörte.

„Na, erwischt?", fragte Rico und die Jungs begann zu lachen, ehe Jacob wortlos beiseite trat und Rose an ihm vorbeilief.

Sie atmete tief ein bei dem Chaos und rieb sich die Arme, denn er hatte jedes Fenster geöffnet und es durchzog eine kühle Brise den Wagon.

„Guten Morgen, Jacob", sagte Rose als erstes, sobald sie sich umdrehte.

Jacob lehnte sich gegen seine geschlossene Tür, hielt die Klinke mit seinen Händen umklammert, um sie nicht nach der siebzehnjährigen auszustrecken.

Roses Herz klopfte viel schneller als sie erwartet hatte und sie sammelte noch einmal ihre Gedanken, bevor sie erneut das Wort ergriff.

„Ich bin hier, um... mit dir über gestern zu reden", meinte sie – und klang noch unsicherer als zuvor. Sie schimpfte mit sich, versuchte sich dazu zu überreden, mehr Rückgrat zu beweisen. Sie hatte sich in diese Situation hineinkatapultiert, sie musste auch von allein wieder hinausfinden.

Jacobs Herz setzte einen Moment aus. Sie wollte wirklich über diesen Kuss sprechen. Diesen absolut peinlichen und betrunkenen Kuss.

„Gestern?" Er zog eine Augenbraue hoch. „Was war denn gestern?" Er legte den Kopf schief, konnte beobachten, wie ihre Atmung auffällig schwerer wurde.

Sie dachte, er bemerkte es nicht, doch da lag sie falsch.

Rose fühlte sich auf die Folter gespannt. Als würde er sie quälen wollen. Denn er wusste doch wohl sehr wohl, wovon die junge Dame sprach.

Jacob kniff leicht die Augen zusammen, musterte die Erscheinung der siebzehnjährigen, ehe er sich mit geballten Fäusten von der Tür abstieß und zu seinen Haarprodukten lief.

Er konnte nicht gröber seine heutige Frisur gestalten. „Ich höre?", hakte er nach als Rose nichts sagte.

„D-du weißt schon", sagte sie. „Gestern, als... naja, du zu Bett wolltest." Sie schluckte als er innehielt und dann zögerlich den Deckel seines Haargels zuschraubte.

Er schluckte, atmete einmal tief ein. „Ich weiß, ich hätte das nicht tun dürfen." Rose schreckte einen kleinen Schritt zurück als er sich in Bewegung setzte. „Was auch immer ich getan habe." Der junge Assassine biss sich von innen auf die Wange. Instinktiv hatte er sich dumm gestellt – wie früher, wenn sein Vater wusste, was er angestellt und ihn darauf angesprochen hatte.

Er drehte sich zu ihr um und musterte erneut ihren Körper, bemerkte wie nervös und unsicher sie wirkte.

Rose rieb sich über den Arm und schaute zu Boden. Der Druck hinter ihren Augen kam unbemerkt und schnell als ihr langsam durchsickerte, dass er so betrunken gewesen war, dass dieser Kuss womöglich in seiner Erinnerung verschwamm.

Er war zu unbedeutend für Jacob gewesen, als das er sich daran erinnerte. Natürlich. Wie hatte sie denken können, das würde nun zwischen ihnen stehen? Er war sturzbetrunken gewesen. Ein Wunder, dass er keine Alkoholvergiftung davongetragen hatte.

„Du..." Sie schluckte wieder schwer. „Du hast mich geküsst", erzählte sie ihm leise und er hob seine Augenbrauen, setzte sich auf sein Bett.

„Wirklich?" Er konnte nicht zurückrudern und ihr gestehen, wie atemberaubend er den Kuss trotzt seines schlechten Verhaltens befunden hatte. Oder so verschwommen wie er ihm auch im Gedächtnis geblieben war. Er wusste nämlich, dass er auch ihre Fäuste gespürt hatte – und wie sie ihm gegen seinen Oberkörper gehauen hatten.

Jacob achtete darauf, dass er so verwundert wie möglich klang. Mit einer Hand rieb er sich den Nacken, bevor er weitersprach. „Kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern." Es wurde noch angespannter zwischen den beiden.

Rose sah zum Fenster hinaus und zwirbelte hinter ihrem Rücken eine längere Haarsträhne, die sie zu fassen bekommen hatte.

Jacob erinnerte sich also nicht an den Kuss. Er war zu betrunken. Sie hätte es wissen müssen. Im nüchternen gestand er's sich nicht ein, sie zu mögen.

Was ihr bewies, wie ehrlich er mit ihr war.

Sie hatte Recht behalten – das könnte niemals funktionieren.

„Oh, nun... du hattest auch ein wenig getrunken", murmelte sie und atmete hörbar aus.

„Ja." Jacob schnaubte. „Ein bisschen ist gut." Er sah wie sie kurz zum Fenster hinaus und auf eine Bahnhofsmauer. „Mein Schädel brummt wie ein Haufen hungriger Hafenarbeiter."

Er biss sich auf die Zunge, setzte sich auf seine Hände. Wie gern würde er dieses Mädchen wieder zu sich ziehen und ihre Lippen in Beschlag nehmen.

Sein Körper flehte ihn an, doch sein Verstand, nüchtern und nicht länger benebelt, sagte ihm, wie verwerflich und falsch das jetzt wäre. Denn wenn er jetzt die richtigen Worte wählte, könnte er alles kitten. Er könnte alles zwischen ihnen retten und diese leichte und lockere Freundschaft aufrechterhalten.

„Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe", sagte er und Rose zwang sich, ihm ins Gesicht zu blicken. „Du verdienst mehr als einen Idioten, der betrunken dumme Entscheidungen trifft." Er rollte scherzhaft mit den Augen. „Vergessen wir das einfach und machen da weiter, wo wir waren?", schlug er vor und saß einige Sekunden gespannt da, ehe er mitansah, wie die junge Frau nickte.

Rose nahm stumm sein Angebot an – sei Dank. Nicht vorzustellen, hätte er den Respekt und das Vertrauen ihrerseits mit diesem Kuss zerstört.

Eine weitere Stille breitete sich zwischen ihnen aus – und sie hielt. So lange, dass der junge Meisterassassine sich mit aller Kraft zurückhalten musste, die Frau vor ihm zu berühren. Selbstbeherrschung war etwas, was Jacob schon früh gelehrt bekommen hatte, jedoch hatte er noch nie so sehr wie in diesem Moment um sie kämpfen müssen.

Alles was er wollte, war sie zu berühren, sie zu halten – und ihr alles zu gestehen.

„Kommst du dann zum... Frühstück?", fragte sie ihn plötzlich leise und wandte sich ein wenig von ihm ab.

„Gerne." Jacob blinzelte und stand abrupt auf, sodass Rose zusammenzuckte.

Sie verließ als erstes den Wagon und jeder Rook im Gemeinschaftswagon lauschte für einen Moment, bevor die Anwesenden von gestern Nacht erzählten, was noch alles so geschehen war.

Die beiden jungen Menschen sprachen kein Wort miteinander als sie den Gemeinschaftswagon betraten. Rose sah, dass ihre Schwester inzwischen auch den Weg aus dem Bett gefunden hatte und neben Rico am Tisch saß.

Auf der Suche nach einem freien Platz stellte sie schnell fest, dass die anderen ihr nur zwei Optionen gelassen hatten.

Beide nebeneinander und neben August.

„Jacob", rief Elisé erfreut und hob die Hand, winkte ihm.

Rose sah ihre Schwester mahnend an, die die Hand dann wieder sinken ließ und beschämt dreinschaute. Sie vergaß zu schnell und häufig ihre Manieren.

Jacob schmunzelte und erwiderte ihre Geste, womit die zwölfjährige zumindest wieder ein wenig lächelte.

Rose atmete tief ein als sie sich stumm ihrem Schicksal ergab und sich auf den Stuhl neben August setzte.

Elisé folgte Jacob mit den Augen, lächelte entzückt als sie ihre Schwester mit dem Rookanführer an einem Tisch sah. Ihr heimlicher Plan war aufgegangen – dafür hatte sie sich gerne mit Gus angelegt, der nun neben Oliver saß.

Die siebzehnjährige griff nach dem Brot vor ihr und holte nochmal tief Luft. Sie hatte nicht annähernd so viel Hunger, wie sie sollte. Es war fast dasselbe wie gestern – nur das Jacob heute anwesend war.

Die Anspannung fühlte sie überdeutlich im Raum und der zerkaute Brot lag ihr schwer im Magen, stoppte auf dem Weg ihren Hals hinunter immer wieder schmerzhaft.

Der braunhaarige Mann nahm sich selbst nur ein wenig Speck, ein Ei und schnitt eine Scheibe Brot in zwei Hälften, um nur eine zu essen. Er mochte das Essen von Rose sehr – es war sogar noch besser als das was Evie manchmal gekocht hatte. Nur heute wollte es ihm nicht wohl bekommen.

Rico beobachtete die beiden immer mal wieder, hielt sich jedoch weitestgehend an Elisé, die ihm von einem schwebenden Teppich aus ihrem Traum berichtete.

„Wie geht's deinem Kopf, Boss?", fragte Gus, während er sich noch etwas Speck in den Mund schob.

Jacob selbst nickte lediglich, da er selbst etwas im Mund hatte und nicht mit vollem Mund vor Rose sprechen wollte.

Sein Kopf brummte noch immer wie die Hölle, dafür war der junge Assassine jedoch selbst schuld. Er war zwar schon immer trinkfest gewesen, doch das gestern hätte ihn umbringen können.

Selten trank er dermaßen übers Ziel hinaus. Je weniger Kontrolle er aufwies, desto schneller konnte er auch angegriffen werden.

„Gab es Vorkommnisse heute Morgen?" Jacob runzelte die Stirn und Rico seufzte.

„Post liegt an der Bartheke", antwortete er ihm. „Ich glaube da ist auch einer vom Polizeirevier bei."

Jeder hielt bei den Worten des Rooks inne – selbst die Damen.

„Hast'n Strafzettel?", scherzte Paul kurz.

„Womöglich haben unsere Eltern geantwortet." Rose sah zu Elisé, die den Blick niederschlug.

„Mal den Teufel nicht an die Wand." Jacob lächelte matt, erhob sich einfach. „Ich werde mal schnell nachsehen."

Sobald der Anführer den Raum verlassen hatte, nahmen die meisten die Tätigkeit zu frühstücken wieder auf, doch Rose war endgültig der Appetit vergangen. Sie wollte kein Abreisedatum aufgedrückt bekommen. Das machte das Ganze noch schwerer für sie. Damit rückte ihr letzter Tag näher und dafür war sie noch nicht bereit.

Sie schluckte als Jacob ohne Briefe den Gemeinschaftswagon wieder betrat und neben ihr platznahm.

„Haben unsere Eltern geantwortet?", fragte Rose ihn leise und senkte den Blick auf ihren Teller hinab.

Jacob löste seinen Blick nicht von der lachenden Elisé, die eben fragte, wie man denn ein Pferd breitbeinig als Frau reiten könnte – denn in ihrer Vorstellung ging das nicht.

„Er hat mich gegen Nachmittag eingeladen." Rose schluckte erneut. „Nichts wurde erwähnt."

Roses Puls nahm eine ungeahnte Fahrt und sie atmete zittrig ein als sie plötzlich spürte, das Jacob seine Hand auf ihr Knie legte und es drückte.

Ihre Mundwinkel zuckten nach unten.

Jacob hatte aber auch nicht erwähnt, dass es nicht um ihre Eltern ging.

„Geh heute Abend mit mir aus."

Jacob hätte nicht eher dafür sorgen können, dass der gesamte Wagon schlagartig verstummte.

„M-mit uns, meinte ich." Er blinzelte und schüttelte schnell den Kopf. „Falls das euer letzter Abend hier ist, wär das doch... toll, ihn so... zu verbringen."

Der Anführer der Rooks hatte sich noch nie so sehr vor versammelter Mannschaft blamiert. Und das tat Paul leid.

„Ja." Er blinzelte, strich sich durch die dunkelbraunen Haare und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich fänd's klasse, wenn Sie mitkämen. Dann hätten wir ein Grund, heute Abend nicht über die Schlänge zu hauen."

„Und freundliche Gesellschaft", fügte August hinzu.

Jacob schluckte. Ihm war das peinlich. Er hatte seinen Mund wieder schneller handeln lassen als sein Hirn hinterherkam.

Rose biss sich leicht auf die Lippe. Es war ein schöner Vorschlag – und er kam von Jacob. Ein letztes Mal könnte sie in Berührung dessen kommen, was er „Freiheit" nannte.

„Wieso nicht?" Sie sah Jacob an, dessen Mundwinkel ein Stück nach oben zuckten.

Er befeuchtete seine Lippen mit der Zunge.

Jacob wollte es sich nicht vorstellen, wie sie von angetrunkenen Männern angesprochen würde – oder noch schlimmer angefasst. Vor allem nach dem Kuss gestern Nacht wollte der Assassine nichts mehr, als sie für sich zu haben.

Nur wenn dass das einzige war, was er noch bekommen könnte, würde er einen Teufel tun und es nun sabotieren. Deswegen biss er sich so sehr auf die Zunge, dass er schon bald Blut schmeckte.

„Und wer passt auf mich auf?" Elisé verdrehte theatralisch ihre Augen.

„Nun, ungern würde ich ein Kind mit in eine Kneipe nehmen." Rico zwinkerte ihr kurz zu. „Wir fragen Miss MacBean, ob sie Zeit erübrigen kann."

Elisé kicherte. „Ich habe nur Spaß gemacht", gestand das Mädchen ein.

„Ich, eh, bin satt." Rose lächelte matt und erhob sich abrupt, ehe sie mit ihrem Teller aus dem Wagon lief.

Jacobs Blick folgte der jungen Dame und er seufzte. Er würde sie schrecklich vermissen, das war ihm schmerzlich bewusst. „Ich werde nochmal in Lambeth nach dem rechten sehen und anschließend unseren lieben Sergeant aufsuchen", verkündete er und erhob sich. „Rechnet damit, dass ich erst am frühen Abend wieder da bin", sprach der junge Assassine aus und machte sich auf den Weg zu seinem Abteil, um seine Waffen zu holen.

Er lief so schnell und so fix an Rose vorbei, dass diese beinahe nicht mitbekam, das da jemand den Wagon betreten hatte.

Der Assassine wollte nichts mehr als noch mehr Nähe der jungen Damen, jedoch musste er hier raus, bevor er seinen Körper und Mund wieder übernehmen ließ.

Seufzend schnallte er sich seinen Greifharken um und zog sich seinen Mantel als letztes über.

Er vergaß in dieser Hektik beinahe seine versteckte Klinge, doch dann folgte sie in seiner Hand und er verließ seinen Wagon, haute neben seiner Tür auf den Halteknopf.

Jacob musterte Rico als dieser den Wagon mit den vielen Schlafbetten betrat und die Tür schloss, sodass Rose, die in der Küche den Abwasch machte, nicht länger hören könnte, was besprochen wurde.

„Du wünschst...?", scherzte Jacob und öffnete die Tür.

„Es ist die einzige Chance, die du vielleicht bekommst", sprach er ernst aus. „Wirf das nicht weg." Rico hob eine Augenbraue und Jacob schnaubte belustigt.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du zum Teufel sprichst", sagte er ihm, ehe er hinaussprang.

Auf den Gleisen gehalten hob Jacob den Arm und dankte erneut seinem Bekannten Alexander Bell, der ihm diese Apparatur erst ermöglicht hatte. So war es ihm ermöglicht, schnell zu verschwinden, wenn er wirklich wollte.

Er hob seinen Arm, löste den Seilwerfer aus und schon raste er in die Höhe, sobald sich der Greifharken festgespannt hatte.

An einem oberen Ende einer Mauer packte er die Kante und zog sich hoch, ächzte kurz. Sein Schädel brummte und die Frühlingswärme und Frühjahressonne machten es ihm nicht leichter.

Sicher landeten seine Füße auf dem Boden, doch bevor er loslief, warf er dem Zug einen schnellen letzten Blick zu.

„Ich kann das einfach nicht", murmelte der Assassine ganz leise zu sich selbst und machte sich auf den Weg zu seinem Ziel.


Elisé und Rose waren in ihrem Abteil und machte sich für den Tag bereit. Elisé beobachte genau ihre ältere Schwester, die noch immer ein wenig neben der Spur wirkte.

„Wirst du es ihm sagen?", fragte das jüngeren Mädchen und sie erhielt einen verwirrten Blick von ihrer Schwester.

„Wovon sprichst du?", fragte Rose seufzend, obwohl sie schon ahnte, was ihre Schwester meinte.

„Das du ihn magst", sprach Elisé aus. „Du magst Jacob sehr, das sieht man dir an."

„Elisé, ich habe dir schon mal gesagt, dass dieses Thema tabu ist." Elisé zuckte zusammen als Rose ihre Stimme erhob. „Verstanden?"

„Entschuldige." Elisé lief rot an und schlug den Blick auf ihren Petticoat nieder.

Sie wollte ihre Schwester nicht bedrängen, doch seit sie aus Plymouth weggezogen war, hatte sich das Leben ihrer Schwester verändert und so auch sie. Ihre Briefe waren seltener geworden und sie wünschte sich nur, dass sie mit ihrer großen Schwester wieder tratschen könnte. Das es wieder so wäre, wie zuvor.

Elisé sah traurig aus, das wollte Rose nicht.

Ihre Sicht verschwamm als sie den Blick abwandte und akribischer begann, ihren Reifrock zuzuschnüren.

Sie schluckte schwer. „Es tut mir leid", sagte sie in die angespannte Stille hinein. „Doch bestimmte Angelegenheiten gehen dich nichts an, Elisé. Das musst du noch lernen." Sie atmete tief ein. „Es würde wahrscheinlich nicht gut ausgehen", behauptete sie und ihre Schwesters Mundwinkel zogen sich noch weiter nach unten.

Rose hatte sich in so kurzer Zeit in einen Mann verliebt, der so anders war als alle anderen Männer, die sie bisher kannte – und das war gefährlich. Nichts war gefährlicher als Gefühle. Ihre Mutter hatte ihr beigepflichtet, dass eine Ehe wundervoll sein konnte, aber auch hart. Und das es besser wäre, sich nicht zu verlieben, wenn möglich, da die Liebe eines Ehemanns unerwidert bleiben und zum Unglück führen könnte.

Jacob war sowohl fürsorglich als auch frech und charmant zugleich – er wäre eines Tages ein hervorragender Ehemann. Nur irgendwann war nicht jetzt. Ihre Eltern würden ihn nicht billigen und akzeptieren. Sie wünschten sich mehr für ihre Kinder und das wusste Rose.

Dennoch faszinierte und reizte Jacob sie so sehr. Ihr Herz schrie von Stunde zu Stunde mehr und mehr danach, ihm die Wahrheit zu sagen.

Rose wischte sich schnell über die Wange, wischte die Träne fort, ehe sie die Schnüre ihres Reifrocks feststeckte und sich den Petticoat wieder überzog.

Sie atmete tief ein, war gerade dabei, ihr Unterhemd zu richten, als es an der Tür zum Abteil klopfte.

Elisé sah ihre Schwester an, die nickte und sich schnell ihren Morgenmantel überwarf. Danach ging die jüngere Dupont zur Tür, um diese zu öffnen.

„Rico", sagte sie erfreut und lächelte den älteren Mann breit an. Er schmunzelte und zerzauste ihr ein wenig das Haar. Er mochte das junge Mädchen.

„Geht es Ihnen beiden gut?", fragte er und sah Rose an, die gerade begann, ihr Haar im bedürftigen Spiegel hochzustecken.

„Ja", antwortete sie knapp.

„Wir machen uns gerade fertig", erzählte Elisé ihm.

Rose mochte den älteren Rook, er wirkte wie ein guter Freund für beide und Elisé bezeichnete ihn hier sogar als ihren besten Freund.

„Wolltet ihr ein wenig das schöne Wetter genießen?", fragte Rico und trat ein nach dem Elisé ihn darum mit einer Handbewegung bat.

„Ja." Rose seufzte. „Ein wenig frische Luft tut uns gut." Rose legte sich die Kette ihrer Großmutter um und befühlte den Stein darin. Sie vermisste die alte Frau und ihre weisen Ratschläge. Genau so einen könnte sie nun wirklich brauchen.

Der Rook nickte und musterte die junge Frau. Äußerlich verstand er vollkommen, warum Jacob sie so begehrte und mochte. Sie war freundlich, doch Rico kannte Rose zu kurz als dass er sich jemals in sie verliebt hätte. Für Jacob passte es. Bei ihm lief alles schnell, kaum etwas mit sorgfältiger Planung. Jacob war sprunghaft, doch Rose wirkte auf ihn nach langer Zeit wie der erhoffte Ruhepol.

Schade, dass sie demnächst abreisten.

„Nun, wenn Sie es nicht stören würde, würde ich mitkommen." Er sah Elisé an. „Ich hatte ohnehin vor, mich mit meinem Sohn im Park zu treffen und so würde Jacob sich am Ende nicht fragen, warum Sie beide einfach den Zug unbeaufsichtigt verlassen hätten." Er lächelte und Elisé lief aufgeregt zu ihren Schuhen und versuchte hineinzuschlüpfen. Doch durch ihren Rock sah sie sie nicht.

„Das klingt schön." Elisé sah aufächzend zu ihrer großen Schwester, die seufzte, zur ihr lief und ihr in ihre Schuhe half. Sie vergaß ihrer Meinung nach zu häufig, die Schuhe als erstes anzuziehen. „Kann Rico mit Rose? Bitte", bat die jüngere der beiden und Rose atmete tief ein.

„Natürlich." Die rothaarige nickte und schon lief Elisé an dem älteren Mann vorbei.

„Ja", rief sie noch und die beiden älteren fingen an zu lächeln.

„Ich erinnere mich noch daran, als meine Kinder mal so jung waren", kommentierte Rico, bevor er dem Mädchen hinterher ging.

Rose schüttelte den Kopf. Es gab ihr nun noch mehr Zweifel an dem, ob sie gehen sollte. Aber sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte.


Jacob war inzwischen bei Frederick Abberline eingetroffen – Widerwillen.

Der Meisterassassine hatte es lange genug hinausgezögert, doch nachdem ihm sogar ein Polizist auf der Straße die Nachricht überbrachte, Abberline erwartete ihn noch immer in seinem Büro, hatte er sich schweren Herzens auf den Weg gemacht.

„Wie erholt sich der Scheißkerl?", fragte Jacob und spielte mit Abberlines Stiften in einer Hand herum.

Abberline lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und sah den einundzwanzigjährigen an, der den Blick zu ihm mied.

„Jacob, bitte", ermahnte er seinen Freund und presste die Lippen aufeinander. „Zügle deine Zunge."

Jacob schnaubte verächtlich. „Für den?" Er sah zur Tür. „Nie im Leben", stellte er klar.

Frederick wusste, dass der Assassine nichts für Pitsbur übrig hatte, aber trotzdem gab es etwas wie Anstand und Manieren, seines Erachtens nach – selbst Verbrechern gegenüber.

„Du kannst dir also keinen anderen Grund vorstellen, als den, dass ich dich herholen ließ, um über Pitsbur zu sprechen?"

Jacob rollte mit seinen Augen. „Lass mich raten. Es geht um die zwei Bötchen, die ich Anfang des Monats sinken ließ."

„Wie bitte?" Abberline zog eine Augenbraue weit nach oben und Jacob grinste.

„Nichts", antwortete er und legte mit ruhiger Hand die Stifte zurück auf den Schreibtisch, begann sie zu richten.

„Du weißt genau, weshalb dich rufen ließ", meinte der Polizist ernst und legte seine Hand auf einen Brief neben den Stiften, die Jacob geraderichtete.

Dieser hielt inne, sah zum Brief hinüber.

Das Siegel war gebrochen und Jacob erkannte eine grazielle Handschrift darauf.

Sein Herz begann ein paar Takte höher zu schlagen und zögerlich zog er seine Hand zurück.

Der junge Assassine runzelte seine Stirn. „Was ist das?", fragte er und schaute zu Abberline hinauf, der wieder auf den Brief deutete.

„Lies es doch einfach selbst", ermutigte er ihn.

Jacob wusste nicht, ob er diesen Brief überhaupt nochmal anblicken wollte – dennoch ergriff er ihn genauso zögernd wie er seine Hand zurückgezogen hatte.

Sobald seine Augen die ersten Zeilen verschlungen hatten, hörte er zu lesen auf. Er wünschte sich, er hätte nie begonnen.

„Sie plädieren auf Freilassung?!"

Abberline sah ruckartig zu seinem kriminellen Freund zurück.

„Was?" Der Polizist riss ihm den Brief aus der Hand und fluchte. „Das ist der falsche Brief." Augenverdrehend nahm er sich den Brief, auf den er gedeutet hatte und hielt ihn ihm hin. „Würdest du einmal nicht meine Post lesen?"

Jacob hätte an dieser Stelle für gewöhnlich gelacht, doch die Tatsache, dass der Anwalt Pitsburs dessen Freilassung verlangte, hinterließ in ihm einen bitteren Beigeschmack.

„Ja, ja. Ist ja schon gut." Jacob murmelte leise und nahm den Brief mit der feinen Handschrift an sich, begann zu lesen. Und dieser Brief hinterließ nicht nur einen bitteren Beigeschmack, sondern brach ihm das Herz. Da hatte er es, seine Antwort. „So schnell?"

Abberline zuckte leicht mit seinen Schultern. „Sie haben Monate nach Elisé gesucht und nun Antworten. Sie möchten selbstverständlich ihre Töchter so schnell sie können wieder bei sich wissen."

Jacob holte tief Luft und schloss kurz die Augen.

Er hatte keinen Tag mehr mit Rose. Ihm blieben wenige Stunden. Das war Folter, sein bisher für ihn blödster Albtraum.

Jacobs braune Augen überflogen die Zeilen noch einmal grob, sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Denn die Antwort von Mr. und Mrs. Dupont blieb dieselbe.

„Also morgen", murmelte der Attentäter betrübt.

Er war noch nicht bereit, sich von Rose zu verabschieden. Ehrlich gesagt wollte er gar nicht Abschied nehmen. Aber er wusste auch, dass es ihm nicht möglich sein würde, sie bei sich zu halten.

„Ich weiß."Abberline seufzte und musterte den jungen Mann vor ihm. Doch was er als nächstes in dessen Gesicht widergespiegelt bekam, ließ Fassungslosigkeit an die Oberfläche dringen.. „Jacob", sprach er den Assassinen mit warnendem Unterton in der Stimme an. „Sag mir, dass es nicht das ist, was ich gerade denke."

Er malmte auf seinem Kiefer herum und schnaubte laut, wandte sich ruckartig ab als der einundzwanzigjährige den Brief auf seinem Tisch ablegte.

„Wie konntest du das tun?!" Er nahm seine Mütze ab, fuhr sich durchs Haar. „Sie ist minderjährig, Frye!"

„Mach halblang." Jacob zog beim Aufstehen eine Augenbraue hoch. „Ich weiß, dass es falsch ist." Er seufzte kurz, blickte auf seine versteckte Klinge. „Und ich habe sie nicht angerührt. Zu keiner Zeit", log er ihn eiskalt an.

Abberline schnaubte erneut. „Du bist echt so ein Schuft! Hast du denn keinerlei Anstand?!"

„Ich kann es mir nun mal nicht aussuchen, in wen ich mich verliebe!"

Abberline zuckte zurück und hielt inne. „Ach, komm." Er verzog das Gesicht. „Du willst von Liebe reden? Du kennst dieses Mädchen doch gar nicht."

„Nein, du kennst sie nicht. Alles was du vermutlich über sie weißt, hast du von einem Kidnapper und vermutlich Mörder." Jacob, der seinen Zylinder gar nicht erst aufgesetzt hatte, fuhr sich durchs Haar. „Ich weiß, dass es das beste ist, wenn sie zu ihren Eltern zurückkehrt", entkam es dem braunhaarigen ruhiger als dem Sergeant und er schloss für einen Moment seine Augen.

„Das heißt, es wird morgen zu keinen Zwischenfällen kommen?", betonte der Polizist und legte seine Hände aneinander.

Es herrschte tödliche Stille zwischen den beiden und die Ladung spürte man überdeutlich. Abberline missfiel wie immer alles, was Jacob tat und anging. Er mochte seinen Freund, aber er hinterfragte dessen Lebensstil.

„Jacob, versprich es mir", bat er ihn und blickte ihn sehr ernst an.

Jacobs Gedanken handelten nur um Rose – und darum, dass er sie nicht gehen lassen wollte. Doch entschied er gegen sein Herz.

„Du hast mein Wort, Frederick." Jacob schluckte und richtete sein Rückgrat gerade, ließ seine Emotionen, soweit es ihm möglich war, außen vor. „Beide werden morgen wieder auf den Weg zu ihren Eltern sein", versprach Jacob es dem Polizisten.

--------

Datum der Veröffentlichung: 28.11.2021 14:28 Uhr

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top