13 - "Ich bin nicht krank!"

 "Also S, darf ich dich fragen, wie es dir heute geht?" 

"Soll das ein schlechter Witz sein?" 

"Nein, natürlich nicht. Ist dir vielleicht nach Lachen? Weißt du.. das wäre völlig ok." 

"Mir ist nicht nach lachen. Ich will einfach nur nach Hause. In mein Zimmer. Mein Leben weiter leben." 

"Hmn.. das kann ich verstehen. Aber du musst verstehen das wir dich nicht gehen lassen können. Wir, deine Eltern, ich und all die anderen hier, wir wollen dir nur helfen." 

Kopfschüttelnd sieht sie nach draußen. Niemand kann ihr helfen. Wenn sie auch nur irgendeinem von Ana und Mia erzählen würde, dann wäre sie hier vermutlich für immer gefangen. Würde den Rest ihres Lebens hier verbringen. Würde weiterhin jeden Tag diese widerlich vollen Teller vorgesetzt bekommen. Mit diesen Mädchen, diesen kranken Mädchen, in einem großen Stuhlkreis sitzen, ihnen zuhören wie sie jammern, sich über ihre Krankheit beklagen. Klar einige von denen sind vielleicht wirklich krank aber S doch nicht. Sie hat doch keine Magersucht. Das ist doch absolut lächerlich. Nur weil sie keine Lust mehr hat auszusehen wie ein fettes Walross? Deshalb soll sie direkt krank sein? Selbst Ana und Mia. Die Beiden wollen ihr doch nur helfen nicht wieder so fett zu werden. Natürlich ist das hart. Selbstverständlich ist das kein leichter Weg, aber wenn es so leicht wäre könnte ja jeder eine perfekte Figur haben. Richtig! Genau deshalb hast du uns! Übrigens super Leistung den Kartoffelbrei unter deiner Zunge und danach in der Serviette zu verstecken! Stolz lächelt Ana sie an. Mit ein bisschen Glück glauben die bald, das du dich ändern willst und dann bist du endlich raus aus diesem Betonklotz! Beinahe manisch nickt S während dieses inneren Monologes vor sich hin. Sie muss es einfach hier rausschaffen. Sie ist nicht krank. Nur weil sie nicht mehr aussehen möchte wie laufendes Fett ist sie doch nicht krank. 

Als sich die Tür öffnet, zuckt sie zusammen. Langsam wendet sie sich der nun offen stehenden Tür zu. Es ist nur Tina, eine der Krankenschwestern oder Pflegekräfte oder Aufseher wie Ana und Mia sie getauft haben. S kann absolut keine der Angestellten hier leiden, sie sind alle heuchlerische Lügner. Sperren sie hier ein, zwingen ihr Essen auf, verbieten ihr den Sport und geleiten sie von Therapiestunde zu Therapiestunde damit sie auch ja keine verpasst. Sofort ist S wieder genervt. "Was?" Tinas Gesicht zeigt keine Regung, anfangs konnte S die Menschen hier mit ihrer barschen Art noch verunsichern, was ihr wirklich den Tag versüßt hat, aber mittlerweile sind sie alle daran gewöhnt, wie es scheint. Tina lächelt nicht einmal mehr gespielt, sondern sagt ihr lediglich das sie S in zehn Minuten zur Therapie bringen wird. S wedelt einfach nur mit der Hand, sie hat keine Lust jetzt zehn Minuten lang angestarrt zu werden. 

Wenig später sitzt sie in dem Therapie Raum, ihrer für sie immer noch namenslosen Therapeutin und lauscht dem Rauschen, zu dem ihre Stimme nach einiger Zeit für S wird. An diesem Punkt angelangt wird es beinahe angenehm, sie sitzt hier und nickt ab und zu während sie aus dem Fenster schaut und das Gerede der Frau vor ihr ausblendet. Ab und an antwortet sie ihr und beobachtet amüsiert, wie die Therapeutin alles mitschreibt, obwohl diese Frau sowieso nur am schreiben ist wenn S hier ist. Was sie wohl niederschreibt? Dieses Mädchen macht mich fertig. Sie ist unmöglich zu durchschauen. Ich wäre auch gerne so dünn. Ein kurzes Grinsen huscht bei dem Gedanken über ihr Gesicht, dass ist der zweite Grund wieso sie diese Frau kaum anschaut. Sie ist unnatürlich übergewichtig, ihr wird schlecht wenn sie sich diese Fettrollen vor ihr länger als zwei Sekunden anschauen muss. Glauben die Leute wirklich das sie das sehen muss ? Eine dicke Frau? Lächerlich, immerhi - "...deine Krankheit schreitet weiterhin vorran.." 

Unwillkürlich ruckt ihr Kopf in Richtung der Stimme. Krankheit. Sie hasst dieses Wort. Da ist sie wieder die Wut, seit kurzem ist sie ihre stärkste und schnellste Emotion. Wutentbrannt schaut sie die Frau vor sich an, nach einigen Sekunden hat sie, dann auch bemerkt das S ihr ihre Aufmerksamkeit schenkt, ist in ihrem Monolog endlich verstummt und schaut S ebenfalls an. "Ich. Bin. Nicht. Krank!" Die Worte verlassen S Mund lauter und schneller als erwartet. Sie springt auf, sie muss ihrer Wut irgendwie Luft machen. 

"Ich bin nicht krank. Nein. Nein. Nein. Alles was ich will ist dazu gehören.. ach ich meine Dünn also schön. Also besser... also.." Schwer hebt und senkt sich ihre Brust und sie greift sich in die Haare. Irgendetwas geht hier vor. Ana und Mia toben in ihrem Kopf. Sie schreien und zertrümmern alles. S hat das Gefühl die beiden verstecken etwas vor ihr. Verzweiflung siegt über der Wut, sie zieht an ihren Haaren: "Was verschweigt ihr? Was? Was soll ich nicht wissen?" S schreit beinahe. Tränen sammeln sich in ihren Augen. Plötzlich ist sie ganz ruhig. Alles scheint verpufft. Sie sinkt auf ihre Knie. Tränen laufen über ihr Gesicht. Schluchzend kauert sie vor dem Fenster und plötzlich spürt sie eine warme und weiche Umarmung. Jemand streichelt ihr sanft über den Kopf und hält sie. Verhindert das sie zerbricht.     

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