Kapitel 7 Akari


Ich versuche nicht auf seinen eindringlichen Blick zu achten, der jeden meiner Bewegungen genau beobachtet. Sanft zupfe ich mit der Pinzette die angeklebten Wattereste von seiner Wunde und lege sie in die kleine Nierenschale auf dem Beistelltisch.

„Nicht bewegen", brumme ich, als er leicht zusammenzuckt, und schaue kurz zu seinem Gesicht herauf. Er hat seinen Augen geschlossen und atmet tief durch. Dabei legt sich seine Stirn in Falten und er presst die geschwungenen Lippen fest aufeinander. Ohne, dass ich es will, bewundere ich seine vollen Lippen und die reine Haut. Er hat wirklich gute Gene bekommen und wenn er nicht so ein verdammtes Arschloch wäre, dann würde ich ihn sogar als attraktiv bezeichnen.

„Starr mich nicht an und mach deinen Job."

Ich fahre erschrocken aus meinen Gedanken und zupfe das nächste Wattebüschel etwas unsanft aus der Wunde heraus.

„Auh!", fährt er mich an. „Sei doch vorsichtiger."

Ich werfe ihm nur einen genervten Blick zu und setze meine Tätigkeit fort. Was ist nur in mich gefahren? Habe ich ihn wirklich für einen kurzen Moment als attraktiv bezeichnet? Wo kommen diese Gedanken her? Selbst seine ganze Attraktivität würde diesen schrecklichen Charakter nicht besser machen. Ich verfluche den Hutmacher für seinen fiesen Schachzug. Seit er dieses Thema zur Sprache gebracht hat, kann ich an nichts anderes mehr denken. Ich will es nicht machen, ganz sicher nicht! Aber alleine, dass ich jetzt in der Krankenstation stehe, beweist, wie wenig Macht ich über mich selbst habe. Obwohl ich ein Dealer bin, bleibe ich trotzdem eine Schachfigur der Gesellschaft und der Oberen. Wenn sie etwas wollen, dann muss ich es tun.

Niragi begegnet meinem Blick fragend, da ich erneut aufgehört habe, seine Verletzung zu behandeln. Skeptisch zieht er die Augenbrauen zusammen und neigt den Kopf zweifelnd zur Seite.

„Bist du bei der Sache?", fragt er und nähert sich meinem Gesicht, nur um kurz darauf auf mein blaues Auge zu zeigen. „Ich habe von deiner Schlägerei gestern gehört. Schade, dass ich das verpasst habe. Ich hätte zu gerne gesehen, wie du Momoka eine reinhaust."

Ich drehe mich von ihm weg, lege die Pinzette beiseite und greife nach dem Desinfektionsmittel.

„Ich hatte nur etwas zu viel getrunken und jetzt sei ruhig und lass mich meine Arbeit machen."

„Dann mach sie auch", nuschelt er leise und richtet sich auf, damit ich besser an seine Schulter herankomme. „Du bist die ganze Zeit so abwesend, dass ich mich bereits frage, ob du dich mich nackt vorstellst."

Seine Worte machen mich sauer, weshalb ich das Wattebällchen unachtsam in dem Desinfektionsmittel ertränke, anstatt nur einige Tropfen rauf zu geben.

„Ganz sicher nicht!", knurre ich und drücke den Wattebausch unsanft auf die Wunde.

„Auh! Was -"

„Deine Wunde ist entzündet", unterbreche ich ihn harsch und verreibe das Desinfektionsmittel mehr, als nötig. „Es suppt an einigen Stellen noch stark, weil du deiner Schulter keine Pause gönnst. Wenn du weniger Frauen in dein Bett zerren würdest, dann würde es schneller heilen. So sehe ich schwarz für dein nächstes Spiel." Ich lege das Desinfektionsmittel beiseite und greife nach der Ringelblumensalbe. Allerdings bin ich zu schwach und bekomme den Deckel nicht aus, weshalb Niragi mir seufzend die Dose aus der Hand nimmt, und mit dem gesunden Arm den Deckel aufdreht, ehe er sie mir wieder reicht.

„Das klingt als wärst du eifersüchtig", gibt er im gleichen Moment mit einem schmutzigen Grinsen von sich, als ich kurz davon bin ihm zu danken. „Aber mach dir mal keine Sorgen um mich. Ich gewinne immer. Mit oder ohne verletzte Schulter."

Die Selbstsicherheit in seiner Stimme bringt mich tatsächlich für einen kurzen Moment zum Lächeln, denn es klingt so sehr nach ihm.

„Ist das etwa ein Lächeln?", fragt er überrascht, doch ich gehe nicht darauf ein und verreibe die Salbe auf der Wunde. Meine Finger berührt seine Haut kaum, aber es reicht aus, dass sich die kleinen Härchen an meinem Arm aufstellen. Obwohl meiner Berührung nur sanft ist, kann ich trotzdem sein Herz kräftig spüren. Eigentlich müsste der Schlag nur sehr leicht sein, da meine Finger nicht direkt an der Herzspitze bei der zweiten Rippe liegen. Aber aus irgendeinem Grund merke ich ihn kräftig und schnell. Als mich die Erkenntnis trifft, schaue ich zu ihm auf und begegne seinen dunkelbraunen Augen, die sich augenblicklich noch mehr verdunkeln.

Ich mache ihn nervös.

Niemals ist mir in den Sinn gekommen, dass jemand Niragi nervös machen könnte. Er hat vor nichts und niemanden Angst und er legt so ziemlich alle weiblichen Wesen im Beach flach egal, ob sie es wollen oder nicht. Was ist also der Grund, dass ich diese Wirkung auf ihn habe? Ist es meine sanfte Berührung oder steckt was anderes dahinter? Hatte der Hutmacher vielleicht doch recht und ich hätte diese Macht über ihn, um seine Schwäche zu werden?

Ich bin mir sicher, dass ich den Atem angehalten habe, ohne den Augenkontakt dabei zu unterbrechen. Doch als er den Mund öffnet, um etwas zu sagen, wende ich mich schnell ab und spüre, wie mein Gesicht heiß wird. Was ist verdammt nochmal los mit mir? Schnell greife ich nach dem frischen Verband und ziehe den Anfang davon straff, ehe ich es an seiner Haut anlege. Doch sobald ich ihn berühre, entsteht an dieser Stelle eine deutliche Gänsehaut. Meine Finger werden kalt und beginnen zu zittern. Klasse, jetzt bin ich auch nervös. Beim Verbinden stelle ich mich besonders dämlich an. Ständig wirft der Verband Falten oder sitzt viel zu locker, bis ich es einfach dabei belasse, da ich gerade nicht mehr klar denken kann.

„Fertig", verkünde ich leise und stecke den Zipfel, der übrig bleibt in den Verband hinein. Sobald ich es geschafft habe, weiche ich einige Schritte zurück und schaue weg, als er sich das schwarze Hemd wieder überzieht. Noch bevor er dazu kommt es zuzuknöpfen, wirble ich herum und eile aus dem Behandlungsraum, irgendwohin, wo ich meine Gedanken wieder ordnen kann.

Ich stoße die Tür zur Dachterrasse auf und atme die wohltuende Luft ein. Sie gibt mir das Gefühl endlich wieder einen klaren Verstand zu bekommen und vertreibt die merkwürdigen Gedanken, die mich komplett einnehmen. Ich wollte nicht an seine dunkelbraunen Augen denken, mit denen er mich so intensiv angesehen hat und auch nicht an seinen Herzschlag, der unter meinem Finger heftig pulsierte. Was zur Hölle ist da gerade eben passiert?

Ich schüttle den Kopf, um wieder zu klarem Verstand zu kommen, und schaue mich auf der Dachterrasse um, damit ich mir einen Überblick verschaffe. Relativ schnell habe ich meine Freundin erspäht, die sich über das Geländer lehnt und verträumt in den Himmel schaut. Die Sonne beginnt bereits am Horizont unter zu gehen und es würde nicht mehr lange dauern, ehe die Spiele beginnen.

Als ich sie fast erreiche, dreht sie sich in meine Richtung. Doch fast im gleichen Moment, in dem sie mich erkennt, verrutschen ihre Mundwinkel ein ganz klein wenig nach unten. Ich verschränke belustigt die Arme und geselle mich zu ihr an das Geländer.

„Was ist denn das für ein Gesichtsausdruck?", feixe ich grinsend. „Hast du etwa jemand anderen erwartet?"

„Nein." Sie schüttelt leicht den Kopf. „Ich hätte wissen müssen, dass er nicht jeden Abend hier oben sein würde."

„Er?", hackte ich interessiert nach, doch sie winkt schnell ab.

„Wie war es mit Mr. Nimm-mich-weil-ich-so-bad-und-heiß-bin?"

„Uff." Frustriert, da ich es gerade erst erfolgreich verdrängt habe, reibe ich mit beiden Händen meine Augen und gebe dann ein abfälliges Schnauben von mir. „Erinner mich nicht daran. Er war ungehobelt, wie immer." Was nicht komplett stimmt. Eigentlich ist er für seine Verhältnisse sogar recht zahm gewesen.

Miyu mustert mich einige Sekunden von der Seite, ehe sie nickend wieder in den Himmel schaut und wir einige Minuten schweigend dastehen. Die Sonne ist nun fast komplett verschwunden und taucht den Himmel und die Natur in ein wunderschönes dunkles Orange. Vögel zwitschern irgendwo weit weg, doch auch sie kommen langsam zur Ruhe, bis sie schließlich völlig verstummen. Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob Miyu meine Anwesenheit vergessen hat, als sie leise fragt: „Meinst du, dass wir hier jemals rauskommen werden?"

Wir reden nicht oft darüber. Meistens deshalb, weil jedes falsche Wort unser Todesurteil bedeuten kann. Doch es gibt diese Momente, in denen wir ein wenig emotional und nostalgisch die Gedanken schweifen lassen.

„Ich weiß es nicht", gestehe ich ehrlich. „Aber ich werde alles dafür tun und nicht aufgeben, bis wir eine Lösung haben."

„Das klingt so heroisch."

„Es ist die Wahrheit."

„Das ist sie noch." Miyu dreht ihren Kopf zu mir und verzieht zweifelnd das Gesicht. „Aber was ist in drei Wochen? Oder drei Monaten?"

„Wir dürfen nicht aufgeben zu hoffen, Miyu. Sie ist alles, was uns bleibt. Die Menschen sind ja auch irgendwie hier herein gekommen, also muss es auch einen Weg wieder hinausgeben."

„Schon komisch, nicht wahr?" Miyu lacht kurz emotionslos auf, ehe sie tief Luft holt und ihren Kopf auf den Armen abstützt, die sie auf dem Geländer gebettet hat. „Wir sind so nah an der Quelle und wissen trotzdem nicht mehr, als alle anderen."

„Ist dir mal aufgefallen, dass alle unglücklich mit ihrem Leben waren, als sie nach Borderland kamen?", frage ich. „Das habe ich festgestellt, als ich mich mit einigen unterhalten habe. Entweder haben sie ihren Job verloren, ihre Beziehung oder irgendetwas anderes."

„Als hätte man uns in diese Welt gezogen, um uns von den glücklichen Menschen mit einer Zukunft zu trennen."

„Genau."

„Wäre die Lösung dann glücklich zu sein, um zurückkehren zu können?"

„Wie kann man in einer Welt wie dieser glücklich sein?"

„Auch wieder wahr." Für einen kurzen Moment vergräbt sie das Gesicht in ihren Armen, ehe sie sich vom Geländer abstützt und tief Luft holt.

„Was für eine verkorkste Welt", entfährt es ihr und ich erkenne die Wut in ihrer Stimme, obwohl sie mich anlächelt. Aber es erreicht ihre Augen nicht. Dieses Lächeln ist nicht freundlich. Es ist verzweifelt.

„Durch den Hutmachen glauben alle daran, dass eine Person hier herauskommt, sobald man alle Karten gesammelt hat. Aber ist das nicht Unsinn? Es würde bedeuten, dass man ewig weiterspielen muss und hofft die nächste Person zu sein, die Borderland verlassen darf. Selbst wenn es stimmt, würden hunderte, wenn nicht tausende sich für ein Menschenleben opfern."

„Wir werden eine Lösung finden", verspreche ich ihr und lege beide Hände an ihre Wangen. Ich will, dass sie sieht, wie Ernst mir das ist und, dass ich sie an meiner Seite brauche. Wenn Miyu die Nerven verliert oder nicht mehr an unseren Plan glaubt, dann, und erst dann, ist auch meine Hoffnung gestorben.

„Wir kommen hier wieder raus. Du und ich. Und dann kehren wir in unsere alte Welt zurück und bringen unser verkorkstes Leben auf die Reihe. Du wirst dein Studium beenden und dann genug Geld verdienen, um deiner Familie zu helfen, und ich werde jeden Tag genießen, als sei es mein Letzter. Ich werde tun und lassen, was ich will und nicht mehr in diesen langweiligen Alltag abrutschen, bei dem jeder Tag gleich ist. Ich werde mir neue Ziele suchen und Dinge tun, die ich schon ewig tun wollte, ohne nur immer darüber zu sprechen. Wir schaffen es, Miyu. Du musst einfach an uns glauben." Ich lasse meine Hände sinken und bin erleichtert, als Miyu tatsächlich lächelt.

„Wie schaffst du es immer mich mit deinen Gewinnerreden zu motivieren?", fragt sie beeindruckt.

„Das ist eine Gabe."

„Ich weiß nicht, ob wir es wirklich hier herausschaffen. Aber ich vertraue dir, Akari. Bis zum Ende."

Wir laufen gerade die Treppen im Fluraufgang herunter, als Kiko uns außer Atem entgegenkommt und sich keuchend auf einer Stufe sinken lässt, ehe sie mit dem Finger auf mich zeigt.

„Ich habe dich überall gesucht, Akari", sagt sie schnaufend. „Die Ersten sind von ihrem Spiel zurück und es gibt einen bei dem Isamu deine Hilfe braucht. Du musst dich beeilen."

Noch bevor Kiko ihren Satz beendet hat, bin ich bereits losgestürmt, springe die letzten Stufen teilweise herunter, anstatt sie zu gehen, um schneller in der Krankenabteilung zu sein. Schlitternd komme ich in der Abteilung an und höre bereits das verzweifelte Gerufe eines Jungen, der auf dem Boden kniet und laut den Namen eines Mädchens herausbrüllt. Ein weiterer Junge, etwas jünger und überall mit Schnittwunden übersät, steht neben ihm und legt eine Hand auf die Schulter des brüllenden Jungen. Er scheint ihm leise etwas zuzuflüstern, was ich nicht verstehe. Sie sehen beide völlig fertig aus. An ihrem Körper klebt überall Blut und aus Impuls heraus, würde ich mir die beiden zuerst genauer anschauen, um weitere gefährliche Verletzungen auszuschließen, aber Isamu hat mich rufen lassen. Also gibt es etwas Dringenderes, bei dem er meine Hilfe braucht.

„Im OP!", ruft mir ein Mädchen zu, die sich Tränenüberströmend von einer Bank erhebt, als sie mich sieht. Ohne länger nachzudenken, setze ich mich in Bewegung und stürme zum OP Bereich. So schnell ich kann, desinfiziere ich meine Hände und ziehe mir die OP-Kleidung an, ehe ich tief Luft hole und mich versuche zu beruhigen. Obwohl das Adrenalin in meinen Adern fließt, ist das Letzte, was Isamu jetzt gebrauchen kann, durch mein hektisches Hereinplatzen einen Fehler zu machen. Also verweile ich einen kleinen Moment vor der Tür, beruhige mich selbst und betrete erst dann den Raum. Isamu schaut auf und atmet erleichtert aus, als er mich hereinkommen sieht.

„Du kommst gerade rechtzeitig", sagt er und zeigt auf den EEG – Monitor, bei dem die Gehirnaktivität angezeigt wird. „Ich habe sie gerade unter Narkose gesetzt."

„Warum ist niemand sonst hier?", frage ich überrascht, als ich sehe, dass er ganz alleine ist.

„Weil die meisten der Meinung sind, dass eine Krankenabteilung überflüssig ist", erklärt er sachlich und überprüft die Atmung und den Herzschlag des bewusstlosen Mädchens. „Sie denken, dass jeder weitere Überlebende im nächsten Spiel sowieso sterben wird. Aber ich finde es traurig, es als sinnlos zu bezeichnen Menschenleben zu retten." Er schaut zu mir auf und obwohl er meine Maske trägt, erkenne ich das kleine Lächeln in seinen dunkelbraunen Augen. „Jedes Leben ist wertvoll und es ist unsere Aufgabe, jedem zu helfen, der Hilfe benötigt. Also lass uns unseren Job gut machen."

Beeindruckt von seinen Worten lächle ich ihm zu. Es ist wahr. In einer Welt wie Borderland, in der es keine Regeln und Gesetzte gibt, werden die Menschen zu Tieren und handeln, wie es ihnen passt. Nächstenliebe und Selbstlosigkeit existiert hier nicht. Gewalt und Kriminalität steht an der Tagesordnung und niemand tut etwas dagegen. Es ist ungewohnt und wirklich großartig zur Abwechslung mal auf jemanden zu treffen, der nicht nur an sich selbst denkt.

Ich betrachte das bewusstlose Mädchen vor mir auf dem OP - Tisch. Sie hat eine klaffende Wunde an ihrem Bein, was ganz stark nach einem Biss aussieht. Abgesehen davon wirkt sie unverletzt, aber sie blutet sehr stark. Ihre Hautfarbe nimmt bereits eine unnatürliche Blässe an und mir wird klar, dass sie verbluten wird, wenn wir nicht schnell handeln. Isamu schneidet mit einer Schere ihre Jeanshose auf und weist mich an, fest auf die blutende Stelle zu drücken, während er nach den richtigen Materialien sucht. Ohne zu zögern, presse ich meine Hände auf ihre Wunde und ignoriere den stechenden Geruch des Blutes, sowie die rote Flüssigkeit, die durch meine Finger herausdringt.

„Was ist passiert?", frage ich und beobachte den Monitor mit der Herzfrequenz genau. Noch ist sie stabil, aber sie beginnt langsam abzuschwächen. Das ist nicht gut. Sobald wir sie wiederbeleben müssen, stehen Genesungschancen viel schlechter und das könnte ihr Todesurteil bei Ablauf des Visums sein. Mein Puls beschleunigt sich vor Aufregung. Ich wünsche mir so sehr, dass wir ihr helfen können und es nicht umsonst ist.

„Sie wurde von einem Wolf gebissen", erklärt er und dreht sich wieder zu mir herum. Schnell legt er die Werkzeuge neben sich auf dem Tisch ab und stellt das OP – Licht richtig ein, damit er eine genaue Sicht auf die Wunde hat. „Zum Glück konnten ihre Freunde das Tier töten, bevor er ihr ein Stück Muskelfleisch herausreißen konnte. Andernfalls wäre es bereits für sie zu spät."

„Du lächelst", stelle ich überrascht fest, als mir die Faszination in seiner Stimme auffällt. Ertappt schaut er zu mir herauf, wendet sich dann jedoch schnell dem blutenden Bein, sobald ich meine Hände wegnehme.

„Ich bin erleichtert", gibt er zu. „Bei einer Tracheotomie oder einen Pneumothorax könnten wir ihr nicht helfen. Wir könnten sie zwar in diesem Moment retten, aber sie wäre nicht fitt genug für die Spiele. Deshalb bin ich froh, dass es nur das ist. Damit ist sie zwar in drei Tagen auch nicht fitt, aber je nach Spiel hat sie gute Überlebenschancen." Isamu beugt sich über die Wunde und inspiziert sie genau. „Die Femoralarterie wurde nicht verletzt. Das ist sehr gut." Ohne mich anzusehen, erklärt er: „Sie versorgt das gesamte Bein mit Blut und ist die wichtigste Aterie der Beine. Wenn sie verletzt wäre, dann wären ihre Überlebenschancen sehr schlecht, da sie verbluten könnte. Aber das ist sie ein Glück nicht. Ich denke, dass wir ihr helfen können. Allerdings hat sie sehr viel Blut verloren. Das ist ein Problem. Wir brauchen dringend wieder Nachschub, aber einige wenige Blutgruppen haben wir noch da. Schau mal, ob du noch eine Konserve von AB findest", weist er mich an und nickt zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke des Raumes herüber. Sofort eile ich dorthin und krame in den wenigen Konserven, die wir noch haben. Schließlich halte ich triumphierend den letzte AB – Beutel in die Höhe und laufe zu Isamu zurück.

„Was für eine Erleichterung", sagt er. Mit seiner Anleitung schaffe ich es die Nadel in ihrer Vene am Handgelenk des Mädchens hineinzuschieben und hänge den Beutel an einem Tropf an. Zur gleichen Zeit verbindet er ihr Bein und wischt sich schließlich den Schweiß von der Stirn.

„Geschafft", sagt er zufrieden. „Die Narkose müsste in zehn Minuten nachlassen. Danach hoffen wir, dass es sich gelohnt hat."

„Wie schaffst du es die Nerven in so einer Situation zu behalten?", frage ich und lasse mich erschöpft auf einem Stuhl fallen. Das Adrenalin verlässt langsam meinen Körper und lässt meine Beine erzittern.

„Ich habe schon weitaus schlimmere OP assistiert", erwidert er und setzt sich zu mir. „Wenn man nervös wird, macht man Fehler. Deshalb versuche ich immer einen klaren Kopf zu haben und alles rational zu sehen, anstatt emotional." Er lehnt den Hinterkopf gegen die Wand und dreht sein Gesicht zu mir und schaut auf mich herunter. „Danke für deine Hilfe. Es ist schon keine gute Lösung nur zu zweit die Abteilung zu leiten, aber alleine wäre ich völlig aufgeschmissen."

„Ich bin nur leider keine große Hilfe", murmle ich enttäuscht und wünsche mir in diesem Moment, dass ich doch etwas im medizinischen Bereich studiert hätte, anstatt Mediengestaltung.

„Mit meiner Anleitung wird das schon." Er lächelt und zieht sich die Maske vom Gesicht. Erst in diesem Moment fällt mir auf, dass es sein ganzes Gesicht erstrahlen lässt. Oft wirkt Isamu ernst und ungesprächig, aber mehr Zeit ich gerade mit ihm verbringe, desto mehr wird mir bewusst, wie sehr ich mich geirrt habe. Automatisch lächle ich zurück und hoffe, dass er Recht hat. So einen Arzt wie ihn brauchen wir hier in Borderland. Jemand, der menschlich ist und einfühlsam. Ohne ihn würde die Abteilung nicht laufen. In diesem Moment schwöre ich mir, wenn Isamu jemals in einem meiner Spiele dabei sein wird, dann werde ich alles tun, damit er lebend dort herauskommt. Der Beach darf ihn auf keinen Fall verlieren, sonst sind wir alle am Arsch! In diesem Moment steigt die Herzaktivität wieder und auch die Gehirnkapazität nimmt wieder zu.

„Sie wird wach", murmelt Isamu zufrieden und hebt eine Hand zum High Five. „Wir haben es geschafft, Akari." Ich erwidere sein Lächeln und obwohl meine Hand voller Blut ist, schlage ich erleichtert ein. 

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