Kapitel 8 Teil II
Liana
Etwas tief in mir wollte mir mitteilen, dass ich aufstehen und gehen sollte. Ein weiterer Teil sagte, dass ich bleiben müsse, da mir die Optionen fehlten.
Genauso wollte mir mein Gefühl sagen, dass er nicht ganz unbeteiligt daran war, dass ich mich nun ausgerechnet in dieser Situation befand. In so kurzer Zeit treffen einfach viel zu viele Zufälle aufeinander. Das selbstgefällige Grinsen vor mir vertieft sich, und er scheint zufrieden mit dem Umstand, mich leiden zu sehen. Arschloch.
Ich schaue um mich und bemerke die Anspannung der anderen Clubmitglieder. Sie scheinen nicht vertraut mit dem, was sie sehen.
Seine Anwesenheit ist also nicht gewöhnlich. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Sobald ich meinen Blick wieder zu der Person schweifen lasse, die vor mir sitzt, überfällt mich eine Kälte. Ich erschaudere, als die eisblauen Augen mein Gesicht mustern.
Ein Nerv zuckt in meinem linken Auge, als der Eisprinz mich unverhohlen anschaut und mir lässig mit den Fingern zuwinkt. Ich versteife mich und möchte meine Arme schützend vor mir überkreuzen, verkneife mir dies jedoch, um nicht unsicher zu wirken.
Mir war die Lust am Debattierclub vergangen, noch bevor ich ein Wort mit jemandem wechseln konnte.
»Was ist dein Name?«, fragte Ethan mit einem dunklen Klang in seiner Stimme. Ich konnte nicht abschätzen, ob er das ernsthaft wissen wollte. Für mich war er nur ein Problem, das sich mir in den Weg stellte. Es gab nur eine Möglichkeit, mit ihm umzugehen: ihn lösen und loswerden.
Ich brauche Anhaltspunkte, um zu wissen, wie ich mit ihm umgehen kann. Was weiß ich bereits? Er ist arrogant, genießt an der Schule eine Position und spricht trotz der gestellten Aufgabe. Er hält sich also nicht an Regeln.
Die Frage ist nur: Soll ich mich auf sein Niveau einlassen? Nein.
Mit einem aufgesetzten Lächeln, das meine Augen nicht erreichte, reagierte ich auf seine Worte. Ethan lehnte sich etwas zurück, als müsste er sich um nichts Gedanken machen. Er schnaubte unbeeindruckt und warf mir einen mir unklaren Blick zu. Es schien, als wirkte er neugierig und entspannt zur gleichen Zeit. Das Blau in seinen Augen leuchtete auf.
»Wie du möchtest, dann bist du meine kleine Sirene.«
Sirene? Meine?
Ich kniff meine Augen zusammen, weil er es tatsächlich wagte, mich als seinen Besitz zu bezeichnen. Doch wie reagierte man allein mit der Gestik, um seinen Standpunkt klarzumachen, ohne sich auf das kindische Verhalten meines Gegenübers einzulassen?
Das Einzige, was mir auf Anhieb einfiel, war, ein Kreuz mit den Armen zu formen. Das ist nicht gerade die beste Art, jemandem zu begegnen, dem die Vorschriften sowieso egal sind.
Ethan legte den Kopf schief. Seinem spöttischen Ausdruck nach würde er meinen Versuch, mich gegen seinen Besitzanspruch zu wehren, ignorieren. Ich wiederholte meine Gestik und ergänzte, dass ich nichts von ihm wolle. Dafür muss ich nur auf ihn zeigen und erneut ein Kreuz formen.
»Du stehst nicht auf mich«, folgerte Ethan und fügte hinzu: »Wer sagt, dass ich das tue?«
Ich versuchte, mich nicht aufzuregen, und verdrehte die Augen.
»Du bist mies in deinen Versuchen, dich auszudrücken. Du solltest dich mehr anstrengen, kleine Sirene«, sprach ausgerechnet der aus, der sich nicht einmal bemühte, sich anders als mit Worten auszudrücken.
Ich ließ mich nicht auf ihn ein, obwohl das Blut langsam kochte.
Mit meinem Zeigefinger deute ich auf ihn, signalisierte jedoch auch, dass sein Mund verschlossen sein müsse.
»Wenn du auf deine Lippen zeigst, hilft es mir auch nicht, den Mund zu halten. Eher im Gegenteil, kleine Sirene, ich will dadurch nur mehr mit dir reden und testen, wann dein Geduldsfaden reißt.«
Mein Blick schweift zu der Clubleiterin, die entschuldigend zu mir sah.
Dieses Aufeinandertreffen war definitiv eingefädelt. Das verstärkt nur meine vorherige Vermutung, dass etwas mit der Clubzuweisung nicht stimmt.
Meine Augen verengen sich voller Misstrauen, als Ayli meinem Blick ausweicht und sich von den anderen Clubmitgliedern ablenken lässt. Ich schiele zu Ethan, der unbekümmert scheint und mich betrachtet, als wäre ich ein neues Forschungsprojekt.
Hat er etwas mit der Clubzuteilung zu tun? Den anderen scheint seine Anwesenheit ungewohnt. Ich blicke mich im Raum um. Alle anderen Mitglieder sitzen viel enger beieinander, als würden sie bewusst Abstand zu uns halten.
»Du solltest deine Aufmerksamkeit lieber mir schenken, kleine Sirene. Ich könnte vielleicht doch den Versuch wagen, eine Botschaft mit meinen Fingern zu formulieren. Du wärst überrascht, wozu ich alles in der Lage bin, wenn ich mich dazu aufraffe«, riss mich Ethan zurück zu ihm. Er schaute mich schief an. »Ist es nicht genauso bei dir? Du handelst auch nur danach, was einen Zweck erfüllt. Deswegen lernst du sogar in der Pause.«
Ich wollte meinen Mund öffnen und fragen, woher er das nur wusste. Einen Zweck... was wollte er aber mit seinem Verhalten erreichen?
Ich gestikulierte mit den Händen, dass er mich beobachtete, da ich mehr Antworten benötigte, um schlauer zu werden.
»Ob ich dich beobachte, wer kann das schon sagen. Glaubst du wirklich, dass ich meine Zeit damit verschwende?«, schoss Ethan mir eine Frage zurück. Seine Miene verriet mir, dass er tatsächlich eine Antwort wollte.
Wieso antwortet er nicht und weicht mir aus? Da steckt doch etwas dahinter.
Ich blicke um mich und bemerke einige interessierte Blicke der anderen Clubmitglieder, die von den sporadischen Wörtern abgelenkt zu sein scheinen.
Er ist kein Teil des Clubs, er passt nicht in diese Gleichung.
»Du bist kein Clubmitglied«, schloss ich und ignorierte ebenfalls seine Frage. Ethan hob mit einem Hauch von Verwunderung seine dunkle Augenbraue. »Und wie kommst du darauf?«
In seinen kalten Augen flackerte etwas, und er neigte sich leicht vor, als müsste er meine Worte hören.
Ich liege also nicht falsch.
»Die anderen Clubmitglieder wirken durch deine Anwesenheit angespannt. Wenn sie an dich gewöhnt wären, würden sie das nicht tun. Zusätzlich scheinst du nicht in der Lage zu sein, deine Zeit mit unnötigem Geschwafel zu verschwenden, wie du vorhin angedeutet hast. Du würdest ebenfalls nach Zweck handeln. Also, was suchst du hier, Arschloch?«, schloss ich mit viel mehr Selbstbewusstsein, nachdem ich in meiner Theorie Sicherheit fand.
Ethans Mundwinkel zuckte amüsiert.
»Was für nette Worte du von dir geben kannst, kleine Sirene. Du bist nicht dumm.« Ich reagierte nicht auf seine angedeutete Beleidigung, nicht dass ich das nicht schon getan hätte.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte ich meinen Gesprächspartner und wurde langsam ungeduldig. Die Situation, in der ich mich befand, kam mir wie eine große Zeitverschwendung vor.
Ethan legte den Kopf schräg. Sein fast schwarzes Haar bewegte sich nicht und wirkte wie festgefroren.
»Du hast auch nicht meine beantwortet.«
Touche.
»Da du meiner Frage ausweichst, beweist das, dass du nichts Besseres zu tun hast. Wenn du genug Intellekt besitzen würdest, würdest du deine kostbare Zeit nicht damit verschwenden, hier zu sitzen. Ich bezweifle, dass alle anderen Clubs tatsächlich voll sind. Es kann kein Zufall sein, dass du hier bist«, griff ich Ethan direkt an.
Etwas regte sich in ihm. Seine Finger zuckten, und er verzog missbilligend den Mund. Ein wölfisches Grinsen formte sich kurz darauf.
»Hast du mich gerade als dumm bezeichnet? Das ist nicht gerade nett von dir, kleine Sirene.«
Ich zuckte unbekümmert mit den Achseln und wandte meinen Blick von ihm ab. Die Clubleiterin versuchte, die anderen zur Fortsetzung der Aufgabe zu verleiten, scheiterte jedoch daran, weil sich keiner an die Regel des Schweigens zu halten schien, nachdem wir die Regel mehrmals gebrochen hatten.
»Nettigkeiten verdient man nicht, wenn man sich in meine Angelegenheiten einmischt«, warf ich zurück und blickte schnurstracks in die blauen Augen. »Wenn ich erfahre, dass du damit zu tun hast, dass ich für den Rest meiner Schulzeit in diesem offensichtlich schwachsinnigen Club festsitze, mache ich dich fertig, Arschloch.«
Ethan lachte auf und warf dabei den Kopf in den Nacken. Der tiefe Ton entwischte ihm nur kurz, und sobald er wieder zu mir sah, hatte er einen finsteren Ausdruck aufgesetzt. Mir war, als wäre er der Jäger und ich die Beute, die sich zu wehren versuchte.
»Ein sehr netter Kosename für mich«, gluckste er erst amüsiert, wurde aber schnell ausdruckslos. »Drohst du mir?«
Ein düsteres Grollen entwich aus seiner Kehle. Mein natürlicher Schutzmechanismus hätte mich zusammenzucken lassen sollen, doch das tat er nicht.
»Was wenn? Denkst du, ich nehme einfach hin, wenn sich jemand mir in den Weg stellt? Das werde ich nicht tun«, fauchte ich gedämpft zurück.
Ethan kniff die Augen zusammen, als versuche er, mich gründlich zu lesen. Ich brauchte das nicht zu tun, um zu wissen, dass eine Spannung zwischen uns lag. Hass ist spürbar.
»Interessant, was wärst du bereit zu tun, wenn ich mich in deinen Weg stelle?«, forderte der Mistkerl mich auf. Mir war fast, als würde eine Ader an meiner Stirn platzen.
»Das ist das letzte Mal, ihr sollt nur Gesten benutzen. Ich will keinen Laut hören«, warnte uns Ayli, als spräche sie mich direkt an.
Ethan wartete auf mich. Seine Augen bewegten sich zu meinen Händen, die auf meinem Schoß lagen. Ich hob sie an und spürte, wie sein Blick meiner Bewegung folgte.
Ich zeigte auf ihn und zog dann mit dem Daumen über meinen Hals. Das Zeichen, dass ich bereit wäre, ihn loszuwerden. Zum Glück war diese Geste eindeutig.
Ethan schien zu verstehen, aber statt abgeneigt von mir zu sein, zog er seine Lippe schief hoch. Er lehnte sich vor. Der Meter Abstand, der uns trennte, wirkte trotz der nun fehlenden Zentimeter deutlich geringer. Es war, als wäre er mir nah, denn ein kalter Schauer lief mir über den Nacken.
»Und ich dachte, dass du mich zu Tode langweilen würdest. Hut ab, kleine Sirene, du bist wohl doch nicht in deiner Lernblase gefangen. Nur glaube ich dir nicht, dass du so weit gehen würdest. Nicht jeder ist bereit, das zu tun, wenn es darauf ankommt«, nahm er an, ohne mich wirklich zu kennen.
Neben mir erschien ein Schatten, und ich blickte zur Clubleiterin des Debattierclubs auf. Sie wirkte nicht zufrieden, was mich nicht wunderte. Sowohl Ethan als auch ich schienen offenbar Unruhestifter zu sein.
»Ich weiß, dass ihr euch rege kennengelernt habt, wenn auch nicht ganz nach den Anweisungen, aber bitte versucht wenigstens, eine Geste für den Abschied zu wählen«, bat Ayli uns in ihrer Verzweiflung, sich nochmal durchzusetzen.
Ich wollte der Aktivität auch ein Ende setzen und wählte den Abschied, der mir am passendsten erschien. Ich streckte Ethan meinen Mittelfinger entgegen, nur war das Problem, dass ihn das amüsierte.
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