Kapitel 7
Caitlyn
In Gedanken versunken starre ich weiterhin an die Decke meines Schlafzimmers und erst nach wenigen Minuten bemerke ich, wie müde ich eigentlich bin.
Meine Augen schließen sich langsam und ich kann nicht dagegen ankämpfen, einzuschlafen.
Doch schon kurze Zeit später, reißt mich ein wiederholtes Klopfen aus dem Schlaf und ich reibe mir mit meinem Handrücken über die Augen.
Ich setze mich senkrecht in meinem Bett auf und schaue verwundert in meinem Zimmer herum, um den Ursprung des merkwürdigen Klopfens ausfindig zu machen.
Jedoch hört es in dem Moment, in dem ich mich aufsetze, auf. Ich zucke mit den Schultern und möchte mich gerade wieder in mein Himmelbett legen, als es wieder zu klopfen beginnt.
Nach einigen Minuten realisiere ich erst, dass es sich so anhört, als würde jemand gegen meine Fensterscheibe klopfen.
Langsam, und mit verwunderter Miene, bewege ich meinen Kopf in die Richtung meines großen Fensters und schaue direkt in die Augen der Person, die sich draußen, vor meinem Schlafzimmerfenster befindet und mich ebenfalls ansieht.
Erschrocken und wie versteinert starre ich den muskulösen, jungen Mann an, der mit beiden Füßen fest auf dem Fenstersims steht und als er merkt, wie erschrocken ich ihn anstarre, fängt er an zu grinsen.
Wegen des Zimmerlichts, welches sich in der Scheibe spiegelt, brauche ich einige Sekunden, um die Jungen hinter dem Grinsen zu identifizieren.
Es ist Nathan Jones, der aus irgendeinem Grund zu meinem Fenster hinauf geklettert ist und an die Fensterscheibe meines Schlafzimmer klopfte.
Sofort verlasse ich nach dieser Erkenntnis mein Bett und stürme zu dem Fenster, um dieses zu öffnen und Nathan hinein zu lassen.
,,E-ehm, was machst du hier?", stottere ich nervös, als Nathan, der weiterhin ein Halb-Grinsen im Gesicht hat, mit einem Sprung in meinem Schlafzimmer auf dem Boden landet.
Sein Grinsen geht zu einem richtigen Lächeln über, als er sich interessiert in meinem Zimmer umsieht.
,,Woher weißt du, wo ich wohne?", frage ich mit vor Aufregung zitternder Stimme, woraufhin Nathan mich kurz ansieht.
,,Ich weiß alles über dich, Kleine", antwortet er mir nüchtern und streicht mit seiner Hand über einige meiner Schlafzimmermöbel, was wohl ein Zeichen dafür ist, dass er beeindruckt von meiner Einrichtung ist.
,,Wie bist du an mein Fenster gekommen?", möchte ich von Nathan mit immer noch zittriger Stimme wissen.
Unser Apartment befindet sich im ersten Stock und das Fenster meines Schlafzimmer ist zu dem Garten gerichtet, welcher mit einer großen Mauer von den anderen Gärten und Hinterhöfen getrennt wird.
Hat er eine riesige Leiter dabei gehabt?, frage ich mich und beobachte Nathan, der meiner Frage aus dem Weg zu gehen scheint.
,,Was willst du hier?", frage ich ihn, diesmal mit etwas Nachdruck.
Nathan fängt an zu lachen und schüttelt leicht seinen Kopf.
,,Ganz schön viele Fragen für solch ein kleines Kätzchen", sagt er hämisch zu mir und greift in die Tasche seiner dunklen Jeansjacke.
Ich beobachte Nathan's Bewegungen so intensiv, als wäre ich ein Leopard, welcher seine Beute beobachtet.
Doch habe ich nicht vor, ihn anzugreifen. Viel mehr ist es so, dass ich das Gefühl habe, er sei unberechenbar.
Unberechenbar und gefährlich.
Nathan holt nach wenigen Sekunden etwas aus seiner Jackentasche heraus und sofort erkenne ich, was es ist.
Es ist das Armkettchen, welches ich von meinem geliebten Großvater, kurz bevor er verstarb, geschenkt bekommen habe.
,,Woher hast du das?", will ich wissen, und bei dieser Frage, hört meine Stimme komplett auf, zu zittern und verfestigt sich.
,,Denkst du etwa, ich habe es dir gestohlen, kleines Kätzchen?", fragt Nathan mich wie zuvor hämisch und anscheinend hat auch er bemerkt, dass meine Stimme sich verfestigt hat.
,,Gib es mir zurück!", verlange ich und schnappe nach seiner Hand, in der sich mein Armkettchen befindet.
Doch Nathan macht keinerlei Anstalten, sich dagegen zu wehren.
,,Du hast es in meinem Trailer verloren", erklärt er mir. ,,Als du wie ein gejagtes Häschen davon gerannt bist", er lacht wieder.
Ohne auf seine Stimme zu achten, schaue ich nach, ob mein Armband unversehrt ist und glücklich stelle ich fest, dass es keinen Schaden abbekommen hat.
,,Ich wollte es dir nur zurückbringen", sagt Nathan, als er sich langsam auf das Fenster zu bewegt.
,,Aber wie nicht anders zu erwarten war deine erste Annahme, ich hätte es dir gestohlen, nicht wahr?", lacht er wieder, doch diesmal kann ich irgendeine Emotion aus seinem Lachen heraushören.
Hat ihn das etwa verletzt?
,,So wie wir minderbemittelten es immer bei den großen, wohlhabenden Menschen tun, richtig?", fügt er hinzu und jetzt spüre ich eine Woge von Hass in seiner Stimme.
Aus irgendeinem Grund gefällt mir der Klang seiner tiefen Stimme.
,,Bye, kleines Kätzchen", sagt er noch, bevor er einfach, ohne zu zögern, hinunter in den Garten springt.
Kurz darauf gehe ich zu meinem Fenster, um ihm hinterher zu schauen, doch Nathan wurde schon bis aufs kleinste Haar von der Dunkelheit verschlungen.
Für einen kurzen Moment stehe ich wie angewurzelt vor dem immer noch geöffnetem Fenster und kann nicht glauben, dass Nathan Jones, welcher der wohl unsympathischste Mensch der Schule sein soll, soeben in meinem Schlafzimmer stand, um mir mein Armkettchen zurückzubringen.
Ohne es wirklich zu wollen, denke ich darüber nach, was er mir sagte.
Dass wir wohlhabenden Menschen von den ärmeren Leuten aus irgendeinem Grund immer erwarten, dass sie uns ständig bestehlen wollen und im Allgemeinen kriminell veranlagt sind.
Ich kann mir nicht erklären, was reiche Menschen dazu bringt, so negativ über andere Menschen zu denken und sie stetig ins schlechte Licht zu rücken.
Nathan hat definitiv Recht mit dem, was er sagte. Und nach diesem Abend bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass das, was die anderen Schüler der Houghton High über ihn zu wissen meinen, nicht der Wahrheit entspricht.
Ich schließe das Fenster und setze mich auf mein Bett und überlege, ob ich Tony von den neuesten Ereignissen erzählen sollte, oder ob das eventuell keine ganz so gute Idee ist.
Tony ist ein sehr aufgewecktes Mädchen und ich bin mir sicher, dass sie angesichts der Tatsache, dass die Gerüchteküche wohl etwas falsches gekocht hat, total ausflippen würde und die neue Erkenntnis über den sogenannten 'Abschaum' Nathan Jones nicht für sich behalten kann.
Natürlich hätte ich jetzt die Möglichkeit, die Schüler der HHS darüber aufzuklären, dass diesen Gerüchten keineswegs Glauben geschenkt werden kann, da ich der lebende Beweis für das glatte Gegenteil bin, von dem, was alle über Nathan denken.
Doch höchstwahrscheinlich würde dies wiederum andere Gerüchte zum brodeln bringen und ich bin mir auch nicht sicher, ob Nathan überhaupt Gefallen daran finden würde, wenn die gesamte Schule Wind davon bekäme, dass er ein Mädchen am späten Abend am Fenster überraschte.
Den ganzen Abend lang geht mir dieses Halb-Grinsen von Nathan nicht mehr aus dem Kopf, und selbst als meine Eltern nach circa einer Stunde das Apartment betreten und wie üblich mit lautem Rufen darauf aufmerksam machen, dass sie wieder zu Hause sind, kann ich nicht aufhören an ihn zu denken.
,,Ich habe Sushi mitgebracht!", höre ich meine Mutter aus dem Wohnzimmer rufen, doch ich reagiere nicht.
Sushi zum Dinner, denke ich mir.
Viel zu viele Menschen können sich noch nicht einmal ein Laib Brot leisten.
Dieser Gedanke lässt mich genau so wenig los wie die Stimme und das Lächeln von Nathan. Es ist ein so komisches Gefühl, wenn man darüber nachdenkt, dass wir uns trotz des Dramas wegen des Fehlers meines Vaters immer noch viel mehr leisten können als die meisten anderen Menschen.
Es ist so komisch zu sagen, wir wären nach der Kündigung meines Dads pleite gegangen, obwohl wir dennoch in einem riesigen Apartment leben und Sushi zum Dinner essen.
,,Andere wären froh, wenn sie eines unserer Betten hätten", sage ich leise zu mir selbst und lege mich in mein Bett.
,,So gemütlich und warm wie wir es haben, haben es viele nicht", murmle ich und starre wieder einmal an die Zimmerdecke, meinem wohl liebsten Ort in diesem Haus.
Als ich so darüber nachdenke, in welch einem Luxus meine Familie und ich hier leben, fällt mir plötzlich der Trailerpark ein und die alte Dame, die mich von einem der verrosteten Trailer aus beobachtete.
Sie mag mir zwar gruselig vorgekommen sein, aber wahrscheinlich hat sie sich nur gefragt, was ein reiches Mädchen wie ich an einem Ort wie diesen zu suchen hat.
,,Diese arme Frau sah nicht sonderlich glücklich aus. Irgendwie verhungert", flüster ich und dann fällt mir etwas ein.
Schlagartig setze ich mich wieder in meinem Bett auf.
Nach einem kurzen Moment des Überlegens springe ich aus meinem Bett, schnappe mir meine Jacke und ziehe mir meine Schuhe an.
,,Mom, Dad? Ihr habt doch sicher nichts dagegen, wenn ich unsere Obstschale plündere, oder?", frage ich meine Eltern, die in der Küche am Esstisch sitzen und gerade dabei sind, die Sushiverpackungen zu öffnen.
,,Bist du jetzt vegan?", fragt mein Vater mich lachend, woraufhin ich den Kopf schüttele und den gesamten Inhalt der Schale in eine Plastiktüte entleere.
,,Gott sei dank!", sagt meine Mutter daraufhin und lächelt meinen Vater verliebt an.
Ich greife auf den Esstisch und nehme eine Packung mit frischem Sushi, welche ich ebenfalls in die Tüte lege.
,,Was hast du vor, Caitlyn?", möchten meine Eltern wissen.
,,Ich bin gleich wieder da!", antworte ich ihnen und steige in den Fahrstuhl, welcher mich in die Lobby fährt.
,,Hoffentlich ist Smithers noch da!", sage ich, während der Aufzug langsam hinunter fährt und dann ein Pieps-Geräusch von sich gibt, als er die Eingangshalle erreicht.
Ich steige aus dem Aufzug und sehe Smithers, der sich gerade sein Jackett überwirft und in Richtung Tür läuft.
,,Smithers!", rufe ich und stolpere, mit der Tüte in meiner Hand, auf ihn zu.
Er dreht sich mit einem freundlichen Lächeln zu mir und schaut mich an. ,,Was kann ich für Sie tun, Miss Sinclair?", fragt er mich.
,,Es tut mir sehr leid, Sie so kurz vor Ihrem Feierabend noch einmal stören zu müssen", beginne ich meinen Satz, ,,Wären Sie vielleicht so freundlich, und fahren mich noch einmal zu diesem Trailerpark?", frage ich ihn.
,,Natürlich", stimmt der freundlichste Butler der Welt zu und nimmt mir die Tüte ab. ,,Der Wagen steht noch draußen", sagt er weiterhin lächelnd zu mir und öffnet mir die Eingangstür.
Als ich das Gebäude verlasse, kommt mir ein kühler Windstoß entgegen und ich genieße es, wie der Wind meine Haare umherweht.
Smithers öffnet mir die Beifahrertür des schwarzen Wagens und ich setze mich hinein. Dann steigt auch er ein und legt die Tüte vorsichtig auf den Rücksitz.
,,Anschnallen, bitte", erinnert er mich und wir schnallen uns gleichzeitig an.
Er startet den Motor des Wagens und verlässt die Straße.
Ich schaue wie gebannt aus dem Fenster des Autos und beobachte all die Lichter, die aus den Häusern strahlen und nur so an uns vorbei zu fliegen scheinen.
Es ist, so als ob man an hunderten von weiß- und orangefarbenen Sternen vorbeizieht und alles mit anderen Augen sieht.
Eine Viertelstunde später erreichen wir die Straße des Trailerparks und ungeachtet dessen, dass auch Nathan hier wohnt, steige ich aus dem Wagen und gehe, samt vollgestopfter Plastiktüte, zielstrebig auf das Wohnmobil der alten Dame zu.
Anders als in der Stadt, leuchten hier nur wenige Lichter, einige Fernseher flackern und man hört das klirren von Gläsern. Vermutlich Bierflaschen.
In dem Fenster der Dame leuchtet ein schwaches Licht, höchstwahrscheinlich die einer Kerze.
Die arme scheint noch nicht einmal Strom zu besitzen, denke ich mir, als ich an der kleinen Treppe zu der Tür ihres Trailers ankomme.
Ohne zu zögern Klopfe ich an die Tür und warte darauf, dass sie mir geöffnet wird.
,,Wer ist da?", fragt eine kratzige, weibliche Stimme aus dem Wohnmobil.
,,Guten Abend, Miss, es tut mir leid, sie so spät noch zu stören. Ich bin das Mädchen, das sie heute gegenüber Ihres Wohnmobils gesehen haben", antworte ich der Dame in einem freundlichen Ton.
Es klickt zwei Mal und dann öffnet sich die rostige Tür.
,,Was willst du?", fragt sie mich genervt und sofort steigt mir ein beißender Geruch in die Nase, was darauf schließen lässt, dass sie nicht nur keinen Strom besitzt, sondern auch keine Wasserversorgung hat.
,,Ich wollte Ihnen nur etwas vorbeibringen", erkläre ich ihr freundlich und reiche ihr die Plastiktüte, welche sie sofort mit ihren knochigen Händen entgegen nimmt.
,,Etwas Obst und Sushi. Ich hoffe, sie mögen Fisch", sage ich zu ihr und sie schaut gebannt in die Tüte.
,,Ich liebe Fisch", antwortet sie heiser und schaut mich an. ,,Danke", sagt sie dann knapp.
,,Gern geschehen", gebe ich weiterhin lächelnd zurück und die alte Dame zieht sich in ihren Trailer zurück und schließt die Tür.
Wieder höre ich es zwei Mal klicken.
Mit dem Gefühl, das erste Mal etwas richtig gutes getan zu haben, schlendere ich zu dem Wagen zurück, in dem Smithers sitzt und auf mich wartet.
Die Scheinwerfer des Autos strahlen das Wohnmobil von Nathan an und ich kann nicht anders, als hinüber zu sehen.
Aus den Fenstern strahlt kein einziges Licht und es gibt auch kein Flackern im Inneren.
Plötzlich höre ich eine männliche Person einige Meter von mir entfernt schreien, woraufhin eine weibliche Stimme anfängt zu wimmern.
Vor Schreck fahre ich zusammen und auch Smithers scheint das gehört zu haben, denn er steigt aus dem Wagen und schaut zu mir rüber.
,,Miss Sinclair, es wird Zeit, zu gehen", ruft er mir zu.
Mich umschauend gehe ich auf den schwarzen Wagen zu und lasse mir wie gewohnt die Beifahrertür des Autos von Smithers öffnen, und setze mich hinein.
,,Das war eine sehr barmherzige Tat von Ihnen, Miss Caitlyn", sagt Smithers mit einem warmen Lächeln auf den Lippen und startet den Motor.
,,Sie sind gewiss ein besonderes Mädchen", fügt er hinzu, als er die Straße des Trailerparks verlässt doch aus irgendeinem Grund kann ich mich nicht wirklich freuen.
Irgendwas sagt mir, ich hätte dort bleiben und nachschauen sollen, wer geschrien hat.
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