~°~ 24 ~°~


Ein Schwall eiskaltes Wasser riss mich nach Luft schnappend wieder zurück in die Realität. Ich wusste nicht, wie lange ich bewusstlos war, allerdings verriet die Schwere und Steifheit meines Körpers, dass es eine geraume Zeit lang war. Ehe ich nur irgendetwas unternehmen konnte, strömte der höllische Schmerz auf mich ein und ein gepresstes Stöhnen kam über meine Lippen. Mein Körper krümmte sich auf die Seite rollend zusammen, ein Brechreiz überkam mich, allerdings sammelte sich nicht einmal wirklich Spucke in meinem Mund.
Ich versuchte den Schmerz wieder zurück in die dunkle Kiste in dem tiefsten Abgrund meines Bewusstseins zu stecken.
Es wurde mit jedem weiteren Mal kein bisschen leichter, jedoch empfing ich mit geöffneten Armen die wohlwollende Kälte und Gefühllosigkeit, welche mich daraufhin jedes Mal überkam.
Es machte das Leben im Kerker leichter.
Das ich jedes Mal ein größeres Stück von mir mit in die Kiste im Abgrund steckte, war mir bewusst. Ebenso, dass ich diese Teile nur mit dem Preis des Ganzen wiedererlangen würde. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Kraft, diese Kiste jemals wieder zu öffnen, irgendwann aufbringen könnte. Geschweige denn, ob ich es überhaupt wollte.
Doch nur so konnte ich überleben.

"Hoch mit dir!"
Eine starke Hand packte meine Handfesseln und zog mich an diesen über den rauen Boden hinter sich her. Nach fünf Schritten blieb der halbstarke Riese stehen und hob mich an meinen Fesseln hoch, um mich an einem Hacken and der Decke zu befestigen. Das darauffolgende Klicken signalisierte mir, dass nun auch meine Fußfesseln an der Öse im Boden eingehackt wurde.
Darauf bedacht meine bereits sehr in Mitleidenschaft gezogenen Handgelenke zu schonen, zwang ich mich mein Gewicht auf die kraftlosen Beine zu verteilen.
Mit einem verachtenden Grunzen trat die Wache von mir zurück und die sich entfernenden schweren Schritte verrieten mir, dass dieser gegangen war. Als dann auch das Zuschlagen der schweren, mit Eisen verstärkten Holztüre zu vernehmen war, atmete ich tief ein und aus.

Langsam öffnete ich mein gesundes rechte Auge, meine gesamte linke Gesichtshälfte ist so stark angeschwollen, dass ich nicht einmal das Auge einen Millimeter aufbrachte. Ich sah mich in dem Raum um, in welchen ich nun schon etliche Tage, Wochen, Monate verbrachte. Genau konnte ich es nicht mehr sagen, mein Zeitgefühl war schon längst verloren gegangen.
Es wurde mir während meiner Folter noch keine einzige Frage gestellt. Dies mussten sie auch nicht, es war auch ohne ein Wort klar, was sie von mir hören wollte.
Sie wussten, wer ich war.
Die markante, vogelähnliche Narbe sprach für sich selbst.
Ironischerweise war diese Stelle an meinem Körper auch die Einzige, die noch vollkommen verschont geblieben war.

Ihr einziges Ziel bislang war es mich zu Brechen und zu Demütigen. Beides bis jetzt ohne Erfolg, obwohl nicht mehr viel fehlte, bis dass ich ein Schatten meiner Selbst sein würde.
Ich war an einem Punkt angelangt, welche deutlich die Grenze meiner körperlichen als auch mentalen Kraft war. Dunkle Gedanken fügten sich langsam in meinem Kopf zusammen, sobald ich bei Bewusstsein und alleine war. Noch unterbrach ich mich selbst, bevor diese klarer wurden.

Der Raum hatte sich während meiner Bewusstlosigkeit kein bisschen verändert, was mich auch verwundert hätte.
Schräg hinter mir befand sich in der Ecke eine dünne Schicht Heu am Boden und eine Öse an der Wand. Dort verbrachte ich meine Zeit, wenn ich nicht gerade mitten im Raum von der Decke baumelte.
Die gleiche Einrichtung befand sich in der anderen Ecke hinter mir. Links von mir war die schwere Holztür im Mauerwerk eingelassen, welche in einen Gang führte von diesen man immer wieder die Schmerzensschreie der anderen Gefangen vernehmen konnte.
An der Wand vor mir stand ein breiter, alter Holztisch, auf dem alle möglichen Gegenstände aufzufinden waren, welche auch nur den geringsten Schmerz zufügen konnten. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem nassen Oberkörper aus und ich konnte ein Zittern nicht verhindern.
Zwei von der Decke hängende Öllampen erhellten spärlich den Raum.
Mein Blick viel auf einen kleinen runden Gegenstand, welcher auf einem Blutbefleckten Tuch auf dem Tisch lag.
Dieser war neu.
Ich konnte zwar nicht genau erkennen, was es war, aber es wirkte irgendwie vertraut. "Faszinierend, nicht wahr? Erstaunlich was Magie alles zustande bringen kann, wenn man nur das Potenzial dazu hat."

Ein rothaariger, großgewachsener Mann betrat den Raum und schloss hinter sich die Türe, ehe er sich mit vor der Brust verschränkten Armen dagegen lehnte. Ein genügsames Grinsen lag auf den schmalen Lippen und han-purpurne Augen fixierten mich, als wäre ich eine Beute, die erlegt werden musste.

Was ich vermutlich auch war.
Also gut, neue Runde neuer Peiniger.

Mein Blick huschte wieder zu dem runden Gegenstand. Mein erschöpftes Gehirn arbeitete auf höchstmöglicher Leistung, als mir plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken rann.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Mein schockierter Blick huschte zu dem Fremden und ich sah diesen ungläubig an.

Dadurch, dass die linke Gesichtshälfte schon seit Tagen angeschwollen war, schmerzhaft pochte und ich deswegen mein linkes Auge nicht benutzen konnte, war es mir gar nicht aufgefallen. Beziehungsweise hatte ich es noch nicht vermisst.

Dieser grinste mich nun noch breiter an und stieß sich von der Türe ab, um auf den Tisch zuzugehen.
Er schnappte sich den runden Gegenstand und brachte diesen auf seine Augenhöhe, um ihn besser zu inspizieren.
"Ich wusste, dass Titus gut ist, aber dass er mithilfe seiner Magie aus einer simplen Prothese ein funktionierendes und echt wirkendes Auge erstellen konnte, so etwas hatte ich nicht für möglich gehalten", murmelte der Rothaarige vor sich, während er die Prothese hin und her drehte.
In der Zwischenzeit versuchte ich meine wirren Gedanken wieder neu zu sortieren, was mir allerdings nicht gelang.

"Wieso? Wann?", brachte ich mit kratziger Stimme hervor, da mir einfach kein plausibler Grund einfiel, warum man jemanden einfach so ein Auge herausnahm, wenn dieser Bewusstlos war.
Mit Folter hatte dies nichts zu tun gehabt.

Außer mir, wussten genau zwei weitere Personen, dass ich bei dem Vorfall vor sechs Jahren mein linkes Auge verloren hatte und dass mir besagter Titus die Prothese eingesetzt und mit Magie diese zum Leben erweckt hatte.

"Wieso?!", wiederholte der Fremde entrüstet und drehte sich nun komplett zu mir um. "Weil das da nicht dir gehört! Du hast kein Recht es zu besitzen und davon zu profitieren!" Der hochgewachsene Mann legte die Prothese wieder zurück, griff nach einem Neunschwanz und kam langsam auf mich zu.

"Wie hast du ihn dazu gebracht, dass er dir das anfertigt? Was hat er durchstehen müssen, bis er eingewilligt hat?" Der Mann blieb mit einem hass erfüllten Gesichtsausdruck vor mir stehen und musterte meinen geschundenen Oberkörper. Die han-purpurnen Augen glitten über das blutige Kunstwerk seiner Vorgänger und eine Gänsehaut überzog meinen entblößten Körper. Ich wollte gerade zu einem abfälligen Kommentar ansetzen, als mich mein Gegenüber unterbrach.
"Nein, sag nichts. Eigentlich will ich es gar nicht wissen, denn du wirst dafür ohnedem mehr als genügend leiden!", hallte die gehässige Stimme in dem kalten, nassen Raum wieder.

"Du bist ein Narth, nicht wahr?" Es war eine Feststellung keine Frage. Mein musternder Blick wanderte über das Gesicht des Fremden und erkannte bekannte Gesichtszüge. Die breite Nase und das flache Kinn waren beinahe die Selben. Das rote Haar des Fremden war etwas feuriger, als das von Titus und die Pupillen des Magiers waren Lacklila und nicht Han-purpur.
"Wenn nicht sogar Brüder", fügte ich mit einem leicht triumphierenden Grinsen hinzu.

Ein erzürntes Zischen entwich den zusammengebissenen Zähnen meines Gegenübers und blitzschnell schnellte seine freie Hand vor und packte grob mein Kinn. Sein Gesicht war nun wenige Zentimeter von meinem entfernt.
"Mein Name lautet Aester Dankhur Narth, zweitgeborener Sohn des Familienoberhauptes und Vicecapitän der Assassineneinheit des Königs von Tramam. Besser bekannt unter den Namen vâlt niphyr.
Und ich werde derjenige sein, der dich, Gagak Getih, zum Singen bringen wird."

"Viel Glück dabei, Narth, der immer an zweiter Stelle steht", stichelte ich mit herausfordernd funkelten Augen. Vâlt niphyr war ein bekannter Name, welcher sich auch in andere Königreiche ausgebreitet hatte und dort für Ehrfurcht sorgte.
Sogleich wurde mir der starre Griff des Neunschwanzes in den Bauch gerammt, sodass ich mich hustend zusammenkrümmte.

"Wir werden ja sehen", sprach Aester finster und ging um mich herum. "Bis jetzt habe ich noch jeden gebrochen", hauchte er mit einer Kälte in der Stimme in mein Ohr, dass mir ein Schauer über den Rücken jagte.
Ich hatte schon selbst unzählige Male die Position des Peinigers eingenommen und so kannte ich die körperlichen Merkmale eines gefolterten, wenn dessen Körper im Bilde war aufzugeben. Und meiner stand gerade am Rande dieses Abgrundes.

Ein lautes Zischen unterbrach die kurze Stille, gefolgt von einem Schmerzenslaut, als das Leder auf die geschundene Haut traf und frische Krusten erneut aufrissen. Sofort spürte ich, wie warmes, klebriges Blut meinen Rücken herunterfloss. Ehe ich mich von dem ersten Schlag erholen und für den Nächsten wappnen konnte, folgte diese bereits.

Exact 24 Schläge später hing ich nur noch kraftlos in den stählernen Fesseln. Zählen war das Einzige, was mich noch bei Bewusstsein hielt.

"Du weißt, dass du es selbst in der Hand hast. Du brauchst mir nur deinen richtigen Namen zu nennen und mir verraten, wo ich eines eurer Lager finde. Mehr will ich nicht von dir wissen und dann hört all dieser Schmerz auf. Ich verspreche dir sogar, dass ich dir ein schnelles Ende bereiten werde!" Ein breites Grinsen lag auf dem Gesicht des Rothaarigen.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass es aufhörte. Der Gedanke an einen schnellen Tod war zu verlockend. Das Ende von all dem Leid und der Verantwortung.
"Es würde mich auch einfach nur der Aufenthaltsort von Titus Narth zufriedenstellen."
Und da war er wieder.
Der Grund, warum ich trotzdem nicht nachgab. Zu viele Personen zählten auf mich, verließen sich auf den Schutz, den die Roten Raben boten.
Außerdem wusste ich, dass mir nie und nimmer ein schneller Tod geschenkt würde. Schließlich war ich der Anführer der Roten Raben. Mir war eine öffentliche Hinrichtung vorbestimmt, einerseits um ein Ensemble zu stationieren, andererseits um weitere Mitglieder hervorzulocken.

Plötzlich ging ein Ruck durch meinen Körper und ein leises Knistern in der Luft war zu vernehmen. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und mir wurde mit jedem Moment immer heißer. Vor Schmerz stöhnend biss ich die Zähne zusammen.
Es fühlte sich so an, als würde mein Körper in Flammen stehen. Schweiß vermischt mit Blut rann meinen Körper hinab und verschiedenste Muskeln begannen zu krampfen.

Magie!

So schlagartig wie es auch aufgekommen war, war dieses Phänomen verschwunden und hinterließ mich nur noch halb bei Bewusstsein.

Ein Keuchen von seitens des Assassinen verriet mir, dass die Blutmagie ihren Tribut eingefordert hatte.
Der Magier war allen Anscheins am Ende seiner Geduld angekommen.
Und wieder brachte mein Peiniger mein Blut zum Kochen. Nachdem er abermals eine Pause einlegte, hatte mich die wohlwollende Schwärze beinahe zur Gänze eingenommen.
Ich klammerte mich nicht mehr an das Hier und Jetzt.
Mein Inneres war Leer. Taub.
Tod.
Mein Atem ging langsam, stoßweise.

Und plötzlich überkam mich ein Schwall des inneren Friedens.
Ich wusste, die Bande, meine Familie, war in guten Händen und würde auch nach mir noch etliche Jahrzehnte bestehen, so wie sie es auch vor mir schon getan hatte.
Meinen Stolz und stählernen Willen hatte ich hier drinnen schon lange abgelegt und nun wurde mir bewusst, dass ich hier in diesem Moment gerade abschloss.
Ich bereute nichts in meinem Leben - außer, dass ich lieber unter meinen Leuten meinen letzten Atemzug getan hätte, als hier in diesem finsteren, kalten und nassen Kerker.
"Wer wohl der neue Gagak sein wird...", murmelte ich gebrochen.

"Mhm? Hast du etwas gesagt?", fragte der Narthmagier und kam näher auf mich zu.

Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich mich der willkommenen Schwärze hingab und diese mich sogleich zu verschlingen begann.

"Oh nein! Du wirst mir hier nicht so einfach abkratzen!"

Das Knistern der Magie erfüllten den Raum, allerdings bekam ich nicht mehr mit, was er damit wirken wollte. 

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