Kapitel 13 Teil II
Liana
Mit einem rasanten Schwung zog Ethan mich mit sich. Ich stolperte hinterher und bemerkte, dass er dem breiten Schrank zusteuerte.
Meine Mühen, ihm zu entkommen, waren vergeblich. Egal wie sehr ich mich losreißen wollte, er hielt mich nur fester bei sich. Seine langen Finger glitten kühl zwischen meinen, sodass ich gezwungen war, an seiner Seite zu laufen.
Mit seiner rechten freien Hand öffnete Ethan den Schrank, der eher einem Wandschrank ähnelte. Weiße Laborkittel hingen ordentlich an den Bügeln.
Er drückte mich in den Schrank hinein und gesellte sich, man mag es kaum glauben, zu mir. Da der Raum mit uns beiden enger wurde, standen wir so nah beieinander, dass ich mit meinem Rücken Ethan's Brust spürte.
Mit einem langen Schritt versuchte ich herauszutreten, aber er schlang seinen Arm um mich und drückte mich seitlich an sich.
»Nicht abhauen, du sollst doch lernen«, warnte Ethan mich. Ich blickte zu ihm, erkannte aber im schwachen Licht nicht viel. Der Schrank war einen Spalt geöffnet, nur so viel, dass man etwas sehen konnte.
»Keine Sorge, es wird niemand reinschauen. Das Schloss des Schranks ist schon eine Weile beschädigt, sodass es immer offen ist. Man wird dich also nicht finden, zumindest solange du deine neugierigen Gedanken für dich behältst und es aushalten kannst, nicht rauszuspringen. Du kannst deine Fragen also nach der lehrreichen Stunde stellen«, wies er mich weiterhin an.
Ich schnaubte und schob Ethans Hand von mir, selbst wenn er sie respektvoll um mich gelegt hatte.
»Ich weiß nicht, inwiefern ich davon lernen soll, mich in einem Schrank zu verstecken«, dachte ich laut nach. Es ergab einfach keinen Sinn.
Durch das geringe Licht fiel etwas Helligkeit auf eines von Ethans eisblauen Augen und ließ es kontrastreich zu seiner dunklen Aura erstrahlen.
»Sei nicht so skeptisch«, flüsterte er, »manchmal muss man Dinge tun, die einem nicht gefallen.« Ich starrte ihn in dem Versuch an, aus ihm schlau zu werden. »Du bevorzugst es wohl, unkonventionell zu sein, und bist dadurch mit Abstand der schlimmste, nicht arrangierte Lehrer, der einem über den Weg laufen kann«, sprach ich leise an. Das zauberte nur ein Zucken auf Ethans Mundwinkel. Er schien durch und durch erheitert davon, dass ich ganz und gar nicht begeistert von der Aktion war.
»Wenigstens siehst du ein, dass ich dein Lehrer bin«, bemerkte er belustigt, und ich konnte in dem schummrigen Licht erkennen, dass Ethan grinste. Ich hob eine Braue und starrte ihn missfallend an. »Das habe ich nicht gesagt.«
Ich ließ den Blick über den engen Raum schweifen und sah nur grob die schwielige Optik des Innenraums des massiven Holzschranks.
»Du musst wohl«, ich hielt kurz inne, »es mögen dich in Schränken zu verstecken. Anders kann ich mir nicht erklären, was ich hier tun soll. Zumindest, wenn du kein Monster bist, das kleine Kinder erschrecken will, E. T.«
Ich spürte Ethans Blick auf mir und erkannte, dass er Fragen hatte. Doch bevor er etwas sagen konnte, hörte ich, wie die Tür des Chemieraums aufflog. Ich zuckte zusammen und blieb wie versteinert stehen.
Ethan lehnte sich zu mir, sodass seine Brust meinen Rücken berührte. Sein Atem kitzelte mich an meinem Ohr.
»Deine Lektion beginnt, kleine Sirene. Du kannst entweder hier bleiben oder wie eine Wahnsinnige wirken und aus dem Schrank springen. Deine Entscheidung«, flüsterte er mir zu.
Ich erschauderte wegen seiner tiefen und kalten Stimme. Er wirkte so anteilslos, auch wenn er mich genau in diese Situation gebracht hatte. Ein Knirschen ratschte zwischen meinen Zähnen, als ich sie zu doll aneinanderpresste.
Mir blieb nichts anderes übrig, als in dem Schrank zu verweilen. Denn so ungern ich es eingestehen wollte, war ich nicht erpicht darauf, das Gespött des Internats zu werden. Mein Schweigen war Bestätigung genug, und Ethan lehnte sich wieder so weit es ihm möglich war zurück.
Ich spähte durch den schmalen Schlitz. Eine Schülerin mit blondem Haar trat hinein. Sie trug einen Haarreifen und wirkte ausgelassen. Sie betrat nahezu hüpfend den Raum. Gleich hinter ihr war ein Schüler mit zerwühltem rotbraunem Haar.
Mir war nicht klar, was es Besonderes zu sehen gab, dass Ethan darauf bestand.
Ich schielte flüchtig zu ihm, doch er schaute steif nach vorne und schien die Situation abzuschätzen.
»Hast du es mit?«, fragte das Mädchen und streckte ihre flache Hand entgegen. Der Schüler ließ seine Hand in die Jacke seiner Schuluniform gleiten und holte einige Zettel heraus.
»Ja, was sonst. Das sind die Lösungen zur Prüfung, behalt sie für dich. Nicht teilen, sonst bockt dir einer nur Mist ein«, grummelte er und musterte das Mädchen, während er über seine Lippe leckte.
Das Mädchen riss ihm die Blätter aus der Hand und schob sie mit einem breiten Grinsen in den Bund ihres Rocks.
»Keine Sorge, das bleibt wie immer nur unter uns. Oder zweifelst du an mir?«
Sie betrügt bei den Prüfungen? Merkt das niemand? Läuft hier nichts rechtens?
Der Schüler schnaubte, und Ethan versuchte im selben Moment, seine Arme zu kreuzen. Doch es fehlte ihm der Platz dafür.
»Du solltest jetzt deinen Teil der Abmachung halten. Ich musste die alte Hexe weichkochen, damit ich an ihren Test kam«, brummte der Junge und knirschte angefressen. Das Mädchen warf sich ihm seufzend um den Hals.
»Oh, das ist ja so süß, dass du dich schon fast für mich zur Hostess machen lässt.« Der Junge brummte bei der Bemerkung. Er zog sie an ihrem Hintern zu sich. »Jetzt bist du dran, deine Abmachung einzuhalten.«
Ich blickte zu Ethan, der seine Augenbrauen verzog. Ihm schien genauso wenig klar zu sein, was passieren würde.
»Du hast selbst keine Ahnung, was hier los ist, habe ich recht?«, flüsterte ich so leise, dass es unmöglich zu hören war. Doch Ethan nahm meine Worte wahr und schaute mich an. Er verzog den Mund, womit ich also recht hatte.
Noch während ich Ethan ansah, vernahm ich ein Stöhnen. Ich schreckte zurück und sah wieder zu den Schülern. In meiner Unaufmerksamkeit hatte sich das blonde Mädchen über den Lehrerpult gebeugt. Die Faust des Schülers war in ihrem Haar vergraben und zog ihren Kopf zurück.
Ich war nicht total vom Mond, um nicht zu wissen, was da passierte. Mein Körper verkrampfte sich. Ethan kniff genervt die Augen zusammen, und sein Kiefer verkrampfte sich.
Das Stöhnen wurde lauter, und ich hörte, wie etwas umfiel. Die Blondine krallte sich an den Tisch. Mir wurde ganz schlecht, weil ich nicht mehr sehen wollte, als ich bereits mitbekommen hatte.
Kühle Finger legten sich an mein Kinn, und Ethan schob mein Gesicht zu sich.
»Schau mich an, Liana, und nichts anderes«, hauchte er mir seltsamerweise sanft zu. Ich hätte von ihm eher einen Befehl erwartet, weswegen seine plötzliche Zurückhaltung mich überraschte.
Seine Hände sanken auf meine Ohren, sodass ich nichts mehr hören konnte, außer meinem eigenen Herzschlag. Mein Blick wanderte zu Ethans Brust, damit ich meinen Kopf nicht so weit in den Nacken legen musste.
Tatsächlich war es mir nicht mehr möglich, etwas außerhalb des Schranks zu vernehmen, was möglicherweise daran lag, dass Ethan sich krampfhaft bemühte, mich davor abzuschirmen. Das bemerkte ich daran, dass sein Kiefer angespannt war.
Er hatte keine Ahnung, dass das noch passieren würde. Großspuriges Arschloch weiß wohl doch nicht alles.
Es war nicht zu leugnen, dass die Situation unangenehm war. Wohlgemerkt war es für Ethan schlimmer, da er im Gegensatz zu mir alles mitbekam. Er schien angewidert, und ich konnte erkennen, dass er sicherlich etwas tun würde, um jegliche Treffen dieser Art zu unterbinden.
Was mich aber eher wunderte, war die Tatsache, warum er seine Ohren nicht selbst zuhielt. Stattdessen schützte er mich vor dem Unbehagen, was nicht zu seiner sonst egozentrischen Art zu passen schien.
Plötzlich rumste der Schrank, und ich stieß gegen die Seite. Ich keuchte wegen des pochenden Schmerzes in meiner Hüfte auf, bis ich den Ton aber runterbrachte.
In Windeseile legte Ethan seinen rechten Arm um meinen Kopf. Er versuchte weiterhin, mein Gehör zu behindern. Mit der linken Hand drückte er die Schranktür mit dem kleinen Innengriff zu. Er fluchte und murmelte gedämpft etwas davon, dass das alles noch seine Konsequenzen haben würde.
Die Stöße gegen den Schrank wurden stärker. Ich musste nichts hören, um zu wissen, dass so einiges Unanständiges an dem Schrank getan wurde.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich mich nicht erst in dieser Situation befinden müsste. Doch nun stand ich wegen des Arschlochs neben mir in einem Schrank und spürte das Gerüttel von zwei Schülern, die praktisch öffentlich Sex hatten.
Das Einzige, was mich bei Laune hielt, war Ethans gequälter Versuch, mich von der Lüsternheit anderer abzuschotten. Eine Schweißperle bildete sich auf seiner Stirn, und er wirkte bemüht, nicht aus Wut zu zerbersten. Ich konnte nicht einschätzen, ob er zornig auf sich selbst oder auf die Schüler war.
Ein Grinsen stahl sich über meine Lippen, was Ethan nicht entging. Er blickte mich verdrossen an, während er eigenständig die Qual über sich ergehen ließ.
Der Schrank rüttelte so fest, dass ich aus Angst, die Tür könnte aufspringen, nach dem kleinen Innengriff griff und Ethan dabei unterstützte, den Schrank geschlossen zu halten. Seine Hand wirkte angespannt, ich konnte die Äderchen spüren.
Unter meiner plötzlichen Berührung zuckte Ethan zusammen. Die Verkrampfung seiner Haltung lockerte sich nur ein wenig.
Ein letzter Stoß kam, und ich suchte nach Halt, um nicht durch den Schrank gerüttelt zu werden. Automatisch vergriff sich meine Hand an Ethans Hemd, der einen Fluch ausstieß und so wirkte, als würde er in naher Zukunft einige Personen bestrafen wollen.
Das Rütteln stoppte abrupt und ich versuchte, aufzulauschen. Ethan hielt mich jedoch fest an sich gedrückt, sodass ich nur seinen Herzschlag vernahm.
Ich hätte nicht gedacht, dass er tatsächlich einen hat...
Ethan schob seine Hand von meinem Kopf runter und drückte die Tür aber noch zu. Ich klammerte mich weiterhin an ihm, nur um mich besser auf den Beinen halten zu können.
»Das war... gut«, keuchte die helle Stimme der Schülerin. »Das war nicht nur gut. Sei das nächste Mal ein gutes Mädchen und lass dich, bevor du es mit mir treibst, nicht von dem Geruch deines Musterknaben besudeln. Typen mögen es nicht, wenn man einander riecht.«
Sie hat einen Freund und treibt es mit einem anderen. Das ist unglaublich... niveaulos.
»Das hättest du wohl gerne. Ich kann auch nichts daran ändern, dass er mich nicht anfassen will. Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn er dich erst als Mensch kennenlernen will und er ständig so unglaublich nett ist«, schnaubte das Mädchen, als ich im selben Moment Ethans Hemd losließ.
»Aber ficken kann ich wie ein Olympiasieger. Das andere kann ich mir derzeit ersparen. Den Drama können sich andere Typen antun«, gluckste die tiefere Stimme des Schülers.
»Du bist ein Schwein!«, kam es daraufhin gemault zurück. »Sag das nochmal, du Heuchlerin. Wenigstens gebe ich nicht vor, das liebe Mädchen von nebenan zu sein und dann hinterm Rücken wie eine Schlampe die Eier eines anderen zu kraulen. Wollen wir mal ehrlich sein: Du bist nicht das Engelchen, das du spielst. Ich hätte dich sonst nicht in einem Chemielabor genagelt, wenn du so anständig wärst.«
Also spielt sie auch etwas vor. Das scheint keine Ausnahme an diesem Internat zu sein.
Ethans freie Hand schmiegte sich an meinen Oberarm, und er hielt mich bei sich. Der Druck seiner Finger war stabil, als stützte er mich. Ich beklagte mich nicht, da ich mehr Interesse an dem Gespräch hatte, das ich belauschte.
»Bis zum nächsten Test, und da hast du hoffentlich nicht das lächerliche Ding in deinem Haar, wenn ich daran ziehe«, verabschiedete sich der Junge, und kurz darauf hörte man, wie eine Tür zuschlug. Eine Weile herrschte Stille, und ein leises Schniefen war zu vernehmen.
»Dreckiges Schwein, als würde ich noch etwas von ihm wollen. Er kann sich nur wünschen, etwas von mir zu kriegen, wenn er unter meiner Liga ist!«, kreischte das blonde Mädchen und verließ mit knallender Tür den Raum.
Wir warteten noch einige Minuten, bevor Ethan hinausspähte und die Schranktür öffnete. Er trat als Erster heraus und reichte mir seine Hand. Ausnahmsweise nahm ich sie und kletterte heraus. Kurz danach verpasste ich ihm auch schon eine feste Ohrfeige.
Ethan bewegte daraufhin seinen Kiefer und hielt sich die Wange, als könnte er den Schmerz wegwischen.
»Du bist ein Arschloch«, fauchte ich und blickte mich nicht in der Klasse um. Ich wollte mich nicht mit den Orten vertraut machen, wo Körperflüssigkeiten verteilt wurden. Mich grauste bereits der Gedanke und ich blieb vor Ekel wie angewurzelt stehen.
Ethan gab keinen Laut von sich. Vielleicht war es möglich, dass er Reue wegen der Situation empfand, die er mir eingebrockt hatte. Ich bezweifelte dies jedoch stark.
»Denk nicht, dass du anders bist als das Mistkerl von vorhin. Das bist du nicht. Du hast mich gegen meinen Willen hierher geschleift. Hier gibt es aber nichts zu lernen. Mir war schon bewusst, dass das Leben nicht immer nach Regeln spielt. Mich aber in diese Situation zu stecken...«, beschwerte ich mich und blickte zur Wanduhr. Ich hatte zu viel Zeit vergeudet und damit die Chance auf einen Lernraum verpasst.
»...Jetzt habe ich meine Gelegenheit auf einen Lernraum verpasst.«
Ethan starrte mich schweigend an. Seine Augen waren geweitet und flackerten auf eine mir nicht definierbare Weise. Ich konnte nicht sagen, was sie vermitteln wollten. Es war mir in diesem Moment jedoch gleichgültig, denn er hatte sich erneut in meinen Weg gestellt.
Ich wandte mich ihm zu, dass das Stechen in meiner Hüfte von meiner Wut überdeckt wurde.
»Steh mir verdammt nochmal nicht im Weg, ist das zu viel verlangt oder zu schwer zu begreifen?!«, warf ich ihm zum Schluss gegen den Kopf. Daraufhin gab es keine Widerrede oder einen einzigen Mucks. Ich konnte nicht einmal sein Atmen hören.
Das war aber auch egal, denn ich stapfte entzürnt aus dem Raum und wandte mich, als ich an der Tür angelangt war, nochmal voller Abscheu zu ihm.
»Ich hasse dich mit jeder einzelnen Minute mehr.«
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