6. Verschwunden

»Du kannst dir doch vorstellen, wo Misaki-chan hingehen wird. Du weißt also, wo sie sein wird. Sei zumindest so fair und lass ihnen diese eine Nacht, Chibi. Und wenn sie morgen zurückkommt, dann redet ihr«, sagte Dazai, der Chuuya weiterhin festhielt und daran hinderte, das Apartment zu verlassen.
Angesprochener zischte genervt, riss sich los und stürmte in die Küche. Natürlich konnte Chuuya sich denken, wo Misaki hingehen würde und natürlich wusste er auch, dass sie wieder zurückkommen würde. Und dass es ungerecht wäre, wenn er sie einfach davon abhalten würde, obwohl er doch seine eigene Regel gebrochen hatte und diese Situation bloß deswegen entstanden war. Wäre Chuuya standhaft geblieben und hätte sich nicht auf Dazai eingelassen, dann hätte er dieses Problem nun nicht. Er wusste, dass er selbst die Schuld trug und Misaki berechtigterweise wütend weggelaufen war. Aber der Teil in ihm, der sich aus mehreren Gründen Sorgen machte, wollte ihr dennoch schnellstmöglich nachlaufen und sie zurückholen. Allerdings unterdrückte Chuuya dieses Verlangen nun, da er widerwillig zugeben musste, dass Dazai mit seiner Aussage Recht hatte. Er seufzte und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Sitzlandschaft setzte, das Weinglas, welches noch auf dem Teppich lag, aufhob und sich etwas von der roten Flüssigkeit eingoss. Dazai setzte sich ebenfalls und beobachtete Chuuya schmunzelnd dabei, wie er sein Glas in einem Zug leerte und es anschließend erneut mit Wein füllte.
»Hattest du überhaupt vor, mit Misaki zu sprechen oder bist du gekommen, um genau das zu erreichen? Hast du wiedermal mit mir gespielt, um deinen Plan effizient und erfolgreich umzusetzen?«, fragte er tonlos.
»Ob du es glaubst oder nicht, aber so hatte ich das nicht geplant. Ich wollte tatsächlich mit ihr sprechen und zwar über Atsushi-kun, aber das hat sich nun wohl erübrigt«, antwortete Dazai schulterzuckend und zufrieden lächelnd. »Allerdings habe ich so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, oder? Immerhin hatte ich dir damals - als Misaki-chan uns auf dem Flur erwischt hatte - gesagt, dass wir das ein anderes Mal fortführen würden«, fügte er grinsend hinzu.
Chuuya schnaubte verächtlich und leerte sein Glas erneut viel zu schnell.
»Und was bezweckst du damit? Dadurch hat sich nichts geändert und das wird es auch in Zukunft nicht. Die Lage ist noch immer dieselbe und solange unsere Organisationen verfeindet sind, wird das auch so bleiben. Du machst es für alle Beteiligten bloß schwerer und schlimmer... Ist dir das bewusst? Oder lässt du andere einfach so gerne leiden und der Rest ist dir egal?«
»Du solltest aufhören zu trinken, Chibi. Deine Toleranz für Alkohol ist viel zu niedrig und du wirst immer sentimental, wenn du trinkst«, erwiderte Dazai seufzend.
»Und du solltest aufhören, die Fragen anderer zu ignorieren... Wenn es dich stört, dann verschwinde doch einfach, so wie es immer der Fall war... Damit tust du uns beiden einen Gefallen.«
»...Vielleicht hast du recht...«
Dazai erhob sich und verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, das Apartment. Währenddessen war Chuuya gerade dabei, das nächste Glas zu leeren und erneut zur Weinflasche zu greifen. Es überraschte ihn zwar, dass sein ehemaliger Partner der Aufforderung einfach nachgekommen und wortlos gegangen war, aber je mehr er trank, desto gleichgültiger wurde es ihm. Der Alkohol wirkte betäubend - sowohl psychisch, als auch physisch. Chuuya hatte gerade keine Lust, sich mit seinen Gefühlen oder Gedanken auseinanderzusetzten und so ertränkte er sie einfach, bis sie schließlich still waren und er irgendwann einschlief.
Als Chuuya am nächsten Morgen aufwachte, brummte sein Schädel und er fühlte sich elend. Er hatte schon lange keinen so schlimmen Kater gehabt, aber bei der Menge, die er getrunken hatte, überraschte es ihn auch nicht sonderlich. Grummelnd und langsam setzte er sich auf, ehe er die kupferroten Locken, die in seinem Gesicht klebten, hinter sein Ohr strich und sich umsah. Chuuya hatte offensichtlich nicht nur eine Flasche geleert, sondern auch noch eine zweite. Zumindest sah es danach aus, da zwei leere Flaschen vor ihm auf dem Tisch standen. Er seufzte und fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht, bevor er sich vorsichtig erhob und in Richtung der Küche schlurfte. Seine Schritte waren zwar etwas wackelig, aber er schaffte es dennoch ohne Probleme.
Nachdem Chuuya ein Glas Wasser getrunken hatte, begab er sich sofort ins Badezimmer, um zu duschen und seine Zähne zu putzen. Er konnte den Geruch von Alkohol, der an ihm haftete, keine Sekunde länger ertragen. Danach ging er automatisch, so wie er es beinahe jeden Morgen tat, zu Misakis Zimmertür und wollte sie wecken. Bis ihm plötzlich wieder einfiel, was gestern passiert war. Eilig öffnete Chuuya die Tür, doch das Zimmer war leer und es sah auch nicht so aus, als ob sie hier gewesen wäre. Danach holte er fluchend sein Handy und wählte Misakis Nummer, aber er wurde sofort an die Mailbox weitergeleitet. Er hatte sofort ein ungutes Gefühl, denn es kam nie vor, dass sie nicht erreichbar war. Sie wusste nämlich, wie Chuuya darauf reagieren würde und hatte ihm deshalb versichert, dass sie immer darauf achten würde. Und er wusste, dass Misaki zuverlässig war und ihr Wort diesbezüglich hielt, weshalb ihr etwas passiert sein musste. Anders konnte er es sich einfach nicht erklären, obwohl er inständig hoffte, dass er sich irrte und sie bloß keinen Akku mehr hatte, weil sie bei Atsushi war. Besorgt und aufgebracht wählte er Dazais Nummer, doch wie erwartet ging dieser nicht an sein verdammtes Handy. Wozu hatte er das Ding überhaupt, wenn er ohnehin nie erreichbar war? Chuuya fluchte laut und beschloss, dass er den Detektiven einen Besuch abstatten musste. Nicht nur, um Dazai zu erwürgen, weil er ihn gestern zurückgehalten hatte, sondern auch, um mit Atsushi zu sprechen und der Sache auf den Grund zu gehen. Deshalb machte er sich schnellstmöglich ausgehfertig und verließ dann stürmisch sein Apartment.

Als Chuuya vor der Tür stand, die zum Büro der Detektive führte, atmete er tief durch und trat diese anschließend wütend auf. Alle Anwesenden sahen ihn kurzzeitig überrascht an, ehe sie sich blitzartig bereit machten, ihn anzugreifen. Doch Dazai riet ihnen, sich wieder zu beruhigen und beschwichtigte alle mehr oder minder. Sie beobachteten Chuuya dennoch ganz genau und voller Misstrauen, als er in das Büro kam und auf Atsushi zustürmte. Er blieb bloß wenige Meter vor dem Weißhaarigen stehen, ehe er zu sprechen begann.
»Wo ist Misaki?! Und versuch gar nicht erst mich zu belügen, denn ich weiß, dass sie bei dir war!«
»Aber sie müsste doch bei dir sein... Sie hatte sich heute Morgen auf den Weg gemacht und gesagt, dass sie mit dir sprechen muss...«, erwiderte Atsushi erschrocken und besorgt.
»Fuck...«, fluchte Chuuya leise, ging dann auf Dazai zu und packte ihn am Kragen, »Das ist deine Schuld, du Bastard! Wenn du mich nicht zurückgehalten hättest, dann hätte ich sie einfach einholen und zurückholen können... Wenn Misaki irgendetwas passiert ist, dann bringe ich dich um!«
»Ganz ruhig, Chibi. Wir werden sie schon finden.«
»WIR werden gar nichts tun, denn IHR haltet euch da raus!«, fauchte Chuuya und stieß Dazai von sich. Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte auf die Tür zu, um das Büro zu verlassen.
»Chuuya-san, bitte warte! Lass uns doch helfen, denn zusammen finden wir sie bestimmt schneller...«, rief Atsushi flehend.
»Ich brauche eure Hilfe nicht! Ihr habt schon genug angerichtet, genauso wie ich selbst...«, erwiderte Chuuya verbittert, ohne sich umzudrehen und verschwand schließlich.
Danach stand Atsushi minutenlang einfach nur still da und reagierte nicht, wenn man ihn ansprach - der Schock und die Sorge waren ihm deutlich anzusehen. Er machte sich Vorwürfe, weil er nachgegeben und nicht darauf bestanden hatte, Misaki zu begleiten. Wenn er doch bloß hartnäckiger gewesen wäre, dann wäre sie nun nicht verschwunden. Aber so wusste Atsushi gar nichts und hatte ihr auch nicht helfen können... Er fragte sich, ob es ihr wohl gut ging, ob sie verletzt war, ob sie Schmerzen hatte, ob sie leiden musste und wo sie bloß sein konnte. Es waren doch erst ein paar Stunden vergangen, seitdem er zuletzt mit Misaki gesprochen hatte...
»Atsushi … Atsushi, hör mir zu«, sagte Dazai ruhig und legte seine Hände auf die Schultern des Weißhaarigen, »Wir werden Misaki-chan finden, aber dafür musst du dich beruhigen und konzentrieren, verstanden?«
Atsushi atmete tief durch, hob seinen Blick und nickte entschlossen. Er vertraute Dazai, und offensichtlich hatte dieser auch schon eine Idee, was sie nun tun können.
»Gut, dann hör mir zu. Wir gehen jetzt zurück zum Wohnheim und dann verfolgen wir die Spur von Misaki-chan. Das sollte mit dem Geruchsinn des Tigers ein Kinderspiel sein, oder?«
Während der Weißhaarige eifrig nickte und am liebsten sofort losgerannt wäre, kam Kunikida auf sie zu und besah beide – aber vor allem Dazai – mit einem strengen Blick.
»Ihr werdet nicht einfach die Arbeit liegen lassen, um jemanden von der Mafia zu suchen! Das kommt nicht in Frage!«
»Aber Kunikida-kun... Sie ist eine Jungfrau in Nöten, die darauf wartet, von ihrem Prinzen errettet zu werden. Ist das nicht romantisch? Und wir können jemanden, der dringend unsere Hilfe benötigt, nicht einfach im Stich lassen, oder? Das entspricht doch bestimmt nicht deinen Idealen«, trällerte Dazai und beobachtete dabei, wie sich durch das Gesagte die Mimik und Körperhaltung seines Partners veränderte. Er wusste eben meist genau, was er sagen musste, um Kunikida zu überzeugen. Und noch bevor der Blondhaarige etwas erwidern konnte, waren die Beiden bereits verschwunden.

Als Atsushi und Dazai bei ihrem Wohnheim angekommen waren, schloss der Weißhaarige kurz seine Augen und konzentrierte sich darauf, Misakis Geruch wahrzunehmen. Er konnte den Geruchsinn des Tigers mittlerweile auch nutzen, ohne sich zuvor verwandeln zu müssen, was in vielerlei Hinsicht praktisch war. Und es dauerte nicht lange, bis Atsushi die Spur ausfindig gemacht hatte und gemeinsam mit Dazai losgerannt war. Sie folgten der Fährte durch viele Gassen, die größtenteils eng, düster und menschenleer waren. Die Mauern und Wände waren voller Graffiti, überall lagen leere Dosen und anderer Müll auf dem ohnehin schon schmutzigen Boden, der Putz löste sich von den Fassaden der Gebäude und die Mülltonnen waren meist umgeworfen oder zerstört. Alles in allem waren es Wege, die man nicht gehen sollte und schon gar nicht alleine. Das alles verstärkte Atsushis Schuldgefühle, weil er Misaki nicht begleitet hatte, umso mehr. Sie war zwar ein Mitglied der gefürchteten und berüchtigten Port Mafia, konnte sich wehren und gut auf sich selbst aufpassen, aber das war dennoch keine Garantie dafür, dass ihr nichts passieren konnte. Meist reichte schon ein kleiner Moment der Unachtsamkeit aus, in dem man sich viel zu sicher fühlte und sich keine großen Gedanken machte, um in große Schwierigkeiten zu geraten.
In einer der Gassen, in der er Misakis Geruch stärker wahrnahm als zuvor, blieb Atsushi plötzlich stehen. Er sah sich ganz genau um und entdeckte etwas, dass auf dem Boden lag. Eilig hob er es auf und klopfte vorsichtig den Staub und Schmutz ab.
»Dazai-san!«, rief er unruhig und zeigte seinem älteren Kollegen, was er gefunden hatte, »D-Das ist Misakis Halskette...«
Der Braunhaarige nahm die Kette, an der eine rote Feder befestigt war, an sich und betrachtete sie einige Momente ganz genau. Danach sah er sich den Fundort und dessen Umgebung genauer an. Dazais wachsamen Augen entging nichts, nicht mal das allerkleinste und unscheinbarste Detail. Doch die Fußabdrücke, die er vor Ort fand, könnten auch von jedem beliebigen Kleinkriminellen stammen, der diese Gassen ebenfalls genutzt hatte. Denn in der Unterwelt nutzte jeder solch düstere und menschenleere Wege, entweder für illegale Geschäfte oder zur Flucht. Daher war es schwer festzustellen, ob dies nun ein brauchbarer Hinweis war oder nicht. Aber Dazai fragte sich, ob Misaki diese Kette wohl absichtlich verloren hatte, weil sie gehofft hatte, dass die Mafia oder die Detektive sie finden würde. Immerhin konnte ihr Verschwinden nicht unbemerkt bleiben. Und es wäre ihr definitiv zuzutrauen, dass sie sogar in einer Notsituation, in der sie nur ein paar wenige Sekunden hatte, blitzschnell reagieren und einen eindeutigen Hinweis hinterlassen würde. Dadurch wollte Misaki ihnen offensichtlich mitteilen, dass sie entführt wurde und keine Zeit gehabt hatte, um sich zu verteidigen. Denn ansonsten würde man hier ebenfalls Kampfspuren oder Blutspuren finden, da sie nicht gezögert hätte, ihren Angreifer zu bekämpfen. Es musste sich also um einen Hinterhalt gehandelt haben. Aber wie hatte sie nicht bemerken können, dass ihr jemand gefolgt war? Misakis Sinne waren außerordentlich geschärft und sie war eigentlich immer ziemlich wachsam. Also wie konnte das möglich sein? Dazai dachte angestrengt nach, bis ihm etwas bestimmtes in den Sinn kam, aber er musste sichergehen und brauchte daher eine Bestätigung.
»Atsushi-kun, du bist hier doch stehengeblieben, weil Misakis Geruch hier am stärksten war, was mitunter an der Halskette lag... Ist die Spur nur hier so deutlich wahrzunehmen, oder auch auf dem weiteren Weg?«
Atsushi rannte um die Ecke und überprüfte sogar die darauffolgende Gasse, doch die Fährte wurde immer schwächer. Danach eilte er schnellstmöglich zu Dazai zurück, der auf ihn wartete und bereits ahnte, was der Jüngere ihm sagen würde.
»Die Spur wird immer schwächer, je weiter ich mich von dieser Gasse entferne...«, teilte Atsushi ihm betrübt mit.
»Das dachte ich mir bereits...«, seufzte Dazai.
»Und was bedeutet das, Dazai-san?«
»Das bedeutet, dass wir ihre Spur nicht weiterverfolgen können und es schwieriger wird, sie zu finden. Offensichtlich wurde eine Fähigkeit, wie Teleportation oder etwas ähnliches verwendet, um Misaki-chan wegzubringen.«
»Aber... was sollen wir jetzt tun? Wir müssen sie doch unbedingt finden!«
»Mach dir keine Sorgen, wir werden sie finden. Ich sagte, dass es schwieriger wird und nicht, dass es unmöglich wäre, Atsushi-kun. Aber zuvor müssen wir noch mit dem Hutständer sprechen, denn der Angreifer muss schon Kontakt zur Mafia und dadurch auch zu Misaki-chan gehabt haben. Chuuya muss also etwas wissen, dass uns weiterhelfen kann.«

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Misaki kam langsam wieder zu sich und fühlte sofort einen pochenden Schmerz, der von ihrem Hinterkopf ausging. Sie kniff ihre Augen fester zusammen und wollte die Stelle mit einer ihrer Hände abtasten, doch dann fiel ihr auf, dass sie weder ihre Arme, noch ihre Beine richtig bewegen konnte. Der Untergrund, auf dem sie lag, war weich und gab etwas nach, wenn sie versuchte sich zu bewegen. Doch an ihren Handgelenken und Knöcheln konnte sie deutlich hartes, kaltes Metall spüren. Langsam und murrend öffnete Misaki ihre Augen, nur um sie dann gleich wieder zu schließen, da sie von hellem Licht geblendet wurde. Sie blinzelte einige Male irritiert, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Danach drehte sie ihren Kopf leicht zur Seite und richtete den Blick auf eines ihrer Handgelenke und die Fessel, welche mit einer kurzen, dicken Eisenkette am Kopfende eines Bettgerüstes aus Metall befestigt war. Sie fluchte leise, während sie an den Ketten zerrte, mit welchen sie an ein Bett gefesselt worden war. Doch leider bezweckte das nichts, außer dass sie Lärm erzeugte. Woraufhin kurze Zeit später die Tür geöffnet wurde, die in dem Raum führte, in welchem Misaki sich befand.
»Endlich bist du aufgewacht... Ich dachte schon, dass dieser Idiot dich beschädigt hätte, weil er so stark zugeschlagen hatte. Dabei sage ich ihm immer wieder, dass er vorsichtig mit meinen Püppchen umgehen soll. Das vorherige Modell war auch nur seinetwegen kaputt gegangen... Aber mach dir keine Sorgen, denn auf dich, meine liebe Misaki, werde ich besonders gut aufpassen!«
Misaki musste den grauhaarigen Mann nicht erst sehen, um zu wissen, wer er war. Diese Stimme hatte sie bisher zwar nur ein einziges Mal gehört, aber sie würde sie dennoch immer wiedererkennen. Und als sie dann seine stechend roten Augen sah, deren Blick sie erneut zu durchbohren schien, erstarrte sie augenblicklich. Misaki fühlte sich hilflos und ausgeliefert, da sie sich nicht bewegen und somit auch nicht wehren konnte. Selbst ihre Fähigkeit konnte sie so nicht benutzen, da sie keine Verletzung hatte und sich gefesselt auch keine zufügen konnte. Stattdessen konnte sie ihn einfach nur schockiert anstarren und hoffen, dass er ihr nicht zu nahe kommen würde.
»Jetzt sieh mich doch nicht so ängstlich an, kleines Fräulein. Dir wird nichts passieren, denn ich achte sehr gut auf meine Püppchen. Und solange du brav bist, darfst du auch die Kontrolle über dich selbst behalten«, sagte Mario lächelnd und setzte sich an den Rand des Bettes, »Aber nun lass uns über etwas Anderes sprechen … Wie gefällt dir denn dein neues Kleid?«
Misaki sah den Grauhaarigen verständnislos an, bis sie an sich herabblickte und feststellte, dass sie tatsächlich andere Kleidung trug. Ihre Augen weiteten sich erschrocken und sie fragte sich, wie ihr das bisher entgangen sein konnte. Dabei war sogar das Gefühl des Stoffes ganz anders, als das ihrer normalen Kleidung. Denn nun trug sie ein schwarz-weißes Lolitakleid mit Rüschen, welches stark an die Uniform eines Dienstmädchens erinnerte.
»Du... Du perverses Schwein hast mich umgezogen?!«, erwiderte Misaki entsetzt.
»Natürlich, das war notwendig! Immerhin war deine vorherige Kleidung schmutzig und angesichts deines Aussehens auch deiner unwürdig. Denn deine Haut ähnelt wunderschönem Porzellan, auch wenn sie nicht so makellos ist. Aber das ist nichts, was störend wäre! Deine Augen sind wie Smaragde und manchmal leuchten sie wie Rubine. Deine Haare sind weiß, so wie reiner Schnee und dieser allgemein zierliche Körper... Du bist einfach das ideale Püppchen, liebe Misaki! Als ich dich gesehen hatte, wusste ich sofort, dass ich dich einfach haben muss und nun gehörst du mir!«, verkündete Mario voller Begeisterung.
»Du kranker Bastard... Ich bin keine Puppe, sondern ein Mensch und ich gehöre dir auch nicht! Und wenn du mich noch einmal anfassen solltest, dann töte ich dich! Hast du mich verstanden?!«
Das fröhliche Lächeln verschwand aus Marios Gesicht und wich einem unheimlichen, verschlagenen Grinsen, welches Misaki einen unangenehmen Schauer durch den Körper jagte.
»Vergiss nicht, was ich zuvor gesagt habe. Solange du brav bist, darfst du die Kontrolle über dich selbst behalten. Aber solltest du ungezogen sein, dann kann sich das durch meine Fähigkeit ganz leicht und schnell ändern. Dann wärst du eine willenlose Marionette und würdest alles tun, was ich dir sage. Ich könnte dich sogar dazu bringen, deine geliebten Freunde zu töten«, säuselte Mario bedrohlich.
Erschüttert sah Misaki den Grauhaarigen an, welcher seine Hand nach ihr ausstreckte und sanft über ihre Wange streichelte. Sie fragte sich, ob er das wirklich tun könnte, oder ob er es bloß vorgab, damit sie keinerlei Widerstand leisten würde. Hatte er wirklich eine so gefährliche Fähigkeit? Sollte sie es riskieren und hoffen, dass es nur eine Lüge war, um sie einzuschüchtern? Oder könnte es rein taktisch gesehen sogar vorteilhaft sein, wenn sie es darauf anlegen und es zulassen würde? Denn Dazai könnte zumindest ihre eigene Fähigkeit neutralisieren und so dafür sorgen, dass sie niemanden umbringen würde. Aber könnte das wirklich funktionieren, oder war das Risiko doch zu hoch? Denn wenn Misaki es nicht riskieren wollte, dann blieb ihr tatsächlich bloß eine andere Möglichkeit... Sie müsste sein Spielchen mitspielen und darauf warten, dass sie gerettet werden würde. Immerhin würde man bestimmt nach ihr suchen und sie hatte sogar ihre Kette als Hinweis in dieser Gasse zurückgelassen, weil sie sich absolut sicher gewesen war, dass sie gefunden werden würde. Misaki vertraute darauf, dass Atsushi, Chuuya und Dazai sie finden und befreien würden. Vielleicht war es also wirklich die beste und sicherste Möglichkeit, vorerst mitzuspielen... Und je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich, dass sie kein Risiko eingehen wollte und stattdessen durchhalten musste. Denn es wäre viel schlimmer für sie, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren würde und um das zu verhindern, würde sie sogar erneut und freiwillig durch die Hölle gehen.

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