Kapitel 6

Es war still um mich herum. Das noch zuvor lachende Kind verstummte augenblicklich durch den Lolli, den die Mutter ihm in die Hand drückte. Das alte Ehepaar hörte auf, lautstark die Gemälden im Schaufenster zu bewundern. Alles um mich herum verlangsamte sich, meine Welt stockte.

Meine Finger krallten sich in meine Stofftasche. Ich benutzte sie gerne für einen Rundgang in der kleinen Stadt. Als ich heute Morgen aufwachte, bedurfte es das erste Mal seit der Trennung keinen zwingenden Grund, die Wohnung zu verlassen, sogar lud ich meine Freundin zu einem Kaffee ein.

Ich wusste nicht, woher mich diese Motivation ergriffen hatte, außerhalb einen schönen Tag zu verbringen. Geschweige denn ein Treffen mit Shelly auszumachen. Ich dachte, ich würde mich gut fühlen und wollte dieses Gefühl eine Weile lang behalten, bis es mir grausam entzogen und gestohlen wurde.

Sie trug ein süßes Crop Top, das blau war wie der Himmel. Dasselbe Crop Top, das auch in meinem Kleiderschrank hing. Ich hatte es zuletzt an meinem letzten Date mit Quentin an. Es stand ihr aber so viel besser als mir. Sie war hübsch. Strahlendes Lächeln und kurvige Statur. Völlig das Gegenteil von mir.

Ich nahm ihr nicht übel, dass sie gerade Quentins Hand hielt. Mein Gleichgewicht geriet nicht ihretwegen ins Schwanken. Mein Magen rebellierte, mir kam die Suppe von heute Mittag hoch. Ich hoffte inständig, dass er mich nicht bemerkte. Er sollte mich nicht heute sehen. Dazu war ich nicht bereit.

Vielleicht würde er das auch gar nicht. Sie standen eng beisammen. Seine Augen hingen an ihren Lippen, dies bestätigte sich, als sich ihre Lippen trafen. Ich schluckte den harten Kloß in meinem Hals herunter. Ich wollte nicht weinen. Er schien glücklich zu sein. Ich sollte doch froh darüber sein.

Aber wie konnte er so schnell jemanden anderes mit denselben Armen halten, mit welchen er mich einst gehalten und beschützt hatte? Ich war nicht sauer auf diese unbekannte Frau, die so bezaubernd schön war, strahlend wie die Sonne. Schließlich war Quentin derjenige, der mir das Herz brach, nicht sie.

Ihn nun in dieser Position zu sehen, eine andere Frau küssend, worauf er ihr das Haar sanft hinter das Ohr strich, fühlte sich so unglaublich falsch an. Ich war wütend auf diesen Mann. Mit einem Schlag versetzte er mich zurück unter den Trümmerhaufen, worunter er mich erbarmungslos liegen gelassen hatte.

Diesmal sah er mich aber dabei an. Diesmal trafen seine Augen meine. Sein Lächeln verfiel. Er schien nicht mehr wahrzunehmen, dass die Schönheit an seiner Seite ihm etwas zu erzählen versuchte. Quentin nahm nur mich wahr, mich allein. Wie damals. Und dann lief ich fort. Rannte davon.

Als ich außer Sichtweite war, verschnaufte ich an einer alten Mauer. Mein Herz raste wie verrückt. Hatte ich mir das nur eingebildet? Ich war keinesfalls auf diese Begegnung bereit gewesen. Es tat fürchterlich weh. Es schien so, als wäre er gealtert. Er war nicht mehr mein Quentin. Er war ihr Quentin.

Auch wenn mein Verstand sofort begriff, dass er nicht länger zu mir gehörte, wollte mein Herz das noch immer nicht wahrhaben. Mein Herz wollte das schon in der Sekunde nicht wahrhaben, als er mich verließ, ohne ein erklärendes Wort zu sagen, um sich offensichtlich ein neues Leben aufzubauen.

„Quinn?" Quentins Stimme. War sie schon immer so rau gewesen oder vergaß ich bloß seinen Klang? „Quinn, bist du noch hier?" Er war mir nachgelaufen. Die Frau war nicht mehr bei ihm. Ich erkannte seinen Schatten, der sich suchend nach mir umschaute. Er war mir so nahe. So unfassbar nahe.

Wieso stand er dort und ohne Begleitung? Ich könnte nun in Erscheinung treten und ihn bitten, mir all die Antworten zu geben, die ich brauchte. Sogar konnte ich ihm eine runterhauen, ihn anschreien. Aber ich tat nichts dergleichen. Ich wartete, bis er ging, fing dann still an zu weinen und lief zurück nach Hause.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top