Kapitel 16

Caitlyn

,,Caitlyn! Hey, Caitlyn!", Tony's Stimme ertönt am anderen Ende des Wohnzimmers. Als ich sie zwischen all den anderen Menschen erkenne, laufe ich zu ihr.

,,Wer war denn der süße Typ, mit dem du dich da eben unterhalten hast?", fragt sie mich total aufgeregt und neugierig.

Ich schaue sie an und ungern nehme ich ihr den Wind aus den Segeln. Doch als gute Freundin, kann und darf ich sie nicht anlügen.

,,Das war Aiden", sage ich ihr.

,,Aiden? Geht er auf unsere Schule?", fragt sie. Genau wie ich zuvor, scheint sie sich nicht an ihn zu erinnern.

,,Erinnerst du dich an den Vorfall im Café neulich? Er ist der Kerl, der Jonas beleidigt hat", erläutere ich ihr.

Das Lächeln in ihrem Gesicht verdunkelt sich und ihre Miene wird härter.

Tony nimmt einen riesigen Schluck aus der Tequilaflasche und schaut mich wieder an. ,,Die verdammten Surenos sind hier?", knurrt sie.

Ich zucke mit den Schultern. ,,Vielleicht ist nur Aiden hier", gebe ich zurück und nehme ihr die Flasche aus der Hand, um auch einen Schluck zu nehmen.

,,Wollen wir mal hoffen, dass seine Anwesenheit keinen Stress verursacht. Gangs sind in Houghton nirgends willkommen", meint sie ziemlich ernst.

Tony's Blick wandert über die tanzende Menge, was ihre Stimme aufzuhellen scheint. ,,Wenn die Flasche leer ist, tanzen wir!", bestimmt sie völlig euphorisch.

Nach einem Blick auf die halb geleerte Flasche, wird mir klar, dass sie schon einiges davon getrunken hat und vielleicht sogar schon etwas angetrunken ist.

,,Sollten wir nicht langsamer trinken?", frage ich sie, woraufhin sie mich vorwurfsvoll anschaut.

,,Vielleicht weißt du das noch nicht, Lady Sinclair, aber eine Party ohne ausreichend Alkohol ist auch nur ein langweiliges Treffen, um mit anderen Menschen Musik zu hören", erklärt sie mir sehr ernst.

Ich kann nicht anders, als zu lachen und ich gebe ihr die Flasche zurück. Ja, vielleicht hat sie Recht. Vielleicht sollte ich diese Party genießen und ausgiebig Spaß haben.

Und auch, wenn das nicht der richtige Weg ist, um damit umzugehen, aber eventuell wird dieser Alkohol mein merkwürdiges Leben für einen kleinen Moment wieder etwas normaler machen.

Selbst, wenn der Alkohol mein Leben nicht normal macht, dann wird er zumindest dafür sorgen, dass es mir egal ist.

Tony reicht mir die Tequilaflasche. Ohne zu zögern und ohne weiter nachzudenken, nehme ich sie an und trinke so viel auf einmal, wie es meine Geschmacksknospen zulassen.

,,Lass uns Spaß haben!", rufe ich Tony zu.

Eine Weile stehen wir noch in der Ecke des überfüllten Wohnzimmers in Jay's Haus. Als wir die letzten Tropfen des Tequilas getrunken haben, werfen wir die leere Flasche in den Mülleimer und geben unsere Gläser, die wir nicht einmal mehr brauchten, bei Kit ab.

,,Aha, die Tequila Diebinnen", knurrt er uns an.

Tony schaut ihn an. ,,Welcher Tequila denn? Ich weiß nicht, was du meinst", lallt sie und wir beide fangen an zu lachen.

Ich hake mich bei Tony unter. ,,Lass uns in den Garten gehen", schlage ich ihr vor und auf dem Weg zum Garten bemerke ich, dass ich, wie Tony, sehr angetrunken bin.

Plötzlich macht es mir nichts aus, dass hier viele Menschen sind und merkwürdiger Weise gefällt mir die Musik auf einmal.

Anfangs konnte ich die Musik nicht ausstehen, doch nun finde ich sie richtig gut und ich spüre das Verlangen, zu tanzen.

Tony und ich verlassen das Haus und suchen im Garten nach einem Platz, der nicht allzu voll ist.

Es ist nun dunkel draußen, was die Lichter rundherum am Haus und im Garten wunderschön aussehen lässt.

,,Vielleicht da hinten, am Pool?", schlage ich vor und zeige auf eine Stelle zwischen Zaun und Pool.

,,Klar, da ist genug Platz zum Tanzen!", ruft sie glücklich und zieht mich hinter ihr her. 

Als wie die etwas freiere Stelle im Garten erreichen, fängt Tony an, ihre Hüften zum Takt der Musik zu bewegen.

Ich schaue ihr eine Weile zu und dann bemerke ich, dass die riesige Hemmschwelle, die schon immer in mir lebte, einfach abfällt.

Ohne diese Hemmschwelle fühle ich mich freier denn je und beginne auch, meine Hüften im Takt zur Musik zu schwingen.

Tony lächelt mich an und schaut sich in der Menge um. ,,Suchst du jemanden?", frage ich sie über das Gerede der anderen und der Musik hinweg.

,,Ich suche jemanden, der gut aussieht", meint sie, während sich ihr Körper weiter zur Musik bewegt und ihr Blick über die vielen Leute wandert.

,,Und wofür?", will ich von ihr wissen und folge ihrem Blick.

,,Damit du ihn kennen lernen kannst, Süße!", lallt sie und schaut sich weiter tanzend in der Menschenmenge um.

Eigentlich würde ich ihr jetzt sagen, dass es mir egal ist, ob ich jemanden kennen lerne oder nicht.

Doch irgendwie will ich heute Abend etwas erleben.

,,Okay, wir gehen jemanden suchen!", bestimme ich lächelnd, was sie erfreut. ,,Sehr gut!", ruft sie und hört auf, zu tanzen.

,,Doch vorher holen wir uns noch einen richtigen Drink!", ruft sie und ohne mir weiter Gedanken darüber zu machen, ob wir nicht schon genug Alkohol hatten, folge ich ihr in die Küche.

Auf dem Weg ins Haus fällt mir auf, dass die Musik aus den Boxen der Anlage lauter geworden ist und der Bass beginnt, meinen Herzschlag zu kontrollieren.

Ich genieße die Musik und das Gefühl, das ich wegen des Alkohols habe. Diese Gelassenheit und Freiheit.

Als wir an der Theke in der Küche angekommen sind, steht dort nicht nur Kit, sondern auch Calvin.

Bei seinem Anblick spüre ich ein Unbehagen durch meinen gesamten Körper huschen, doch ich verbanne dieses Gefühl ganz schnell wieder.

Was auch immer zwischen Nathan und Calvin ist, es geht mich rein gar nichts an und ich habe damit nichts zu tun. Heute ist mein Abend.

,,Was kann ich euch Gutes tun, Caitlyn?", fragt Calvin mich übertrieben freundlich.

,,Was habt ihr denn Gutes?", antworte ich ihm mit einer Gegenfrage.

,,Kit, hol den beiden das Beste, das Jay zu bieten hat", befiehlt er Kit, der in den Schränken der Küche herumkramt und eine gefüllte Glaskaraffe hervorholt.

Calvin stellt zwei Whiskygläser auf die Theke und Kit füllt sie beide bis zum Rand.

,,Füllt man Whisky nicht nur bis zur Hälfte des Glases?", frage ich Calvin und Kit.

,,Manchmal ist mehr nun mal mehr.".

,,Das Konzept von 'Weniger ist mehr' habe ich sowieso nie verstanden", sagt Tony und nimmt eines der Gläser.

,,Was für ein Whisky ist das?", frage ich wieder und auch ich nehme das Glas und schaue mir die bräunliche Flüssigkeit an.

,,Single Malt Scotch von Lagavulin", klärt Calvin mich lächelnd auf.

Ich setze das Glas an und probiere einen Schluck. Er schmeckt trocken und rauchig, aber es schmeckt mir ziemlich gut.

,,Habe ich zu viel versprochen?", will Cal wissen, nachdem auch Tony einen großzügigen Schluck Whisky aus ihrem Glas genommen hat.

,,Wir werden eure Stammkunden", lacht Tony und bedeutet mir mit einer Handbewegung, dass wir gehen.

,,Lass uns jetzt deinen Traummann suchen", meint Tony und nimmt einen weiteren Schluck. 

Einige Minuten stolpern wir im Erdgeschoss des Hauses herum, doch nirgendswo ist ein Junge, der in Tony's Augen zu mir passen könnte.

Als ich Tony gerade sagen will, dass ich die Suche lieber aufgeben möchte, sehe ich plötzlich Nathan im Garten herumlaufen.

Wie angewurzelt bleibe ich vor der Gartentür im Wohnzimmer stehen und beobachte ihn. Keine Minute später entdecke ich auch Aiden, der geradewegs auf Nathan zugeht und ein Gespräch mit ihm zu beginnen scheint.

,,Wen siehst du da?", höre ich Tony fragen, die sich zu mir begibt und sich an meinem Arm festhält.

,,Schau raus in den Garten", sage ich zu ihr. Im Augenwinkel sehe ich, wie sie in die selbe Richtung schaut wie ich.

Nathan scheint ein wenig aufgewühlt, so wie Aiden. 

,,Ist das Nathan?", fragt Tony verwundert und starrt ihn an.

,,Ja, ist es. Komisch, er wollte nicht, dass ich herkomme und nun ist er selbst hier aufgetaucht", sage ich zu ihr und beobachte die beiden Jungs weiter.

,,Ich habe dir ja gesagt, dass Nathan ein sehr merkwürdiger Mensch ist", gibt sie zurück und schüttelt ihren Kopf.

Doch bevor ich ihr irgendwie darauf antworten kann, sehe ich, wie Aiden und Nathan sich schnell auf das Haus bewegen.

,,Verdammt, ich muss mich verstecken!", rufe ich.

,,Komm, wir gehen hoch!", meint Tony daraufhin und zusammen gehen wir in schnellen, großen Schritten die weiße Treppe hoch, wobei ich beinahe meinen Whisky verschütte.

Selbst hier, im ersten Stock des Hauses, tummeln sich einige Jugendliche.

Die meisten von ihnen sind schon ziemlich betrunken und knutschen miteinander herum.

,,Wo lang gehen wir?", frage ich Tony, die daraufhin die Führung übernimmt.

,,Lass uns ins Bad gehen, da sieht er uns auf keinen Fall", schlägt sie vor.

Als wir im Badezimmer ankommen, schließe ich die Türe ab.

Das Bad ist, genau wie der Rest des Hauses, sehr modern. Es ist ein sehr großer Raum, mit zwei Waschbecken, einer Dusche und einer Badewanne. Alles ist in weiß gehalten und wirkt dadurch sehr steril.

Der Spiegel über den Waschbecken hat ringsherum weiße LED Lichter und silberne Details an den Kanten.

Tony und ich setzen uns auf die Badewanne und ich nippe an meinem Drink.

,,Warum sind wir eigentlich vor Nathan geflüchtet?", fragt Tony und schaut mich an.

,,Ich fühle mich irgendwie komisch in seiner Nähe. Vor allem wegen der Biologie Partnerschaft", erkläre ich ihr, wobei ich ihr natürlich nicht die ganze Wahrheit sagen kann.

Sie nickt verständnisvoll und nimmt einen großen Schluck aus dem Glas. ,,Viele fühlen sich in seiner Gegenwart komisch", meint sie schließlich.

,,Vielleicht ist er aber gar nicht so, wie viele denken", rutscht es mir heraus.

,,Was meinst du?", fragt Tony verwundert.

Ich zucke mit den Schultern und leere mein Glas in einem Zug.

,,Wenn du mich fragst, ist es kein gutes Omen, dass zwei Surenos hier auftauchen", sagt sie mir ihre Meinung dazu.

,,Sind sie denn wirklich so schlimm?", möchte ich von ihr wissen und schaue sie fragend an.

,,Naja, überall wo die auftauchen, herrscht Chaos", erklärt sie. Irgendwie will ich es nicht wahrhaben, dass Nathan ein solch schlechter Mensch sein könnte.

Er ist vielleicht etwas merkwürdig, doch er wirkt nicht wie eine schlechte Person.

Tony leer ihren Whisky nun auch und stellt das leere Glas auf dem Badewannenrand neben ihr.

,,Denkst du anders über ihn?", fragt sie. ,,Ich meine, denkst du besser über ihn?".

Ich schaue zu ihr und überlege, was ich ihr nun erzähle. Natürlich will ich sie keineswegs anlügen und ihr Vertrauen missbrauchen. Aber andererseits möchte ich nicht riskieren, dass sie mich nach der Wahrheit  für genau so merkwürdig hält, wie die anderen es tun.

Vielleicht mache ich nur zu viel Wind um die Sache. Aber ich bin die Tochter eines nun verhassten Chirurgen und ich würde lieber nicht noch diejenige sein, die sich in ein Gangmitglied verliebt.

Verliebt?

,,Ich denke nur, dass jeder eine zweite Chance verdient und viele werden falsch eingeschätzt", sage ich nach einer Weile zu ihr. Dies ist zwar nicht die richtige Wahrheit, aber eine Lüge ist es auch nicht. Schließlich ist das wirklich meine Meinung.

,,Verrückte Welt", lallt Tony. ,,Sehr verrückt", gebe ich ihr Recht und schaue sie an.

Auch sie schaut mich an und beginnt zu grinsen.

Ohne zu verstehen warum, beginne ich zu lachen und auch sie lacht herzhaft mit.

,,Wieso heißen die überhaupt 'Surenos'?", fragt Tony lachend und schaut mich weiter an. 

,,Ein blöder Name, wenn du mich fragst!", rufe ich und lache noch lauter.

Zehn Minuten sitzen wir auf dem Rand dieser äußerst weißen Badewanne und können nicht aufhören zu lachen.

Aber vielleicht sind es auch mehr als zehn Minuten gewesen.

Und dann, auf einmal, verliert Tony das Gleichgewicht und fällt rückwärts in die Badewanne.

Sofort hören wir auf zu lachen. Aber als ich merke, dass es ihr gut geht, fangen wir beide gleichzeitig an lauthals loszulachen.

,,Hey, hey!", rufe ich zwischen unser Gelächter. ,,Ich habe eine lustige Idee!", verkündige ich fröhlich.

,,Erzähl!", verlangt Tony und versucht, aus der Badewanne herauszukommen.

Ich stehe auf und helfe ihr, in dem ich ihren Arm festhalte und sie mit aller Kraft aus der Badewanne herausziehe.

,,Bestimmt findest du die Idee blöd", beginne ich ihr meinen Einfall zu erklären. ,,Aber du hast doch den großen Gartentisch in der Mitte des Gartens gesehen, oder?", frage ich sie.

Sie nickt heftig und will wieder beginnen zu lachen.

Mit einem "Psssst!", halte ich sie jedoch davon ab, damit ich ihr meine Idee weiter erläutern kann.

,,Okay, hör zu. Wie wäre es, wenn wir einfach auf den Tisch steigen und tanzen?".

Tony hält sich Waschbecken fest und starrt mich ungläubig an.

,,Ist das dein Ernst?!", lallt sie und fängt an zu kichern.

Ich nicke und stemme die Hände in meine Seiten. ,,Du wolltest doch, dass jeder sieht, wie heiß wir aussehen!", rufe ich in ihre Erinnerung zurück und Begründe so meine Idee.

,,Wo du Recht hast, hast du Recht!", ruft sie zustimmend und stolpert zur weißen Badezimmertür, wo sie den silbernen Schlüssel umdreht, um aufzuschließen.

Sie öffnet die Tür und grinst mich an.

,,Lass uns allen zeigen, wie heiß wir sind!", ruft sie wieder und nimmt meine Hand.

Zusammen rennen wir regelrecht die Treppe hinunter in das Erdgeschoss, wo sich noch mehr Menschen als zuvor getummelt haben.

Der Bass der Musik dringt wieder in meinen Körper und ich spüre intensiver als jemals in meinem Leben, wie er meinen Herzschlag kontrolliert.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top