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Leise pfeifend pflückte der Apotheker die Kräuter, welche ihm ausgegangen waren. Der Wald, an dessen Rand Trabi lag, war eine wahre Schatzgrube was Heilkräuter anging. Es gab kein Kraut welches man hier nicht fand. Manche lagen zwar abgelegener oder versteckter als andere, jedoch kannte Ciel mittlerweile alle guten Stellen und wusste wo welches Kraut zu finden war. Langsam füllte sich der Weidenkorb mit den gut riechenden Pflanzen. Sanfte Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und tauchten die Atmosphäre in ein angenehmes Licht. Helles Vogelzwitschern und leises Rascheln im Unterholz erweckten den Wald zum Leben und trotzdem strahlte dieser eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus.

Ciel liebte es hier Zeit zu verbringen. Vor allem nachdem in den letzten Wochen keine Briefe von Vaith gekommen waren und er sich so langsam ernsthafte Sorgen um ihn machte. Er hatte es versprochen! War ihm etwas Schlimmes widerfahren?

Nachdem Sabris abgereist war, hatten ihn noch einmal Soldaten von Tramam besucht und ihn erneut befragt. Der Schneeleopard hatte den Verdacht, dass sie irgendeine Verbindung gefunden hatten, doch nachdem er danach nicht mehr dazu belästigt wurde, tat er dies als reine Routine ab. Schließlich war er immerhin noch Mediziner, da wäre es nicht so an den Haaren herbeigezogen, würde er einen vermeintlichen Schwerverbrecher decken. Wegen Schweigepflicht und so.

Sabris Geschichte hatte er ziemlich interessant gefunden und er wünschte sich mehr aus der Vergangenheit von Sabris und Vaith zu erfahren. Ihm war an diesem Tag klar geworden, wie wenig er wirklich von seinem Gefährten wusste.

Mira verbrachte seit dem Vorfall mehr Zeit bei ihm. Vermutlich wollte sie einfach sicherstellen, dass es dem Gestaltwandler gut ging und dass er mit der Trennung von Vaith klarkam. Erstaunlicherweise war dem auch so. Es fühlte sich nicht so an wie die Male davor, vielmehr hatte er das Gefühl gehabt, dass der Panther immer noch bei ihm war. Dies lag vermutlich an dem Band, welches sich langsam aber stetig zwischen ihnen aufbaute, seit sich Beide bewusst auf diese Verbindung eingelassen hatten.

Es war ein angenehmes und beruhigendes Gefühl gewesen. Doch drei Wochen nachdem Vaith geflohen war, hatte es sich so angefühlt, als wäre da plötzlich eine Blockade in ihrem, noch so zerbrechlichen, Band. Die bekannte Leere war zwar nicht zurückgekehrt, jedoch fehlte trotzdem etwas Wichtiges. Zunächst war Ciel irritiert gewesen, nach einer Woche hatte er sich aber dann damit abgefunden. Zu dieser Zeit hatte er auch den letzten Brief von seinem Gefährten erhalten.

In dem hatte Vaith ihm zwar geschrieben, dass alles Ok sei und dass er sich vermutlich in wenigen Tagen zu ihm auf den Weg machen würde. Das war jetzt aber schon beinahe zwei Monate her. Krim und sein Lehrling waren in der Zwischenzeit auch nicht mehr aufgetaucht und schlussendlich für Tod erklärt.

Kummer hatte Ciel bei dieser Nachricht widerfahren und er hatte sich Sorgen darüber gemacht, wie wohl Vaith auf diese Nachricht reagiert hatte. Schließlich kannten sich die Beiden schon seit ihren Anfangstagen bei der Bande, zumindest so hatte es der Apotheker mitbekommen.

War das etwa der Grund, warum der Panther nun doch so lange wegblieb? Vermutlich rief der Tod der rechten Hand des Anführers eine große Veränderung und Schock innerhalb der Bande hervor. Doch hätte Vaith dann nicht weiter Briefe an ihm geschrieben?

Kopfschüttelnd richtete der Schneeleopard seine Aufmerksamkeit wieder auf die Kräuter. Er durfte sich darüber nicht so den Kopf zerbrechen, ansonsten würde er sich nur wieder in irgendetwas hineinsteigern. Vaith war stark. Er kam schon klar.


Ein erfrischender Windstoß ließ Ciel mit weit aufgerissenen Augen Aufsehen. Hektisch sprang der Gestaltwandler auf und wirbelte um die eigene Achse herum. Angestrengt starrte er in den Wald dabei hinein.

Der Geruch!

Das konnte kein Irrtum sein?!

Langsam ließ Ciel seine Arme enttäuschte sinken.

Vielleicht doch...

Hatte ihm seine Nase nur einen Streich gespielt?


"Na, gibst du schon so schnell auf?", ertönte plötzlich eine dunkle Stimme hinter ihm. Ein breites Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. Ciel würde sie überall wiedererkennen.

"Vaith!"

Seine Augen begannen förmlich zu strahlen, als er sich kreischend auf dem Absatz umdrehte und auf den großen Mann zustürmte. Ungestüm stürzte sich der Schneeleopard auf ihn und schlang sofort seine Arme um den Schwarzhaarigen. Nicht glaubend, dass das gerade Realität war, krallte er sich in den Stoff der Klamotten des Panthers.

"Bist du das wirklich?", flüsterte der Apotheker an Vaiths Brust ungläubig. Er machte sich nicht einmal die Mühen seine Tränen zurückzuhalten und so flossen unaufhörlich heiße Tropfen der Freude über seine Wangen in das Shirt seines Gefährten.

Sanft durchwuschelten Finger seine kurzen Haare. Mit geschlossenen Augen lehnte sich Ciel gegen den kräftigen Körper der schwarzen Raubkatze, welcher eine langvermisste, angenehme Wärme ausstrahlte. Seine andere Hand legte sich um die Taille der weißen Raubkatze und zog ihn stärker an sich.

So blieben sie eine ganze Weile stehen, bis Ciels Tränen schließlich versiegten. Langsam lösten sich die Beiden voneinander.

Ein harter Schlag gegen die breite Brust ließ den Panther verwirrt zusammenzucken. Verwundert starrte er den Jüngeren an.

"Wofür war das jetzt?" Ein wütender Blick wurde ihm entgegengeschleudert.

"Echt jetzt?! Du hast mir versprochen mir regelmäßig Briefe zu schicken! Und in deinem Letzten hast du mir sogar gesagt, dass du bald herkommen würdest und dann... Jetzt sind über eineinhalb Monate seitdem vergangen! Wo warst du!", erneut bahnte sich eine bittere Träne der Wut, aber auch der Enttäuschung, ihren Weg über seine Wange hinab.

Sanft legten sich warme Hände an sein Gesicht und Vaith wischte mit seinem Daumen die erneuten Tropfen weg. "Es tut mir so leid. Es ist in der letzten Zeit so viel passiert und ich musste so einiges verarbeiten- Es war keine lei... Was ist los?", fragte der Panther verwundert und unterbrach sich selbst, als sich Ciels grüne Augen mit dem braunen Pigmentfleck geschockt weiteten und er einen Schritt zurückwich.

Anscheinend war ihm erst jetzt seine Augenbinde aufgefallen. "Was...Wie...Wann...?", stammelte der Apotheker überfordert. Doch seine Neugierde überwog schließlich und immer noch etwas zurückhaltend hob er seine Arme hinter den Kopf des Schwarzhaarigen um den Verschluss des ledernen Bandes zu öffnen.

Bevor Ciel seine Hände wieder herunternehmen konnte, hielt ihn der Räuber fest. Mit einem intensiven Blick musterte er den Gesichtsausdruck des Schneeleoparden.

"Bist du dir sicher, dass du es sehen willst?" Seine Stimme war leise. Der Apotheker war sich nicht ganz sicher, doch er meinte Angst heraus zu hören. Angst wie er darauf reagieren würde, was die Augenbinde verbarg. Doch Vaith hatte mittlerweile schon so viele Narben, da machte die eine oder andere Neue nun auch keinen gravierenden Unterschied mehr.

Ciel nickte bestimmend. "Darf ich auch wissen, wie das passiert ist? War das der Grund, warum du die Verbindung unterbrochen hast?"

Die schwarze Raubkatze nickte zögernd zu beiden Fragen und ließ die Handgelenke des Braunhaarigen los. Langsam senkte dieser seine Hände und entblößte somit, was hinter der Augenbinde lag.

Eine leere und vernarbte Augenhöhle starrte dem Jüngeren entgegen. Ciels geschulten Augen erkannten sofort, dass die Meisten der Narben nicht erst in den letzten zwei Monaten entstanden waren.

"Wie du dir vielleicht schon vor langem gedacht hast, habe ich mein linkes Auge durch die Verletzung verloren, dessen Narbe meine linke Gesichtshälfte zeichnet. Ich hasse diese leere Augenhöhle, denn sie erinnert mich an etwas, woran ich nicht gerne denken möchte. Deshalb habe ich irgendwann einmal einen Gefallen bei einem Magier eingefordert, welcher mein fehlendes Auge rekonstruiert hatte. Durch einen Vorfall habe ich es jetzt erneut verloren und muss wieder mit einer Augenbinde leben...Ich muss diesen Magier sowieso noch einmal aufsuchen. Vielleicht tut er mir noch einen Gefallen", endete Vaith seine kleine Erzählung. Der Apotheker hatte ihm aufmerksam zugehört und strich sanft die lange und teilweise unterbrochene Narbe entlang.

"Ja, ich habe mich schon seit unserer ersten Begegnung gewundert, wie du dein Auge bei dieser Verwundung behalten konntest, doch jetzt ist dieses Rätsel gelöst... Mich würde es freuen und auch interessieren, wenn du mir irgendwann einmal erzählst, was wirklich hinter dieser Wunde steckt...", murmelte Ciel und stellte sich erneut auf die Zehenspitzen, um Vaith die Augenbinde wieder anzulegen.

Ein intensiver Blick fing die Augen des Apothekers auf. Heißer Atem traf auf sein Gesicht und eine gewisse Spannung baute sich zwischen ihrer unmittelbaren Nähe auf. Vaiths Augen wanderten immer wieder zu den Lippen des Kleineren.

"Ja, wenn der richtige Zeitpunkt da ist..."

"Und der ist jetzt nicht?", fragte Ciel leicht provokant, doch innerlich hatte er hart zu kämpfen keinen Rückzieher zu machen. Er wusste, dass diese Situation nur einen Ausgang hatte. Bis jetzt hatte er einen Kuss nie freiwillig gewollt, er war immer mit Angst und Schmerz verbunden.

Doch dieses Mal war es anders. Das wusste Ciel und trotzdem war da diese Angst. Angst die ihn lähmte und ihn zögern ließ. Er wollte diesen Kuss, seitdem er Vaith das erste Mal getroffen hatte. Das wurde der Raubkatze in dem Moment bewusst. Heißer Atem streifte seine Lippen, als Vaiths Gesicht nur noch wenige Millimeter von dem seinen entfernt war.

Nervosität kam zu seinem Gefühlschaos hinzu. Das Einzige, was gerade eine Panikattacke unterdrückte, war, dass Ciel wusste, dass Vaith in keinster Weise wie sein früherer Herr war. Er vertraute ihm und er wusste, dass der Panther niemals etwas tun würde, ohne seinem Einverständnis.

Plötzlich spürte der Schneeleopard raue Lippen auf den seinen und seine Gedanken waren wie ausgelöscht. Sein Kopf war wie leergefegt. Er erwiderte. Ciel schloss die Augen und lehnte sich vorsichtig in den Kuss hinein. Starke Arme zogen ihn näher an den warmen Körper seines Gegenübers. Seine Eigenen schlangen sich um den Hals des Größeren.

Seine Ängste wurden augenblicklich ausgelöscht, in die hinterste Ecke seines Kopfes verbannt. Und es blieb ihm nur noch übrig den Moment zu genießen.

Der anfängliche noch zögerliche und sanfte Kuss, wurde rasch selbstbewusster und stürmischer, vielleicht auch drängender. Rhythmisch bewegten sich Lippen aufeinander, Hände vergruben sich in Haaren und andere gingen auf Wanderschaft.

Schwer atmend lösten sich die Beiden widerwillig voneinander. Lippen rot und geschwollen. Augen funkelten und glänzten, einerseits aus Lust, Zuneigung oder Dankbarkeit.

Ciels erster Kuss, denn er wirklich von sich aus wollte, bei dem er sich Geborgen und nicht gedrängt gefühlt hatte. Er konnte dieses Gefühl nicht in Worte fassen. Nicht dass sie das sowieso nicht hätten können.

"Danke...", hauchte er ehrfurchtsvoll und warf sich noch einmal in die starken Arme seines Gefährten. Zögernd legte Vaith seine Arme um den Kleineren und strich ihm sanft über den Rücken. Es bedarf gerade keine Worte und so standen sie eine Weile still im Wald, genossen die Nähe zum anderen und die beruhigenden Waldgeräusche. Ciel war dankbar über, denn er benötigte diese Stille gerade, um seine Gedanken zu ordnen. Sie waren mehr als zerstreut.

Vaiths Blick fiel auf den Korb mit den Kräutern. "Ich muss dir noch so einiges erzählen. Können wir zurück, oder brauchst du noch etwas?" Verwirrt löste sich der Apotheker von ihm, bis er realisierte über was der Panther sprach.

"Äh... nein. Wir können gehen. Ich hab eigentlich alles was ich brauche", lächelte der Gestaltwandler, hob den Weidekorb auf und bedeutete der schwarzen Raubkatze ihm zu folgen.

Auf dem Weg zurück zur Apotheke wollte Vaith wissen, was der andere Gestaltwandler so in den letzten zwei Monaten getrieben hatte. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen erzählte er dem Räuber alles Mögliche. Auch wie ihn Sabris vor den Soldaten mehr oder weniger gerettet hatte.


"Also, was willst du mir noch erzählen?", fragte Ciel und drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um, nachdem sie die Apotheke betreten hatten. Dieser nickte nur kurz und ging in den Behandlungsraum. Dort lehnte er sich neben dem Fenster an die Wand und senkte etwas den Blick. "Setz dich lieber", meinte der Panther monoton.

Verwirrt sah der Apotheker seinen Gefährten an, ehe er nur den Kopf schüttelte und begann, die frisch gesammelten Kräuter fürs Trocknen vorzubereiten. "Erzähl einfach."

"Wie du meinst...Ich kann es selbst immer noch nicht wirklich glauben... aber am Besten erzähl ich dir einfach alles von Anfang an..."

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