3 -,,Zusammen sind wir stärker.''

Mit einem ungläubigen Kopfschütteln steigt sie wieder von der Waage. Unfassbar. Frustriert blickt sie nach draußen und beobachtet wie die ersten Herbstblätter fallen. Einen guten Monat rackert sie sich nun schon ab und es ist kaum eine Veränderung vorhanden. Wie kann das sein? Mit eckigen, irgendwie steifen Bewegungen und verärgert über ihren eigenen Körper zieht sie ihren Bademantel wieder an. Über einen Monat schon hält sie sich brav an die Vorgaben ihrer App, hat sich daran gewöhnt keine Süßigkeiten zu naschen und selbst das Rad fahren fällt ihr mittlerweile leichter, aber einen richtigen Effekt hat das Ganze bisher trotzdem nicht erzielt. Klar bemerkt man, das sie abgenommen hat und auch ihre Freunde haben ihr schon Komplimente gemacht aber das Ganze reicht ihr nicht, sie will mehr. Außerdem hat bisher weder ihre Mutter eine Veränderung an ihr bemerkt noch ihr Vater. 

Während sie sich anzieht, schaut sie wieder aus dem Fenster, der Herbst ist definitiv ihre Lieblingsjahreszeit. Die Mischung aus dieser Stille die nur kalte Wintertage zu besitzen scheinen und dem fröhlichen Gewusel der Menschen was im Sommer die Straßen beherrscht, findet sie faszinierend. Schon als Kind liebte sie Herbstspaziergänge durch den Wald. Erst wenn die Blätter sich bunt färbten, hatte sie damals und wenn sie ehrlich zu selbst ist, auch noch heute, das Gefühl das die Natur wirklich schön sei. 

Nach zehn Minuten ertappt sie sich dabei, wie sie noch immer, mit halbangezogener Hose, aus ihrem Fenster starrt. Wie so oft hat sie sich in ihren Gedanken verloren. Sie beeilt sich ihre Hose, die mittlerweile doch ein wenig lockerer sitzt, hochzuziehen und zieht den ersten Pullover an, den sie aus dem Stapel Wäsche neben ihrem Bett fischt. Bei einer Sache muss sie ihrer Mutter nun doch recht geben als sie sich so in ihrem Zimmer umsieht, es ist zwar nirgends richtig dreckig, immerhin putzt sie Staub aber mittlerweile liegen doch mehr Kleidungsstücke in ihrem Zimmer verteilt als in ihrem Kleiderschrank. Sie nimmt sich vor heute Abend mal den Saustall zu beseitigen, vielleicht wird ihre Mutter das ja auch freuen. Vielleicht bemerkt ihre Mutter es sogar. Doch nun hat sie keine Zeit mehr. Ihre Eltern warten unten schon auf sie, irgendeine Tante eines Vetters einer Großcousine, ihre Familie ist wirklich viel zu riesig und einander definitiv zu fremd, hat Geburtstag. Kurz zögert S doch wieder in der Tür... vielleicht sollte sie doch ein Kleid anziehen, sie weiß wie wichtig ihren Eltern es ist, was der Rest der Familie von ihnen denkt, gerade als sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen lässt und nach einem Kleid sucht, das ihre Mutter für annehmbar halten könnte, steht ebenjene Mutter bereits neben ihr. "Kind was machst du denn? Komm lass uns los-", mit zusammen gekniffenen Augen unterbricht ihre Mutter sich selbst und mustert ihr Outfit. S schrumpft unter ihrem Blick zusammen und verabscheut sich selbst dafür, aber sie ist machtlos gegen ihre Mutter. Also steht sie da und fühlt sich als würde sie mit jeder Sekunde ein wenig kleiner werden, verlegen und beschämt weicht sie ihrem Blick aus. "Was trägst du denn da? Hatte ich dich nicht gebeten dich vernünftig anzuziehen? Immerhin hat Nina, die Cousine der Großtante deines Vaters, Geburtstag und lädt die Familie zum Essen ein, da kannst du doch nicht in irgendeinem gammeligen Pullover", bei diesen Worten greift ihre Mutter an den Saum ihres Pullovers und hält ihn ihr entgegen. "...gammeligen Pullover mit einem Loch auftauchen." Das Wort Loch spricht sie derweil derart angewidert aus wie andere Mütter das Wort Sex. Tief atmet ihre Mutter ein und zieht sie hinter sich her: "Komm, in meinem Schrank wird sich schon ein Kleid für dich finden." 

Nach einigen Diskussionen über die Kleider, die ihre Mutter ihr zugeworfen hat, zu eng, zu lang, zu kurz, zu streng und einigen theatralischen, aber allen voran genervten, Seufzern ihres Vaters sitzen sie nun im Auto. S hat die Ärme verschränkt und ihre Kopfhörer im Ohr, um ihre Mutter zu übertönen, die sich bei ihrem Vater gerade darüber beschwert, dass sie sich nicht davon abhalten ließ ihre heißgeliebte Lederjacke mit den Buttons darauf anzuziehen, dreht sie die Lautstärke so weit auf, bis sie nur noch Dame hört, während sie aus dem Fenster starrt und sich jetzt schon wünscht, dass der Abend vorbei ist. 

"Wirklich toll gemacht. Warum konntest du nicht einfach essen wie alle anderen?" Genervt schaut sie aus dem Wagenfenster, es ist die gleiche Szenerie wie auf ihrem Hinweg zum Restaurant, nur dass ihre Mutter ihr diesmal die Kopfhörer abgenommen hat und sich zu ihr nach hinten umdreht, statt zu ihrem Vater. "Hallo junge Dame! Ich rede mit dir!" Auch wenn sie weiß, dass sie ihre Mutter nur noch mehr provoziert weigert sie sich zu antworten, sie will nicht das ihre Mutter wieder über sie bestimmt. Genau wie gerade im Restaurant, nichts, aber wirklich nichts darf sie entscheiden. Ihre Mutter ist nicht nur perfektionistisch, nein sie will auch immer über alles und jeden die Kontrolle haben. Wieso sonst bestellt ihre Mutter für sie das Essen? S ist einfach nur genervt und weigert sich deshalb schlichtweg mit ihrer Mutter zu reden, tief in ihrem Inneren weiß sie das das nicht richtig ist und auch das sie später wieder einknicken wird aber jetzt gerade? Jetzt gerade fühlt sie sich gut. Fast so gut wie vorhin im Restaurant.. sie hat sich einfach geweigert zu essen, auch wenn ihr Magen das Ganze seitdem mit großem Protest versucht rückgängig zu machen, fühlt sie sich gut. Der Hunger, der sie jetzt quält ist eher eine Bestätigung als eine Bestrafung, redet sie sich zumindest ein. Die Standpauke ihrer Mutter blendet sie derweil aus. Sie fühlt sich gut und das würde sie sich jetzt nicht kaputt machen lassen. Von Niemandem. 

Zwei Stunden später, natürlich sind sie in einen Stau geraten, sitzt S auf ihrem Bett, den Laptop vor sich und die Haare noch in ein Handtuch gewickelt. Kaum waren sie zuhause angekommen ist sie in ihr Zimmer gestürmt. Nachdem sie sich umgezogen hat, verkündete sie jetzt laufen zu gehen und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen ehe ihre Eltern sie aufhalten konnten. Eigentlich läuft S nicht gerne, joggen ist wirklich der einzige Sport, den sie verabscheut doch vorhin wollte sie einfach nur raus und so hatte das Ganze wenigstens noch einen Sinn. Einen halben Tag fasten und abends noch eine Runde laufen, dass konnte ihrem Plan ja nur zugutekommen. Derart motiviert lief sie beinahe eine Stunde, bis ihre Beine anfingen wirklich zu schmerzen und sie mehr pausierte als zu laufen. Wieder in ihrem Elternhaus angekommen schlüpfte sie sofort unter die Dusche. Als sie lief, kam ihr ein Gedanke, vor Kurzem hat sie eine Dokumentation über Diätgruppen gesehen. Vielleicht sollte sie sich auch so einer Gruppe anschließen, immerhin ist es bestimmt einfacher, gerade wenn es darum ging den Verlockungen des Alltags zu widerstehen, wenn sie sich mit Gleichgesinnten austauschen könnte. 

So sitzt nun hier, im Hintergrund läuft Netflix, Family Guy, und googelt nach solchen Gruppen. Wie bei mittlerweile eigentlich jedem Schlagwort wird sie sofort mit Ergebnissen überflutet. Ziemlich schnell aber wird ihr aber klar das die meisten dieser Seiten zum Einen Mitgliedsbeiträge forderten und zum Anderen auch meist eher Teilnehmer haben die bedeutend älter als sie sind. Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe während sie ihren Blick durch das immer noch unaufgeräumte Zimmer, den Plan des aufräumens hat sie erstmal wieder beiseite gelegt, ihr gefällt ihr Zimmer so, schweifen lässt. Sie muss ihre Suche definitiv verfeinern, ihren knurrenden Magen ignorierend, sie wird immer besser darin, versinkt sie erneut in den tiefen des Internets. 

Ihre Haarspitzen sind mittlerweile angetrocknet, als sie endlich fündig wird. Ein schöner Blog, geführt von zwei Mädchen in ihrem Alter, er ist genau das was sie gesucht hat. Dort findet sie Seitenweise Abnehmtipps, Diätpläne, Erfahrungsberichte anderer Mädchen, ein Forum, in dem sie sich austauschen können und immer wieder Fotos. Fotos die zur Inspiration dienen. S ist begeistert. Bis spät in die Nacht ist sie auf dem Blog unterwegs. Erst gegen drei Uhr morgens, als ihr immer wieder die Augen zufallen, beschließt sie, das es reicht. Auch wenn sie noch drei Tage Ferien hat muss es sie ja nicht übertreiben mit dem Aufbleiben. Mittlerweile hat S sich auf dem Blog registriert und chattet mit einigen anderen Mädchen, wobei die meisten schon sehr viel weiter sind als sie, was die Ziele ihrer Diäten angeht. Glücklich kuschelt sie sich in ihr Bett, den Laptop derweil im Stand By auf ihrem Nachtisch, hoffentlich wird sie jetzt schneller Erfolge erzielen.     

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