Kapitel 13 Teil I
Liana
Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich mich zwei Tage lang, jeweils nach dem Unterricht, in mein Zimmer verkrochen hatte. Möglicherweise war es die Drohung, die Ethan mir nach meiner Befehlshaberei ausgesprochen hatte, die mich dazu verleitet hatte.
Es war scheinbar keine gute Idee gewesen, ihn herumzukommandieren, da mir bekannt war, dass er an der Cardell Academy eine hohe Stellung genoss.
Eine Art Paranoia begleitete mich seitdem, sodass ich mich immer zweimal umschaute oder den Eindruck hatte, dass ich beobachtet wurde.
Doch kurzerhand, am dritten Tag, fasste ich den Entschluss, dass ich mich nicht einfach isolieren kann. Letzten Endes würde ich Möglichkeiten versäumen, mein Wissen zu erweitern, und welcher Ort ist dafür besser geeignet als die Schulbibliothek.
Aus diesem Grund nahm ich mir vor, die Bibliothek zu erkunden und mich nicht länger von leeren Drohungen kleinmachen zu lassen. Selbst wenn diese Warnung schon nahezu wie ein vorsichtiger und mit Abstand verruchtester Anmachspruch verpackt worden war.
In kürzester Zeit konnte ich selbst feststellen, dass an der Cardell Academy nicht alles den Normen entsprach. Sowohl die Schülerschaft als auch die Schule waren nicht das, was sie vorgaben zu sein.
Wahrscheinlich war diese Feststellung mit Abstand einer der Gründe, weswegen ich aus meinem Versteck kriechen musste. Ich musste in meinem Alltag vorankommen, und dazu gehörte für mich, dass ich die Bibliothek aufsuchte oder eher einen der drei Lernräume, die sich darin befinden sollten.
In meiner Vorstellung errichtete sich ein isolierter Raum, in dem kein Laut hinein- und herauskam. Eine Tafel breitete sich vor meinen Augen aus. Sie stand vor einem langen, massiven Tisch, der genügend Platz für Bücher und mehrere ausgebreitete Blätter bot. Ein Traum, wenn man seine Rechnungen sortieren wollte.
Eine Sache, die ich bisher nur auf dem Boden meines Zimmers tun konnte, da viele Blätter mit den gekritzelten Rechnungen immer wieder von meinem Schreibtisch fielen.
Das Bild vor meinen Augen verschwamm wieder zu der sich vor mir erstreckenden Realität. Der breite Flur zog sich vor mir hin. Es herrschte totenstille, da viele Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht in ihre Zimmer zurückkehrten, um sich in ihrem eigenen Privatleben zu ertränken.
Meine Schritte hallten im Flur und ein kühler Wind sauste an mir vorbei. Ich zuckte unbemerkt zusammen und ließ meine Augen durch die Gegend schweifen. Es gab kein Fenster weit und breit, weswegen mir nicht erklärbar war, wie ich erschauern konnte.
Der helle Flur wirkte endlos, und egal wie viele Schritte ich auch zu machen schien, der Weg nahm kein Ende. Es war, als würde der polierte Marmorboden alles spiegeln und eine optische Täuschung verursachen. Die Illusion, dass das Gebäude viel größer schien, als es tatsächlich war.
Möglicherweise war es die Lektion des Lebens, man gaukelte mehr vor, als man tatsächlich war. Ich würde später noch mehr dazu in Erfahrung bringen.
Ich drückte meine Stofftasche mit meinen verstauten Schulunterlagen dicht an meinen Körper.
Eine Abbiegung näherte sich endlich, und voller Vorfreude wollte ich mich ihr gerade nähern, als sich eine Hand auf meinen Mund presste. Ich wurde zurückgerissen, und mein Schrei blieb mir in der Kehle stecken.
Ein Arm schlang sich um meine Taille, mein Körper war gewillt, den Schritten meines Angreifers zu folgen. Mit aufgerissenen Augen erkannte ich, wie sich mein eigentliches Ziel von mir entfernte.
Ich begann wie wild zu strampeln, warf sogar meinen Kopf nach hinten und riskierte, einige Gehirnzellen durch einen möglichen Aufprall zu verlieren. Doch nichts geschah; ich wurde einfach gegen meinen Willen verschleppt.
Tu etwas, Liana! Du kannst dich nicht einfach ergeben! Das ist nicht richtig!
Als schnelle Reaktion versuchte ich, meinen Mund zu öffnen, um meinen Angreifer zu beißen, scheiterte jedoch kläglich bei dem Versuch. Ein Tuch hemmte mich, und ich schmeckte, dass es kürzlich gewaschen worden war.
Ich schielte nach unten und bemerkte im Augenwinkel die schwarze Farbe des Stoffes. Ein lausiges Detail, wenn man bedenkt, dass ich dringend etwas tun musste. Mein Überlebensinstinkt kochte in meinem Blut, doch die Panik wischte mir jeglichen rationalen Gedanken aus dem Kopf und hinterließ eine dumpfe Leere in meinem Geist.
Mein Entführer drückte mich an sich, sodass ich mit dem Rücken seine harte Brust spüren konnte. In meinem Kopf zog Rauch auf und ich sog nach Luft. Es war, als würde sich mein Verstand verabschieden und von flatternder Schwärze ersetzt werden.
Die Hand um meinen Mund lockerte sich etwas, damit ich mehr Luft zum Atmen hatte. Gleichzeitig erlaubte er mir jedoch nicht, mich von ihm loszureißen. Ich konnte nicht anders, als ihm zu folgen; mein Körper fühlte sich schwer an.
Eine Tür schlug auf und durch einen flüchtigen Blick, den ich erhaschen konnte, bemerkte ich einen der Chemieräume. Ein erneuter Knall verriet mir, dass die Tür schroff geschlossen wurde. Kurz danach wurde ich gegen eine der Inseln gestoßen. Die Kante stieß gegen meine Hüfte und ich keuchte bei dem Aufprall auf. Noch am Abend würde sich ein blauer Fleck an der Seite meiner Hüfte bilden.
Zwei Arme tauchten links und rechts neben mir auf. Ich wurde flankiert und spürte den sich näherlehnenden festen Körper. Jeglicher Fluchtweg war für mich abgesperrt.
Mein Blick wich langsam zur linken Hand des Schülers, die neben mir ruhte. Mir war, als könnte jede einzelne Bewegung mich mein Leben kosten. Mein Puls erhöhte sich und ich spürte den stechenden Schmerz in meinem Hüftknochen.
Ein schwarzes Tuch lag unter den langen Fingern, und ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf die feingestickten weißen Buchstaben. ›E.T.‹.
Das kann schlecht eine Referenz zu dem Film mit dem Außerirdischen sein. Doch was ist es dann? Sollen das seine Initialen sein? E...T...
Aber da ist keiner... - formte sich der unschlüssige Gedanke, als mein Geist zusammenzuckte und mir Kälte über den Nacken glitt. Ethan Taysten.
Meine Augen rasten hart nach oben, und ich zog die Luft fest ein, als ich in die stechenden, eisblauen Augen blickte.
Ethan grinste mich wie ein Raubtier an, das zufrieden mit seiner Beute war. Sein Gesicht neigte sich tiefer zu mir, sodass ich seinen Atem spüren konnte. Er kroch tief in mein Inneres, und ich konnte mich ihm gegenüber nicht wehren, was überaus nervte.
»Eins muss ich dir lassen, Liana...«, raunte Ethan mir zu und legte seine Finger an mein Kinn. Ich rückte mein Gesicht weg, doch er lenkte es erneut zu sich. »Ich hätte nie angenommen, dass du dich so verteidigen würdest. Es ist rührend, dass du sogar so weit gehst und mich beißt.«
Ein böses Lächeln wuchs auf Ethans Gesicht. Ich schien belustigt, was nur krank war. Doch ebenso abscheulich war, dass ich keine Angst verspürte und ihm nur mit Gleichgültigkeit begegnete.
»Hat man dir schon gesagt, dass du ein gestörter Mistkerl bist«, keuchte ich und verfluchte das Ziehen in meiner Hüfte. Ich konnte mich nicht aufrecht halten und knickte leicht zur Seite. Ethan beobachtete meine Reaktion nur aufmerksam, verlor aber kein Wort.
Sein Daumen strich sanft über mein Kinn und kitzelte dann meine Unterlippe. Ich schlug seine rechte Hand weg, was ihn nur amüsierte.
Ich konnte spüren, wie nah unsere Körper waren. So nah, dass ich seinen minzigen Atem in meinem Haar spürte. Meine Brust hob und senkte sich schneller.
»Das ein oder andere Mal habe ich das schon mitbekommen«, bestätigte Ethan trocken und grinste verschmitzt. Ich konnte daraufhin nichts sagen. Mir war fern, was er von mir wollte. Ich verlagerte mein Gewicht auf die weniger schmerzende Seite.
»Es hat mich gekränkt, dass du mir aus dem Weg gegangen bist, kleine Sirene. Du hast dich in deinem Zimmer verkrochen, um mir zu entkommen. Das ist nicht freundlich, besonders nicht, wenn ich so...«, er grübelte, »nett zu dir gewesen bin.«
Ethans Blick wanderte über mein Gesicht, und er blies mir unverschämt auf die Wange.
»Ich finde dich aber immer, Liana, ob du willst oder nicht«, flüsterte er mir verrucht ins Ohr. Ein Schauer lief über meinen Körper, und ich zuckte wegen des kitzelnden Atems.
Ich zog mich zurück, fand aber nur die Inselkante, die gegen meinen Unterrücken drückte. Es half nichts, Ethan blieb dicht bei mir, als würde ihm jeglicher Raum um mich herum gehören. Es war, als würde er mir Kälte über die Haut fahren und sie brennen lassen.
»Ich glaube nicht, dass ich dir gegenüber erklären muss, warum ich mich wo aufhalte. Außerdem würde ich es bevorzugen, wenn du von mir Abstand nimmst. Ich habe Wichtigeres zu tun, als von dir verschleppt und belästigt zu werden«, brummte ich und schielte genervt zu Ethan hoch.
Er musterte mich seelenruhig, was mich, um ehrlich zu sein, beunruhigte. Ich konnte einfach nicht begreifen, was in ihm vorging sowie was er in mir sah.
»Da du dich meinen Worten gegenüber distanzierst, habe ich wohl recht. Du hast mich gemieden, das kränkt mich sehr. Ich dachte, wir wären uns näher gekommen, kleine Sirene«, bemerkte Ethan und strich mir eine lose Strähne hinter mein Ohr.
Ich schlug seine Hand weg, was er nur belustigt aufnahm.
»Nenn mich nicht so«, fauchte ich und vermied seinen Blick nicht mehr. Seine hellblauen Augen funkelten wie an einem eisigen Wintertag. Schon wenn ich daran dachte, hatte ich das Gefühl, dass kalter Atem aus meinem Mund kam.
»Wenn dir dein Kosename nicht gefällt, dann kann ich dir einen anderen geben. Was würde dir eher gefallen, Schätzchen, Liebling oder meine Verdammnis?«
Ich schnaubte abfällig und sah zur Seite. Reagenzgläser und Schutzbrillen lagen sortiert auf einer Ablage bereit.
»Du bist geistesgestört«, schnaubte ich mit dumpfem Herzschlag in der Brust auf.
Als ich meinen Blick zurück zu Ethan schweifen ließ, schielte er auf die Uhr an der Wand. In seinen Augen lag eine Ahnung, etwas, das darauf schließen ließ, dass er etwas vorhatte.
»Ich würde mich gerne noch länger mit dir über Kosenamen austauschen, aber in Kürze beginnt deine Lektion. Es müssen entsprechende Vorbereitungen getroffen werden.«
Meine Brauen zogen sich zusammen und ich blickte irritiert drein.
»Wovon redest du da, der Unterricht ist fertig?«, bemerkte ich irritiert, ob mir etwas entgangen war. Meine Gedanken schweiften zu meinem mentalen Stundenplan, doch fand ich nichts zu einer weiteren Lehreinheit.
Ethan richtete sich gerade auf und sorgte dadurch für mehr Distanz. Seine Augen behielt er dabei schnurstracks auf mich gerichtet. Es war unmöglich, seiner Kontrolle zu entkommen.
»Der wahre Unterricht beginnt erst nach der Schule. Du weißt viel zu wenig über das wahre Leben, kleine Sirene. Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich lehren würde«, erinnerte Ethan mich vage an seine verrückten Worte. Ich schüttelte den Kopf. »Dem habe ich nie zugestimmt.«
Ethan neigte amüsiert den Kopf.
»Ich brauche von niemandem die Zustimmung und du genauso wenig, meine Liebste«, meinte er und ergriff meine Hand. »Und jetzt solltest du mehr aufpassen, statt zu reden. Das stört nur deine Konzentration.«
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