Kapitel 4
Caitlyn
Am nächsten Tag, morgens pünktlich um zwanzig vor acht, steht Tony wieder mit ihrem Kleinwagen vor der Eingangstür des Pembrokes und wartet auf mich, so wie wir es am Montag abgemacht hatten.
,,Hey", begrüße ich sie, als ich meinen Rucksack wie gewohnt auf die Rückbank lege und mich auf den Beifahrersitz setze.
,,Hallihallo", begrüßt Tony mich, für sie üblich, aufgedreht und ich muss bei dem Klang ihrer fröhlichen Stimme automatisch lächeln.
Tony Harris ist ein sehr optimistisches und gut gelauntes Mädchen. Eigenschaften, die mir in der momentanen Krisen Situation sehr gut tun, weshalb ich es sehr schätze, eine so freundliche und aufgeweckte Freundin wie sie zu haben.
Doch manchmal frage ich mich, ob sie nur so nett zu mir ist, weil Mrs. Young sie darum gebeten hat und eventuell möchte sie die Schuldirektorin nicht enttäuschen. Wer will das schon?
Tony startet den Motor, drückt mit ihrem Fuß auf das Gaspedal und wir fahren los, Richtung Houghton High School, wo ich zu meinem Leidwesen noch immer das Gesprächsthema Nummer eins bin.
,,Wir sind heute zusammen im Biologiekurs", sagt Tony, als wir das Schulgebäude betreten und wie nicht anders zu erwarten die Augen beinahe aller Schüler auf mir Ruhen, als wäre ich eine Außerirdische oder als hätte ich zwei Köpfe zu viel.
Ich weiß nicht, ob sie von mir erwarten, dass ich ein Statement zu der Anschuldigung gegenüber meines Vater abgebe, oder ob sie nur darauf warten, dass ich wegen eben dieser Anschuldigung um mich schlage und amok laufe.
,,Wer leitet den Kurs?", frage ich Tony. Doch ich frage nicht, weil ich es tatsächlich wissen will, sondern, um mich selbst von den Blicken abzulenken. Damit sie nicht so auf meiner Haut brennen.
,,Mr. Stone, er leitet den Kurs und er ist echt cool. Er gibt selten Hausaufgaben auf", antwortet sie mir freudig und ich lächle sie an, während wir zum Biologieraum gehen.
Dort angekommen wartet Mr. Stone, ein schlaksiger Mann in beiger Corthose und schlichtem, blauen T-Shirt, schon an seinem Lehrerpult auf die Schüler, die am Biologiekurs teilnehmen.
,,Wow, bei ihm muss man wohl nicht gefühlte Stunden vor der Tür warten", flüster ich Tony zu, als wir uns, wie in jedem Kurs, in die letzte Reihe setzen und sie nickt lächelnd.
,,In Ordnung", fängt Mr. Stone mit kratziger Stimme nach der Begrüßung an und schaut in die Runde. ,,Ab heute befassen wir uns mit der Zellbiologie. Das heißt, ihr werdet mehrere Aufgabenblätter zu verschiedensten Zellarten bekommen, die ihr mithilfe eures Verstandes und einigen Texten aus dem Buch bearbeiten müsst", erklärt er uns.
,,Damit diese Aufgaben euch leichter fallen und ihr bei der Bearbeitung nicht so lange braucht wie beim letzten Mal, werde ich euch jeweils einen Partner zuschreiben", fährt er fort und schaut in das Klassenbuch, möglicherweise um Partner anhand ihres Namens auszuwählen.
Nach wenigen Minuten höre ich Mr. Stone's kratzige Stimme meinen Namen sagen: ,,Ms. Caitlyn Sinclair und...", der Biolehrer schaut wieder in das Klassenbuch und kurz darauf schaut er entschlossen einen Jungen an.
,, ...Mr. Nathan Jones", höre ich ihn sagen und sehe im Augenwinkel, dass Tony mich bemitleidenswert anschaut.
Plötzlich steigt mir die Hitze in den Kopf und ich laufe rot an, was unglücklicher Weise die Hälfte des Kurses mitbekommt und anfängt zu kichern.
,,Da ist wohl wer verknallt", höre ich ein Mädchen aus der Reihe vor mir zu einem Jungen flüstern, der neben ihr sitzt. Leider ist dieses Mädchen nicht sehr begabt darin, leise zu flüstern, sodass alle hören konnten, was sie dem Jungen neben ihr mitteilte, weshalb sie wieder anfangen zu lachen.
,,Gibt es ein Problem?", möchte Mr. Stone wissen und schaut erst mich, dann Nathan an, woraufhin ich nur verlegen den Kopf schütteln kann.
Na toll, jetzt haben die Tratschtanten noch einen Grund mehr, sich ihre Mäuler über mich zu zerreißen, denke ich mir und würde am liebsten im Erdboden versinken.
Doch aus Erfahrung weiß ich, dass man niemals, egal wie sehr man es sich wünscht, einfach unsichtbar wird oder aus der Sichtweite verschwindet.
,,Setzt euch bitte mit euren Partnern zusammen", sagt Mr. Stone und hält zwei Stapel Arbeitsblätter hoch. ,,Lisa, Jim, bitte verteilen Sie doch die Blätter. Jeweils fünf verschiedene Aufgabenblätter pro Pärchen", bittet er zwei der Schüler, die in der ersten Reihe sitzen und die Stapel annehmen, um sie zu verteilen.
Während alle Schüler ihre Taschen nehmen und sich zu ihrem eben eingeteilten Partner setzen, macht Nathan jedoch keinerlei Anstalten, sich neben mich zu setzen, um zusammen zu arbeiten.
Tony wurde mit einem molligen Jungen eingeteilt, den ich aus dem Geografiekurs kenne und wirft mir immer wieder auffordernde Blicke zu, die mir wohl sagen sollen, dass ich mich zu Nathan setzen soll.
Zögernd packe ich meinen Krämpel zusammen und bewege mich langsam auf Nathan zu, der reglos und desinteressiert an seinem Tisch sitzt. Wieder trägt er diese merkwürdig aussehende Mütze, die von nahem aussieht, als wären kleine Augen darauf gemalt worden, die einen nur so leblos anstarren.
Ich lege meinen Collegeblock und mein Mäppchen voller Stifte neben Nathan auf den Tisch und setze mich neben ihn auf den Stuhl.
Lisa legt fünf Arbeitsblätter auf unseren Tisch und starrt mich dabei an, als wäre ich ein verrückt gewordener Affe im Käfig. Ich weiche ihrem Blick aus und schaue auf die Blätter.
Nachdem sich schließlich alle auf ihre Plätze begeben haben, fangen sie an zu arbeiten, während Mr. Stone Notizen in sein blaues Heft schreibt und dabei irgendwelche Wörter murmelt, die ich nicht verstehen kann.
Regungslos start Nathan weiter auf den Tisch und bewegt sich weiterhin kein Stück, als sei er soeben in eine Statue verwandelt worden, was ihn ziemlich gruselig macht.
Einige Sekunden lang warte ich darauf, dass Nathan sich bewegt oder wenigstens etwas sagt, doch er tut es nicht. Also entschließe ich mich dazu, eines der Arbeitsblätter zu mir zu ziehen und die Aufgaben darauf durchzulesen, um diese zu bearbeiten.
Ganz unabhängig davon, ob er sich nun dazu überwinden kann, mir zu helfen, oder nicht. Schließlich möchte ich meine guten Noten auch auf dieser Schule beibehalten.
Als ich zwei der fünfzehn Aufgaben des ersten Arbeitsblattes gelöst habe, lese ich mir die dritte Aufgabe sorgfältig durch, um auch diese zu lösen.
,,Er dient zur Herstellung der RNA", höre ich eine tiefe, aber wohlklingende Stimme sagen und erst nach einem kurzen Moment realisiere ich, dass es Nathan's Stimme ist.
,,W-Wie bitte?", stottere ich zurück. ,,Der Nucleolus dient zur Herstellung der RNA, nicht der Proteine", erklärt er, und schaut dabei weiter auf den Tisch.
Nach einem Blick auf das Arbeitsblatt bemerke ich, dass er von der zweiten Aufgabe redet, in der die Frage zu beantworten ist, wozu der Nucleolus dient.
,,Oh", sage ich, und radiere meine Antwort weg, um dann die richtige Antwort auf die schwarze Linie zu schreiben.
Seine Stimme ist unglaublich, denke ich und werfe einen kurzen Blick auf Nathan, der jetzt nicht mehr auf den Tisch starrt, sondern die oval-förmige, weiße Uhr an der grünen Wand anschaut und ich kann mir gut vorstellen, dass er die Sekunden bis zum Klingeln zählt.
Eifrig versuche ich trotz unangenehmer Stimmung die dritte Aufgabe des Blattes zu lösen, doch bevor ich dazu komme, höre ich Nathan's Stimme die Antwort auf die Frage, die auf dem Blatt steht, beantworten: ,,Die Lysosomen enthalten hydrolytische Enzyme für die intrazelluläre Verdauung zum Beispiel eines Bakteriums". Ich schaue ihn erstaunt an.
,,Willst du das nicht aufschreiben?", fragt er, als er meinen Blick bemerkt, wobei ich erröte und den Blick auf das Papier wende, um die Antwort aufzuschreiben.
Es klingelt zur fünf-Minuten-Pause und unser Biologielehrer verlässt den Raum, um einige Kopien im Sekretariat anzufertigen, was die meisten Schüler dazu veranlasst, sich zu unterhalten oder Nachrichten mit dem Smartphone zu versenden.
Nathan holt ebenfalls sein Handy, ein Samsung mit zersprungenem Glas, aus seiner Hosentasche und tippt darauf herum. Tony winkt mich von der anderen Seite des Klassenzimmers zu sich und ich stehe auf, um zu ihrem Tisch zu gehen.
,,Cate, das ist Jason. Jason, das ist Cate", sagt Tony aufgeregt, als ich den Tisch erreiche, an dem sie und ihr Partner sitzen.
,,Schön, dich kennen zu lernen", meint Jason und schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln, welches mich dank seiner freundlichen und positiven Ausstrahlung dazu ansteckt, auch zu lächeln.
Aus irgendeinem Grund erinnert Jason mich an Tony.
,,Jason interessiert sich nicht für die Gerüchte", erzählt Tony mir glücklich und ich finde es irgendwie süß, dass sie versucht, mir Freunde zu suchen. Auch, wenn das nicht nötig gewesen wäre.
Kurz mustere ich den großen,kurvigen Jungen, der einen Kurzhaarschnitt trägt und mich freundlich ansieht.
,,Freut mich auch, dich kennen zu lernen", sage ich schließlich und als es zur nächsten Stunde Biologie klingelt, verabschiede ich mich von den beiden und kehre zurück zu meinen Platz neben Nathan zurück, um die nächsten Aufgaben zu erledigen.
Schon nach einer viertel Stunde ist mir klar, dass es auf eine Hausarbeit hinauslaufen wird, die restlichen Aufgaben zu lösen und die übrigen Fragen zu beantworten, da Nathan und ich erst auf der zweiten Seite angekommen sind.
Tatsächlich sagt Mr. Stone nach einer Weile, dass die Beendigung der Arbeitsblätter Hausaufgabe sei, was die Hälfte der Klasse genervt aufstöhnen lässt.
Von wegen keine Hausaufgaben, denke ich mir genervt.
,,Soll ich das allein fertig machen?", frage ich Nathan, da ich mir sicher bin, dass er keine Lust hat, sich nach der Schule weiterhin mit mir und den Aufgaben zu beschäftigen.
,,Achtzehn Uhr, Lake Avenue, Nummer sechs", sagt Nathan unerwarteter Weise, ohne mich anzusehen.
,,O-Oh, okay", antworte ich ihm daraufhin überrascht und verwirrt von seiner plötzlichen Bereitschaft, mit mir gemeinsam die Aufgaben zu erledigen.
Wenige Sekunden später klingelt es zur Frühstückspause und für den Bruchteil einer Sekunde scheint es, als würde Nathan mir in die Augen sehen.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich das furchtbar schöne Blau seiner Augen, die mich denken lassen, ich würde in die weiten Tiefen des Ozeans sehen anstatt in die Augen eines hübschen Jungen, der mit mir einige Kurse besucht.
So unerwartet wie der Moment gekommen ist, vergeht er auch wieder, als er plötzlich seinen Rucksack nimmt, ihn sich über seine breiten Schultern wirft und die Klasse stürmisch verlässt.
,,Kommst du?", fragt Tony mich, die mit Jason an meinem Tisch steht und auf mich wartet, während ich Nathan hinterher sehe und nicht glauben kann, dass seine Augen mich so gefesselt haben.
,,Ja, ja. Ich komme schon", sage ich und verstaue meinen Collegeblock, mein Stiftemäppchen und die fünf Arbeitsblätter in meinem Rucksack.
Tony hält mir ihren Arm hin, damit ich mich bei ihr unterhaken kann und wir verlassen gemeinsam mit Jason die Klasse.
Auf dem Campus sehe ich Nathan wieder allein an einem Tisch sitzen und einen Kaffee trinken, während alle anderen Schüler augenscheinlich in Begleitung sind.
Wir setzen und ebenfalls an einen Tisch, und ich packe meine Thunfischsandwiches aus, die ich kurz vor Unterrichtsbeginn in der Mensa gekauft habe.
,,Habt ihr geredet?", möchte Tony wissen, als sie in ihr Marmeladenbrötchen beißt und mir einen neugierigen Blick zuwirft.
,,Ähm", fange ich an, ,,er hat mir bei den Bioaufgaben geholfen und wir treffen uns heute Abend, um die Hausaufgaben zusammen zu beenden", erzähle ich ihr und auch Jason, der mich ebenfalls neugierig ansieht.
,,Wow", sagen beide gleichzeitig.
Anscheinend kommt es wirklich selten vor, dass Nathan mit einen der anderen Schüler spricht.
,,Hat er noch etwas gesagt?", fragt Jason mich und schaut weiterhin interessiert zu mir.
Kurz schaue ich zu den Tisch, an dem Nathan sitzt und immer wieder an seinem Kaffee nippt.
,,Nein, er hat mir nur seine Adresse und eine Uhrzeit genannt", sage ich zu Tony und Jason.
,,Und wir haben uns in die Augen gesehen", gebe ich zu, woraufhin Jason und Tony überrascht und zugleich angetan quieken.
,,Nur ganz kurz!", sage ich, um sie wieder zu beruhigen.
,,Welche Augenfarbe hat er?", fragt Jason mich mit glitzernden Augen. In diesem Moment fällt mir auf, dass die Möglichkeit besteht, dass Jason homosexuell sein könnte, was auch seine Art sich zu bewegen erklären würde.
,,Blau. Tief blau, so wie der Ozean", schwärme ich geradezu, was die zwei dazu bringt, im Gleichklang ,,Awww", zu sagen, woraufhin ich ihnen abwinke, um sie zum Schweigen zu bringen.
Ich beiße in mein Sandwich, welches mehr nach Pappe statt nach Thunfisch schmeckt, und ich lasse meinen Blick über den gesamten Campus wandern.
Einige Schüler schauen immer wieder zu mir, andere zeigen mit ihren Fingern auf mich, während sie etwas zu ihren Freunden flüstern. Andere sind damit beschäftigt, Musik zu hören, zu lernen oder Hausaufgaben zu machen.
Danielle steht mit ihren Vixens auf dem großen Rasen neben dem Sportplatz, auf dem sich einige Footballspieler befinden, und sie üben allesamt an einem Tanz, dessen Choreographie Danielle vorzugeben scheint.
Unwillkürlich wandert mein Blick zurück zu Nathan, der immer noch an dem blauen Tisch sitzt und scheinbar etwas in sein Handy brüllt.
Ich beobachte Nathan und versuche heraus zu hören, worüber er so wütend ist, doch ich kann keines der Worte verstehen, die seinen Mund verlassen.
,,Beobachtest du ihn etwa?", höre ich Tony mit ermahnender Stimme fragen und ich schüttele meinen Kopf, um in die Realität zurück zu kehren.
,,Ich?", frage ich nach und schaue Jason und Tony an.
,,Siehst du hier jemand anderen, der Nathan Jones anstarrt?", fragt Tony zurück und ich merke, wie ich ein erneutes Mal an diesem merkwürdigen Tag rot anlaufe.
,,I-Ich hab nicht gestarrt", verteidige ich mich stotternd und mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein.
,,Das sehen wir nicht so, Süße", entgegnet Jason. Jetzt bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass Jason homosexuell ist, aber ich möchte nicht unhöflich wirken und ihn darauf ansprechen. Schließlich scheint er ein netter, junger Mann zu sein und ich will ihn wirklich nicht verärgern.
Nachdem die Schulglocke das Ende der Pause eingeläutet hat, begeben wir uns zu unseren Kursen, wobei Tony ihren Hauswissenschaftskurs besucht und Jason den Kurs für Kunst.
Ich gehe hoch zu dem Musikraum, wo die kleine Gruppe Musikinteressierte bereits auf Mr. Newton wartet.
Er hat uns in der letzten Stunde versprochen, dass wir heute unsere Lieblingsinstrumente spielen dürfen, da wir in der vorigen Doppelstunde nur Theorie wiederholten, um auf dem Laufenden zu bleiben.
Darauf freue ich mich, um ehrlich zu sein, sehr, denn ich liebe es, die Tasten eines Klaviers mit meinen Fingerkuppen hinunterzudrücken und dem sanften Klang zu lauschen.
Leider bin ich die einzige, die sich für das Spielen des Klaviers interessiert. Doch das hat auch sein Gutes, denn so muss ich mich nicht mit einen der anderen Schüler abwechseln und es ist ganz allein mir vorbehalten, den wunderschönen Klang erklingen zu lassen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top