Kapitel 10

Liana

Verdammter Mistkerl - schrie ich innerlich. Noch am Morgen, als könnte das Arschloch mit den eisblauen Augen mich hören.

Ich konnte die Wut, die mich am Vortag überkam, einfach nicht ablegen. Die Tatsache, dass Ethan so viel Einfluss besaß, um meinen Beitritt in den Technikclub zu sabotieren, bewies mir nur, wie weit ich ihn unterschätzt hatte.

Nach seiner beinahe wahren Aussage, dass er mit meinem Leben spielte, konnte ich nicht anders, als im Sekretariat nachzufragen. Die Rückfrage bewies mir jedoch nur, dass der Technikclub plötzlich freigegeben wurde, der Wechsel sich jedoch um eine Woche verzögern würde. Man könnte annehmen, dass eine Privatschule binnen eines Tages mit dem Anliegen beschäftigt sein würde, aber nein, sie wollten dem Fehler stattdessen nachgehen.

Ich bezweifelte, dass in ihrer Rechnung der Name ›Ethan das Arschloch‹ vorkommen würde. Mein Auge zuckte, was ich in meinem Spiegelbild leicht erkennen konnte. Die Tatsache, dass dieser Mistkerl sich nicht nur unnötig aufspielte, sondern tatsächlich eine Form der Macht an der Cardell Academy hatte, gefiel mir nicht.

›Du hast keine Ahnung, mit wem du sprichst‹ - kamen mir seine Worte wieder in den Sinn. Wer bist du dann und was willst du von mir? Was hast du davon, dich mir in den Weg zu stellen?

Ich blickte in mein Spiegelbild, meine Hände waren noch halb erhoben, stehen geblieben, als ich mich an Ethans Worte erinnerte. Ich musste blinzeln, um mich wieder zu fassen und meine Haare zurückzuklemmen. Es war schon fast Viertel vor sieben und ich hatte die Zeit aus den Augen verloren sowie meinen klaren Verstand, wenn ich mich so leicht ablenken ließ.

Verärgert knirschte ich mit den Zähnen.

Du musst deinen Abschluss machen, der Rest regelt sich von selbst. Versuch, dich nicht aufzuregen oder von Idioten ablenken zu lassen, sprach ich mir selbst zu. Der andere Teil in mir riet mir jedoch zu etwas anderem. Nimm diese Demütigung, diese Sabotage nicht einfach hin. Er will dir Steine in den Weg legen, lass das nicht zu.

Eventuell war es idiotisch von mir, mit dem Feuer zu spielen, doch ich hatte das Recht, zu erfahren, womit ich es zu tun hatte.

Kenne deinen Feind, um ihn dort zu treffen, wo er es am wenigsten erwartet.

Ich brauchte mehr Informationen über Ethan, wollte aber nicht in die Falle tappen und ein Gespräch mit ihm führen. Also tat ich das, was am offensichtlichsten war. Ich wählte die Person aus, bei der offensichtlich war, dass eine Art von Feindschaft bestand: Daniel Johnson.

Um einen Feind zu haben, muss eine Form von Wut und Hass bestehen. Dies ist nur möglich, wenn eine Beziehung besteht.

Der blonde Schüler wirkte friedlich im Speisesaal. Er stand eine beunruhigend lange Zeit beim Gebäck und schien sich nicht im Klaren darüber zu sein, welche Brotwahl er treffen sollte.

Er weiß nicht, was er will... und das bei Brot. Ist es wirklich klug, wenn ich mir von ihm Informationen einhole? Hast du eine andere Option?

Die Frage, die ich mir selbst stellte, brachte mich zum Seufzen. Es gab keinen anderen Weg, zumindest vorerst.

Ohne weiter zu überlegen und bereits verschwendete Zeit verstreichen zu lassen, marschierte ich zu Daniel, der gerade ein Dinkelbrötchen auf seinen Teller ablegte.

Ich ordnete mich unbemerkt neben ihn und nahm mir ein Milchbrötchen, obwohl ein Teil von mir mit dieser Entscheidung nicht zufrieden war. Ich beabsichtigte, unauffällig zu sein, statt mich zum Trottel zu machen.

»Könnte ich dich etwas fragen?«, kam ich direkt auf den Punkt, sobald ich neben Daniel stand. Auf mich wirkte das Treffen zufällig, doch etwas an seinen langsamen Bewegungen verriet mir, dass er gewartet hatte. Die Frage war nur: Warum?

Mit einem freundlichen Lächeln wandte Daniel sich mir zu. Seine Körperhaltung war aufrecht, er wirkte selbstbewusst, aber nicht steif. Ein verschmitztes Zucken formte sich an seinem Mundwinkel. Ich konnte nicht abschätzen, ob er die Maske des netten Jungen lebte oder ob er es sich nur einbläute.

»Guten Morgen, Liana, ich habe schon darauf gewartet, wann du auf mich zukommen würdest«, grüßte er mich und betrachtete mich erwartungsvoll.

Was möchte er von mir?

Ich musterte Daniel, dessen Augenbrauen zuckten. Er schien die geduldige Sorte Mensch zu sein. Um ehrlich zu sein, hätte ich es lieber, wenn er mir direkt sagen würde, was los ist.

Daniel lachte über meine fehlende Reaktion. Der aufschnappende Klang, der dadurch ertönte, überraschte mich. Es war nur kurz, aber es hörte sich nach etwas wahren an.

»Du hast es nicht mit Grüßen oder Floskeln, die man einander sagt«, wies er mich hin. Ich verzog den Mundwinkel. »Ich halte nichts davon, das sind zumeist nur Methoden, um von den eigentlichen Anliegen abzulenken. Das Wesentliche hat mehr Bestand.«

Der blonde Schüler gegenüber von mir blickte mich an, als hätte ich ihm etwas von mir gegeben, was ihn neugierig machte.

»Da hast du nicht ganz unrecht, Liana. Dennoch muss ich dir widersprechen: Manchmal helfen Floskeln dabei, sich anzukündigen und einzuschmeicheln. Ist es nicht leichter, an das heranzukommen, wenn man seinen Gesprächspartnern zuerst Honig um den Mund schmiert?«, sprach Daniel und hatte dabei einen sanften Tonfall. Es war, als würde man mich belehren.

Tatsächlich hatte er damit nicht ganz unrecht, was mich bei ihm weniger störte als bei dem Eisklotz Ethan. »Na gut, es ist nichts Besonderes. Guten Morgen. Zufrieden?«, fragte ich und hob desinteressiert eine Braue. »Ja, dass bin ich, Liana. Womit kann ich dir helfen?«

Seine Freundlichkeit war nicht nur gespielt, es war die Neugier, die sich dazu schlich.

»Kann ich jetzt zum Punkt kommen?«, fragte ich, um sicherzustellen, dass diesmal kein Gemeckere über meine fehlenden sozialen Fähigkeiten bestand. »Tu dir keinen Zwang an, du kannst mich fragen, was immer dein Herz begehrt.«

Ich schnaubte leise vor mich hin, was Daniels Augen vor belustigtem Dunkel aufblitzen ließ. Er machte eine Geste mit dem Kopf und signalisierte, dass wir nicht länger bei dem Brot verweilen sollten. Ein flüchtiger Blick auf sein Frühstück verriet mir, dass er Eggs Benedict und Gurken auf dem Teller hatte. Ich nahm mir im Vorbeigehen eine kleine Schüssel mit Waldbeeren und einen kleinen Häufchen Joghurt.

»Dann halte ich mich kurz, wer ist das Arschloch?« Ich scheute mich nicht davor und vergaß, dass nur ich Ethan unter diesem Spitznamen kannte. Daniel wirkte zugleich irritiert und amüsiert.

»Ich meine den Eisblock, nein, Ethan«, berichtigte ich mich selbst. Daniel gluckste und blieb mit einem Grinsen im Gesicht stehen. Ich musste abrupt anhalten, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.

»Interessant«, sagte er und blickte zur Seite, als ob er etwas mit den Augen aufzufangen versuchte. Ich wollte mich umdrehen, um selbst nachzusehen, aber Daniel sprach weiter. »Ich kenne die Person, aber warum möchtest du ausgerechnet von mir etwas über ihn wissen? Wäre es nicht leichter, ihn zu fragen?« Seine Folgerung war logisch, und dennoch war dies außerhalb meines eigenen Stolzes.

»Du hast scheinbar ein Problem mit ihm, und das habe ich auch. Ich möchte nur wissen, was sein Problem ist. Warum spielt er sich so auf und mischt sich in die Angelegenheiten anderer ein?«, verlangte ich dennoch zu erfahren.

»Du möchtest ganz schön viel herausfinden. Ich habe nur auf eine Frage eine Antwort«, begann er und blickte erneut hinter mich. Ich wollte mich umdrehen, aber Daniel ließ nicht zu, dass ich meine Aufmerksamkeit von ihm abwendete.

»Du musst wissen, dass an der Cardell Academy ein Klassensystem besteht. Die Person, die am meisten besitzt, ist an der Spitze. So funktioniert die Gesellschaft, ob man will oder nicht. Einfluss bestimmt sich danach, wer am meisten erbt. Den Rest solltest du dir selbst zusammenfügen können, besonders, wenn das Ar... der Eisblock dich in seinem Blickfeld hat«, erläuterte Daniel mir klar und schaute erneut an mir vorbei.

Ich blickte hinter mich über meine Schulter und erkannte einige Meter weiter von mir, wie eisblaue Augen mich beobachteten. Sein stechender Blick hatte etwas Beängstigendes an sich, und dennoch konnte ich mich nicht von ihm abwenden. Es würde sich anfühlen wie nachzugeben.

Ich spürte, wie sich jemand von hinten meinem Ohr näherte.

»Vorsicht«, flüsterte Daniel mir zu. Er musste sich zu mir geneigt haben. Ich schielte zu ihm. »Er könnte denken, dass du dich mit ihm anlegst oder schlimmer, Interesse an ihm zeigst.«

Ich drehte mich zu Daniel, der sich tatsächlich zu mir gebeugt hatte. Seine braunen Augen blitzten frech auf, als er sich wieder zurücklehnte.

Der ist mir genauso wenig geheuer.

Meine Stirn wollte sich in Falten legen, doch ich unterdrückte diesen Drang und bewahrte eine gelassene Miene, während ich mich wieder dorthin wandte, wo Ethan gestanden hatte. Das Problem war nur, dass er nicht mehr dort war.

Plötzlich spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Ein Schauder überfiel mich, als mein Körper mir vorsichtig mitzuteilen versuchte, dass sich jemand hinter mir befand. Mir war, als berührte man mich, obwohl dem nicht so war.

»Johnson, ist es nicht viel zu früh, um alle bereits in den Schlaf zu langweilen? Da hätte man doch nicht aufstehen müssen, wenn du einen gleich wieder einnicken lässt«, ertönte die kühle männliche Stimme hinter mir.

Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Ethan hinter mir stand. Seine berechnende und kalte Stimme hatte sich bereits in meinen Geist eingebrannt.

Da ich nicht angesprochen wurde, wollte ich nicht länger an dem Platz verweilen. Besonders nicht dann, wenn zwei sich nicht ausstehende Personen aufeinandertreffen.

Ich machte gerade einen Schritt, als ich den Widerstand an meinem Kragen spürte. Jemand hielt mich an dessen Stoffspitze fest. Kalte Finger schabten flüchtig über meinen Nacken, um mich daran zu erinnern, wer sich hinter mir befand.

Es war dumm von mir zu glauben, dass ich ungeschoren an Informationen kommen könnte.

»Nein, kleine Sirene, du bleibst hier«, raunte Ethan mir zu und lehnte sich zu mir herab, sodass ich seinen Atem spüren konnte. Ich blickte zur Seite und fand ein eisblaues Auge. »Ich habe noch eine kleine Sache mit dir zu klären.«

Und ich habe Besseres zu tun!

Ich versuchte, mich loszureißen, konnte mich aber keinen Zentimeter rühren, da Ethan meinen Kopf in seinem rechten Arm klemmte.

»Du hast mir gar nichts zu sagen«, fauchte ich, unbeeindruckt von der Dominanz, die er offensichtlich zur Schau stellte. Doch Ethan ignorierte mich.

»Es wäre klüger, wenn du auf sie hörst. Sie hat so einige gehässige Worte, die an ihren Lippen kleben, Taysten. Nicht, dass du an diesen kleben bleibst«, grätschte Daniel ein und erinnerte mich daran, dass wir nicht alleine waren.

Der Arm um mich lockerte sich, nur wurde ich nicht freigegeben. Eine starke Hand landete auf meinem Kopf und strich vorsichtig durch meine Haare. Sie blieb an den Haarspitzen und spielte mit ihnen. Ich konnte jede einzelne Strähne spüren. Es war, als zupfte man ein Saiteninstrument. Auf eine merkwürdige Weise war die Geste sogar zärtlich.

»Ausnahmsweise hast du etwas nicht idiotisches von dir gegeben. Liana scheint manchmal nicht die geeignetsten Worte nach deinem Vokabular zu finden, doch andere sind in der Lage, ihr antisoziales Verhalten zu verstehen«, konterte Ethan mit zusammengekniffenen Augen zurück.

Hat er mich gerade asozial genannt?

Ich überkreuze ungläubig meine Arme und schüttle die an meinen Haaren zupfenden Finger weg. »Die antisoziale Person kann dich hören, Arschloch«, brummte ich und drehte mich barsch zu der Person, die mich eindringlich ansah. Ethan musterte mich, als versteckte ich etwas.

Ich trat einen Schritt zurück und blickte ihm trotzig entgegen. Ich konnte selbst durch den Abstand wahrnehmen, dass Ethan nach Minze und ihrer beißenden Frische roch.

»Taysten, sie wird dir nicht gehorchen und scheint auch nicht die richtige Person dafür zu sein. Du musst dir wohl etwas einfallen lassen, denn deine bisherigen Methoden werden träge«, warf Daniel belustigt ein und richtete sich an mich. »Danke, Liana, es war reizend, mich mit dir unterhalten zu können.«

Mit einem verwegenen Lächeln in seinen Augen verabschiedete sich Daniel und verriet kaum merklich, dass er nicht der unscheinbare Junge war, der er zur Schau stellte.

In was für ein Netz aus Lügen habe ich mich begeben?


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