Kapitel 2 Miyu


Misstrauisch beugt sich Akari über das Geländer und wirft einen Blick in die Tiefe, als ein Windstoß ihre Haare zurückwirft und sie Nase kräuselnd blinzelt.

„Und dann wird das Seil gekappt, sobald die Zeit abläuft", ende ich meine Erklärung und mache mir Notizen auf dem Pad, das wir mitbekommen haben.

„Das ist grausam. Ich hoffe, wir müssen nicht an diesem Spiel teilnehmen", murmelt meine Freundin und tritt einen Schritt von dem Geländer zurück. Schulterzuckend werfe ich ebenfalls einen Blick nach unten. Das Gebäude war so hoch, dass die Straßen und Bäume unter uns winzig aussahen, fast wie Spielfiguren auf einem Brett. Bei dem Gedanken klappe ich das Pad zu und genieße für einen Moment die atemberaubende Aussicht die sich uns bot. Von hier oben wirkt die Metropole Shibuya klein und friedlich, nichts deutete auf die mörderischen Spiele oder das Chaos hin, was in der Nacht herrschte. Am Tag glich es einem Paradies. Nachdenklich kaue ich auf meiner Lippe herum, fahre mit den Fingern mehrmals über die abgerundeten Ecken des Pads, ehe ich mich zu Akari umdrehe, die ungeduldig an der Treppe steht und mit dem Fuß wippt.

„Können wir?", fragt sie und mit einem Lächeln nicke ich ihr zu. Seit dem Morgen waren wir auf dem Weg hierher gewesen, nachdem wir eine Nachricht der Kommandozentrale erhalten hatten, eines der Hochhäuser für ein Spiel vorzubereiten. Es war einer der einfacheren Aufgaben, doch die Vorstellung, dass in ein oder zwei Nächten Menschen hier in die Tiefe stürzen könnten, wegen unserer Ideen, lässt meinen Körper erzittern. Es gibt Tage, an denen mich diese Gedanken nicht mehr stören, doch manchmal bricht auch meine Mauer, die ich zum Schutz errichtet habe, und die Emotionen stürzten wie eine Welle über mich herein. Doch die Nächte, in denen ich wach liege und weine, werden mit jedem Tag weniger, zumindest habe ich das im Gefühl. Vielleicht trügt mich aber auch meine eigene Wahrnehmung.

„Deine Verbrennungen scheinen gut zu heilen", beginne ich ein neues Thema, als wir die endlos wirkenden Stufen hinab steigen.

„Ja. Nach drei Tagen sollte das auch so sein", scherzt Akari und hebt triumphierend ihre Arme in die Luft, die sich noch immer schälten.

„Jetzt kann sich wenigstens niemand mehr über deine Hautfarbe lustig machen", kichere ich und bekomme im selben Moment einen wütenden Blick von ihr zugeworfen. Ich bewundere Akari, dass sie sich gegen andere gut durchsetzen kann, vor allem bei den Leuten vom Militärtrupp. Während sie die mutige und vorpreschende von uns beiden ist, bin ich eher die ruhigere und bedachte Person. Zumindest in den Spielen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte wieder zu meiner fröhlicheren Persönlichkeit zurückkehren, doch seit wir in Borderland gelandet sind, hat sich vieles geändert. Schweigend machen wir uns auf den Weg zur Zentrale, die in den Tunneln der U-Bahnen liegt, verborgen von den anderen Mitspielern. Trotz der heißen Temperaturen und der brennenden Sonne, fröstelt es mich, als wir durch den dunklen Gang schlendern und nur die Taschenlampe uns Licht spendet.

„Denkst du sie werden mit unserer Arbeit zufrieden sein?", frage ich Akari, die daraufhin einen seltsamen Laut von sich gibt und ihren Kopf in den Nacken legt.

„Bisher waren sie immer erfreut über unsere Ideen. Aber ehrlich gesagt ist mir das auch egal, solange sie uns nicht in ein Wasserbecken sperren."

„Ich würde das Wasser der Dunkelheit vorziehen", murmle ich vor mich und bleibe vor der eisernen Tür stehen, die uns einen Schritt näher zu der Zentrale bringen würde.

„Sag das nicht zu laut, sonst nutzen die Spielmacher noch unsere Schwächen aus", sagt Akari, während sie den Pin eingibt und mir anschließend mit der Taschenlampe in das Gesicht leuchtet. Lachend blocke ich das Licht mit den Händen ab und trete durch die geöffnete Tür, die sich hinter uns wieder schließt.

„Stell dir einen stockdusteren Raum vor, in dem ein Kasten steht der mit Wasser gefüllt ist und du musst darin nach Schlüsseln tauchen."

„Hör auf! Was stimmt mit deinem kranken Hirn nicht!", beschwert sich Akari lautstark und gibt mir einen kräftigen Schubs, sodass ich lachend nach vorne stolpere. Mit wedelnden Armen gewinne ich mein Gleichgewicht wieder und umklammere das Pad etwas fester, als die Zentrale vor uns erscheint. Die leuchtenden Bildschirme blenden einen fast und mit gesenktem Blick schieben wir uns an den arbeitenden Menschen vorbei, die wild mit einander diskutieren. Während tagsüber programmiert und gearbeitet wird, findet nachts oftmals das große Spektakel statt, in denen sich die Menschen vor den Bildschirmen kaputt lachen. Sie lachen über die Spielenden und wie sie sich in den Tod stürzten, um zu überleben. Es ist krank und widerlich wie sich manche an diesen Videos regelrecht aufgeilen und Wetten abschließen. Wut kocht in mir hoch und ich sehe Akari an, dass es ihr genauso geht wie mir. Ihr Hände sind zu Fäusten geballt und sie fixiert jeden einzelnen mit einem düsteren Blick, als wir an ihnen vorbei laufen.

„Miyu, Akari", ruft uns eine wohlbekannte Stimme. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen kommt uns Mira entgegen, streckt die Hände bereits aus und nimmt das Pad entgegen, das ich ihr reiche. „Ihr wart also auf dem Shibuya Scramble Square", sagt sie und geht unsere Notizen langsam und bedacht durch. Ich merke, wie ihr Lächeln etwas Breiter wird, wenn auch minimal und ein Schauer läuft meinen Rücken entlang, als Mira aufsieht und ihre braunen Augen vor Freude funkeln. „Ihr habt sehr gute Arbeit geleistet. Ich gebe die Idee weiter an die Zentrale. Ihr seid heute Abend außerdem für ein weiteres Spiel eingetragen. Sorgt einfach dafür, dass mindestens zwei sterben", gibt sie gelassen mit säuselnder Stimme von sich und kann sich am Ende nicht einmal ein Kichern verkneifen.

„Was für ein Spiel ist es?", fragt Akari nach, die mir einen skeptischen Blick zuwirft. Ja, diese Frau ist definitiv verrückt.

„Das werdet ihr sehen, wenn ihr da seid. Es ist eines das aus euren Köpfen entsprungen ist." Das schränkt die Auswahl nicht gerade ein, denke ich und fahre mir nervös über die Stirn.

„Wie spannend", gibt meine Freundin sarkastisch von sich, was Mira jedoch nicht wirklich zu verstehen scheint.

„Nicht wahr? Ihr dürft jetzt gehen. Wir sehen uns dann heute Abend." Mit einem halbherzigen Lächeln verneige ich mich kurz, ehe Akari mich regelrecht aus der Zentrale herauszieht.

„Diese Frau ist so furchtbar und gruselig. Wieso kann sie nicht von einem Zug überrollt werden?"

„Dafür müsste sie an den Spielen teilnehmen", antworte ich ihr.

„Das nächste Mal zerre ich Mira persönlich in eines", knurrt Akari und stößt die Tür zu den Gleisen schwunghaft auf. Den restlichen Weg zum Beach war sie damit beschäftigt, sich die grausamsten Szenarien für Mira auszumalen und in fast jeder Idee kam ein Tiger oder Jaguar vor, der diese Frau zerreißen soll.

„Oder mit einer Axt!", schimpft Akari und rennt im selben Atemzug in den Hutmacher hinein, der mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr hinab schaut.

„Eine Axt?", fragt er verwirrt und ich muss mir ein Kichern verkneifen, als meine Freundin anfängt nervös vor sich hinzu stottern.

„Eine Axt", wiederholt sie langsam und gedehnt.

„Wir haben über das letzte Spiel geredet in dem ich war. Akari meinte ich hätte eine Axt nehmen sollen, anstatt dem Dolch", rette ich meine Freundin, die mir einen erleichterten Blick zuwirft.

„Nun, Äxte sind definitiv wirkungsvoller als diese kleinen piksenden Dinger", gibt Takeru nachdenklich von sich und stützt die Hände in die Hüfte. „Wobei Schusswaffen immer am effektivsten sind."

„Das stimmt", sagen Akari und ich gleichzeitig, was den Hutmacher zum Grinsen bringt.

„Ich habe außerdem eine gute Nachricht für euch. Ihr bildet heute ein Team mit Daichi, Yuna, Chishiya, Mako und Niragi."

„Was? Wieso?", platzt es aus meiner Freundin heraus und auch ich bin von der Auswahl nicht begeistert.

„Weil die Teams so entschieden wurden und ihr euch nicht gemeldet habt", erklärt uns Takeru ruhig und ich sehe bereits in Akaris Gesicht, wen sie zuerst in dem Spiel töten wird. Und das höchstwahrscheinlich mit dem größten Vergnügen.

„Danke für die Information, Hutmacher", sage ich daher schnell, ehe meine Freundin etwas erwidern kann, die bereits den Mund geöffnet hat.

„Dann wünsche ich euch viel Spaß." Bei seinen letzten Worten liegt sein Blick etwas länger auf Akari, was sie jedoch nicht mit bekommt, und ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Ahnt Takeru etwas? Weiß er, dass wir Dealer sind? Dann wendet sich der Hutmacher von uns ab und verschwindet durch die linke Tür hinaus zu den Pools, wo laute Musik nach drinnen dröhnt.

„Kommen wir nochmal zu der Axt. Wie schwingt man die am besten, um einen Kopf zu spalten?", beginnt Akari nun und ich kann mir nur schwer ein Lächeln verkneifen. Fast automatisch wandert mein Blick hoch zu dem Geländer und mein Grinsen verschwindet augenblicklich aus meinem Gesicht, als ich Chishiya mit verschränkten Armen da oben stehen sehe. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrt er zu uns herunter, doch sein Gesicht gibt keine weiteren Emotionen oder Gedanken preis und ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Wie lange steht er wohl schon da oben und beobachtet uns? Räuspernd senke ich den Blick wieder und stoße Akari etwas unsanft an, damit sie vorwärtsging.

„Oder vielleicht doch lieb-"

„Sei still", flüstere ich und weise mit meinen Augen unauffällig hoch zu Chishiya. Verwirrt folgt sie meinem Blick, runzelt dann die Stirn und sieht mich fragend an. Als ich erneut nach oben schaue, ist er verschwunden.

„Aber...Chishiya stand da oben und hat uns beobachtet", gebe ich irritiert von mir.

„Der Perversling stalkt doch jeden", grummelt Akari und zieht ihren Kimono etwas enger an den Körper. „Komm jetzt, wir sollten uns noch etwas ausruhen, bevor die Spiele beginnen." Nickend folge ich meiner Freundin nach oben, werde aber das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtet, als ich in mein Zimmer eintrete.

Die Empfangshalle ist niemals leer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit treffen sich hier die Beachbewohner und spielen Glückspiele um alles was sie besitzen. Das ist meistens nicht viel, nur ein bisschen Kleidung, Essen und manchmal auch Waffen. Auch jetzt sehe ich vereinzelte Gruppen, die sich in der Halle verteilt haben und auf den kalten Fliesen Pokern. Die Stimmung ist elektrisierend und angespannt. Ich höre jemanden jubeln, jemand anderen Fluchen. Die Menschen haben sich so daran gewöhnt ihr Leben aufs Spiel zu setzen, dass sie selbst in ihren Ruhephasen nicht mehr ohne Adrenalin leben können und abhängig von dem Rausch eines guten Spieles sind. Nachdenklich lege ich den Kopf schief, während meine Hand sanft über das Geländer streicht, wo sie schließlich verweilt. Ich erkenne den einen Jungen, in meiner Nähe, wieder. In meinem letzten Spiel war er auch dabei gewesen. Mit seinen ganzen Tattoos und den kurzen roten Haaren wirkt er nicht wie jemand, der sich wimmernd in einer Ecke verkriecht. Aber genau das hat er getan und damit seinen Freund, der die Tage davor immer an seinem Arm hing, direkt ins Messer laufen lassen. Jetzt ist von dieser verängstigten Person keine Spur mehr zu sehen. Fröhlich kassiert er seinen Gewinn der Mitspieler ein und feiert sich laut lachend, selbst. Ich weiß auch noch, wie erleichtert er war, als sein Freund starb, anstelle von ihm. Mal davon abgesehen, dass er unnötig draufging. Wir hätten ihn retten können, aber niemand hat auf mich gehört. Ganz besonders er nicht und ich hoffe sehr für ihn, dass er nicht noch einmal mit mir in einem Spiel eingeteilt wird. Sonst ist er mein nächstes Opfer. Solche Menschen widern mich an.

Ich überquere die letzte Stufe nach unten, als ich jemanden aus dem Schatten einer Säule treten sehe. Für einen kurzen Moment taumle ich innerlich, doch ich erringe recht schnell meine Fassung zurück. Mit einem kleinen Lächeln und den Händen hinter dem Rücken, schlendert Chishiya auf mich zu. Ich wende den Blick von ihm ab, weil mir seine Nähe auf einer Weise unangenehm ist und auf der anderen irgendwie beruhigend. Chishiya habe die Gabe völlige Zuversicht auszustrahlen, als habe er immer alles im Griff. Gleichzeitig weiß ich jedoch auch, dass man ihm nicht vertrauen kann. Niemals. Auch wenn er freundlich zu dir ist, kann er im nächsten Moment ein Messer zücken. Manchmal frage ich mich, ob er auch ein Dealer ist. Die Fähigkeit dazu hätte er jedenfalls und genau deshalb, weiß ich nicht so ganz, was ich davon halten soll, dass wir heute Nacht zusammen in das Spiel gehen.

„Menschen sind ziemlich berechenbar, nicht wahr?", fragt seine tiefe, raue Stimme. „Sie sind berauscht davon immer zu gewinnen, dass sie sich unverwundbar fühlen und unvorsichtig werden." Ohne mich eines Blickes zu würdigen, beobachtet er das Treiben vor unseren Augen.

„Im Beach verliert man leicht den Bezug zur Realität", erwidere ich und schlucke, weil mich seine Nähe nervös macht.

„Es gibt einen Unterschied zwischen Realitätsverlust und Leichtsinnigkeit." Sein Gesicht wandert in meine Richtung und ich spüre seinen eindringlichen Blick, der mich kurz abscannt. Bei jedem anderen Mann würde ich vermuten, dass er mich als potentielles One Night Stand einkategorisiert, was hier tatsächlich öfter vorkommt, als mir lieb ist. Aber Chishiyas Blick ist anders. Er versucht herauszufinden, wie ich ihm in dem Spiel nützlich sein werde. Ich fühle mich unwohl, also atme ich tief durch und drehe mich von ihm weg. Umso erleichterter bin ich, als ich Akari die Treppe herunter rennen sehe. Ihre ausgeblichenen lilanen Haare sind völlig zerzaust und sie versucht sie mit der Hand schnell glatt zu streichen, während sie mich aufgescheucht anlächelt. Ich muss nicht fragen, wieso sie so außer Atem ist. Der Kissenabdruck in ihrem Gesicht verrät mir, dass sie bis eben geschlafen hat.

„Bin ich zu spät?", fragt sie und lässt den Blick schweifen. Doch als sie erkennt, dass außer Chishiya und mir niemand hier ist, lässt sie sich erschöpft auf die Bank sinken.

„Gerade noch rechtzeitig", seufzt sie erleichtert und fährt sich mit den Händen über ihr Gesicht.

„Wir sind fast vollzählig", bemerkt Chishiya ruhig nebenbei mir, und alleine bei seiner Stimme huscht eine Gänsehaut über meinen Rücken. Ich schaue in die Richtung, die seine Aufmerksamkeit erregte und sehe Yuna, Daichi und Mako auf uns zugehen.

„Kommt ihr?", fragt Mako mit einem Lächeln und weist zur Tür. Als er seine Augen über uns schweifen lässt, bleibt er besonders bei mir für einen kleinen Moment hängen und ich kann nichts anderes tun, als es vorsichtig zu erwidern. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Chishiya mir einen kurzen Blick zuwirft, aber ich beachte ihn nicht weiter.

„Niragi hat gesagt, wir sollen draußen warten", fügt Yuna mit einer leisen Piepsstimme hinzu. Alleine bei seinem Namen beginnt sie zu zittern. Sie ist nicht sonderlich gut in den Spielen und ich frage mich bis heute, wie sie jetzt schon sieben davon überleben konnte, ohne auch nur einen Kratzer davon zu tragen.

„Na dann wollen wir mal." Akari erhebt sich auf ihre Beine und klopft sich den Staub der Treppe von ihren Händen. „Bringen wir es einfach hinter uns."

Sobald wir durch die edelverglaste Eingangstür treten, fährt ein protziges schwarzes Auto mit getönten Scheiben vor. Niragi lässt das Fenster der Fahrerseite herunter und fast zur gleichen Zeit schnaubt Akari leise:

„Wozu braucht der Kerl eine Sonnenbrille? Es ist bereits dunkel."

„Dir ist klar, dass wir da nicht alle reinpassen, oder?", fragt Mako und betrachtet skeptisch den Fünfsitzer. „Wir sind zu Siebt."

„Dann gehen zwei von euch halt in den Kofferraum", brummt Niragi, als sei es selbstverständlich und nimmt die Sonnenbrille ab, um sie Daichi zu zuwerfen, der sie etwas unbeholfen fängt.

„Du", sagt Niragi und zeigt auf ihn. „Setz dich auf den Beifahrersitz. Du siehst halbwegs intelligent aus, um mir den Weg zu weisen."

„Er muss doch nur der leuchtenden Anzeigetafel folgen", murmelt Akari und ich verkneife mir ein kleines Grinsen. Wo sie recht hat ...

Sie öffnet die Tür hinter dem Fahrer und lässt mich auf den Mittelplatz rutschen, während sie direkt hinter Niragi Platz nimmt. Chishiya setzt sich neben mich auf die andere Seite und Mako quetscht sich irgendwie auf seinen Schoß, was den Weißhaarigen gar nicht wirklich gefällt, jedoch gibt er nur ein wortloses Brummen von sich und lässt es geschehen. Yuna klettert in den Kofferraum, nicht jedoch ohne uns vorher das Versprechen abzunehmen, dass wir sie dort auch wieder herausholen.

Ich habe es noch nicht einmal geschafft den Anschnaller zu befestigen, als Niragi auch schon auf das Gaspedal drück und losprescht. Ein knutschendes Pärchen am Toreingang springt gerade noch rechtzeitig beiseite, ehe er sie umgenietet hätte. Ich kralle mich in Akaris Arm, um nicht den Halt zu verlieren und am Ende gegen Mako und Chishiya zu stoßen. Aus dem Radio dröhnt laute Metalmusik, dessen Bass durch das gesamte Auto schwingt und meine Trommelfelle stark beansprucht. Wenn ich in diesem Spiel drauf gehe dann, weil ich taub bin.

„Mach den Scheiß leiser!", brüllt Akari gegen die Lautstärke an und tritt schwungvoll gegen Niragis Rückenlehne.

„Ruhe dahinten!", keift er zurück. „Ich versuche hier zu fahren."

Den Job macht er auch nicht sonderlich gut. Ich bin sehr froh darüber, dass es hier keinen Gegenverkehr geben wird, denn Niragi brettert mit quietschenden Reifen um die Kurven, ohne vorher die Geschwindigkeit herunter zu nehmen. Lachend kurbelt er das Fenster herunter und stößt einen lauten Jubelschrei in die Nacht hinaus. Innerlich bereite ich mich darauf vor, in diesem Spiel das Zeitliche zu segnen. Wenn ich nicht abkratze, weil ich taub bin, dann spätestens wegen diesem Kerl.

„Mach sie trotzdem leiser!", protestiert meine Freundin und tritt erneut trotzig gegen seine Lehne, ehe sie Daichi einen warnenden Blick zuwirft, dessen Hand sich langsam zu dem Lautstärkeregler bewegt. Doch sobald Niragi ihm einen bösen Blick zuwirft, zieht er seine Hand sofort wieder zurück.

„Daichi!", fordert Akari ihn erneut auf, woraufhin unser durchgeknallter Fahrer schnell mit: „Wage es ja nicht!", reagiert. Der Arme weiß nicht mehr, was er tun soll, und rutscht nur eingeschüchtert in seinem Sitz herunter.

„Du Arsch!", brüllt Akari, als ihr klar wird, wer gewonnen hat, und verschränkt beleidigt die Arme. Ich sehe, dass sie noch irgendwelche Worte vor sich hin murmelt, allerdings verstehe ich sie durch die Lautstärke nicht. Bei der nächsten Rechtskurve verliere ich durch einen kurzen Moment der Unkonzentriertheit das Gleichgewicht und falle direkt auf Mako und Chishiya. Fast im gleichen Moment lege ich eine Hand auf das Sitzpolster, um mich wieder in meine Ausgangsposition zu stützen, als ich bemerke, dass sich eine Hand unter meiner befindet. Ich schaute nach unten und dann hoch in Chishiyas Gesicht. Zeitgleich ziehen wir unsere Hände weg und ich schaue in Akaris Richtung, die mir nur einen verwirrten Blick zuwirft. Meine Wangen sind heiß und ich weiß, dass ich im Gesicht knallrot sein muss. Aber ich wage es einfach nicht in seine Richtung zu schauen, obwohl ich seinen Blick auf mir spüren kann.

Unser Ziel ist ein riesiges Einkaufszentrum und noch bevor ich Niragi den Motor ausstellt, werfe ich Akari ein kleines Lächeln zu. Mira hatte Recht. Wir haben dieses Spiel erstellt. Genauer gesagt ich war es.

Akari öffnet die Autotür und reib sich ihre Ohren, als ich ihr aus dem Auto folge. Sie wirft Niragi einen bösen Blick zu, der lässig den Autoschlüssel in seiner Tasche verschwinden lässt und mit einem vorfreundsvollen Lächeln sein Gewähr schultert.

„Wenn ich da nicht lebend rauskomme, müsst ihr zurück laufen. Also sorgt besser dafür, dass ich überlebe", sagt er und mustert das Einkaufszentrum mit einem arroganten Blick. Akari flucht leise und setzt einen Schritt nach vorne, als ich nach ihrem Arm greife und sie zurückhalte.

„Nicht jetzt", zische ich ihr leise zu. „Bring ihn besser nach dem Spiel um. Du willst nicht, dass er wütend auf dich dort hineingeht."

Sie weiß, dass ich recht habe. Das sehe ich. Aber ihr kleines Schmollen verrät mir, wie gerne sie ihn gerade mit seinem eigenen Auto überrollen würde.

„Wollen wir?", fragt Yuna schüchtern und zeigt auf den großen Eingang des Einkaufszentrums. Ich fange Chishiyas Blick auf, der ein leises: „Das wird sicher lustig", von sich gibt, ehe er Niragi in das Gebäude folgt, der mutig vorausläuft.

Sobald ich die Tür durchquere, erklingt hinter mir das vertraute Geräusch der eingeschalteten Laserstrahlen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich greife nach einem der Handys auf dem kleinen Tisch und warte bis die Gesichtserkennung mich in das Spiel einloggt. Außer uns gibt es noch zwei andere Spieler, die uns mit einer Mischung aus Überraschung und Angst mustern. Die beiden Jungen sind Höchstes sechszehn. Sie tragen noch ihre Schuluniform, die aussieht wie neu. Es ist ihr erstes Spiel, wird mir bewusst. Sie müssen völlig verängstigt sein, da sie nicht wissen, was mit ihnen passieren wird. Ich empfinde ihnen gegenüber bedauern und hoffe einfach, dass sie irgendwie das Spiel überleben werden.

Sobald der Letzte von uns eingeloggt ist, verriegeln sich alle Türen, genauso wie ich es geplant habe und eine Computerstimme verkündet.

„Willkommen bei dem Spiel: Finde den Ausgang. In diesem Einkaufszentrum gibt es nur einen Ausgang, der in die Freiheit führt. Der Code besteht aus sechs Zahlen. Diese befinden sich in vier Geschäften irgendwo in diesem Einkaufszentrum verteilt. Die Spielzeit beträgt zwanzig Minuten. Schafft ihr es nicht rechtzeitig, expodiert hier alles. Die Spieleranzahl beträgt neun. Schwierigkeitslevel: Kreuz 6. Viel Erfolg."

„Was soll das heißen?", ruft einer der Jungs aufgebracht. „Was soll das für ein Spiel sein?"

„Zwanzig Minuten?!", schreit sein Freund hysterisch. „Das Einkaufszentrum ist riesig! Wir sollen wir da die Zahlen finden!" Er schaut uns verwirrt an, doch niemand von uns antwortet ihm. Es ist eine Weile her, dass ich dieses Spiel entworfen habe. Es ist eines meiner Ersten gewesen. Deshalb kann ich mich nicht mehr an den Code erinnern oder in welchem der Geschäfte sie zu finden sind. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad. Und dass diese beiden Neulinge gerade beginnen durchzudrehen, macht es mir nicht unbedingt leichter, mich zu konzentrieren.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun", sagt Daichi zu einem der Jungen, der kurz davor ist die Tür mit Gewalt zu öffnen. „Einmal im Spiel, gibt es kein Zurück mehr."

„Was?", fragt dieser panisch. „Das ist ein Scherz, richtig? Nur ein blöder Traum", murmelt er vor sich hin und rüttelt weiter an der Tür. Augenverdrehend trete ich zu ihm und lege eine Hand auf seine Schulter. Ich hasste es, wenn Leute in Panik verfielen und damit alle in Gefahr brachten.

„Beruhige dich", sage ich und erlange die Aufmerksamkeit des 16-Jährigen, der sich jetzt zu mir dreht. „Willst du, dass wir gleich zu Beginn alle sterben?" Unsicher schaut sich der Junge um und scheint endlich zur Vernunft zu kommen, als er von der Tür zurücktritt.

„Da das geklärt ist, lasst uns in Gruppen die Etagen abgehen", ergreift Mako nun das Wort und mustert jeden Einzelnen ausgiebig. „Daichi, du nimmst die zwei Neuankömmlinge mit. Lauft die unterste Etage ab und suchte nach den Zahlen und dem Ausgang." Ich zog erstaunt meine Augenbraue hoch, als ich Mako so reden hörte. Normalerweise war er ruhig und verschlossen, doch heute strahlte er nur vor Selbstbewusstsein und in seinem Blick lag etwas Spezielles, was ich nicht ganz deuten konnte.

„Niragi und Akari, ihr bildet ein Team und sucht in der zweiten Etage."

„Ich will nicht mit dem in einem Team sein!", ruft meine Freundin entsetzt, während Niragi die Augen verdreht und gleichzeitig: „Dann kann ich ja gleich alleine gehen", schnaubt. Wütend verschränken beide die Arme und funkeln sich gegenseitig mit Todesblicken an.

„Benimmt euch nicht wie Kinder", knurrt Mako und wirft einen Blick auf das Handy.

„Wer hat dich überhaupt zum Anführer ernannt?!", fauchen sowohl Akari und Niragi ihn gleichzeitig an und ich kann mir ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen.

„Na, wenigstens darin seid ihr euch einig", seufzt er und dreht sich in Richtung Yuna, die unsicher an den Fransen ihrer Jacke zupft.

„Yuna, du gehst mit...wo ist Chishiya?" Irritiert schaue ich mich um, doch von dem Weißhaarigen fehlte jede Spur und ich merke, wie mein Herz schneller anfing zu schlagen. Was hat dieser Kerl vor?

„So wie ich diesen Klugscheißer kenne, ist er sicherlich an einem Ort wo er sich versteckt und alles im Blick hat", gibt Niragi laut von sich und lässt seine Zunge über die Zähne gleiten. „Dieser Arsch geht mir auf den Sack", murmelt er noch, als seine Augen nach oben wandert. Ich folge dem Blick und sehe Chishiya auf der obersten Etage am Geländer stehen, mit einem herabwirkenden Lächeln winkt er uns zu und ein unwohles Gefühl steigt in mir auf.

„Na gut. Dann sucht Yuna die erste Etage alleine ab und Miyu und ich kümmern uns um die dritte Ebene."

„Euch bleiben noch fünfzehn Minuten", ertönt die weibliche Stimme und zum ersten Mal seit Beginn des Spieles, schienen alle zusammenzuarbeiten. Ich werfe Mako einen kurzen Blick zu, als wir die Rolltreppe hinauf laufen. Seine Haltung war angespannt und als er den Tisch voller Waffen erblickte, der auf unserer Etage auf uns wartete, bemerkte ich die Sorge in seinen Augen.

„Wir schaffen das", sage ich mit einem Lächeln, dass er sanft erwidert, ehe er nach einer Machete greift.

„Mit dir an meiner Seite mit Sicherheit." Ich merke, wie mir die Röte in die Wangen schießt, und schaue ihn mit aufgerissenen Augen an. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Noch ehe ich etwas antworten konnte, zersplitterte irgendwo in dem Einkaufszentrum Glas und Schüsse erfüllen die riesige Halle, gefolgt von einem wütenden Schrei, der deutlich nach Akari klang. Mein Herz schlägt einen Marathon. Das Spiel hat offiziell begonnen. 

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