23. Kontrollverlust

Die Abneigung, die Chuuya ausstrahlte, sorgte für eine außerordentlich angespannte Stimmung. Denn auch wenn er kurz nach Misakis Anruf noch etwas entspannter gewesen war, drängte sich die vorherige Auseinandersetzung mit Dazai schnell wieder in den Vordergrund. Warum musste dieser auch immer und immer wieder über die Vergangenheit sprechen und den Rothaarigen damit in den Wahnsinn treiben? Als ob ihn seine Gedanken und die Erinnerungen diesbezüglich nicht schon oft genug fertigmachen würden. Allein die Anwesenheit des Braunhaarigen war schon anstrengend genug, da musste dieser nicht auch noch ihre damalige gemeinsame Zeit erwähnen und erneut Salz in die Wunde streuen. War ihm denn nicht bewusst, wie abscheulich und grausam seine Spielchen und Provokationen waren? Natürlich wusste Chuuya, dass sein ehemaliger Partner noch nie sehr feinfühlig gewesen war und auch, dass er seine Gefühle – wenn er denn welche zuließ – nur in den seltensten Fällen ehrlich zeigte. Darin hatten sie sich schon immer unterschieden, denn er selbst hatte seine Emotionen oft nicht im Griff. Vor allem dann nicht, wenn es um Dazai ging. Und dennoch hatte er erwartet, dass der Braunhaarige zumindest dieses Thema außen vorlassen würde. Doch wie so oft, wenn es um diesen Mann ging, hatte er sich geirrt.
Dazai war bewusst, dass er bei ihrer Diskussion zu weit gegangen war. Doch es lag weder in seiner Natur, sich ernsthaft zu entschuldigen, noch Reue zu zeigen. Dennoch wollte er irgendetwas sagen, damit sich die Anspannung des Rothaarigen legte und dieser wusste, dass er ihm nicht gleichgültig war. Auch wenn er das niemals direkt zugeben würde, wusste der Braunhaarige dennoch einen Weg, wie er es Chuuya vermitteln konnte, sodass dieser es definitiv verstehen würde. Zu diesem Zweck beschloss Dazai, ihm etwas zu erzählen, worüber er eigentlich hatte schweigen wollen – zumindest über den Hintergrund seines Handelns.
 
„Weißt du, Chuuya… Ich war derjenige, der damals dein Auto gesprengt hat und ich kann dir auch sagen, was der Grund dafür war. Falls du es wissen möchtest?“, fragte Dazai mit einem schiefen Grinsen.
 
„Haa?! Du warst das also… das hätte ich wissen müssen, du mieser Bastard. Das hast du doch bloß getan, um mir auf die Nerven zu gehen und weil dich so etwas amüsiert“, erwiderte Chuuya verächtlich.
 
„Eine nette Theorie, aber damit liegst du falsch. Ich wusste natürlich, dass du mich an diesem Abend betrunken suchen wollen würdest und hatte deshalb Vorkehrungen getroffen. Du weißt bestimmt selbst, wie das sonst auf andere gewirkt hätte, oder? Wie dem auch sei, irgendjemand musste doch dafür sorgen, dass du keine Dummheit begehst. Immerhin denkt dein Hirn um einiges langsamer, wenn du betrunken bist“, sagte er ernst.
 
Chuuya wollte ihm eigentlich widersprechen und beschimpfen, doch als er die Botschaft hinter dieser Aussage verstand, sah er ihn bloß skeptisch an. Denn es war für ihn schwer zu glauben, dass Dazai das bloß getan hatte, um ihn zu schützen. Vor allem nachdem es immer wieder so ausgesehen hatte, als wäre er ihm gleichgültig. War dies wieder eines seiner manipulativen Spiele, oder meinte er es diesmal ernst? Der Rothaarige musterte seinen ehemaligen Partner, welcher geistesabwesend in die Leere zu starren schien, ganz genau und ließ sich dessen Worte erneut durch den Kopf gehen. Auch wenn er einerseits das Gefühl hatte, dass der Braunhaarige die Wahrheit sagte, da eine Lüge ihm in dieser Situation schlichtweg keinen Vorteil verschaffte. So konnte er es andererseits nicht glauben, oder… wollte er es bloß nicht glauben? War es nicht viel einfacher, Dazai einfach zu hassen und immer das Schlechte in ihm zu sehen, als sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen und keinerlei Zweifel zu hegen? Doch so einfach war dies alles nun mal nicht. Die Welt war eben nie bloß schwarz oder weiß und wer sich nur auf eine Seite beschränkte, verlor den Blick für das Wesentliche. Und vor gerade bei diesem Mann musste man auch zwischen den Zeilen lesen können, um den Sinn hinter seinen Absichten irgendwie begreifen zu können. Wobei sich dies bei dem Braunhaarigen dennoch als äußerst schwierig herausstellte. Doch Chuuya wusste, dass dahinter einfach noch mehr stecken musste. Er hatte es im Gefühl und kannte ihn nun schon lange genug, um sich dessen sicher sein zu können. Es gab definitiv einen Grund dafür und er würde ihm nicht eher glauben, bis er diesen kannte.
 
„Hey, Makrele! Sag mir, was der wahre Grund dafür war und ich will keinen blöden Spruch hören! Sei zumindest dieses eine Mal einfach ehrlich und verhalte dich nicht wie ein mieses Arschloch…“
 
„Ach Chibi, ich dachte nicht, dass ich es dir extra erklären müsste. Dabei solltest du es doch eigentlich verstehen, oder hast du etwa unser Versprechen von damals vergessen?“, fragte Dazai, mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.
 
Chuuya sah den Braunhaarigen bloß überrascht an, denn er hatte dieses Versprechen tatsächlich vergessen. Wobei… verdrängt traf wohl eher zu und es erstaunte ihn, dass sein Gegenüber dieses nicht nur nicht vergessen hatte, sondern es offensichtlich auch noch einhielt. Denn er hätte nie gedacht, dass Dazai dieses Versprechen augenscheinlich so wichtig und ernst gewesen war, wie ihm selbst.
Als der Rothaarige jedoch gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, klopfte es plötzlich an der Eingangstür. Er seufzte kaum hörbar, ehe er schnell aufstand und in Richtung der Tür verschwand. Irgendwie war Chuuya sogar erleichtert, dass ihr Gespräch unterbrochen worden war, da er sich jetzt und auch allgemein in ihrer momentanen Lage auf anderes fokussieren musste. Dennoch hatte vor allem Dazais letzte Aussage seine Laune etwas gehoben und die Zweifel, die ihn gequält hatten, ein wenig beseitigt, da seine Worte auch offenbart hatten, dass er seinem ehemaligen Partner doch nicht so gleichgültig war, wie er zuvor gedacht hatte. Zwar erklärte das weder den Verrat, noch das Verschwinden des Braunhaarigen, aber Chuuya würde sich vorerst damit zufrieden geben müssen, um sich voll und ganz auf ihre Mission konzentrieren zu können. Denn augenblicklich hatten diese und Misakis Sicherheit oberste Priorität, da durfte er sich einfach nicht ablenken lassen.
Etwas angespannt öffnete Chuuya die Tür, vor der Misaki und Atsushi standen und betrachtete beide genau, während sie eintraten. Die oberflächlichen Verletzungen, die sein Schützling hatte, entgingen ihm dabei natürlich nicht. Doch da sie ansonsten wohlauf zu sein schien, sagte er vorerst nichts dazu und machte sich auf den Weg in die Küche. Der Rothaarige wollte den beiden einen kurzen Moment geben, damit sie sich entspannen konnten. Immerhin wusste er nicht, was sie heute erlebt hatten und es konnte auch nicht schaden, sie erstmal ankommen zu lassen. Abgesehen davon könnten sie alle – und vor allem wohl Misaki – ein schönes Glas Wein vertragen, um diesen anstrengenden Tag doch noch angenehm zu gestalten. Also holte er vier Weingläser und einen seiner billigeren Weine, ehe er es sich wieder auf der Sitzlandschaft gemütlich machte und alles auf dem Tisch abstellte. Kurz darauf betraten Misaki und Atsushi ebenfalls das Wohnzimmer und setzten sich zu ihnen. Chuuya war aufgefallen, dass sie ihre Jacke noch trug, doch da dies nicht zum ersten Mal vorkam, weil sie sich so offensichtlich wohler fühlte, beließ er es dabei und sagte auch dazu nichts. Es dauerte eben manchmal noch eine Weile, bis sie diese auszog und ihre vernarbten Arme damit freilegte. Es war allerdings auch eine Macke von ihr, die immer dann zum Vorschein kam, wenn es ihr nicht allzu gut ging, sie etwas bedrückte oder beschäftigte. Der Rothaarige wusste das mittlerweile, da er Misaki tagtäglich im Auge behielt und er auch, da sie zusammen wohnten und so gut wie alles gemeinsam erledigten, viel Zeit mit ihr verbracht hatte. Und er wusste auch, dass sie darüber sprechen würde, wenn sie das wollte oder es wichtig war. Weshalb er nicht nachfragte und die Weingläser erstmal mit der roten Flüssigkeit füllte, ehe er jedem der Anwesenden eines übergab. Dazais Blick war nicht außerordentlich begeistert, da er Whisky bevorzugte, dennoch nahm er es schweigend entgegen. Misaki bedankte sich lächelnd, während Atsushi sein Glas zwar dankend, aber auch etwas zögerlich entgegennahm. Denn normalerweise trank er keinen Alkohol und dass er dies nun im Apartment eines Unterbosses der Mafia tun würde, war zudem wohl auch etwas seltsam. Selbst wenn sie momentan Verbündete waren, fühlte es sich alles andere als normal an. Der Weißhaarige fand auch, dass Chuuya nun viel umgänglicher und netter war, als bei ihren letzten Aufeinandertreffen. Auch wenn dieser dennoch zumeist einen eher genervten und warnenden Eindruck machte. Wie bei der Bemerkung, dass Atsushi bloß langsam trinken solle, weil er keinen betrunkenen Tiger in seinem Apartment gebrauchen konnte.
Nachdem Misaki einen Schluck getrunken hatte und ihre Anspannung sich dadurch etwas lockerte, begann sie von der heutigen Mission und den Vorfällen zu berichten. Dabei erwähnte sie zu allererst, dass sie dem Labor wohl ziemlich nahe gekommen sein mussten, da sie überraschend angegriffen worden waren. Sie erzählte von dem Mann, dessen Fähigkeit blaue Flammen waren, den bewaffneten Männern und wie sie ihnen hatten entkommen können. Danach verfinsterte sich Misakis Blick ein wenig, als sie über den geflügelten Mann sprach, dem sie erneut begegnet waren und wie dieser bloß mit ihnen gespielt hatte. Allein bei dem Gedanken daran wurde sie unglaublich wütend. Denn sie wusste, dass sie und Atsushi wohl jetzt nicht hier wären, wenn er ernst gekämpft hätte. Doch größtenteils hatte sie sich um den Weißhaarigen gesorgt, weil das Labor bloß sie lebend brauchte und somit auch nur sein Leben in Gefahr gewesen war. Wobei sie bis jetzt nicht verstand, weshalb dieser Mann Atsushi vor dem Sturz bewahrt hatte und wieso dieser meinte, dass er sie nicht fangen müsste, da sie freiwillig zu ihnen kommen würde. Es ergab für Misaki schlichtweg keinen Sinn und auch das teilte sie den anderen mit. Chuuyas skeptischer Blick ließ darauf schließen, dass er ihre Meinung darüber teilte, doch Dazai schien nach wie vor gelassen zu sein.
 
„Den Weg habt ihr euch bestimmt gemerkt und selbst wenn nicht, dann haben wir noch die Daten, die der Chip in Atsushis Handy an den Laptop übertragen hat. Ihr wisst nicht zufällig, wie viele Wachen es waren und welche Fähigkeiten sie besaßen, oder? Das wäre nämlich ziemlich hilfreich bei der Planung“, sagte er unbekümmert und schmunzelnd.
 
Während Atsushi schockiert fragte, seit wann dieser Chip in seinem Handy war, dachte Misaki über die Worte des Braunhaarigen nach. Denn etwas machte sie daran stutzig und auch sein Verhalten war viel zu entspannt. Es schien auch nicht so, als hätte ihn irgendetwas davon überrascht. War er wirklich so sorglos? Hatte er vielleicht geahnt, was passieren würde? Oder… hatte er es womöglich sogar gewusst und war bewusst dieses Risiko eingegangen? Im Nachhinein wäre das durchaus denkbar, denn Chuuya hatte schonmal erwähnt, wie manipulativ und gerissen Dazai sein konnte. Sie selbst hatte es auch schon einmal bemerkt, als er Atsushi und ihre Verbindung zu diesem ausgenutzt hatte, um an Informationen zu kommen. Doch… würde er wirklich so weit gehen und sogar das Leben des Weißhaarigen beabsichtigt in Gefahr bringen? Genau das wollte Misaki nun herausfinden, denn sonst würde es ihr keine Ruhe lassen.
 
„Dazai-san? Wie kannst du so gelassen und unbeeindruckt sein, nach allem, was ich euch erzählt habe? Wusstest du etwa, dass es dazu kommen würde?“, fragte sie skeptisch und zog die Augenbrauen zusammen.
 
„Natürlich wusste ich, dass ihr Wachen begegnen werdet und sie euch angreifen werden. Das war auch ein Teil dieser Mission, um herauszufinden, wie die Bewachung abläuft und was für Befähigte es sind. Ich war sicher, dass ihr dieses Problem zusammen bewältigen könnt. Allerdings wusste ich nicht, dass der Mann mit den Flügeln auftauchen würde… aber ihr habt es dennoch geschafft“, antwortete er entspannt.
 
„Du hast also wirklich bewusst Atsushis Leben – das eines DEINER Kameraden – in Gefahr gebracht?! Mich hätten sie lebendig gefangen, aber bei ihm war ihnen das nicht wichtig. Außerdem wären wir vermutlich nicht entkommen, wenn der komische Vogelmann ernst gekämpft hätte!“, fauchte sie wütend und ballte dabei ihre Fäuste.
 
Atsushi sah den Braunhaarigen verärgert an, während Chuuya schon damit begonnen hatte, ihn allerlei Beschimpfungen und Vorwürfe an den Kopf zu werfen. Misaki wollte eigentlich versuchen, sich zu beruhigen, aber sie war unbeschreiblich wütend, dass Dazai sie beide auch als eine Art Lockvogel benutzt hatte. Wenn Atsushi und sie das wenigstens gewusst hätten, dann hätten sie sich auch darauf vorbereiten können. Doch so hatte es sie völlig unerwartet getroffen und dieser Faktor hatte es ihnen deutlich schwerer gemacht. Der Sturm, der in Misaki tobte, war rasant schnell gewachsen und drohte außer Kontrolle zu geraten. Denn je länger sie darüber nachdachte, desto größer wurde ihre Wut auf den Braunhaarigen. Sie konnte einfach nicht fassen, dass er so ein hohes Risiko auch noch bewusst eingegangen war und es nicht einmal für nötig gehalten hatte, ihnen etwas davon zu erzählen. Und selbst jetzt, wo alle Anwesenden Dazai wütend ansahen und der Rothaarige ihn sogar am Kragen gepackt hatte, war er noch immer vollkommen entspannt und schmunzelte. Atsushi hingegen seufzte bloß genervt, da es täglich vorkam, dass sein Kollege etwas tat, wofür er angeschrien wurde. Wobei es da zumeist Kunikida war, der ausrastete und eine seiner berüchtigten Standpauken hielt. Man konnte also durchaus sagen, dass dies ein nur zu bekannter Anblick für den Weißhaarigen war. Jedoch nicht für Misaki und als der Braunhaarige sie einfach anlächelte, brannten ihre Sicherungen durch und ihre Augen hatten sich – durch all diesen unbändigen Zorn – leuchtend rot verfärbt. Die Überraschung im Gesicht aller Anwesenden war deutlich zu sehen, als Misaki plötzlich aufstand und Dazai eine schallende Ohrfeige verpasste. Weder er, noch die anderen beiden hatten damit gerechnet und waren umso schockierter, als sie das rote Leuchten ihrer Augen sahen. Sie selbst hatte dies jedoch nicht einmal bemerkt oder gar beabsichtigt hervorgerufen. Wie auch schon bei Akutagawa passierte es, weil sie die Beherrschung verloren und ihr aufgestauter Hass die Oberhand gewonnen hatte – bloß wehrte sie sich diesmal nicht vollständig dagegen. Ihr Körper zitterte, der Atem war beschleunigt und sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Misaki hörte diese leise, ihr bekannte Stimme in ihrem Kopf. Die Stimme, die ihr schon damals im Labor gesagt hatte, dass sie sich einfach fallen und vom Hass leiten lassen solle. Sie wollte es zwar nicht, aber ihr fehlte langsam die Kraft, um dagegen anzukämpfen. Es war ein ewiger Teufelskreis, den sie immer und immer wieder durchbrochen hatte. Doch jetzt… jetzt schaffte sie es einfach nicht mehr und es fühlte sich so an, als ob sie sich selbst verlieren würde. Misaki wurde von der dunklen Seite ihrer Seele immer weiter verschluckt und war unfähig dieser alleine zu entkommen. Sie bemerkte nicht einmal, dass sich ihre Rechte Hand von ganz alleine erhob, um nach dem vor ihr Sitzenden zu greifen. Doch noch bevor sie Dazai berühren konnte, wurde sie an der Taille gepackt und zurückgezogen – wobei der Brief aus ihrer Jackentasche fiel und auf dem Boden landete. Es war Atsushi, der schnell reagiert und seine Arme um sie geschlossen hatte. Er drückte sie fest an sich und versuchte zu ihr durchzudringen. Doch egal, wie oft er ihren Namen auch rief, es kam keine Reaktion und sie bewegte sich auch nicht. Zumindest nicht, solange der Weißhaarige es tat. Denn als Chuuya sich vor sie stellte, eine Hand auf ihre Wange legte und direkt in ihre Augen sah, musste er ihren Namen bloß ein Mal rufen und sie fuhr erschrocken zusammen. Die Farbe ihrer Iriden wechselte wieder zu dem strahlenden Grün, während ihre Hände sich fest in den Stoff seines Hemdes krallten. Misaki atmete schwer und die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten, flossen auch sogleich über ihr Gesicht und sie sackte zusammen. Atsushi, der seine Arme noch fest um sie geschlossen hatte, verhinderte dass sie zu Boden fiel und setzte sie vorsichtig auf die Sitzlandschaft. Dabei löste sich ihr Griff jedoch nicht von dem Rothaarigen und somit war dieser dazu gezwungen, sich ebenfalls zu setzen. Sie drückte ihr Gesicht an seine Brust und schluchzte leise, indessen Chuuya seine Arme vorsichtig um sie legte. Der Weißhaarige streichelte derweil sanft über ihren Hinterkopf, da er sich daran erinnerte, dass es das letzte Mal beruhigend auf sie gewirkt hatte.
Es verging eine Weile, in der Misaki einfach bloß weinte, bis sie sich nach und nach beruhigte. Danach löste sie sich langsam von dem Hutträger und wischte die Tränen aus ihrem Gesicht. Mit gesenktem Kopf wiederholte sie immer wieder, wie leid ihr das alles tat. Sie erinnerte sich zwar bloß wage an das, was geschehen war, aber fühlte sich dennoch schrecklich. Es war beinahe so, als hätte sie in einem Delirium festgesteckt. Das letzte, an was Misaki sich klar erinnern konnte, war, dass sie Dazai geschlagen hatte und danach verschwamm alles. Fast so, als ob sich ein Schleier aus dichtem Nebel über diese Erinnerung gelegt hatte. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie bloß strahlend blaue Augen vor sich gesehen. Augen, die Vertrauen und Sicherheit für sie ausstrahlten, und von Sorge erfüllt gewesen waren. Für einen kurzen Moment dachte sie sogar, diese Augen – mit genau diesem Ausdruck – vor vielen Jahren schon einmal gesehen zu haben. Doch sie wusste, dass das nicht möglich sein konnte. Immerhin kannte sie Chuuya erst wenige Wochen und daher hatte sie sich das bestimmt bloß eingebildet, weil ihr Verstand noch wie benebelt gewesen war.
Misaki erhob sich vorsichtig, ehe sie an dem Rothaarigen vorbeiging und sich neben Dazai setzte. Es hatte zwar niemand darüber gesprochen, aber sie war sich sicher, dass sie beinahe Bloodlust an dem Braunhaarigen angewandt hätte. Auch wenn ihm nichts geschehen wäre, da seine Fähigkeit die Ihre neutralisierte, wollte sie sich unbedingt dafür entschuldigen. Denn allein die Tatsache, dass sie es tatsächlich getan hätte – ob nun bewusst oder nicht – war unerträglich. Deshalb senkte sie ihren Kopf, bevor sie zu sprechen begann.
 
„E-Es tut mir so schrecklich leid, dass ich fast… also dass ich…“, sagte sie mit leiser und belegter Stimme, während sie die rechte Hand vor ihr Gesicht hielt und diese anstarrte.
 
Dazai winkte dies jedoch bloß ab und legte eine seiner Hände auf ihren Kopf, während er schmunzelte. Er wusste, dass es nicht Misakis Absicht gewesen war und er es wohl selbst provoziert hatte. Immerhin hatte der Braunhaarige sie genauestens beobachtet und wusste, dass ihr geistiger Zustand zeitweise ziemlich instabil werden konnte. Auch wenn sie es immer gut versteckt hatte und sich nie etwas anmerken ließ, so war es ihm dennoch nicht entgangen. Und Dazai war auch von Anfang an bewusst gewesen, dass sie von der Zeit im Labor ein tiefsitzendes Trauma hatte. Das war auch einer der Gründe, weshalb er Misaki auf die gleiche Weise helfen wollte, wie er es bei Atsushi getan hatte. Natürlich wusste er, dass diese Vorgehensweise hart war. Doch er würde dies nicht tun, wenn er sich nicht absolut sicher wäre, dass es funktionieren würde. Es dauerte bloß eine Weile und da nun der Punkt erreicht worden war, an dem es vollends zum Vorschein kam, würde die Heilung langsam einsetzen. Denn mit etwas Zeit, und mithilfe der Zuneigung und Fürsorge, die sie zusätzlich von Atsushi und Chuuya bekam, würde Misaki sich Stück für Stück davon erholen. Vor allem dann, wenn dieses Labor von der Bildfläche verschwinden und sie endgültig davon befreit werden würde.

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