Kapitel 8 Miyu
Die Sonne ist fast komplett am rot schimmernden Horizont verschwunden, Akari war seit einer gefühlten Ewigkeit eilig verschwunden und ich finde mich erneut auf dem Dach wieder.
„Was tue ich hier eigentlich?", frage ich mich selbst irritiert und trete seufzend von dem Geländer weg. Sobald meine Freundin verschwunden war, trugen mich meine Füße automatisch wieder nach oben in der Hoffnung, er würde doch noch auftauchen. Und nun stehe ich hier wie ein Vollidiot. Kopfschüttelnd drehe ich mich um und schäme mich regelrecht für mein idiotischen Verhalten, dass das einer Sechzehnjährigen gleicht, weshalb ich eilig die Tür öffne und die Treppen runter laufe. In der Halle wimmelt es bereits von den Beachbewohnern, die sich langsam zu Teams zusammenschließen, als ich ankomme und hoffnungsvoll nach Akari Ausschau halte. Doch meine Freundin war nirgends zu sehen. Anscheinend steckt sie noch immer auf der Krankenstation fest und ich frage mich, wie schlimm die Situation dort unten sein muss. Seufzend ziehe ich mich etwas aus dem Gewimmel zurück und lehne meinen Körper gegen eine der Säulen in der Halle. Eigentlich habe ich noch genügend Visa, aber es würde auffallen, wenn ich nicht wie die anderen alle drei Tage in die Spiele gehe und mein Leben für die Karten riskiere. Doch heute würde ich wohl alleine losziehen müssen. Auf der anderen Seite der Halle erkenne ich Kiko, die zusammen mit drei weiteren Mädchen und vier Jungs ein Team bildet, während alle anderen eine Traube um die Top10 gebildet haben.
„Beachbewohner!" Die Worte des Hutmachers hallen durch das Gebäude, als er mit ausgebreiteten Armen auf der Empore steht. Neben ihm tauchen auch Aguni und sein Militärtrupp auf, die uns von oben herablassend betrachten. Nur von Niragi und Last Boss fehlt jede Spur, die anscheinend für eine Patrouille eingeteilt sind, um die Bewohner in die Halle zu jagen. Und das meine ich Wort wörtlich. Neugierig neige ich den Kopf, als alle verstummen und ihre Aufmerksamkeit auf den Hutmacher richten.
„Die letzten Tage waren anstrengend, brutal und erschöpfend. Ich weiß, dass wir mehr Verluste als Gewinne gemacht haben aber trotz alldem sind wir unserem Ziel mit jedem Spiel einen Schritt näher gekommen, dank euch!" Die Menge bricht in Jubel aus, jedoch nicht aus Freude, sondern um sich gegenseitig zu motivieren und anzuspornen. „Wir haben wieder Vorräte, die Krankenstation wurde mobilisiert und durch den kommenden Regen füllt sich unser Wasser ebenfalls. Deswegen möchte ich, dass ihr heute alles in den Spielen gebt, um so viele Karten wie möglich zu ergattern. Ihr seid die Säulen des Beaches, ohne euch werden wir unser Ziel nie erreichen!" Erneut bricht die Menge in Jubel aus, hier und da schubsen sich welche vor Begeisterung, manche springen und winken dem Hutmacher zu, der lächelnd seine Arme erneut ausbreitet. Sein Plan die Menge anzuheizen scheint funktioniert zu haben, denn einige stürmen bereits feiernd aus dem Gebäude raus, konfiszieren die ersten Autos, während andere sich nun ernsthaft mit anderen zusammenschließen. Ich werfe einen erneuten Blick zu Takeru, der das Treiben beobachtet, während Aguni ihm etwas ins Ohr flüstert. Das zuvor breite Grinsen ist schon lange aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen wird es durch eine gerunzelte Stirn ersetzt und mir gehen hundert Fragen durch den Kopf, was Aguni ihm gesagt haben könnte, um so eine Reaktion auszulösen.
„Sie jagen mehrere Verräter." Erschrocken zucke ich zusammen. Ich merke, wie mein Herz kurz aussetzt, als er neben mich tritt und die Hände in die Hosentasche gleiten lässt. Dabei stößt er leicht die Luft aus und wirft mir mit hochgezogener Augenbraue einen kurzen Blick zu.
„Was?", frage ich verwirrt, da mein Gehirn mit Chishiyas erscheinen einen Totalausfall hat. Schluckend versuche ich meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, der von dem Schreck nun schmerzend gegen die Brust hämmert.
„Eine Gruppe von Spielern hat Karten zurückgehalten. Agunis Militärtrupp sucht gerade nach ihnen. Anscheinend haben sie die Verräter noch nicht gefunden. Das wird er Hutmacher ausgerichtet haben." Ich blinzle mehrmals bei seinen Worten, richte dann meinen Blick wieder auf Takeru, der nun in ein Gespräch mit Aguni vertieft ist und dabei gar nicht erfreut aussieht.
„Deswegen fehlen Niragi, Last Boss und einige der Führung", schlussfolgere ich und Chishiya nickt leicht lächelnd neben mir. „Woher weißt du das mit den Verrätern?"
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten, weshalb der Hutmacher so reagieren könnte. Entweder wegen dem Militärtrupp oder einem Verräter. Seine Stirn ist gerunzelt, er ballt die Hände so fest zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervorstehen und sein Körper zittert leicht, was man an der Kleidung erkennt. So reagiert Takeru nicht, wenn es Probleme mit dem Militärtrupp gibt. Nur Verräter machen ihn so rasend vor Wut." Noch während Chishiya spricht, wirbelt der Hutmacher herum, sodass sein geöffneter Kimono beinah das Fliegen erlernt, und verschwindet zusammen mit Aguni und der restlichen Führung von der Empore. Ich bin erneut erstaunt über Chishiyas Auffassungsgabe. Ihn als Gegner zu haben, wäre keine schlaue Idee und ich merke, wie ich bei diesem Gedanken nervös werde.
„Miyu." Bei dem Ruf meines Namens reißt sich meine Aufmerksamkeit von Chishiya los, der meinen Blick erwidert und nun auch den Kopf in Richtung der Stimme dreht. Mako kommt uns winkend entgegen, gefolgt von Sato, Raidon und drei anderen Mädchen, die aufgeregt mit einander tuscheln und kichernd die drei Kerle mustern. Lächelnd empfange ich Mako, der nun vor mir stehen bleibt, wobei seine Mundwinkel ebenfalls nach oben zucken.
„Ich habe von dem Überfall gehört. Geht es deinem Arm gut?" Verwundert hebe ich meine Augenbraue und werfe dann Sato mit zugekniffenen Augen einen kurzen Blick zu, der sich grinsend hinter Raidon versteckt. Diese Tratschtante kann nie seine Klappe halten.
„Es ist nur ein blauer Fleck. Keine Sorge, mir geht es gut", antworte ich lächelnd und sehe die Erleichterung in seinen braunen Augen aufleuchten. Auf eine gewisse Art finde ich Makos besorgtes Verhalten niedlich und es zeigt mir, dass es doch noch Menschen gibt, die sich um andere kümmern.
„Willst du dich unserem Team anschließen?" Nachdenklich beiße ich mir auf die Lippe, obwohl die Antwort für mich schon seit Akaris verschwinden, feststeht.
„Ich gehe heute alleine", antworte ich daher mit einem entschuldigenden Lächeln, was Mako nicht zu gefallen scheint. Er fährt sich mit den Händen durch die Haare, wendet den Blick kurz ab und die Besorgnis taucht erneut in seinem Gesicht auf.
„Miyu, du bist noch immer verletzt. Die Spiele sind riskant. Bitte geh nicht allein." Wenn ich kein Dealer wäre, hätte ich seinem Vorschlag sofort zugestimmt, doch dieses Mal bin ich alleine besser dran. Ich möchte gerade etwas erwidern, als sich eine warme Hand sanft um mein Gelenk legt.
„Sie geht nicht alleine, sondern mit mir." Ich schaue Chishiya irritiert an, der völlig emotionslos Mako anstarrt und keine Widerworte, weder von mir noch von seinem Gegenüber duldet. Dann zieht er mich mit sich und völlig perplex stolpere ich hinter ihm her. Was war das für eine Aktion? Wieso soll ich mit Chishiya ein Team bilden? Dem Kerl, der sonst immer alleine unterwegs ist? Als wir den Beach verlassen, löst sich sein Griff von meinem Handgelenk und er bleibt kurz stehen, um mich zu mustern, während ich das Geschehene noch immer zu verarbeiten versuche.
„Mako hat recht. Du solltest nicht alleine gehen. Aber zwei sind besser als sechs, oder?"
„Machst du dir Sorgen?", platzt es aus mir heraus und sein Blick schweift an mir vorbei, während ein kurzes Schnaufen, gefolgt von einem minimalen Lächeln aus ihm herausbricht.
„Kann sein." Dann zieht Chishiya eine Augenbraue hoch und sein Mundwinkel hebt sich etwas mehr, ehe er sich abwendet, und die Straße hinunterläuft, in Richtung der Stadt. Ungläubig starre ich ihm hinter her, als auch meine Füße sich endlich in Bewegung setzen. Chishiya selbst klang überrascht von sich und mein Herz schlägt mittlerweile so schnell, dass ich das Gefühl habe umzufallen. Ich verstehe diesen Kerl einfach nicht. Er kann skrupellos und angsteinlösend sein und dann macht er sich plötzlich Sorgen um eine fremde Person?
„Versteh einer die Männer."
Das Hochhaus ist riesig und der überdimensionale LED-Schirm erhellt die komplette Umgebung, lädt sämtliche Spieler in der Nähe zu einem neuen Spiel ein und doch sind die Straßen leer. Schweigend betreten Chishiya und ich das Gebäude, greifen uns jeweils ein Handy, ehe wir vor einem Fahrstuhl auf die restlichen Spieler warten, die mit der Zeit auftauchen.
„Registrierung abgeschlossen. Das Spiel beginnt nun", verkündet die technische Stimme und ich stelle fest, dass sich uns zehn weitere Menschen angeschlossen haben. Zwei davon sehen wie Serienkiller aus, als sie mit finstrem Blick jeden Einzelnen mustern und ihre fettigen Strähnen unsauber zu einem Zopf hochgebunden sind. Drei junge Mädchen schauen sich irritiert um, anscheinend ist es ihr erstes Spiel, denn sie fragen den Mann neben sich, was genau hier vor geht. Dieser wendet sich aber mit einem genervten Blick ab und verschränkt die Arme. Nur die ältere Frau, die das Spektakel beobachtet, scheint Mitleid mit den Neulingen zu haben.
„Versucht einfach zu überleben", sagt sie lächelnd. Mein Blick wandert zu Chishiya doch der interessiert sich in keiner Weise für die anderen. Viel mehr schaut er auf sein Handy, was die nächsten Informationen für uns bereit hält.
„Spiel: Feuer, Wasser, Sturm. Schwierigkeitsgrad Pik 8." Meine Gedanken rasen, als mir bewusst wird, dass Akari dieses Spiel erstellt hat und ich keinen blassen Schimmer habe, wie genau die Regeln und Überlebenschancen sind.
„Regel: Erreicht in der vorgegeben Zeit die angezeigten Etagen. Feuer, sucht euch eine Ecke. Wasser, sucht nach einer Plattform. Sturm, legt euch auf den Boden. Ziel: Innerhalb der vorgegeben Zeit das Gebäude verlassen." Mit einem lauten Ping öffnet sich die Fahrstuhltür hinter uns und ich zucke zusammen.
„Los geht's", sagt Chishiya neben mir und klingt dabei so sorglos, als wüsste er bereits, wie man das Spiel gewinnt. Dabei hat ein Pik-Spiel nichts mit Logik zu tun. Hier geht es um unsere körperliche Kraft und Ausdauer und das Level war zu hoch, um keine Angst zu bekommen. Wie kann er also so ruhig bleiben? Tief einatmend steige ich in den Fahrstuhl, der uns in das oberste Stockwerk fährt. Noch beim Austreten merke ich, wie mein zweites Handy in der Hosentasche kurz vibriert. Eilig greife ich danach und werfe einen kurzen Blick auf den Bildschirm, der mir meine Dealer Aufgabe anzeigt.
„Spiel: Feuer, Wasser, Sturm. Schwierigkeitsgrad Pik 8. Ziel: Lasse niemanden am Leben." Mein Herz setzt aus. Hinter mir rempelt mich jemand an, damit ich aus dem Weg gehe, während ich das Handy geistesabwesend zurück in meine Hosentasche schiebe. Dann wandert mein Blick zu Chishiya, der mich ebenfalls anschaut. Was wenn ich mich weigere?
„Die vorgegebene Zeit für die ersten 5 Etagen beträgt 5 Minuten."
„Fünf Minuten? Das ist ja einfach", sagt der Mann lachend, der den Mädchen zuvor nicht helfen wollte. Ich runzle die Stirn und näher mich dem Geländer, um einen Blick nach unten zu werfen.
„Sturm", echot die weibliche Stimme durch das Treppenhaus und reflexartig und ohne nachzudenken, werfe ich mich auf den kalten Boden, was mir zögerlich einige nach machen.
„Wieso legt ihr euch h-" Weiter kam das braunhaarige Mädchen nicht. Aus der Decke fielen klappernd Metallstäbe herunter und als ihr Körper von einem getroffen wurde, wurde sie regelrecht von der Elektrizität gegrillt. Leblos fiel das Mädchen zu Boden, als die Stangen wieder hochfuhren, und Panik sich unter den restlichen Teilnehmern breitmacht. Mit viel Glück war meine Aufgabe als Dealer überfällig. Angsterfüllt stürmen die ersten wie Tiere die Treppe hinunter, schubsen sich gegen Wände oder die Stufen runter, während andere, wie die zwei Serienkiller grinsend hinterher schlurfen.
„Warte noch", sagt Chishiya, als ich ebenfalls losgehen will.
„Uns bleibt nicht mehr viel Zeit", sage ich verwirrt und deute auf mein Handy, was nur noch drei Minuten anzeigt.
„Warte noch, bis die Angsthasen hinter uns los rennen." Langsam verstehe ich Chishiyas Plan. In Panik wird jeder nur an sich selbst denken und egoistisch handeln. Geht man als Letztes, ist die Gefahr gering von anderen verletzt zu werden. Entschlossen drehe ich mich zu den drei Menschen um, die zitternd zusammenstehen und komplett verloren aussehen.
„Wenn ihr noch länger hier bleibt, dann seid ihr die nächsten, die gegrillt werden", sage ich so emotionslos wie möglich und deute mit meinem Finger auf die Decke. Angst spiegelt sich in den Augen der Spieler wieder und als ihre Blicke auf die Leiche fallen, stürmen auch sie in Panik los.
„Skrupellos, mhm?"
„Ich will nichts riskieren", antworte ich Chishiya und eile die ersten Stufen hinunter. Außerdem muss ich meine Aufgabe als Dealer erfüllen. Ich höre ihn hinter mir kurz schmunzeln, ehe auch seine Schritte durch das Treppenhaus hallen.
„Noch dreißig Sekunden", sagt die weibliche Stimme, als wir die letzten Stufen herunter springen. Weiter nach unten geht es nicht, weshalb ich eilig die Tür öffne und beinahe in einen anderen Spieler renne, als ich hindurch trete.
„Die vorgegebene Zeit für diese Etage beträgt eine Minute." Bei dem Anblick des Gangs, der nicht gerade lang ist, gefriert mir beinahe das Blut in den Adern, als mir Akaris Gespräch über dieses Spiel wieder in den Sinn kommt.
„Eine Falle."
„Eine Falle?"
„In den Gängen hat man wenig Zeit, um zu der Tür zu gelangen, die zum nächsten Treppenhaus führen. Und es wird keine Fluchtmöglichkeiten für das Wasser geben. Man muss nur schnell genug rennen."
„Lauf", sage ich mit gebrochener Stimme zu Chishiya, der sich verärgert durch die Spieler drängt und mich fragend ansieht. „Lauf!", zische ich energischer, packe ihn am Handgelenk und renne, so schnell ich kann los.
„Wasser." Wir haben noch nicht einmal die Hälfte des Ganges erreicht, als sich an der Wand hinter uns eine Luke öffnet und Wasser herausschießt. Schreiend setzen sich auch die anderen in Bewegung und rennen um ihr Leben. Ein drahtiger, junger Mann sprintet an uns vorbei und erreicht die Tür als Erstes, die er kraftvoll aufreißt. Für einen Moment denke ich, dass er sie hinter sich schließt, doch mit geweiteten Augen beobachtet er das Chaos hinter uns, was uns droht einzuholen. Keuchend lande ich auf der anderen Seite der Tür und bin erleichtert, als auch Chishiya direkt hinter mir in das Treppenhaus stolpert. Ich sehe noch, wie sich eine der Spielerinnen versucht auf dem Fensterbrett zu retten, doch das Wasser reißt sie gnadenlos unter sich und lässt nur fünf Weitere am Leben, die es rechtzeitig durch die Tür geschafft haben, ehe wir sie schließen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und für einen Moment würde ich gerne eine Pause einlegen, doch das Spiel gibt uns nicht einmal eine Sekunde zum Durchatmen.
„Die vorgegebene Zeit für die nächsten 10 Etagen beträgt 5 Minuten."
Ich bin erschöpft, als wir die dritte Runde erreichen. Meine Beine zittern vor Müdigkeit, meine Klamotten sind von mehreren Wasserrunden durchweicht und mein Arm schmerzt mittlerweile ununterbrochen. Durchschwitzt lasse ich mich gegen die Wand fallen und werfe einen Blick zu Chishiya, der schwer atmend neben mir zum stehen kommt.
„Wie viel Zeit bleibt uns noch?", krächze ich und stoße mich von der Wand ab.
„Drei Minuten", antwortet Chishiya kurz angebunden. Die Müdigkeit spiegelt sich auch in seinem Gesicht wieder, Schweiß hat sich auf seiner Stirn gebildet, seine Arme sind etwas aufgeschürft, nach dem er sich mitten im Lauf auf den Boden hat fallen lassen, um den elektrischen Metallstäben auszuweichen.
„Feuer." Ich höre bereits das Zischen unter meinen Füßen, als ich die Treppe erreiche und reagiere viel zu langsam, als das Feuer aus dem Boden schießt. Ruckartig werde ich von meiner Position gerissen und lande in den Armen von Chishiya, der mit dem Rücken gegen die Ecke der Wand prallt und mich vor den Flammen schützt. Erschrocken presse ich mich enger an seinen Brustkorb, als ich die Hitze an meinem Rücken spüre und auch er legt die Arme enger um mich. Unsere Gesichter sind so nah beinander, dass ich jedes Merkmal genau erkennen kann. Die kleine Narbe an seiner linken Wange, seine dunkelbraunen Augen, in denen sich das Feuer spiegelt und seine durch den Schweiß glänzende Haut. Unter meiner Hand, die auf seinem Brustkorb ruht, kann ich sein Herz spüren, dass unnormal schnell schlägt, was wohl an dem Adrenalin liegt. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Position verharren, aber das Feuer ist längst verschwunden, als ich mich räuspernd von ihm löse und einen Schritt zurücktrete.
„Danke", murmle ich und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich merke, wie meine Wangen glühen und das nicht wegen der Flammen.
„Das war knapp", sagt Chishiya mit zuckender Augenbraue und einem Lächeln, ehe er an mir vorbei geht. Blinzelnd schaue ich ihm nach, als ein brennender Körper von oben durch das Treppenhaus fällt und unten aufschlägt. Doch die Situation lässt Chishiya völlig kalt und er läuft die Stufen weiter hinab, während ich benommen stehen geblieben bin. Ich spüre noch immer seinen hämmernden Herzschlag an meinen Fingern und wie er mich enger an sich heran gedrückt hat. Wieso hatte er mich gerettet? Chishiya war bekannt dafür andere für sich arbeiten zu lassen und sie zu opfern, wenn es sein musste. Wieso also nicht auch mich? Mein Handy reißt mich aus meinen Gedanken, als es erneut vibriert. Vorsichtig schaue ich auf die neue Nachricht und ich merke, wie meine Hände anfangen zu schwitzen.
„Noch zwei Überlebende." Damit waren Chishiya und ein anderer Spieler gemeint, der irgendwo in dem Treppenhaus herumirrte. Mit viel Glück stirbt er noch in dieser Runde doch mein anderes Problem lief gerade vor mir die Stufen hinunter. Meine Hände zittern, bei jedem Schritt und ich überlege fieberhaft, wie ich diese Aufgabe abschließen kann, ohne Chishiya in den Tod zu stürzen, doch eine Lösung gibt es anscheinend nicht. Ich muss ihn umbringen, wenn ich leben will.
„Wasser."
„Shit!", rutscht es mir raus und stürme die Treppe hinunter. Über uns donnern die Wassermassen sintflutartig heraus und panisch springe ich an die Stange, die über dem Fenster hängt, an der sich auch Chishiya festklammert. Rauschend schießt das Wasser unter uns vorbei und stöhnend vor Schmerzen und Erschöpfung ziehe ich mich ein Stück höher, als die Flut meinen Fuß berührt. Neben uns klatscht der leblose Körper eines Mannes an die Wand, ehe er weitergetragen wird, und das Vibrieren meines Handys bestätigt mir, dass nur noch einer von den Spielern lebt. Kraftlos lassen Chishiya und ich zur gleichen Zeit los und fallen auf den nassen Boden, als das Wasser verschwindet. Ich kann nicht mehr. Mein Körper zittert vor Erschöpfung, meine Lunge schmerzt vor Anstrengung und ich habe das Gefühl, meine Muskeln explodieren jeden Moment, wenn ich noch einen Schritt tue. In diesem Zustand werde ich es nicht schaffen Chishiya rechtzeitig zu töten und das will ich auch nicht. Er sieht genauso erschöpft aus wie ich, seine weißen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht und er liegt noch immer auf dem Boden mit geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund. Für einen Moment schaue ich ihn an, möchte ihm die Strähnen aus dem Gesicht streichen, aber als er sich stöhnend erhebt, schlage ich mir den Gedanken schnell aus dem Kopf. Was war nur mit mir los?
„Noch eine Minute."
„Dann mal los", sagt er und scheint zu überlegen, ob er mir aufhilft oder nicht. Ich nehme ihm die Entscheidung ab und kämpfe mich alleine auf die Füße, um die letzten Stufen hinter mich zu bringen.
Zu unserer Erleichterung führt die letzte Tür in die Freiheit und Chishiya schnappt sich triumphierend die Karte auf dem Tisch, während ich auf mein Todesurteil warte, das jeden Moment aus dem Himmel schießen wird. Ich war unfähig meine Aufgabe als Dealer zu erfüllen, Mira bestrafte so etwas immer.
„Herzlichen Glückwunsch. Es gibt zwei Gewinner. Eure Visen wurden verlängert." Verwundert schaue ich auf das Handy, dass mir den Sieg versichert und selbst nach fünf Minuten pustete mir kein Laser das Gehirn weg.
„Du hast dich der Aufgabe widersetzt."
„Es tut mir leid", sage ich kleinlaut und senke noch etwas tiefer den Kopf, während Mira wie ein Tiger durch den Raum schleicht. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als sie mein Kinn anhebt und ihre roten Lippen zu einem Lächeln verzerrt sind.
„Was war daran so schwer den letzten Überlebenden zu töten?", fragte sie mir ruhiger Stimme und ihr Blick scheint mich regelrecht zu durchbohren.
„Ich...es tut mir leid ich konnte nicht."
„Konntest oder wolltest du nicht?" Mit zusammen gekniffenen Augen betrachtet mich Mira weiter, als versuche sie die Wahrheit hinter meinen Worten zu erkennen, doch so einfach würde ich es ihr nicht machen.
„Ich konnte nicht. Das Spiel hat meine Kräfte komplett in Anspruch genommen. Mit einem zweiten Dealer wäre es sicherlich möglich gewesen." Skeptisch schnalzt sie mit der Zunge, lässt mein Gesicht los und gibt mir eine Ohrfeige, die einen brennenden Schmerz auf meiner Wange hinterlässt.
„Du kannst froh sein, dass deine und Akaris Ideen immer so gut und erfolgreich sind. Ansonsten hätte ich den Laser schon längst deinen Kopf durchbohren lassen. Als Strafe für dein Versagen erhältst du in den nächsten Spielen immer nur einen Visatag." Geschockt schaue ich Mira an. Wie kann sie von mir erwarten, dass ich jeden Tag in ein Spiel gehe? Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steige, doch ich halte sie zurück, neige meinen Kopf vor ihr und verlasse das Zimmer mit eiligen Schritten. Ich bin froh, als niemand auf den Fluren ist und ich in Tränen ausbreche. Automatisch tragen mich meine Füße zu Akaris Zimmer und kraftlos klopfe ich an ihre Tür, in der Hoffnung sie ist da.
„Miyu?", fragt sie erschrocken.
„Wir müssen aus Borderland raus."
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