Kapitel 10
Caitlyn
,,Wir sehen uns morgen!", verabschiedet meine beste Freundin Tony sich, als sie ihren knallroten Kleinwagen vor dem Eingang des Pembroke Apartments zum Stehen bringt.
Ich nehme meinen Michael Kors Rucksack von den Rücksitzen ihres Autos und verabschiede mich ebenfalls von ihr.
,,Bis dann", sage ich zu ihr und steige aus dem kleinen Auto aus. ,,Danke, dass du mich immer fährst", bedanke ich mich bei Tony, was ihr schlagartig ein freundliches Lächeln auf ihre zarten Lippen zaubert.
,,Immer wieder gern!", gibt sie zurück und ich schließe die Beifahrertür ihres Kia Rios. Kaum ist die Tür geschlossen, startet Tony den Motor des Zweitürers und wie üblich schaue ich zu, wie sie aus der Parklücke fährt und die ruhige Seitenstraße verlässt.
Ich werfe mir meinen Rucksack über die Schultern und gehe langsam auf die große, goldverzierte Tür des Eingangs zu. Wohl wissend, dass ich wieder ein leeres Apartment betreten werde, sobald der Aufzug des Pembroke mich in die erste Etage des Gebäudes fährt.
Langsam öffne ich die Eingangstür und wie gewohnt sehe ich Smithers, der hinter dem Tresen der Rezeption steht und mir ein herzliches und warmes Lächeln schenkt.
,,Guten Tag, Miss Caitlyn", begrüßt er mich freundlich und kommt auf mich zu, um mir die Hand zu geben.
Sanft schüttele ich seine raue Hand und schenke ihm ebenfalls ein herzliches Lächeln und eine freundliche Begrüßung.
,,Guten Tag, Smithers", sage ich zu ihm.
,,Sie sind nach der Schule nicht sofort nach Hause gekommen?", fragt er mich in einem neutralen Ton und begibt sich wieder zurück zu dem Tresen.
Um ehrlich zu sein scheint es mir ein wenig übervorsichtig von meinen Eltern, dass sie den Butler unserer Familie in den Eingangsbereich unseres Apartments 'stationieren', nur um sich vor Paparazzo und jegliche Art von neugierigen Mitbürgern zu schützen.
Schließlich liegen die Aufgaben eines häuslichen Bediensteten nicht darin, die Familie zu beschützen, sondern ihr im Haushalt behilflich zu sein.
Seit ich denken kann ist Smithers ein Teil unserer Familie und er war stets freundlich und hilfsbereit. Niemals kam es ihm nur in den Sinn, jemanden von der Sinclair Familie im Stich zu lassen.
,,Stimmt, Smithers. Ich habe mich mit einigen Freunden in einem Café getroffen", erzähle ich ihm, als ich gerade auf den Fahrstuhl zugehe, der genau wie das restliche Gebäude goldene Verzierungen besitzt.
,,Ich hoffe doch sehr, dass Sie einen angenehmen Tag hatten", sagt Smithers und schenkt mir weiteres Lächeln.
,,Den hatte ich", antworte ich ihm und steige in den Fahrstuhl, dessen Türen sich gerade öffnen.
,,Das freut mich sehr zu hören", meint er noch, kurz bevor sich die Türen des Aufzuges wieder schließen und ich auf den Knopf für die erste Etage drücke.
Mit einem Pieps-Geräusch öffnen sich die Türen des Fahrstuhls nach wenigen Sekunden im Wohnzimmer des Apartments.
Wie zu erwarten sind meine Eltern noch nicht heim gekehrt, sodass es ganz still ist.
Ich entschließe mich dazu, meinen Rucksack, meine Schuhe und meine Jacke einfach auf mein Bett zu werfen und in die Küche zu gehen, um mir etwas zu kochen.
Nach einem kurzen Blick in den Kühlschrank entscheide ich mich für Spaghetti Bolognese, also setze ich einen Topf mit gesalzten Wasser für die Nudeln und einen Topf für die Sauce auf den Herd.
Während ich darauf warte, dass das Wasser zu kochen beginnt, scrolle ich auf meinem Handy durch die Neuigkeiten auf Facebook, welche eher uninteressant sind.
Gott sei Dank steht nichts mehr über uns im Netz, denke ich mir, als ich nach einigen Minuten noch immer keinen interessanten Bericht und auch unseren Familiennamen nirgendswo gefunden habe.
Das Nudelwasser beginnt zu brodeln, also gebe ich eine kleine Portion Spaghetti in den Topf und bereite die Sauce zu.
Auch, wenn ich mein Leben lang einen Bediensteten zur Seite stehen hatte, ist es mir trotz dessen möglich, einige Rezepte zu kochen. Das ist wohl etwas, das man von einem reichen und verwöhnten Mädchen wie mir nicht erwartet hätte.
Doch auch das Backen von Torten und Keksen gelingt mir nahezu perfekt. Früher, bevor meinem Vater der Fehler während einer Operation unterlief, gehörte das Backen zu meinen Hobbies. Leider hat Daddy's Fauxpas unsere gesamte Welt auf den Kopf geworfen.
Es ist jedoch nicht unser Leben, das zerstört wurde...
Plötzlich höre ich das Pieps-Geräusch des Aufzuges und überrascht trete ich ins Wohnzimmer.
Seit wann sind meine Eltern derart früh zu Hause?, frage ich mich, als sich gerade die Fahrstuhltüren öffnen.
Nicht etwa meine Mutter oder mein Vater steigen aus dem Aufzug. Es sind Smithers und Nathan.
Erstaunt und fragend zugleich schaue ich erst zu Smithers, dann zu Nathan, der mit einem Halb-Grinsen und beiden Händen in den Hosentaschen seiner schwarzen Jeans in meinem Wohnzimmer steht und mich ansieht.
Ein komisches Gefühl steigt in mir auf.
,,Miss Sinclair, dieser junge Mann hier behauptet, Sie müssten noch einige Schulaufgaben mit ihm erledigen", erklärt Smithers mir und schaut mich erwartungsvoll an.
,,D-das ist korrekt", stottere ich etwas nervös, mit dem Blick zu Nathan.
,,In Ordnung. Ich wollte nur sicher gehen, Miss", meint Smithers und schenkt mir wieder einmal ein Herz erwärmendes Lächeln, welches ich nur erwidern kann.
,,Vielen Dank, Smithers", bedanke ich mich bei ihm und kurz darauf steigt er wieder in den Aufzug, wobei er erst mir und dann Nathan, der mit dem Rücken zu ihm steht, einen kurzen, misstrauischen Blick zu.
,,Was machst du hier?", will ich von Nathan wissen, als sich die Türen des Lifts abermals geschlossen haben.
,,Wir sind gestern nicht mit dem Projekt fertig geworden, richtig?", meint er weiterhin grinsend und schaut sich - wie am Abend zuvor in meinem Schlafzimmer - erstaunt in dem Wohnzimmer meiner Familie um.
,,Das hätte ich auch alleine fertiggestellt", fauche ich ihn an.
Wie kann er es wagen, nach dem Streit im Milly's einfach hier aufzutauchen?
,,Zieh die Krallen ein, kleines Kätzchen. Ich komme in Frieden", lacht er, wobei ein kleines Grübchen neben seinem Mundwinkel sichtbar wird.
Ich höre ein zischendes Geräusch aus der Küche und schlagartig fällt mir ein, dass die Spaghetti und die Sauce, die ich mir zum Mittagessen machen wollte, noch auf dem Herd stehen.
Sofort laufe ich mit schnellen Schritten in die Küche und nehme beide Töpfe von dem Cerankochfeld des Herds und stelle sie auf die marmorne Arbeitsplatte der Küche.
,,Verdammt!", fluche ich, als mir der Geruch von angebranntem Essen in die Nase steigt. ,,So eine Scheiße!", rufe ich genervt und schalte die Herdplatten aus.
,,Das war es dann wohl mit Spaghetti Bolognese", zieht er mich lachend auf, woraufhin ich ihm einen genervten Blick durch zusammen gekniffende Augen zuwerfe.
,,Zu deinem Glück kenne ich ein hervorragendes, türkisches Restaurant in der Nähe", gibt Nathan mir kund.
,,Du erwartest doch nicht wirklich, dass ich mit dir essen gehe, oder?", entgegne ich ihm mit einem etwas angewidertem Ton in der Stimme.
Nathan zuckt mit den Schultern und schaut mit hochgezogenen Augenbrauen in die Töpfe, die qualmend auf der Marmor Arbeitsplatte stehen.
,,In Ordnung", seufze ich und entsorge die angebrannte Sauce und die wässrigen Nudeln im Abfalleimer.
Auch, wenn mir bei dem Gedanken, mit einem Gangmitglied essen zu gehen, der Hunger glatt vergeht, werde ich dies als Chance nutzen.
Als Chance dafür, herauszufinden, was für kriminelle Machenschaften hinter den Seals und den Surenos steckt und vielleicht finde ich auch heraus, dass Nathan nicht der Bösewicht ist, für den ihn alle halten.
,,Ich hole kurz meine Sachen", sage ich zu ihm. ,,Du wartest hier. Fass nichts an!", befehle ich ihm in einem etwas rauen Ton und gehe in mein Schlafzimmer, um dort meine Schuhe und meine Jacke anzuziehen.
Als ich in meinem Zimmer bin, bekomme ich die Idee, die Arbeitsblätter für das Biologieprojekt in das Restaurant mitzunehmen und sie dort mit Nathan zu erledigen.
Mit meinem Rucksack auf dem Rücken kehre ich zurück zur Küche, wo ich Nathan vorfinde, der auf einen der Barhocker an der Kücheninsel sitzt und eine Frucht aus dem Obstkorb in der Hand hält und sie mit fragenden Blicken anstarrt.
,,Was für ein Gemüse ist das hier?", fragt er mich, als er meine Anwesenheit bemerkt und betrachtet die grüne, kokosnussgroße Frucht von allen Seiten.
,,Ganz schön stachelig für ein Gemüse", fügt er hinzu.
In diesem Moment, in dem er ahnungslos und mit verwirrtem Blick die Frucht anschaut, ähnelt sein Anblick dem eines kleinen Jungen, der gerade in dem Alter ist, in dem er die Namen der alltäglichen Gegenstände und Lebensmittel kennen lernt.
Ich kann nicht anders als zu lächeln und den Kopf zu schütteln.
,,Das ist eine Durian Frucht. Und wie es der Name dir verrät, ist es Obst und kein Gemüse", erkläre ich ihm lachend und als er mich anschaut, verhärtet sich seine Miene und er sieht wieder so aus, wie jemand, der einem ohne zu zögern an die Kehle springen würde.
,,Lass uns gehen", sagt er bestimmend, steht auf und geht zielstrebig Richtung Lift.
Ich höre auf zu lächeln und verbanne das Bild des kleinen Nathan aus meinen Gedanken und folge ihm.
In der Eingangshalle angekommen, gebe ich Smithers darüber Bescheid, wo ich mich in der nächsten Stunde aufhalten werde, sodass er sich nicht sorgt.
,,Ist dieses Restaurant weit entfernt?", möchte ich von Nathan wissen, als wir das Pembroke verlassen.
,,Es liegt auf der South Side", informiert er mich.
Das Territorium der Surenos, sage ich in meinem Kopf und eine Woge des Unbehagen überkommt mich.
,,Warum?", fragt er, ,,Haben Mommy und Daddy etwas dagegen, dass das kleine Kätzchen auf der Seite der Minderbemittelten herumspaziert?".
Wieder werfe ich ihm einen genervten Blick zu, woraufhin er schmunzelt.
,,Wo ist dein Auto?", frage ich ihn, was ihn dazu veranlasst, zu lachen.
,,Kleines, wir fahren mit meinem Bike", Nathan zeigt auf ein glänzendes, tiefschwarzes Motorrad, welches am Ende der Straße steht.
Die Sonne spiegelt sich auf der dunklen Yamaha und blendet mich, weshalb ich meine Augen zusammenkneifen muss.
,,Nie im Leben", sage ich entsetzt und schüttele heftig meinen Kopf.
,,Ich habe nicht einmal einen Helm", füge ich hinzu.
,,Mach dir darum keine Sorgen, du kannst meinen nehmen", schlägt Nathan schmunzelnd vor und geht langsam auf sein Bike zu.
Wiederwillig folge ich ihm mit langsamen Schritten. Was zur Hölle machst du hier, Caitlyn?, sage ich in meinem Kopf zu mir selbst und spüre Nervosität und Angst in mir aufsteigen.
,,Mach' dir nicht ins Höschen, kleines", Nathan schenkt mir sein typisches, halbes Lächeln, doch ich kann es bei aller Liebe nicht erwidern.
,,Ich bin echt gut", verspricht er mir und versucht mich zu beruhigen.
,,Warum sollte ich dir überhaupt irgendetwas glauben?", verlange ich zu wissen.
,,Warum solltest du nicht?", bekomme ich als Antwort zurück.
,,Du bist in einer Gang und dein bescheuerter Freund hat einen meiner Freunde beleidigt!", platzt es aus mir heraus.
,,Ich entschuldige mich morgen im Namen meines Bruders bei Jonas", wendet er ein und setzt einen Hundeblick auf. Jedoch weiß er noch nicht, dass derartige Blicke mich keinesfalls beeinflussen.
Dieser idiotische Proll ist sein Bruder?
Schweigend schaue ich ihn an.
Ist das eine Art Familiengang oder wie lässt sich das erklären?, frage ich mich.
Nathan ignoriert mein Schweigen und lässt mir keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn er wirft mir seinen - ebenfalls tiefschwarzen - Motorradhelm zu, als wir sein Bike erreichen.
Reflexartig fange ich seinen Helm auf und schaue erst Nathan, dann den Helm an.
Noch nie in meinem Leben fuhr ich mit einem Motorrad, ich saß noch nicht einmal auf einem. Auch, als meine früheren Freunde und ich in das Alter kamen, in dem Jugendliche sich Motorroller oder Autos zulegten, war ich alles andere als begeistert.
Über mich kann man vielleicht sagen, dass ich durch und durch eine sogenannte 'Spießerin' bin, und eventuell mag das sogar der Wahrheit entsprechen. So etwas waghalsiges kam mir bisher nie in den Sinn.
Schon gar nicht mit dem Mitglied einer Gang, die Ladenbesitzer das Geld aus der Tasche erpresst.
,,Trau dich, Kätzchen", versucht Nathan mich in einem Singsang artigen Ton zu ermutigen.
Wie ich es hasse, wenn er mich so nennt, denke ich mir genervt und rolle mit meinen Augen.
,,Wenn du dann aufhörst, mich 'Kätzchen' zu nennen", schlage ich ihm nach einer kurzen Bedenkzeit als Deal vor.
,,Abgemacht", gibt er grinsend zurück und ohne weiteres Zögern setze ich den schwarzen Motorradhelm auf und schließe den Verschluss unter meinem Kinn.
Nathan steigt auf die Yamaha und schiebt mit seinem Fuß den Motorradständer zurück an seinen Platz.
Mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengrube steige ich hinter Nathan auf das Bike und stelle meine Füße auf die silbernen Fußrasten.
,,Du darfst mich ruhig berühren, Kleines", bedeutet er mir, meine Arme um ihn zu legen.
Etwas zögerlich lege ich schließlich meine Arme um seine Hüften, um mich festzuhalten und wenige Sekunden später lärmt der laute Motor des Bikes.
Als ich das Geräusch des Motors höre, schließe ich fest meine Augen.
,,Bereit?", will Nathan sich vergewissern und alles, was ich rauskriege, ist ein stumpfes ,,Ja".
In dem Moment, in dem Nathan losfährt und die Geschwindigkeit versucht, mich von dem Rücken des Motorrades zu werfen, versteife ich mich und umklammere Nathan's Körper so feste, wie es meine Kraft zulässt.
Die Nervosität, die ich eben noch verspürte, verwandelt sich schlagartig in eine Woge der Übelkeit, die mich überkommt und wäre ich nicht damit beschäftigt, meinen Körper so fest wie möglich an Nathan zu drücken, dann gäbe es womöglich ein Unglück.
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