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Der Geruch von altem Papier und getrockneter Tinte erfüllte die alte Bibliothek. Riesige Fenster erhellten die Gänge zwischen den unzähligen und hohen Bücherregalen. Vereinzelt stöberten Wesen durch den Saal, nahmen einmal hier und da verstaubte Bücher aus ihren Regalen und stellten sie entweder wieder zurück an ihren Platz oder nahmen sie mit.

Ein dumpfer Knall und die große Staubwolke, die plötzlich neben ihm aufgewirbelt wurde, schreckten Ciel aus seiner Tagträumerei auf und ließen ihn zusammenzucken. „Mira, erschreck mich nicht so!", tadelte er seine beste Freundin mit einem scharfen Blick, ehe er seinen Blick auf den kleinen Stapel, ziemlich alt wirkender, Bücher schweifen ließ.

„Sind das alle?", fragte der Apotheker seufzend und fuhr sich einmal erschöpft durch die hellbraunen Haare. „Ja, zumindest die, die der Bibliothekar und ich noch finden konnten."

Es sind mittlerweile zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen, seitdem der namenlose Patient spurlos durch das Fenster aus seinem Behandlungsraum verschwunden war. Das Einzige, dass der Fremde hinterlassen hatte, war ein kleiner Zettel mit seltsamen Runen. Ciel hatte nach ein paar Tagen herausgefunden, dass es sich bei der Schrift um Runen der alten Sprache handelte. Und da diese nur noch vereinzelt im Osten und Norden von Prära gesprochen wurde, konnte er nur noch hoffen, dass er in den alten Schriften der lokalen Bibliothek auf Hinweise für eine Übersetzung stoßen würde.

Natürlich konnte er das alles nicht vor Mira geheim halten und so kam er nicht umhin dem Schattenengel alles zu erzählen. Auch von dem merkwürdigen Ziehen und Brennen in seiner Magengegend, sobald er dem Fremden in die Augen gesehen hatte. Nach einiger Zeit des Schweigens hatte die Rothaarig unerwartet plötzlich das Wort „Seelenverwandter" in den Raum geworfen.

Ciel war zunächst perplex gewesen, doch schließlich hatte er zögernd genickt. Dieser Gedanke war ihm auch schon gekommen. Denn anders konnte er sich dieses Gefühl der Leere nicht erklären, welches er besaß, seit der Unbekannte durchs Fenster verschwunden war.

Naja, als Leere konnte man dieses Gefühl nicht wirklich beschreiben, es war so, als ob jetzt, mit dem Verschwinden des Schwarzhaarigen, etwas in ihm fehlte, welches er vor dem Zusammentreffen mit dem Fremden nicht gemisst hatte.

Und deshalb hatten die beiden Freunde die letzten eineinhalb Wochen damit verbracht sämtliche Bücher, zu dem Themen Seelenverwandte der Gestaltwandler und Alter Schrift, zu lesen. Bis jetzt war nicht wirklich etwas Brauchbares dabei gewesen. Außer, dass Ciel nun mit sich selbst und seiner Identität kämpfte.

Das was er über Gestaltwandler gelesen hatte, hatte sein gesamtes Wissen über seine Art auf den Kopf gestellt und er wusste nicht mehr weiter. Wie konnte ein wildfremder Mann sein Seelenverwandter sein? Wie wurde das festgelegt?

Ciel war ein rational denkender Mensch. So etwas wie Schicksal gab es für ihn nicht. Zumindest bis er sich dem Thema eingehender gewidmet hatte.

Er hatte seinen Seelenverwandten gefunden.

Ganz glauben konnte er es zwar immer noch nicht, doch leugnen wollte er es auch nicht. Dafür stimmte einfach zu vieles überein. Und doch konnte er sich mit dem Gedanken nicht ganz abfinden.

„Laut dem Bibliothekar sind das hier die letzten Bücher die sie besitzen. Also finden wir entweder darin eine Lösung oder wir müssen uns woanders um Hilfe umsehen", riss ihn Mira erneut aus seinen Gedanken.

„Na dann, hoffen wir, dass wir etwas finden, dass uns weiterhilft." Der Schneeleopard wollte, nein, musste, unbedingt diesen Mann mit den rabenschwarzen Haaren wieder treffen. Er hatte so viele Fragen an ihn.

Warum stand auf dem Zettel Twari? Es war das einzige Wort, welches sie bis jetzt komplett übersetzen konnten und bedeute Seelenverwandter oder Gefährte.

Seufzend nahm Ciel das oberste Buch vom Stapel und betrachtete den Einband. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Das hatte er doch schon heute einmal gesehen!

Hektisch suchte er aus einem anderen Stapel einen anderen, aber genauso dicken, Wälzer.

„Was hast du?", fragte Mira aufgeregt. „Hast du etwas entdeckt?"

„Ja, sie mal..." Ciel legte die beiden Bücher neben einander. „Sie haben denselben Einband."

Das Leder der Bücher war dunkelrot eingefärbt und braune Verzierungen schmückten den Einband. Die Zeit hatte zwar hier ihre Spuren hinterlassen und man konnte nur noch schwer Details auf dem Einband erkennen, doch dass die Runen identisch waren, konnte man sofort erkennen.

Neugierig stellte sich die junge Frau neben Ciel und sah gespannt dabei zu, wie der Apotheker die erste Seite aufschlug. Jetzt erinnerte sich der Jüngere wieder daran, weshalb er zuerst das rechte Buch beiseitegelegt hatte. Denn es war in der gemeinen Sprache geschrieben, jedoch ergaben die Wörter keinen Sinn, da es für den Gestaltwandler so gewirkt hatte, als hätte man die Buchstaben einfach wirr angeordnet.

Doch jetzt ging dem Apotheker ein Licht auf. Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht und die Runen in die gemeine Sprache übersetzt, jedoch nicht die Bedeutung. Aber es war einmal ein Anfang.

„Hier sieh mal! Dieses Zeichen sieht genauso aus, wie das erste auf dem Zettel", Mira zog genanntes Stück Papier näher zu ihnen heran und deutete mit der anderen Hand auf eines der Zeichen ziemlich am Anfang der Seite.

„Sa...", las Ciel nachdem er eine Weile dieselbe Stelle in dem anderen Buche gesucht hatte.

„Das wird mühsam", seufzte er und ließ sich zurückfallen. „Jetzt lass nicht den Kopf hängen, nur weil es jetzt anstrengend wird! Sei lieber froh das wir nach eineinhalb Wochen endlich einen Fortschritt gemacht haben!", rügte ihn der Schattenengel, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Ciel.

„Na gut, dann mal los."

Mittlerweile war es stockdunkel draußen. Die einzige Lichtquelle waren die Kerzen die sich Ciel und Mira angezündet hatten. Sie war die Letzten in der Bibliothek und so war es bedrückend Still. Und auch gruselig, wie der Schneeleopard fand.

„Fertig!", rief Mira erleichtert aus und sprang überglücklich, als sie die letzte Rune übersetzt hatten, auf. Der Junge Apotheker ließ sich nur erschöpft mit dem übersetzten Zettel zurücksinken.

„Sabat no garos, chiv ra lios nius kore zul molgart falôr. Raos nivû laberte traelle vost. Twari... Vaith", las Ciel leise vor. Ob er es richtig aussprach wusste er nicht und das einzige Wort, welches er kannte war Seelenverwandter.

Auf dem Originalzettel wirkte es so als ob der Fremde noch etwas hinzufügen wollte, doch keine Zeit mehr dazu hatte. Etwas das den Gestaltwandler noch mehr verwirrte.

Plötzlich wurde ihm der Zettel aus der Hand gerissen. „Sie mal, das letzte Wort sieht aus wie ein Name!" „Zeig her!"

Ciel stand neugierig auf, vergessen war die Erschöpfung. „Stimmt..." Er sah auf den Original Text. „Die Runen sind hier auch komisch unterstrichen", stellte der junge Apotheker fasziniert fest.

Vaith

Jetzt hatte er endlich einen Namen.

Vermutlich..., hoffentlich.

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Laut gähnend stand Ciel am nächsten Morgen im Morgenmantel in seiner kleinen Küche und kochte sich Spiegelei mit Speck und Kaffee. Gleich nach ihrem großen Durchbruch hatte der Gestaltwandler Mira nach Hause begleitet und sich dann ebenfalls auf den Weg gemacht. Schließlich hatten Beide noch einen Job zu verrichten.

Jedoch war der Apotheker noch lange wach im Bett gelegen und hatte über die Bedeutung des Zettels nachgedacht, ehe er irgendwann eingeschlafen war. Auch jetzt nahm die rätselhafte Nachricht all seine Gedanken ein, sodass er sogar fast sein Frühstück übersehen hätte.

„Mist!", fluchte er und beeilte sich die Flammen des Ofens auszumachen.


Einen halben Tairus später stand der Gestaltwandler umgezogen hinter seinem Tresen und verabschiedete den ersten Kunden des Tages. Dieser hatte über schwere Kopfschmerzen seit bereits einigen Tagen geklagt und Ciel hatte ihm ein Medikament dagegen gegeben.

Gerade wollte sich der Apotheker wieder in den Behandlungsraum begeben, um dort neue Kräutermischungen herzustellen, als das altbekannte helle Klingeln über der Eingangstür einen neuen Besucher ankündigte.

„Guten Tag Krim", begrüßte er den Hirschzentauren mit einem sanften Lächeln, als er diesen erkannte. „Wieder hier um den Verband zu wechseln?" Es war mehr eine Aussage als eine Frage, denn schließlich hatte er ja selbst dem Zentauren geraten, regelmäßig in die Apotheke zu kommen.

Krim war vor circa einer Woche mit einer sehr tiefen, aber leicht zu behandelten, Schnittwunde am linken Unterarm zu ihm gekommen. Laut seiner Aussage, war er mit dem Messer abgekommen und hatte sich selbst geschnitten. Das war ihm nun schon einige Male passiert, seit Ciel in die Stadt gekommen war und seit dem Vorfall mit dem Fremden, nein mit Vaith, fand der Schneeleopard das etwas komisch. Warum schnitt oder stach sich ein Schneider selbst? Musste er sein Handwerk nicht beherrschen?

„Ist etwas Ciel? Sie wirken heute so nachdenklich", riss ihn der Tiermensch aus den Gedanken. Ciel schüttelte leicht den Kopf und begann den Verband vorsichtig abzuwickeln. „Nein... Tut es noch sehr weh? Brauchen Sie noch Schmerzmittel?", wechselte der Gestaltwandler schnell das Thema und ließ dabei unauffällig seinen Blick über den Zentauren schweifen.

Konnte es vielleicht sein, dass Krim etwas mit Fremden zu tun hatte?

Denn jetzt wo er genauer darüber nachdachte, war es schon ein komischer Zufall, dass der Hirschzentaur kurz nach dem Verschwinden Vaiths zu ihm gekommen war. Hingen ihre Verletzungen zusammen?

Sollte er ihn darauf ansprechen?

Ciel schob erst einmal die Gedanken beiseite und widmete sich den Nähten. „Sieht gut aus. Ich glaube in einer Woche kann ich die Nähte ziehen, wenn es weiter so gut verheilt", meinte der Junge mit den hellbraunen Haaren und stand auf um einen frischen Verband zu holen.

Er war gerade dabei, das Ende des Verbandes so zu verknoten, sodass es nicht so schnell aufgehen würde, als ihm schließlich doch die Neugierde überkam. Er musste es einfach versuchen.

„Vaith...weißt d..."

„Stopp!"

Plötzlich versteifte sich der Zentaur ihm Gegenüber und starrte den Apotheker einen Moment perplex an, ehe sich ein wissendes Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete.

„Sie kennen ihn?!", hackte Ciel nun forsch nach, war aber sichtlich mit der gesamten Situation überfordert. Konnte das alles noch ein Zufall sein?

Krim nickte langsam. „Könnte man so sagen. Du hast also die Nachricht endlich entschlüsselt?"

Verwirrung und Argwohn stiegen plötzlich in dem Moment in Ciel auf, in dem er die Worte seines Patienten realisierte. „Warte, Sie wussten die ganze Zeit von der Nachricht und dass ich versuchte sie zu entschlüsseln?!" „Sagen wir es so, ich konnte es mir zusammenreimen", war die einzige Antwort die der Apotheker darauf bekam.

„Das heißt, Sie können die alte Sprache?", fragte der Gestaltwandler aufgeregt nach und sah den Hirschzentauren mit großen Augen an. Endlich hatte er eine Spur zu dem Unbekannten.

„Sabat no garos chiv ra lios nius kore zul molgart falôr. Raos nivû laberte traelle vost. Twari... Vaith. Was heißt das?"

„Sabat no garo, tschiv ra lio niu kor zul molgart falör. Rao nivü labert traell vot. Man spricht das e am Ende eines Wortes nie aus. Und auch, wenn nach einem a, o oder u ein s kommt, wird es nicht ausgesprochen", verbesserte der Zentaur die Aussprache des Jüngeren und Ciel saugte wortwörtlich dieses Wissen ein. Vielleicht würde es ihm irgendwann nützlich sein.

„Aber Sie konnten es nicht übersetzen?" fragte Krim überrascht nach. Er hatte gedacht, dass der Apotheker es schaffen würde.

„Nein, aber bitte helfen Sie mir. Ich habe so viele Fragen an Vaith. Ich muss ihn unbedingt finden!" Ciel sah den Zentauren auffordernd, aber auch abwartend, mit großen und flehenden Augen an.

„Tut mir leid, aber ich weiß selber nicht, wo sich Vaith im Moment aufhält. Aber es wäre sowieso besser, we..." „Könnten Sie dann wenigsten die Nachricht übersetzen?", fiel ihm der Gestaltwandler ins Wort.

Krim seufzte leise, ehe er nachgab und langsam nickte. Er kannte zwar schon den Inhalt der Nachricht und wusste, dass es dem Kleineren nicht weiterbringen würde. Doch vielleicht, würde er das Thema dann in Ruhe lassen. Das wäre das Beste für alle beteiligten.

„Na gut. Übersetzt bedeutet der Kauderwelsch, den du da gefaselt hast: Danke für alles, aber ich will dich da nicht mit reinziehen. Vergiss mich lieber wieder schnell. Hör lieber auf ihn. Er hat Recht. Denn du weißt gar nicht, in was du da hineingeraten bist", riet der Hirschzentaur und sah den Apotheker streng an.

Er konnte es sich zwar denken, dass Ciel nicht so schnell lockerlassen würde, doch der verwirrte und perplexe Ausdruck in dessen Gesicht, ließ ihn positiv Stimmen.

„Aber..." setzte der Schneeleopard an, wurde aber im selben Moment von Krim unterbrochen. „Lass es. Es hat keinen Sinn. Wenn Vaith nicht möchte, dass du da mit hineingezogen wirst, werde ich dir auch nicht mehr über die ganze Sache erzählen. Wenn Vaith nicht gefunden werden will, dann zeigt er sich auch nicht."

Lüge

Eigentlich konnte der Tiermensch mit den Schulterlangen braunen Haaren sich genau vorstellen, wo sich der Panther gerade aufhält. Doch er respektierte den Wunsch seines Anführers und kam seinem Befehl nach, ein Auge auf Ciel zu werfen.

„Wie er schon gesagt hatte: Vergiss ihn Ciel. Es bringt nichts nach ihm zu suchen, er wird zu dir kommen, wenn er es für richtig hält."

Mit diesen Worten drängte sich der Zentaur an dem Apotheker vorbei und verschwand aus der Apotheke. Dort hinterließ er einen äußerst verwirrten, enttäuschten und frustrierten, aber auch wütenden Schneeleoparden.

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