Kapitel 35
Zusammen mit Sara saß ich in einem Auto in der Straße meines alten Zuhauses. Zitternd wiegte ich hin und her, während ich immer wieder panisch aus dem Fenster kuckte. Sara bemerkte es und legte beruhigend eine Hand auf meine. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und riss die Tür auf.
"Sky, wo gehst du hin?!", rief sie mir hinterher, jedoch bekam sie keine Antwort.
Ich lief geradewegs auf das Haus zu und drücke schließlich auf den kleinen grauen Knopf an der Hauswand und helles Glockengeläut ertönte. Kurz darauf hörte man Schritte und die Tür wurde geöffnet. Eine blonde Frau sah mich lächelnd an und erst jetzt wurde mir bewusst wie ähnlich ich ihr war.
"Comment puis je vous aider?", fragte sie auf französisch mit einer hellen Stimme.
"Ich-", weiter kam ich nicht, denn man hörte ein erschrockenes, angsterfülltes Kreischen.
Sofort drehte meine Mutter sich um und rannte zurück ins Haus. Geschockt stand ich da, unfähig, mich zu bewegen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und zog mich von der Tür weg. Besorgt sah Leonard mich an und versuchte mich von dem Haus wegzuziehen. Ohne großartig nachzudenken lief ich in das Haus. Ich wollte meinen Eltern helfen, ich wollte sie retten. Leonard rief verzweifelt nach mir, jedoch ignorierte ich ihn. Eine maskierte Person mit einem Messer in der Hand stand vor meinen Eltern und hinter ihnen mein Jüngeres ich.
"Bring sie hier weg!", schrie meine Mutter und ich wusste sofort, was gemeint war.
Ich zog mein Jüngeres ich zur Seite und versteckte sie in einem Schrank im oberen Stockwerk des Hauses. Von unten konnte man Schreie hören, die mir einen kalten Schauer den Rücken runterjagen ließen. Es war falsch das Haus zu betreten, dass wusste ich. Ich könnte jetzt eingreifen und verhindern, dass meine Eltern getötet werden. Mit schnellen Schritten lief ich die Treppe runter und zurück in die Küche. Der Mörder verschwand durch den Garten, meine Eltern lagen blutüberströmt am Boden. Man konnte meine Mutter noch sehr schwach atmen hörne und ich kniete mich neben sie.
"Maman, ich bin hier. Alles wird gut", flüsterte ich und nahm ihre Hand.
Ihre Augen schlossen sich langsam, ihre Hand erschlaffte und ein letzter Atemzug verließ sie. Weinend brach ich neben der Leich zusammen und klammerte mich noch mehr an ihre Hand. Sie war tot, ich hätte sie retten können. Jemand rief meinen Namen, aber es fühlte sich an als ob es meilenweit entfernt wäre. Etwas legte sich auf meine Schulter und wollte mir hoch helfen.
"Skylar komm jetzt. Wir müssen los", sagte Kendra ruhig.
Ich schüttelte wimmernd den Kopf. Es war meine Schuld, dass meine Eltern tot waren. Im Hintergrund erklang ein panisches Geschrei und mein Kopf schoss in sekundenschnelle hoch. Leonard versuchte mein Jüngeres ich aus dem Haus zu bringen. Sie schlug um sich und schrie, man erkannte gut, dass sie zu ihren Eltern wollte. Mit aller Kraft stand ich auf und wankte auf die beiden zu. Mir war schwindelig und es fühlte sich so an, als hätte mir jemand mein Herz rausgerissen und vor meinen Augen auf dem Boden zertreten. Das Bild der Leichen meiner Eltern spielte sich immer und immer wieder in meinem Kopf ab, wie eine CD mit einem Riss. Das kleine Mädchen sah mich mit großen Augen an und rannte dann zu mir um mich zu umarmen.
"Du hast mich gerettet", wimmerte sie.
Geschockt sah ich sie an bevor ich sie sanft von mir wegschob. Sie sollte nicht stolz auf mich sein, sich nicht bei mir bedanken. Gebrochen lief ich am Team vorbei in Richtung Waverider. Bevor mir irgendjemand folgen konnte verschwand ich in meinem Zimmer und verriegelte die Tür. Ich schloss meine Augen, lehnte mich an eine Wand und atmete tief durch. Auf einmal durchzuckte mich ein seltsames Gefühl. Ein gruseliges Lachen war zu hören und als ich meine Augen wieder öffnete wurde ich von dichtem Nebel eingehüllt. Ich konnte nichts sehen und bis auf das Lachen auch nichts hören.
"Hallo?", rief ich durch den Nebel und das Lachen verstummte.
Keine Reaktion. Ich versuchte mich zu bewegen, jedoch war es nicht möglich. Als würden Fesseln mich an Ort und Stelle halten. Panik stieg in mir auf und mit hektischen Bewegungen versuchte ich mich zu befreien, doch ich war eindeutig gefangen. Kalter Wind blies mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ein noch kälterer Schauer lief meinen Rücken hinunter. Was ging hier vor sich?
"Beruhige dich", flüsterte eine sanfte Stimme neben mir. "Dir wird nichts passieren, vertrau mir."
Umrisse einer Person wurden sichtbar und aus diesen entstand eine blonde Frau. Sie sah mir erschreckend ähnlich und dann traf mich die Antwort auf meine größte Frage wie ein Blitz. Es war meine Mutter. Sie hatte ein weißes Kleid an und es sah fast so aus, als wäre ihr Kleid aus dem Nebel. Sie ähnelte einer Göttin mit den leicht welligen Haaren, dem goldenem Kopfschmuck und dem Kleid.
"Maman?", hauchte ich fasziniert.
"Skylar", sagte sie und strich mir über die Wange. "Ich habe dich vermisst."
Tränen sammelten sich wieder in meinen Augen und ich nahm die mir doch so vertraute Gestalt in den Arm. Beruhigend streichelte sie mir über den Rücken, wie eine Mutter es eben bei ihrem Kind gemacht hätte.
"Du weißt von deinen Fähigkeiten?"
"Ja. Wollte man mich deshalb umbringen?"
"Man wollte verhindern, dass weitere Nachkommen der Sapientia Visio geboren werden. Unsere Kräfte sind machtvoller als sie scheinen. Du warst das Ziel dieses Attentats, aber glücklicherweise hat es dich nicht erwischt. Du bist nicht Schuld an unserem Tod, auf keinen Fall. Es war unsere Entscheidung und ich bereue sie nicht. Es ist nicht unüblich, dass Attentate auf unsere Familie ausgeübt werden. Über unsere Kräfte können wir uns verbinden, auch wenn ich nicht mehr auf der Erde lebe. Fühle dich nicht allein, denn du bist es nicht. Ich werde immer bei dir sein, vergiss das nicht. Ruf mich und ich komme. Ich liebe dich."
Der Nebel verschwand langsam und auch das Bild meiner Mutter verblasste. Die Umgebung hatte sich verändert, ich war nicht mehr in meinem Zimmer, sondern auf der Krankenstation. Auf einem Monitor konnte man meinen regelmäßigen Herzschlag erkennen und auch meinen Blutdruck. Ich fühlte mich besser und meine Narben waren nicht nur wieder geschlossen, sondern auch verschwunden. Meine Mutter war zwar tot, aber ich konnte sie sehen und mit ihr sprechen. Sie lebte nicht mehr auf der Erde, aber eines Tages würde ich wieder für immer bei ihr sein.
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