Alte Feinde und neue Verbündete II

Für einige Minuten schlich Lloyd noch durch die Straßen von Kastolat, um auch die Letzten seiner Spuren zu verwischen, ehe er sich auf den Weg zu seiner Unterkunft machte. Lange hatte er überlegt, ob er bei einem verbündeten Elfen im Gesindeviertel unterkommen sollte. Aber zum einen wollte er niemanden in Gefahr bringen, und zum anderen wurde er dort eher vermutet als in einem Gasthaus der Menschen.

Wie recht er damit hatte, wusste er gar nicht, doch genau in diesem Moment durchkämmte Tavaren das Gesindeviertel auf der Suche nach dem Elfen.

Es dauerte nicht lange, bis Lloyd das Gasthaus gefunden hatte. Es war das auffällig unauffälligste Gebäude in ganz Kastolat. Die Fassade war mit Rissen durchzogen. Das Dach hing schief und einige Ziegel fehlten.

Er seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass er in so einer Absteige unterkommen musste, doch gefallen hatte es ihm noch nie.

Doch alles Jammern half nichts. Letztendlich musste er bleiben.

Mit diesem Gedanken ging er auf das Gasthaus zu. Die Tür war schon fast aus den Angeln gehoben, und sah nicht aus, als würde sie einem heftigen Windstoß standhalten. Dementsprechend vorsichtig öffnete er sie. Doch als er im Inneren stand, wäre er am liebsten sofort wieder hinausgegangen.

Die Wände waren aus porösem Lehm. In einem Raum mit ungewöhnlich niedriger Decke standen Tische und Stühle, die gewiss schon bessere Tage erlebt hatten. An den Beinen waren deutlich Nagespuren zu sehen. In einer Ecke fand er die Übeltäter. Ratten.

Einige von ihnen piepsten panisch auf und huschten ihm aus dem Weg, als er zu dem Tresen ging. Dem Mann, der dahinter stand, händigte er eine Notiz aus. Er wollte so wenig wie möglich sprechen und zog sich seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht.

Der Wirt drehte sich um, kramte in einer Schublade und wandte sich dann mit einem rostigen Schlüssel zu Lloyd. Den Schlüssel legte er ihm auf den Tresen und konzentrierte sich dann wieder auf andere Dinge. Das Zimmer wurde im Voraus bezahlt. Dem Wirt hatte man so viel Gold zukommen lassen, dass er keine Fragen stellen würde.

Lloyd schnappte sich den Schlüssel und wandte sich ab, aber ehe er einen Schritt machen konnte, öffnete sich die Tür des Gasthauses. In seinen Ohren schellte dieses Geräusch so laut, dass er zusammenzuckte.

Schwere Schritte betraten den Raum. Lloyd wandte sein Gesicht ab. Schon anhand der Schritte hatte er erkannt, um wen es sich handelte. Dieser Riese aus Tavarens Gefolgschaft war hineingekommen und stiefelte nun zu einem der Tische.

Lloyd hatte sich genau das Gasthaus ausgesucht, in dem sich diese Rotte tummelte. Er zog sich in eine Ecke zurück. Um nämlich zu den Zimmern zu kommen, müsste er quer durch den Raum gehen und würde dann ohne Zweifel von Sal erkannt werden.

„Sal", durchbrach eine freudige Frauenstimme die Stille. „Ihr seid zurück."

Lloyd sah ein Stück auf. Der Hüne hatte sich zu einer Frau gesellt. Mit einem leisen Kratzen schob er einen Stuhl zurück und setzte sich zu ihr.

Die Wurzeln der Frau lagen offensichtlich im Süden. Das verriet ihre gebräunte Haut und ihre dunklen Haare, in die sie einige Perlen geflochten hatte. Ihre weit aufgeknöpfte Bluse reichte bis etwa zur Hälfte ihrer Oberschenkel. Darüber trug sie ein Lederkorsett, das ihre Kurven betonte.

Für einen Augenblick glaubte Lloyd, dass Räuber sie überfallen und ein Teil ihrer Kleidung geraubt hatten, doch da Sal ihr Aussehen nicht kommentierte, musste Lloyd vermuten, dass dies nicht der Fall war.

Er wandte sich wieder ab, da er nicht riskieren wollte, dass Sal sein Gesicht sah und ihn erkannte. Er sah auf den Tisch vor sich. Wasserflecken durchzogen das Holz. Dunkle Kreise, die entstanden, wenn man einen übergelaufenen Krug abstellte.

„Ihr seht heute aber wieder miesepetrig aus", sagte die Frau. „Seid Ihr mit dem falschen Fuß aufgestanden?"

Sal brummte: „Tavaren hat einen Elfen aufgegabelt und nach Kastolat gebracht."

„Schon wieder?" Ihr Lächeln konnte Lloyd in ihrer Stimme hören. „Er entwickelt doch nicht etwa ein Faible für Elfen." Sie seufzte leicht verträumt. „Unser Wächter wird so schnell erwachsen. Wo ist der Elf? Ich möchte ihn kennenlernen."

„Diesmal nicht, Camille", antwortete Sal. „Dieser Elf ... oder Halbelf ist offensichtlich ein Spion. Tavaren hat ihn gleich ins Verlies gebracht und verhört ihn gerade dort."

„Schade" sagte die Frau – Camille. „Vielleicht hat unser Chéri ja irgendwann mal Glück."

„‚Chéri'? Lass ihn das bloß nicht hören. Du weißt doch, wie wenig er es mag, wenn du ihn so nennst." Sal boxte Camille freundschaftlich gegen die Schulter.

Dieses Gespräch führten die beiden noch eine Ewigkeit fort. Lloyd lauschte eine Weile, doch irgendwann waren die Rillen in dem Tisch interessanter. Tausende von ihnen durchzogen das Holz. So viele, dass es ihn wunderte, wie der Tisch noch nicht auseinandergefallen sein konnte.

Das Zufallen einer Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf. Sal und Camille waren verschwunden.

Lloyd seufzte und erhob sich, um die Treppe in das obere Stockwerk zu gehen. Die Stufen knarzten unter seinen Sohlen, als wollten sie ihn warnen, dass sie jeden Augenblick zusammenbrechen könnten. Doch sie hielten seinem Gewicht stand.

Im oberen Geschoss fand er schnell sein Zimmer. Er sperrte es auf, trat ein und schloss es hinter sich wieder zu. Die Tür hing zwar schon schief in den Angeln und ein kräftiger Tritt könnte sie aus der Verankerung katapultieren, aber das Abschließen erleichterte zumindest seine Seele.

Er lehnte sich gegen die Tür und ließ seine ganze Anspannung mit einem Atemzug entweichen. Für einen kurzen Moment schloss er seine Augen. Nicht für lange, doch als er sie wieder öffnete, fühlte er sich besser.

Er legte seinen Umhang ab und schlüpfte aus seinen Stiefeln. Sein Blick fiel auf das Fenster. Kalter Wind pfiff durch ein Loch in dem schmutzigen Glas.

Mit schnellen Schritten ging er zu dem Fenster und zog die Vorhänge zu. Doch bei dem Anblick verzog er das Gesicht. In den Vorhängen waren Risse, die ihm die erhoffte Verborgenheit raubten. Trotzdem ließ er sie zugezogen, um sich zumindest die Illusion von Sicherheit zu geben.

Danach kramte er alles aus seinen Taschen, was der Wächter ihm nicht abgenommen hatte. Viel war es nicht, aber das meiste konnte er verschmerzen. Sein Kurzschwert war fort, aber er hatte noch das Messer, das er in seiner Sohle versteckt hatte. Sein Gold hatte er zum größten Teil auch an den Menschen verloren, aber Neues konnte er leicht beschaffen.

Er ließ seinen Blick über seine Habseligkeiten schweifen. Von der Klinge, über die Heilkräuter, bis zu den vielen Zetteln und Karten, die er sich vor seiner Abreise angefertigt hatte.

Irgendetwas fehlte.

Er trommelte mit seinen Fingern auf seinem Schlüsselbein und überlegte. Eine Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Blitz.

Noch einmal durchsuchte er all seine Taschen, zog jeden noch so kleinen Staubflusen hervor, doch er fand es nicht. Der Gedanke, dass er es verloren haben könnte, schien ihm unmöglich.

Blieb nur eine Möglichkeit: Der Wächter hatte es ihm abgenommen.


Tavaren warf ein silbernes Medaillon in die Luft und fing es wieder auf, während er pfeifend durch Kastolat schlenderte.

Zwar fand er es schade, dass Lloyd ihm und der Garde entkommen war, aber er hatte das Gefühl, dass der Elf sich schon bald wieder zeigen würde. Erneut warf er das Medaillon hoch und ließ es nach einem kurzen Flug wieder in seiner Hand landen.

Wie sich der Elf aus seiner Zelle befreit hatte, war ihm zwar ein Rätsel, doch wenn er sich geduldete, dann konnte er ihn wieder hervorlocken. Lange würde es nicht dauern.

In seinem Augenwinkel tauchte eine Gestalt auf. Tavaren unterdrückte ein Seufzen, steckte das Medaillon ein und wandte sich zu dem Schatten, der sogleich in einer Gasse verschwand. Das konnte nur eines bedeuten.

Tavaren setzte seinen Weg fort. Diesmal in eine andere Richtung. Er durchquerte die halbe Stadt, ehe er in der Unterstadt ankam. Eine heruntergekommene Gegend, von der sich die meisten Adeligen fernhielten. Raub und Mord waren hier an der Tagesordnung und den Wachen gelang es nicht jeden Verbrecher ausfindig zu machen.

Beim Vorbeigehen holte er ein Goldstück aus seiner Hosentasche und warf es einer Bettlerin zu. „Danke, mein Herr", sagte sie. Tavaren nickte ihr nur einmal zu und ging weiter.

Einige Straßen weiter, blieb er vor einem Gebäude stehen. Wie alles hier, hatte es auch schon bessere Tage gesehen, aber im Gegensatz zu den anderen Häusern, hatte dieses hier zumindest noch ein Dach ohne Löcher und eine fast heile Fassade.

Er öffnete die Tür und trat ein. Qualm mit süßlich-würzigem Geruch schlug ihm entgegen. Innen war es halbdunkel. Nur einige Kerzen spendeten schummeriges Licht. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, sodass kein Außenstehender einen Blick auf das Innere erhaschen konnte.

Eine in schwarz gehüllte Gestalt saß auf einer Treppe, die nach oben führte. Den Kopf hatte sie an das Geländer gelehnt. Ihre Augen richteten sich kurz auf den Wächter, doch als sie bemerkte, wer er war, sah sie wieder durch ihn hindurch.

Tavaren hob seine Hand zum Gruß. „Ist er oben?"

Die Gestalt nickte, doch weiter beschäftigte sie sich nicht mit dem Ankömmling.

Ohne ein weiteres Wort ging er an ihr vorbei die Treppe hoch. Oben wurde der Geruch nur stärker. Er machte ihn leicht benommen, doch der Wächter war schon so oft genug hier gewesen, dass er wusste, worauf er sich einließ.

Er ging einen schmalen Flur entlang und öffnete eine der Türen, ohne anzuklopfen. Hier würde sich ohnehin niemand gestört fühlen.

Aber derjenige, den er suchte, war allein in dem Raum. Er saß auf einer Couch, den Kopf in den Nacken gelehnt. In seiner Hand eine Pfeife aus dunkelgrünem Holz, in das ein Rabe geritzt war, gefüllt mit der Substanz, die für den süßlichen Geruch verantwortlich war.

„Weshalb wolltet Ihr, dass ich herkomme?" Tavaren blieb einige Schritte von dem anderen entfernt stehen.

Der andere war Ejahl, Meisterdieb, bester seines Faches, doch die meiste Zeit verbrachte er hier und versuchte die Qualen des Lebens zu vergessen.

„Der Elf", sagte Ejahl. Er richtete sich auf und sah zu Tavaren. Die fettigen braunen Haare hatte er in einem Zopf zusammengebunden. An seinem schlecht rasierten Kinn quollen einige Blutstropfen aus mehreren Schnitten, weil er zwar versucht hatte, sich zu rasieren, aber in seinem Zustand war es ihm fast unmöglich gewesen, ein Messer zu halten, geschweige denn präzise damit zu agieren.

Mit seiner freien Hand deutete er dem Wächter an, näher zu kommen, aber Tavaren rührte sich nicht von der Stelle.

Ejahl kümmerte es aber nicht. Er führte die Pfeife an seinen Mund und nahm einen tiefen Zug. „Ich habe ihn gefunden." Seine Stimme war nur ein tonloses Kratzen. „Wollt Ihr wissen, wo er ist?" Im Halbdunkeln blitzten seine gelblichen Zähne auf.

„Und Ihr? Was wollt Ihr dafür?", fragte Tavaren und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ejahl hievte sich auf die Beine. Mit für seinen Zustand erstaunlich geschmeidigen Schritten ging er auf ihn zu.

Tavaren selbst wich ein Stück zurück. Den Dieb zu nah an sich zu haben, bedeutete nie etwas Gutes.

„Wovor habt Ihr Angst, mein lieber Wächter?" Ejahl ließ sich nicht beirren und schlich weiter an ihn heran. „Dass ich Euch etwas stehlen könnte?" Ein trockenes Lachen kroch seine Kehle hoch.

„Hört auf damit und sagt mir, was Ihr wollt!", wies Tavaren ihn zurecht.

Etwa einen halben Meter von ihm entfernt blieb Ejahl stehen. Er war ein wenig kleiner als der Wächter und schmächtiger. In seiner Profession war diese Gestalt nur von Vorteil.

Er nahm wieder einen Zug aus seiner Pfeife und blies Tavaren den Rauch entgegen. Zäh und dunkelgrau, beißend und so dicht, dass es ihm für einen Augenblick die Sicht raubte.

Er hob seine Hand und fächerte den Rauch fort. Den Husten, der in seinem Hals kratzte, versuchte er zu ignorieren. Ebenso die Übelkeit, die der Geruch verursachte.

„Ihr wisst, was ich möchte", sagte der Meisterdieb. „Ich sage es Euch jedes Mal, wenn Ihr hier auftaucht."

Tavaren schnaubte. „Das wird nicht passieren."

„Warum nicht? Was habt Ihr zu verlieren? Euren Ruf? Als wäre der nicht schon durch Eure Magie hinüber. Oder Euren Vatermord. Ein Wunder, dass Ihr Eure Stellung behalten durftet." Wieder zog er an seiner Pfeife. „Ihr braucht mich. Also warum tut Ihr mir nicht diesen kleinen Gefallen?"

Tavaren wandte sich zum Gehen. „Ich brauche Euch nicht", sagte er. „Belästigt mich nicht weiter, solange Ihr Eure Forderungen nicht anpasst."

„Alles, was ich möchte, ist freies Geleit in die Stadt und aus ihr hinaus. Ihr habt schon Schlimmeres gewährt." Er zuckte mit den Schultern. „Aber wie Ihr wünscht. Ich werde Euch nicht länger in Anspruch nehmen." Er ging zu der Couch zurück, setzte sich wieder, überschlug die Beine und legte seinen Kopf in den Nacken, um die Decke anzustarren.

Tavaren umschloss den Türgriff und wollte gerade nach draußen treten, da hielt Ejahl ihn auf.

„Bevor Ihr geht." Er hob seinen Kopf. „Wollt Ihr das hier zurückhaben?" In der Hand hielt er ein Medaillon. Das Medaillon.

„Gebt das zurück!" Tavaren machte drohend einen Schritt auf ihn zu, aber Ejahl ließ sich davon nicht beunruhigen.

Er warf dem Wächter das Medaillon zu. Diesem gelang es nur knapp, das Schmuckstück auszufangen, denn der Wurf war weder ausreichend kraftvoll noch gezielt.

„Habt Ihr reingesehen?", fragte der Dieb. „Es ist ganz interessant, was man finden kann, wenn man unter die Oberfläche schaut."

Wortlos ging Tavaren. Jedes Treffen mit Ejahl war reine Zeitverschwendung.

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