28. Die Wahrheit hinter der Lüge
Als Misaki langsam wieder zu sich kam, war sie noch ziemlich benebelt. Ihre Augenlider fühlten sich so schwer an, dass sie diese nur zur Hälfte öffnen konnte. Jedoch konnte sie ohnehin nichts sehen, da um sie herum bloß tiefschwarze Dunkelheit herrschte. Da ihr einer ihrer Sinne geraubt wurde, verschärften sich allerdings die anderen. Zudem war es so still, dass sie sogar ihren eigenen Herzschlag hören konnte, welcher sich rasant beschleunigte. Murrend hob sie ihren Kopf, der sich ebenfalls tonnenschwer anfühlte und ignorierte dabei die Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren. Sie versuchte sich daran zu erinnern, was zuvor passiert war und weitete erschrocken die Augen, als es ihr wieder einfiel. Kurz darauf entspannte sie sich jedoch wieder, denn es lief alles in etwa so ab, wie Dazai es vermutet und geplant hatte – mehr oder weniger. Auf dem Weg zum Fahrstuhl hatte sie zuerst den eigentlichen Plan umsetzen wollen, doch dann war da ein stechender Schmerz und anschließend allumfassende Schwärze gewesen. Misaki wurde klar, dass man sie betäubt hatte und sie sich irgendwo im Labor befinden musste. Es war zwar insgeheim so vorgesehen gewesen, dass sie sich absichtlich gefangen nehmen ließ, aber mit einer Betäubung hatte sie dennoch nicht gerechnet. Der Braunhaarige war sich nämlich sicher gewesen, dass der Chef des Labors einen seiner stärksten Befähigten schicken würde, um Misaki abzuholen. Zum einen, damit sie sich nicht wehren könnte und zum anderen, damit sie nicht erneut fliehen würde. Doch... was war nun mit den anderen? Und wie lange war sie wohl weggetreten gewesen? Reflexartig wollte sie aufstehen, jedoch konnte sie sich nicht bewegen. Nicht, weil ihr Körper noch zu schwach von der Betäubung war, sondern weil sie offensichtlich an einen Stuhl oder etwas dergleichen gefesselt zu sein schien. Sie versuchte sich mit all der Kraft, die sie zurzeit aufbringen konnte, zu befreien oder zumindest die Fesseln zu lockern – vergeblich. Das Einzige, was sie mehr oder weniger frei bewegen konnte, war ihr Kopf und selbst dieser war etwas eingeschränkt, da sie direkt hinter sich eine harte Fläche spürte. Ein genervtes Zischen entkam ihr, als sie begriffen hatte, dass sie nichts weiter tun konnte, als abzuwarten. Zumindest so lange, bis die Wirkung des Betäubungsmittels vollkommen nachgelassen hatte. Doch alles in Misaki sträubte sich dagegen, da sie auch nicht wusste, was sie erwarten würde. Sie konzentrierte sich darauf, mit der einen Hand – an welcher sie keinen Handschuh mehr trug – zu ertasten, aus welchem Material die Fesseln und der Stuhl bestanden. Die Fläche war teilweise rau und uneben, aber an manchen Stellen auch glatt und eiskalt. Letzteres traf ebenso auf das zu, wodurch ihr Handgelenk befestigt war. Und als sie schließlich realisierte, an welchem Stuhl sie gerade befestigt war, verkrampfte sich ihr ganzer Körper augenblicklich und ihre Augen weiteten sich vor Schock. Wieso musste es auch genau einer von jenen sein, an denen sie damals schon gefesselt und mit Strom gequält worden war?
Im nächsten Moment wurde Misaki von einem grellen Licht, welches plötzlich den Raum erhellte, geblendet. Sie kniff die Augen schnell zusammen und blinzelte einige Male, ehe sie sich langsam daran gewöhnt hatte. Nun konnte sie auch den Raum, indem sie sich befand, sehen und wie klein dieser war. Um sie herum war nicht viel Platz, gerade einmal so viel, dass sich höchstens vier Personen gleichzeitig hier aufhalten könnten. Die weißen Wände waren allerdings sehr hoch und da sie die Tür nicht sehen konnte, musste diese sich wohl hinter ihr befinden. An der ihr gegenüberliegenden Wand hing ein etwas größerer Bildschirm und daneben eine Überwachungskamera, abgesehen davon war nichts weiter in diesem Raum. Sie fluchte leise und rüttelte wütend an den Fesseln, jedoch bewirkte dies auch jetzt nichts. Misaki kam erst jetzt die Idee, dass sie auch ihre Fähigkeit benutzen könnte, um sich zu befreien. Innerlich verfluchte sie sich selbst, dass sie nicht schon eher daran gedacht hatte. Doch als sie gerade dabei war ihr Blut zu materialisieren, durchzog sie ein starker Stromschlag. Ihr Körper zuckte und verkrampfte sich, ehe sie schwer atmend den Kopf hängen ließ. Sie hustete einige Male, da sie sich an ihrem Speichel verschluckt hatte, bevor sie ihren Blick hob und voller Hass zu der Überwachungskamera sah. Kurz darauf schaltete sich der Bildschirm daneben ein und ein ihr bekanntes und so verhasstes Gesicht erschien auf diesem. Er hatte kurzes, graues Haar, stechend hellbraune Augen und eine Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog. Diese hatte Misaki ihm damals zugefügt, als sie die Gelegenheit gehabt hatte. Allerdings war die Strafe für diese Tat um einiges schlimmer gewesen. Wobei man es eher als grausame Folter bezeichnen könnte, denn danach hatte sie so etwas nie wieder gewagt. Der Mann sah sie eine Weile finster lächelnd und mit einem kalten Ausdruck in den Augen an, ehe er schließlich zu sprechen begann.
“Schön, dass du endlich wieder da bist, wo du hingehörst. Jetzt sei ein braves Mädchen und gehorche deinem Vater wieder, sonst wird das hier unangenehmer für dich, als es nötig ist.”
“Wo ist er? Lebt er wirklich noch oder war das bloß eine Lüge, damit ich zurückkomme? Sag es mir!”, verlangte sie wütend.
“Ach stimmt, das hätte ich ja beinahe vergessen. Es war keine Lüge, dass er noch lebt. Allerdings ist er nicht hier... na ja, zumindest war er das bis eben noch nicht”, erwiderte der Grauhaarige amüsiert.
“Was soll das heißen?”, fragte Misaki verwirrt.
“Kleine, unwissende B1511. Du kannst dich nicht einmal an sein Aussehen erinnern, oder? Kein Wunder, du warst auch noch so klein, als er verschwand. Es war sehr vorteilhaft für mich, dass ihr euch offensichtlich beide nicht erinnern könnt. Das amüsanteste daran ist, dass du eigentlich so nah bei ihm warst und ihn nun nach Hause geführt hast. Wundervoll, nicht wahr?”
“Was... was redest du da? Ich- Das kann nicht sein!”
“Verstehst du es noch immer nicht? Dann lass mich dir dabei helfen, dich zu erinnern. Ich bin sicher, dass du es schnell begreifen wirst. Er war damals ein kleiner, temperamentvoller und hitzköpfiger Junge. Der kleine A5158 hat immerzu geflucht, sich mit den Wachen angelegt und vor allem versucht dich zu beschützen, wenn dir jemand zu nahekommen wollte und du vor Angst geweint hast. Sein kupferrotes Haar und die strahlend blauen Augen sollte man auch nicht vergessen, das macht ihn unverkennbar. Na, erinnert dich das an jemanden?”, fragte er grinsend.
“Chuuya-senpai...”, flüsterte sie verblüfft.
“Richtig, dein kleiner Freund von der Mafia – Chuuya Nakahara – und dank dir ist er nun auch wieder zu Hause”, flötete der Mann euphorisch.
Misaki starrte fassungslos auf den Bildschirm, während sich immer mehr Tränen in ihren Augen sammelten und schließlich über ihr Gesicht flossen. Sie machte sich Vorwürfe, da sie den Rothaarigen nicht erkannt hatte. Dabei war er ihr doch immer so wichtig gewesen und dennoch hatte dieser abscheuliche Mann es ihr erst sagen müssen, damit sie es endlich begriff. Nun wurde ihr auch klar, weshalb sie Chuuya so schnell vertraut hatte und aus welchem Grund ihre Verbindung zueinander so stark gewesen war, dass sie nur seinetwegen nicht die Mafia verlassen wollte. Seine Augen und auch sein Verhalten waren ihr zwar irgendwie vertraut vorgekommen, aber sie hatte es bloß für eine Einbildung gehalten und nicht großartig darüber nachgedacht. Immerhin hatte sie gedacht, dass sie A verloren hätte. Doch jetzt fügte sich langsam alles in ihrem Kopf zusammen und begann Sinn zu ergeben. Misaki war einerseits glücklich, dass der Freund, der immer wie ein Bruder für sie gewesen war, wirklich noch lebte und sie sich wiedergefunden hatten. Andererseits kam diese Erkenntnis etwas zu spät, da der Rothaarige nun durch sie ebenfalls wieder an diesem Ort war. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hatte man ihn höchstwahrscheinlich auch nur durch sie und ihre Flucht wiedergefunden. Wenn sie ihn also erwischen sollten, dann war es allein ihre Schuld. Er war zwar sehr stark und auch nicht alleine, aber dennoch hatte sie ihn damit in Gefahr gebracht. Misaki könnte es nicht ertragen, wenn sie Chuuya erneut verlieren würde, weshalb sie das auf keinen Fall zulassen konnte. Denn sie wollte noch viel mehr Zeit mit ihm verbringen und ihm so nah sein, wie sie es früher einmal gewesen waren. Und sie wusste, was sie dafür tun musste. Den Mann, der ihnen so viel Leid zugefügt und sie getrennt hatte, töten und danach schnellstmöglich gemeinsam aus diesem Labor verschwinden. Ob der Rothaarige ihr wohl glauben würde, wenn sie ihm erzählte, dass er A war? Selbst wenn nicht, würde sie ewig an seiner Seite bleiben und ihn beschützen, so wie er es immer für sie getan hatte. Doch zuvor musste sie einen Weg finden, wie sie sich unauffällig von diesem Stuhl befreien konnte. Denn wenn sie dabei erwischt werden würde, dann würde sie wohl erneut einem Stromschlag ausgesetzt werden und das wollte sie – wenn möglich - vermeiden. Sollte es jedoch keine andere Möglichkeit geben, dann würde sie selbst diesen irgendwie aushalten können, um frei zu kommen und die anderen zu suchen.
“Ich habe einen Test für dich vorbereitet und falls du ihn bestehen solltest, bin ich unter Umständen gewillt dich zu belohnen. Beweise mir deinen Gehorsam und zeige, wozu du fähig bist, meine kleine B1511”, sagte er mit einem böswilligen Funkeln in seinen Augen.
Misaki wusste, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte und dass er etwas grauenhaftes von ihr verlangen würde. Doch sie erinnerte sich an Dazais Worte: > Sobald du die Informationen hast, wirst du fürs Erste mitspielen müssen, bis du eine Möglichkeit zur Flucht hast und das wird definitiv nicht einfach werden. Wir werden aber auch versuchen, so schnell wie möglich zu dir zu gelangen. <
Ihr war klar, dass sie momentan keine andere Wahl hatte und so nickte sie bestätigend. Daraufhin lösten sich ihre Fesseln und die Wand zu ihrer Linken, die offensichtlich eher eine Art getarntes Tor war, öffnete sich. Zitternd und wankend stand sie auf und schritt durch dieses, ehe es sich hinter ihr wieder schloss. Der Raum, in dem sie sich nun befand, war um einiges größer. Dennoch war auch dieser bloß in einem sterilen Weiß gehalten, mit grellem Licht und keinem sichtbaren Ausgang. An einer der Wände befand sich bloß wieder ein großer Bildschirm und eine Überwachungskamera, die sich sogleich einschalteten. Misaki stand nun in der Mitte des Raumes und wartete mit einem unguten Gefühl im Bauch ab, was für eine Art Test sie wohl erwarten würde. Lange musste sie jedoch nicht warten, da öffnete sich erneut eine der Wände und mehrere, gefährlich aussehende Männer traten ein. Danach schloss sich die Wand wieder und der Grauhaarige begann zu sprechen.
“Das sind ein paar Straftäter, die lebenslänglich im Gefängnis verrotten oder getötet werden sollten. Doch ihnen wurde gesagt, dass ihnen dieses Schicksal erspart bleiben würde, wenn sie dich besiegen könnten. Das klingt doch amüsant, nicht wahr? Deine Aufgabe ist es also, jeden einzelnen von ihnen zu töten. Da sie keine Befähigten sind, haben wir sie natürlich mit ein paar Waffen ausgestattet. Das wäre doch sonst viel zu einfach und unfair, findest du nicht?”
Die Männer kamen langsam näher und stellten sich um sie herum auf. Misaki analysierte die Lage und die Menschen um sich genauestens. Es waren zehn Männer - sieben davon hatten Messer und die anderen eine Pistole. Es war an sich keine große Herausforderung für sie, denn so etwas hatte sie auch damals schon öfter tun müssen. Allerdings waren es da ausgebildete Kämpfer des Labors gewesen und keine Straftäter, deren Handlungen schwerer vorherzusehen und unkoordinierter waren. Und genau wie sie, schienen die Männer sie erstmal zu beobachten, ehe sie etwas unternahmen. Ob sie wohl vorsichtig sein und zunächst Misakis Fähigkeit sehen wollten, bevor sie sie angriffen? Vermutlich, zumindest wäre das weitaus klüger, als vorschnell zu handeln.
Sie atmete tief durch und seufzte anschließend langgezogen, während sie sich den verbliebenen Handschuh auszog. An ihrer rechten Hand hatte sie glücklicherweise noch den Schnitt, den sie vorsorglich für den Plan dort platziert hatte. Ansonsten hätte sie sich absichtlich verletzen lassen müssen, um ihre Fähigkeit einsetzen zu können und dies wäre viel umständlicher gewesen. Danach ließ Misaki die blutrote Peitsche, deren Spitze unglaublich scharf war, in ihrer Hand erscheinen. Einige der Männer wichen einen Schritt zurück, während die, die eine Pistole besaßen, mit eben dieser auf sie zielten. Eigentlich wollte sie nicht gegen diese Männer kämpfen, da sie ebenfalls nur Opfer waren und ausgenutzt wurden. Doch sie hatte offensichtlich keine Wahl und erinnerte sich daran, weshalb sie das alles überhaupt über sich ergehen ließ. Der einzige Grund, weshalb sie freiwillig in diese Hölle zurückgekehrt war und jegliche Qual ertragen würde: A.
Drei der Männer kamen langsam und mit erhobenem Messer immer näher, während ein anderer die Gelegenheit nutzen wollte und den Abzug seiner Pistole betätigte. Misaki wich dem Schuss jedoch mit Leichtigkeit aus und schwang die Peitsche über ihrem Kopf so präzise, dass sie den drei Angreifern mit deren Spitze die Kehle aufschlitzte und diese röchelnd zu Boden sanken. Blut verteilte sich langsam über den Boden zu ihren Füßen, was sie jedoch nicht sonderlich kümmerte - so war es hier immer gewesen. Doch der Rest ihrer Gegner sah dies nicht so locker, wie sie selbst. Denn gleich darauf begannen die drei von ihnen, die eine Pistole hatten, einfach wild auf sie los zu schießen. Den meisten Kugeln konnte Misaki – wenn auch oft nur knapp – ausweichen, doch ein paar davon trafen sie. Sie fühlte den starken Druck, als die Patronen durch ihre Haut und in ihr Fleisch eindrangen. Doch durch all das Adrenalin, welches durch ihren Körper strömte, nahm sie auch das nur am Rande wahr. Zumindest so lange, bis sie plötzlich einen brennenden Schmerz spürte, der sich an gewissen Stellen ausbreitete und zischend an sich herabblickte. Misaki hatte zwei Schusswunden im rechten Oberschenkel, eine an der linken Hand und eine in der linken Schulter. Glücklicherweise gingen die Projektile ohne Probleme durch sie hindurch, somit würden diese ihr keine weiteren Probleme bereiten. Eine der Kugeln hatte auch ihre rechte Wange erwischt, jedoch war es bloß ein Streifschuss und die Wunde nicht sonderlich tief. Die Männer hatten zwar ihr gesamtes Magazin geleert und sie so verletzen können, aber da sie dank ihrer Fähigkeit kein Blut verlor, brachte es ihnen dennoch keinen großen Vorteil - zumindest solange sie nicht Hirn, Herz oder Lunge trafen. Misakis Atem war beschleunigt und ihr Gesicht leicht schmerzverzerrt, in ihren Augen spiegelte sich Wut. Die Peitsche in ihrer Hand formte sich nun zu einem Katana, dessen Griff sie fest umschloss. Die Straftäter umzingelten sie erneut und wollten offensichtlich ihre Überzahl ausnutzen, um sie zu fassen zu bekommen.
Als die sieben verbliebenen Männer zeitgleich auf Misaki zustürmten, sprang sie zuerst nach vorne und schwang anschließend ihr Katana. Mit einer fließenden und kraftvollen Bewegung, enthauptete sie damit gleich zwei von ihnen. Die leblosen Körper fielen zu Boden und die sauber abgetrennten Köpfe landeten unweit daneben. Der Boden wurde immer mehr von Blut bedeckt und der metallische Geruch erfüllte den Raum. Danach machte Misaki eine schwungvolle und präzise Drehung, mit welcher sie zwei anderen zu ihrer Rechten eine tiefe, waagerechte Wunde über den Brustkorb zufügte. Dabei hatte sie offenbar auch die Lunge ihrer Gegner verletzt, denn diese husteten Blut, während sie panisch nach Luft röchelten und ebenfalls zu Boden fielen. Nun waren nur noch drei der Straftäter übrig, die sie töten musste. Misaki hoffte inständig, dass es danach vorbei war und auch, dass es Chuuya, Atsushi und Dazai gut ging. Sie wollte die drei so schnell wie möglich wiedersehen und den Rothaarigen fest in ihre Arme schließen, auch wenn dieser sich an nichts von damals erinnern konnte.
Während Misaki sich gerade zu den letzten drei Männern umdrehen wollte, packte sie einer von diesen plötzlich von hinten und schlang seinen Arm um ihren Hals. Die anderen zwei hielten währenddessen ihre Arme fest, damit sie sich weder wehren, noch verteidigen konnte. Wütend und panisch trat sie um sich und zappelte, doch das schien keinen ihrer Angreifer zu stören. Im Gegenteil, sie lachten hämisch und einer von ihnen steckte ihr zusätzlich ganz langsam sein Messer in den Bauch, während sich der Druck auf ihren Hals verstärkte. Misakis Augen weiteten sich vor Schock und sie wimmerte vor Schmerz, denn zu mehr war sie momentan nicht mehr im Stande. Selbst das Treten und Zappeln hatte sie schnell aufgegeben, weil sie merkte, dass es ihr nichts brachte. Normalerweise hätte sie sich zwar selbst jetzt noch irgendwie befreien können, aber sie hatte keine Kraft mehr und war auch nicht in der besten Verfassung. Die Nachwirkung der Betäubung und des Stromschlags machten Misaki noch zu schaffen, zusätzlich hatte sie mehrere Schusswunden und nun auch noch eine Stichwunde. Ihr wurde immer schummriger und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Sie fragte sich, ob das nun wirklich ihr Ende sein würde; ob sie nun wirklich sterben würde und dass ohne sich verabschieden zu können. Dabei hätte sie zumindest Chuuya gerne ein letztes Mal gesehen und ihn umarmt, bevor sie ihrem gemeinsamen Freund C ins Reich der Toten folgte. Misakis Körper wurde schwächer, der Herzschlag langsamer und ihre Sicht verdunkelte sich. Innerlich betete sie bloß, dass Chuuya, Atsushi und Dazai wieder heil hier herauskommen würden - mehr wünschte sie sich nicht.
Plötzlich erschütterte etwas den Raum und Teile der Wand, die aus Metall bestand, trafen die drei Straftäter mit hoher Geschwindigkeit am Kopf und durchdrangen diesen. Dadurch löste sich ihr Griff und Misaki fiel nach Luft ringend und hustend zu Boden, während sie Stimmen hörte, die näher zu kommen schienen. Sie blinzelte einige Male, doch durch ihre verschwommene Sicht konnte sie nicht erkennen, wer sich ihr genähert hatte. Sie fühlte bloß eine warme Hand, die sich auf ihre Wange gelegt hatte und diese sanft streichelte.
Langsam normalisierte sich Misakis Atmung und auch ihre Sicht wurde Stück für Stück klarer. Das Erste, was sie dann erkennen konnte, war Atsushis zugleich besorgtes und erleichtertes Gesicht. Sie lächelte schwach, während sie eine Hand auf seine legte. Kurz darauf traten auch Chuuya und Dazai in ihr Sichtfeld, wobei ihr Blick sofort auf Ersterem verharrte. Erneut flossen Tränen über ihr Gesicht und sie versuchte sich aufzusetzen, sank aber durch den stechenden Schmerz in ihrem Bauch gleich wieder zu Boden und zischte. Misakis rechte Hand tastete vorsichtig nach dem Messer, welches noch in ihr steckte und entfernte es anschließend mit einem Ruck. Sie warf es achtlos zur Seite und versuchte erneut sich aufzusetzen, diesmal half ihr Atsushi allerdings vorsichtig dabei. Währenddessen brüllte Chuuya Dazai an, der allerdings nonchalant an ihm vorbei ging und neben dem Weißhaarigen in die Hocke ging.
“Hast du die Informationen bekommen, die du wolltest?”, fragte der Braunhaarige mit einem sanften Lächeln.
Misakis Blick war weiterhin auf Chuuya gerichtet, der nun ebenfalls neben ihr in die Hocke ging, nachdem er den Bildschirm und die Überwachungskamera zerstört hatte. Sie nickte bloß, während immer mehr Tränen über ihre Wangen flossen, denn sie war glücklich und traurig zugleich. Nun wusste sie zwar, dass der Rothaarige A war, aber durch sie wussten es auch die Leute vom Labor. Wie sollte sie mit der Schuld leben, dass er nun durch sie ebenfalls wieder in Gefahr schwebte?
“Lebt er noch?”, fragte Atsushi vorsichtig und legte sanft eine Hand auf ihre Schulter.
Misaki nickte erneut und wischte sich mit ihren zittrigen Händen die Tränen aus dem Gesicht. Und als der Weißhaarige dann fragte, wo A sei, lächelte sie traurig und zeigte bloß auf Chuuya. Niemand sagte etwas, denn sie alle waren überrascht und sprachlos – sogar Dazai. Ihre erstaunten Blicke hingen an Misaki, die ihre Hand etwas zögerlich auf Chuuyas Wange legte und ihn anschließend in eine feste Umarmung zog. Der Rothaarige wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, denn das alles war gerade einfach zu viel für ihn. Einerseits konnte er es irgendwie nicht glauben, doch andererseits würde sie niemals lügen, wenn es um dieses Thema ging. Chuuya hätte allerdings niemals gedacht, dass er auf diese Art etwas über seine Vergangenheit erfahren würde. Doch leider erinnerte er sich dennoch an nichts und wusste nur das, was Misaki ihm bisher erzählt hatte. Und das waren überwiegend die negativen Ereignisse gewesen. Der Rothaarige wollte jedoch noch so viel mehr erfahren, hatte so viele Fragen und hoffte, dass seine Erinnerungen dadurch vielleicht irgendwann zurückkommen würden. Denn er wollte sich unbedingt an sie und C erinnern. An all die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten und die schönen Momente, die sie geteilt hatten. Selbst wenn vieles aus seiner Vergangenheit schrecklich sein sollte, war es das dennoch wert.
Misaki begann damit, sanft über seinen Rücken zu streicheln und vergrub ihr Gesicht dabei in seiner Halsbeuge. Dieses Gefühl kam Chuuya so vertraut vor und dadurch legte sich unbemerkt ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Er erwiderte ihre Umarmung daraufhin ebenso fest und begann - wie selbstverständlich - damit, ihren Kopf zu streicheln. Zunächst schluchzte sie noch hörbar, doch Chuuyas Nähe und seine sanfte Geste beruhigten sie zunehmend. Dennoch konnten sie nicht länger so verharren, auch wenn Misaki das gerade brauchte. Immerhin waren sie noch immer im Labor und somit auf feindlichem Territorium, wo sie jederzeit angegriffen werden konnten. Zusätzlich hatte sie auch noch einige Verletzungen, die eigentlich behandelt werden mussten. Atsushi, der Misaki besorgt musterte, schlug vor, dass sie sich wegen all ihrer Wunden vorerst zurückziehen sollten. Auch der Rothaarige schien dies für eine gute Idee zu halten, obwohl er so etwas wie einen Rückzug sonst nie in Betracht ziehen würde. Jedoch war Misaki selbst dagegen und widersprach ihnen beharrlich.
“Wir können jetzt nicht einfach gehen, wo wir schon so weit gekommen sind. Die Mission zu beenden hat Priorität! Meine Verletzungen sind nicht so schlimm, es wurden keine wichtigen Stellen verletzt und ich verliere auch kein Blut, dank meiner Fähigkeit. Vertraut mir, ich schaffe das!”
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