2. Kapitel
KADEN
Der Prinz steht hoch aufgerichtet da, die Hände, in denen der Ring verborgen liegt, hinter dem Rücken verschränkt. Er sieht sie von der Seite an, während sie wiederum nur den Pferden, die im Wettstreit um den ersten Platz im Rennen sind, ihre Aufmerksamkeit schenkt.
Wie oft ist er regelrecht vor ihr davongerannt, bevor sie ihm mit ihrem hochmütigen Gesichtsausdruck, den langen, reich verzierten Gewändern und ihren ermüdenden Reden über Reichtum und Macht und Ansehen und Klatsch zu nahe kommen konnte.
Sieh nur, was du mir hinterlassen hast, Bruder, denkt er und schüttelt den Kopf. Ein Königreich, das einen neuen, einen gerechten Führer dringend nötig hat, aber jetzt im Chaos versinkt. Und eine Frau, die so unausstehlich wie dumm ist, dass ich am liebsten hinter einem der Wachmänner Deckung suchen würde. Frustriert lässt er den Kopf hängen. Ist es dir genauso ergangen, als Ean gestorben ist und diese Last plötzlich auf deinen Schultern ruhte? Aber du hattest zumindest noch mich. Ich habe niemanden mehr. Die Frau, die ich liebe, ist unerreichbar, und ich verrate meine Liebe zu ihr in dem Augenblick, in dem ich Suzanne diesen Ring an den Finger stecke. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll, Raffael. Ich weiß es einfach nicht.
Black Thunder galoppiert in diesem Augenblick über die Ziellinie und Suzanne beginnt vor Aufregung über ihren Sieg laut zu klatschen, da sie auf dieses Pferd gewettet hat.
Kaden unterdrückt ein melancholisches Lächeln und dreht sich ihr zu, als er merkt, dass sie ihn beobachtet. »Ich habe gewonnen«, teilt sie ihm freudig mit und er versucht sich an einem breiten Grinsen.
Er ist so nervös, dass er den Ring kurz in die linke Hand nimmt, um einen Schluck aus seinem Sektglas zu nehmen, dann stellt er es ab und schenkt ihr seine volle Aufmerksamkeit, nimmt ihre filigrane Hand in seine.
Und dann ... sinkt er trotz seines Widerwillens auf die Knie und holt den Ring hinter seinem Rücken hervor. »Suzanne Shriver, würdest du mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«
Die Worte sind heraus, bevor er es wirklich realisieren kann. Dieser Moment vergeht so zäh wie Sirup und gleichzeitig fühlt er sich völlig losgelöst, als würde das alles nicht ihm passieren sondern einer völlig anderen Person.
Suzanme schlägt sich in gespieltem Erstaunen die Hand vor den Mund und reißt ihre Augen auf, dann nickt sie und bringt diese drei klitzekleinen Worte heraus, die er nicht hören will. Zumindest nicht von ihr. »Ja, ich will!«, flüstert sie, noch immer will ihre Stimme ihr nicht ganz gehorchen.
Kaden steht wieder auf und versucht, sie warm anzulächeln. Im nächsten Augenblick hat sie sich schon in seine Arme geworfen und küsst ihn leidenschaftlich, aber dennoch kameratauglich, da ja alles per Video aufgezeichnet wird.
Aber es sind nicht Suzannes Lippen, an die er denkt, als sie ihn küsst. Es sind ihre.
** *
GWENDOLYN
»Nein!«, rutscht es mir heraus und in meiner Wut werfe ich den Controller an die Wand neben dem RTD, aber schon im nächsten Moment wird mir klar, dass ich nicht das Recht habe, Kadens Verlobung mit Suzanne zu kritisieren, immerhin war mir von Anfang an klar, dass nie etwas aus uns hätte werden können. Dennoch ... dennoch tut es weh zu wissen, dass der Mann, den ich liebe, einer anderen versprochen ist.
Ich starre auf den Bildschirm und beobachte Kadens stoische Miene, aus der ich nicht lesen kann, was er von dem Ganzen hält.
Meine Gedanken fliegen zu einem Punkt in der Vergangenheit – fast fünf Wochen zuvor. Dieser Abschied. Von Kaden. Von meinem bisherigen Leben. Denn seitdem bin ich auf der Flucht.
»Ethan will dich sehen.«
Ich blicke vom RTD auf und erkenne Seza, wie sie im Türrahmen steht und mich mit abschätziger, teils auch hasserfüllten Miene betrachtet. Ich kann es ihr kaum verdenken, immerhin habe ich ihren Plan durchkreuzt – obwohl es kein guter oder humaner Plan gewesen ist und ich ihn aus Gründen der Moral sabotieren musste.
Nach einem letzten Blick auf den RTD nicke ich und stehe auf, schalte den Bildschirm beim Vorbeigehen ab und ignoriere Sezas stechenden Blick, als ich neben sie trete. Kurz frage ich mich, ob es sie stört, dass er so viel Wert auf meine Meinung legt und sie dabei immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Bestimmt.
»Wo ist er denn?«, will ich wissen, um nicht unnötig Zeit zu verschwenden oder länger als notwendig in Sezas Nähe zu sein.
Sie setzt sich neben mir in Bewegung. »Ich bringe dich hin.« Kurz bin ich überrascht, denn wir konnten uns vom ersten Augenblick an nicht besonders leiden und was mich betrifft, so bin ich immer froh, wenn sie wieder weg ist.
Unsere gemeinsame Reise gestaltet sich als so unangenehm wie erwartet. Die Stille zwischen uns ist so spürbar aufgeladen mit gegenseitigem Hass und Abneigung, dass ich schon beginne, nach einem Gesprächsthema zu suchen, obwohl ich nicht gerade das Verlangen danach verspüre, jemals wieder ein Wort mit ihr zu wechseln, wenn es sich vermeiden lässt. Sie hat mir viele Dinge unnötig erschwert und das werde ich ihr niemals verzeihen.
Wir wandern durch den äußeren Ring, aber schon bald wird mir klar, dass hier nicht unser Zielort liegt. Schon kurze Zeit später haben wir uns in die Geisterstadt, wie ich sie nenne, vorgearbeitet. Hier stehen nur noch baufällige Häuser bis hin zu vollkommenen Ruinen. Wohin sich mein Blick auch verirrt, alles ist von Verfall geprägt und die bruchstückhaften Fassaden ragen auf wie übergroße Zähne einer verkommenen Monstrosität.
»Warum bist du hier? Mit mir?«, will ich schließlich wissen. Eine Zeit lang kommt keine Reaktion, weshalb ich schon denke, sie wird mich vollkommen ignorieren.
»Weil Ethan mich geschickt hat«, meint sie dann jedoch, »und weil er auch noch mit mir reden will.« Ich kann ihr ansehen, dass dies sie zwar nicht zufriedenstellt, aber zumindest besänftigt. Sie ist und bleibt eine nach Aufmerksamkeit heischende Person.
»Hör mal, Seza«, murmle ich unsicher. »Ich weiß, du bist wahrscheinlich total wütend auf mich, weil ich deinen scheinbar ach so tollen Plan ruiniert habe, indem ich Ethan gesagt habe, was vor sich geht. Aber denkst du nicht, wir sollten diesen Twist endlich beilegen – vergessen, weil es im Moment Wichtigeres zu regeln gibt als unseren kleinen Streit?«
Sie starrt mich emotionslos an und schnell füge ich hinzu: »Das heißt keinesfalls, dass ich dich jetzt gut leiden kann oder gar mag. Es heißt auch nicht, dass ich dir deine Vergehen verzeihe, aber ich will, dass wir uns jetzt auf wichtigere Dinge konzentrieren, okay?«
Mit finsterer Miene folgt sie mir. »Du hörst dich an wie meine Mutter. Ich mag keine Leute, die herumkommandieren können wie meine Mutter.« Sie seufzt resigniert. »Aber ich muss dir Recht geben. Im Augenblick gibt es Wichtigeres, worum wir uns Sorgen machen müssen.«
Überrascht blicke ich auf. »Tatsächlich? Du gibst einfach so nach?«
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