Kapitel 15 Akari
Sooo meine Lieben, ich hoffe ihr mögt das Kapitel, denn es ist die Ruhe vor dem großen Sturm! Genießt es, denn bald wird es wirklich unschön.
Außerdem haben meine Co-Autorin und ich die letzten Kapitel überschlagen und es werden nicht mehr sehr viele folgen. Eine genauere Anzahl geben wir euch noch.
Bis dahin viel Spaß beim Lesen!
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„Ratet, wer an den Alkohol gedacht hat?" Sota hält begeistert zwei Flaschen Kirschschnaps in die Höhe und macht dazu eine feierliche Tanzbewegung, ehe er die Flaschen auf den Schreibtisch neben dem Fernseher abstellt.
Hinter ihm erscheint Kiko in Makos Zimmer und schließt mit ihrem Fuß die Tür hinter sich. In ihrem Armen erkenne ich Barcadi, Whiskey, Pfefferminzschnaps und Wein, den sie fest an ihre Brust drückt, um keine davon fallen zu lassen.
„Du bist mein Held!", grinst Mako begeistert und holt sieben Gläser aus dem Schrank in seinem Schreibtisch hervor. Kiko stellt ihre Flaschen neben die von Sota ab und wirft ihm an amüsiertes Lächeln zu.
„Genau genommen habe ich daran gedacht", erklärt sie mit einem kurzen Blick in meine Richtung. „Aber klar, ernte die Lorbeeren ein."
Ich schmunzle, als ich sehe, wie sie mit den Augen rollt, und streiche ihr lobend über den Rücken, als sie sich zu mir auf Makos Bett setzt. Sie greift nach ihren langen dunkelbraunen Haaren und schiebt sie über ihre rechte Schulter, um sich besser an mir anlehnen zu können. Ich streiche ihr durch das weiche Haar und lächle Isamu an, der leise das Zimmer betritt. Er nickt den anderen kurz zur Begrüßung zu und setzte sich dann an meine andere Seite auf das Bett. Während Mako und Sota den Bacardi mit der Flasche Sprite mixen, die Mako noch in seinem Zimmer hatte, macht es sich Isamu neben mir gemütlich und lehnt sich gegen das weiße Kopfkissen.
„Wo sind Miyu und Raidon?", fragt er und nimmt dankend das Glas von Mako an.
Ich lächle Sota an, der mir ebenfalls ein Glas reicht und wende mich dann an den Arzt.
„Sie kommen gleich."
Es ist so ewig her, dass ich mit Freunden beisammen sitze und einfach die Zeit genieße. Normalerweise sind die Partys im Beach dafür da, um den Alltag zu vergessen und zu feiern, dass wir noch leben. Aber das hier ist anders. Dieses Mal vergesse ich wirklich für einen kleinen Moment, dass mein Leben alles andere als normal ist.
„Sie schauen, ob sie noch irgendwo Chips herbekommen."
Ich nippe an dem Bacardi und genieße es, dass die brennende Flüssigkeit durch die Sprite abgeschwächt wird. Es fehlen nur noch die Himbeeren und ein paar Eiswürfel in dem Glas. Aber ich weiß nicht, wann ich überhaupt zuletzt Obst, Gemüse oder Beeren gesehen habe.
Kiko nimmt den Kopf von meiner Schulter und setzt sich zu Sota auf den Fußboden, der sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnt. Also krieche ich weiter auf das Bett hinauf, bis ich neben Isamu sitze. Er rutscht etwas beiseite, damit ich mich auch an das weiche Kissen lehnen kann. Seine Schulter berührt meine und lässt meine Muskeln augenblicklich innerlich anspannen. Er riecht gut, irgendwie nach Shampoo und da seine dunkelbraunen welligen Haare noch etwas feucht aussehen, nehme ich an, dass er duschen gewesen ist, bevor er herkam. Er bemerkt, dass ich ihn beobachte und lässt seinen Blick zu mir wandern. Dabei ziehen sich seine Mundwinkel nach oben zu einem warmen Lächeln. Ich erwidere es automatisch. Wie könnte ich es bei dem charmanten Mann auch nicht tun?
„Ich freue mich, dass du Zeit gefunden hast dabei zu sein", sage ich und ziehe dabei meine Knie an den Körper heran, um Miyu und Raidon Platz auf dem Bett zu machen, die so eben in das Zimmer gekommen sind.
„Wie könnte ich diese kleine Feier verpassen? Diese familiären Runden sind mir viel lieber, als die großen Partys."
Miyu wirft drei Chipstüten in verschiedenen Sorten auf das Fußende, Raidon tut es ihr gleich. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist Chishiya, der ihnen in das Zimmer folgt und sich schweigend zu dem großen Fenster gesellt, um sich dort auf dem Brett über der Heizung nieder zu lassen. Ich werfe Miyu einen fragenden Blick zu, doch sie zuckt nur mit den Schultern, als wisse sie selbst nicht, warum Chishiya hier ist. Aber sie kann mir nichts vor machen. Ich beobachte die beiden schon eine Weile und ganz offensichtlich scheint unser Mr-ich-brauche-niemanden-und-komme-alleine-klar eine kleine Schwäche für meine beste Freundin zu haben. Und mir ist auch nicht entgangen wie Miyu ihn ansieht. Sie muss mir nicht sagen, dass sie Gefühle für ihn hat. Ihr Blick, als er sagte, dass er Abstand brauchte, war genug. Außerdem habe ich sie gestern dabei erwischt, wie sie am Pool saßen und ein sehr intimes Gespräch führten. Ich habe nicht mitbekommen worum es ging, aber Chishiya hat sich immer mal wieder zu meiner besten Freundin herüber geneigt und dabei unauffällig auf einen der Beachbewohner gezeigt. Den Abstand braucht er nun offensichtlich nicht mehr. Allerdings ist mir auch nicht entgangen, wie Mako das Gesicht verzieht, als er Chishiya zur Tür reinkommen sah. Und auch jetzt, erhebt er sich widerstrebend von dem Fußboden und kramt ein weiteres leeres Glas hervor, um dem uneingeladenen Gast ebenfalls etwas zu trinken anzubieten.
Miyu setzt sich neben mir auf die weiche Matratze und damit sie genug Platz hat, rutsche ich noch etwas weiter zu Isamu herüber, dessen Knie nun meines berührt. Auch unsere kleinen Finger haben bei der Gewichtsverlagerung kurzen Kontakt, doch sowohl er als auch ich nehmen unsere Hände schnell von der Matratze und umklammern damit das Glas voll Alkohol.
„Isamu", sagt Miyu erfreut ihn zu sehen und beugt sich nach vorne, um an mir vorbei schauen zu können. „Ich freue mich, dass du da bist. Ich dachte, du schaffst es nicht, weil es einen Notfall gab."
Der Notfall war ein kleiner Zwischenfall unter den Wachen. Jemand in Niragis Team, ich glaube, es war Chiyo, hatte sich mit einem der neuen Wachen angelegt, die vor zwei Tagen erst zum Beach dazustießen. Der Neue wurde kurz darauf mit einer tiefen Stichwunde zwischen der 9 und 10. Rippe in die Notaufnahme gebracht.
„Mit Akaris Hilfe habe ich es geschafft seine Blutung zu stoppen", erklärt Isamu und sein Blick schweifte kurz zu mir, der mich sofort stolz lächeln lässt. „Ich habe ihn erst einmal Medikamente gegeben und die Aufsicht einem Freund anvertraut. Er wird mich rufen, sobald es Komplikationen gibt." Vorsichtig, mich dabei nicht zu berühren, hebt er sein Glas in die Höhe. „Deshalb belasse ich es heute Abend auch bei dem einen Glas. Mehr kann ich mir nicht leisten."
„Vorbildlich wie immer", lobt Miyu und nickt anerkennend, während sie selbst ihr Glas unauffällig mit meinem austauscht, welches ich in der Zeit geleert habe. Meine beste Freundin trinkt nicht viel, da sie den Geschmack von Alkohol nicht mag und ich trinke nicht viel, weil ich relativ schnell müde werde.
Das hält die anderen allerdings nicht davon ab sich innerhalb von einer Stunde ziemlich abzuschießen. Und zwar so sehr, dass Miyu, Chishiya und Isamu die einzigen nüchternen in dem Raum sind und ich ... sagen wir einfach, ich bin angetrunken. Doch anders als ich, werden unsere Freunde nicht müde, sondern ehr hellwach. Und das bringt sie dazu sehr tiefsinnigen Gesprächen aus ihrem früheren Leben vor Borderland zu führen.
„Wenn ich gewusst hätte, dass ich irgendwann hier landen würde", begann Mako und exte den Rest seines Pfefferminzschnapses – den Bacardi hatten sie schon vor einer halben Stunde geleert -, „dann hätte ich mein Leben nicht so sehr damit verschwendet Bestnoten in der Schule zu erbringen."
„Du warst ein Streber?", entfährt es Sota fassungslos, während Mako verwundert die Augenbrauen in die Höhe hebt.
„Wusstest du das nicht? Ich dachte, es wäre offensichtlich", erwidert er und streicht sich seine dunkelblonden Strähnen aus dem Gesicht, die langsam den Halt des Haargels verlieren. Normalerweise stylt er sie sich immer aus dem Gesicht heraus, aber ich muss gestehen, dass es ihm auch sehr gut steht, wenn sie ihm in die dunkelbraunen Augen fallen. Manchmal erinnert er mich an San von Ateez. Sein schlanker Körperbau und die breiten Schultern, sowie die kantigen Gesichtszüge und das niedliche Lächeln weisen sehr viel Ähnlichkeit mit dem koreanischen Idol auf.
„Ich hatte wirklich keine Ahnung!", beteuert Sota und schaut fassungslos zu Kiko, die ihm verstehend die Schultern tätschelt.
„Wundert mich nicht", kann ich Chishiya murmeln hören. Isamu hat es ebenfalls mitbekommen, weshalb er schnell die Aufmerksamkeit auf sich zieht, bevor es noch jemand hört.
„Wenn du Tiermedizin studiert hast, wieso hilfst du mir nicht in der Notaufnahme?", fragt er freundlich. „Akari und ich können noch weitere Hände gebrauchen."
„Ich hatte schon darüber nachgedacht", gesteht Mako. „Aber Tiere und Menschen sind schon ein kleiner Unterschied und ich hatte etwas bedenken, ob ich sie richtig behandeln würde."
„Aber dein Grundwissen von Anatomie und Physiologie ist vorhanden. Und ja, klar, der Aufbau ist ein anderer. Aber hier ist sowieso alles etwas ... fernab der Richtlinien."
Eigentlich redet fast niemand über sein Leben vor Borderland. Hauptsächlich deshalb, weil wir uns alle einreden, dass wir früher oder später aus diesem Alptraum erwachen werden. Und wenn man jeden einzelnen Tag um sein Leben spielen muss, dann werden Fakten wie die Kindheit oder Träume einfach irgendwie nebensächlich. Sie haben keine Bedeutung in Borderland.
Hier bin ich froh, wenn ich den nächsten Tag erleben darf.
„Mich haben sie auch einfach ins Blaue geworfen." Ich zucke mit den Schultern. „Und wenn ich noch niemanden umgebracht habe, dann schaffst du es auch." – Jedenfalls nicht in der Notaufnahme. Von den Spielen reden wir besser nicht, zumal ich immer noch eine gewisse Mordquote erfüllen muss.
„Dann würde ich euch gerne unterstützen." Mako lächelt zufrieden und richtet seinen Oberkörper auf.
„Ich wünschte, ich hätte auch mehr gelernt." Kiko seufzt. „Dann hätte ich irgendeinen brauchbaren Beruf lernen können anstatt Verkäuferin in einem Lebensmittelladen."
„Aber deine Ausbildung sagt doch nichts über deinen Bildungsstandard aus", merkt Isamu mit weicher, eindringlicher Stimme an. „Für viele Menschen ist es schwer gute Noten und Motivation aufzubringen, wenn sie nicht wissen, wo sie in ihrem Leben hinwollen. Wir sind viel zu Jung, wenn wir die Schule beenden und niemand kann von einem Sechszehnjährigen Kind erwarten hier und jetzt über seine Zukunft zu entscheiden. Ich kenne ein Mädchen, die hat zuerst eine Ausbildung für etwas anderes gemacht, bis sie ihre wahre Berufung in einem Buchladen fand."
Ich schaue beeindruckt zu dem jungen Arzt und kann nicht verhindern, dass seine Worte mir eine Gänsehaut verursachen. Seine Ansicht ist so erwachsen, obwohl er ein Jahr jünger ist als ich. Während ich irgendwie versucht habe die Schule zu überstehen und einen guten Notendurchschnitt zu halten, um keine Schande über meine Familie zu bringen, nur um dann ein Studium zum Mediengestalter zu machen, weil es das Einzige ist, was mir halbwegs zugesagt hat, wusste Isamu bereits mit jungen Jahren, wo er hinwill.
„Er hat Recht, Kiko", stimmt Raidon ihm zu. „Dein Beruf sagt gar nichts über dich aus. In Japan kann man froh sein, wenn man überhaupt einen Job findet."
„Oder mehrere", murmelt Miyu. „Weil man mit einem Job alleine nicht über die Runden kommt."
„Das klingt, als hättest du Erfahrung damit?", bemerkt Kiko besorgt, der Miyus Unterton sofort aufgefallen ist. Ertappt schaut meine beste Freundin auf und verzieht die Lippen zu einem traurigen Lächeln.
„Mehr oder weniger", gesteht sie und zieht die Beine eng an ihren Körper heran, um sie mit den Armen zu umschlingen. „Sagen wir einfach, dass ich schon sehr früh bemerkt habe, wie wichtig ein Job ist." Sie schweigt einen kurzen Moment und wirft mir dabei einen hilfesuchenden Blick zu. Ich lächle aufmunternd und lege meine Hand auf ihre, um ihr Mut zu machen, es auszusprechen. Im Gegensatz zu mir hat Miyu ziemlich viel Scheiß in ihrem Leben durchgemacht. Ich weiß, dass sie seit wir in Borderland sind, kaum noch daran gedacht hat. Doch es gibt Momente, in denen sie melancholisch an ihr normales Leben zurückdenkt.
Sie richtet sich auf, strafft ihre Schultern und holt tief Luft. Die Stimmung in Makos kleinen Zimmer ist schlagartig angespannt und alle hängen an ihren Lippen, als sie zu sprechen beginnt.
„Mein Vater verlor vor einigen Jahren seine Arbeit in der Anwaltskanzlei. Leider ist die Jobsuche in Japan so schwer, dass er keinen neue Stelle fand und da wir keine Ersparnisse hatten, dauerte es nicht lange, bis wir unser Haus verkaufen mussten und in eine Apartmentwohnung außerhalb der Stadt zogen, weil es dort günstiger war." Sie unterbricht sich kurz und ordnet ihre Gedanken. Jetzt kommt sie zum schwierigen Teil. „Mein Vater verfiel dem Alkohol", erklärt sie kurz darauf und schaut von der Bettdecke auf zu Mako, der ihr direkt gegenüber sitzt. Seine Augen weiten sich für einen kurzen Moment und er scheint die Situation zu verstehen, bevor meine beste Freundin sie vertieft. Er erhebt sich von dem Boden und setzt sich auf das Fußende des Bettes neben Raidon. Ein gehauchtes „Shit", entweicht seinen Lippen, dann legt er eine Hand auf ihr Knie. Mein Blick wandert automatisch zu Chishiya herüber. Doch er zeigt keine Reaktion – abgesehen davon, dass er Mako nicht aus den Augen lässt.
„Ja." Miyu nickt. „Er fing an immer mehr zu trinken und ging irgendwann nicht mehr aus dem Haus. Er schlug meine Mutter, setzte meinen Bruder vor die Tür und manchmal", ihre Stimme zittert, als sie den Satz beendet, „manchmal schlug er auch mich."
Kiko entweicht ein empörter Laut, genauso wie Sota, der wütend die Augenbrauen zusammenzieht. Auch Mako äußert sich laut zu dem was er so eben gehört hat und beschimpft Miyus Vater, wie er soweit gehen konnte seinen eigenen Kindern so etwas anzutun. Ich lege einen Arm um Miyus Schulter, um sie fest an meine Seite zu ziehen, doch meine beste Freundin ist stark geworden. Viel stärker, als sie es vor Borderland war. Sie drückt Makos Hand dankend und setzt dann ihr typisches Lächeln auf, um ihre Narben zu verstecken. Sie will nicht weiter darüber sprechen und wir sind uns einig es stillschweigend zu akzeptieren. Alleine, dass sie es ausgesprochen hat, ist ein großer Schritt für sie gewesen.
Ich sehe wie sich Chishiya kaum, fast unmerklich, anspannt. Seine Hände krampfen sich um den Rand des Fensterbrettes und seine Lippen pressen sich fest aufeinander. Aber er schweigt, ganz so wie es typisch für ihn ist.
Niemals die Fassung verlieren.
Sota beschließt das Thema zu wechseln und beginnt von einem Erlebnis aus der Schulzeit zu erzählen, in dem die Klassenstufe über ihn ihren Abschluss feierten, in dem sie Süßigkeiten in den Klassenraum der Unterstufen warfen. Sota saß an diesem Tag ganz vorne und wurde direkt von einem Schokoriegel attackiert. Dabei wurde sein Auge so ungünstig getroffen, dass er auf die Krankenstation musste und den Rest der Woche mit einer Augenklappe zur Schule kam. Für das nächste Jahr wurden die Schokoriegel dann verboten.
Diese Geschichte bringt uns so sehr zum Lachen, dass die angespannte Stimmung aus dem Raum weicht und Platz lässt für weitere Erinnerungen aus der Schulzeit. Chishiya ist jedoch der Einzige der sich nicht an dem Gespräch beteiligt. Wachsam lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er bemerkt, dass ich ihn beobachte. Zur Antwort sieht er mich verwirrt an, doch ich erwidere es mit einem wissenden Lächeln.
„Hast du auch eine witzige Geschichte, Akari?", fragt Sota und gießt mein Glas bis zur Hälfte mit dem Kirschschnaps voll. Ich wende mich von Chishiya ab und schaue den hübschen braungebrannten Jungen mit der großen runden Brille an. Dass er schon zur Schulzeiten der Mädchenschwarm der Klasse war, bewies er spätestens, als er erzählte wie viel Schokolade er am Valentinstag bekam.
„Ich habe ehrlich gesagt keine wirklich witzige Geschichte", gestehe ich achselzuckend. „Die meiste Zeit habe ich damit verbracht zu lernen."
„Warst du nicht einmal verliebt?", fragt Kiko hoffnungsvoll und hebt zweideutig die Augenbrauen. Ertappt schaue ich auf die rote Flüssigkeit in meinem Glas und führe es an meine Lippen, während Miyu neben mir auflacht und ein wissendes: „Hirotu", entfährt.
„Wer ist Hirotu?", fragt Isamu auf meiner anderen Seite und wendet augenblicklich seinen Oberkörper in meine Richtung. Die brennende Flüssigkeit rinnt meine Kehle hinab und betäubt meine Zunge genauso wie meine Hemmschwelle.
„Meine erste Liebe", gestehe ich deshalb, ohne zu zögern. „Ich war seit der Mittelstufe, bis zum Abschluss in ihn verliebt gewesen."
Kiko legt sich eine Hand auf ihr Herz und gibt ein entzücktes Geräusch von sich, ehe sie mit leuchtenden Augen fragt:
„Hast du es ihm je gesagt?"
„Nein", erwidere ich. „Nie."
„Aber er hatte auch Gefühle für dich", wirft Miyu ein und fällt fast von dem Rand des Bettes, als ich sie für ihre Aussage etwas unsanft anstoße.
„Das hat er nie gesagt!"
„Aber jeder wusste es. Jeder, nur du nicht."
Zur Antwort exe ich mein Glas erneut und halte es Sota hin, damit er es erneut auffüllt. Ich spüre den Alkohol bereits. Wie schwere Gewichte legt er sich auf meinen Körper und drückt mich erbarmungslos in die Matratze. Ich habe ihn nicht mehr unter Kontrolle, genauso wenig wie meine Zunge.
„Wolltest du es denn nie wissen?", fragt Kiko enttäuscht. Ihr Blick ist bereits etwas verklärt. Auch bei ihr macht sich der Alkohol bemerkbar.
„Natürlich", gestehe ich. „Ich frage mich jeden Tag, seit dem Abschluss, wie er wirklich für mich empfunden hat. Aber ich bin feige und kann meine Gefühle nicht aussprechen, wenn er es nicht zuerst tut."
„Du bist wunderschön, Akari", sagt Sota, lallt dabei ein wenig und zeigt mit seinem Zeigefinger auf mich, in dessen Hand er sein volles Glas hält. „Du hättest ihn umgehauen, wenn du es ihm gesagt hättest. Wenn er nicht völlig bescheuert ist, dann hätte er dich niemals zurückgewiesen."
Seine Worte bringen mich zum Lächeln. Es ist wirklich lieb von ihm.
„Jetzt werden wir es wohl nie erfahren. Außer er kommt zufällig nach Borderland."
„Wie war er so?", höre ich Isamu zögernd fragen und breche in Gelächter aus, als Miyu für mich antwortet.
„Heiß. Ohne Mist, er war einer der beliebtesten Jungs der Schule."
„Und den wolltest du dir aufreißen?" Sota pfeift anerkennend. „Ich bin beeindruckt."
„Alle anderen wären auch nicht gut genug für Akari", lächelt Mako mich an. „Sie verdient nur den Besten."
Ich schicke ihm im benommenen Zustand eine Kusshand herüber und lächle über seine süßen Worte. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Isamu noch etwas sagen möchte, aber Raidon kommt ihm zuvor. Bisher hielt er sich im Hintergrund, doch jetzt seufzt er laut auf und fährt sich mit der Hand über seinen komplett tätowierten Arm.
„Bei dem ganzen Gerede über Liebe muss ich an meine Frau denken." Seine Hand fährt wieder herunter bis zu seinem Unterarm, auf dem ich aus der Entfernung einen Stern erkennen kann. Da sein Arm komplett mit Tattoos überseht ist, ist es schwer zu sagen, wo eines anfängt und wo ein anderes aufhört. Aber um diesen kleinen Stern kreist er herum und ich erahne bereits, dass er eine wichtige Bedeutung für ihn hat.
„Wie lange seid ihr schon verheiratet?", fragt Miyu neugierig und legt den Kopf auf meiner Schulter ab.
„Vor Borderland waren es zwei Jahre. Keine Ahnung, kann man die Zeit hier mitzählen? Oder bleibt die Zeit in der richtigen Welt dann stehen? Vorher waren es jedenfalls zwei Jahre." Raidon lächelt bei dem Gedanken an sie und seine schmalen Augen werden durch diesen liebevollen Gesichtsausdruck noch kleiner.
„Durch die Marine sah ich sie seltener, als es mir lieb war. Aber die Zeit mit ihr, ist wertvolles als alles andere auf der Welt." Er nippt an seinem Glas und belächelt den Fußboden. „Sie ist schön, unglaublich schön. Ihre Haare sind von Natur aus gewellt und ihre Augen leuchten dunkelgrün, wenn sie mich anschaut."
„Wie habt ihr euch kennen gelernt?", stellt Isamu die Frage, die uns alle durch den Kopf schwirrt. Raidon schaut auf und nimmt die Hand von seinem Unterarm. Grinsend hebt er sein Glas an die Lippen und sagte: „Auf einer Party", ehe er einen Schluck von dem Whiskey nimmt.
„Hätte nicht gedacht, dass du der Partymensch bist", feixe ich und nippe ebenfalls an meinem Glas.
„Bin ich auch nicht." Raidon zwinkert mir zu, ein deutliches Zeichen, dass er bereits betrunken ist. „Es war Schicksal, schätze ich mal. An diesem Abend haben mich meine Freunde zu der Party geschleift und einer von ihnen hat mir Aiko vorgestellt."
„Das klingt nach Liebe auf dem ersten Blick", schlussfolgere ich und spüre die Wärme in meiner Brust, die entweder von seiner Geschichte kommt oder von dem Alkohol, der mir sagt, dass ich nicht noch mehr trinken soll.
„War es nicht." Raidon lacht. „Sie hatte zu dem Zeitpunkt einen Freund und durch meine Schweigsamkeit keinen sonderlich guten Eindruck von mir. Das kam alles erst viel später, je öfter wir uns zufällig wiedersahen. Aber jetzt ist sie die Liebe meines Lebens und ich denke jeden einzelnen Tag. Wann immer ich in den Spielen bin, will ich nur für sie überleben, um sie eines Tages wieder in meinen Armen halten zu können."
„Ich bin sicher, dass du es tun wirst", versichert ihm Miyu und weiß selbst, wie unwahrscheinlich es ist. Aber an alles andere auch nur zu denken, wäre unangebracht.
„Also ... ich weiß nicht, ob es an dem Alkohol liegt, aber ich würde da auch gerne etwas loswerden." Mako räuspert sich und leert sein Glas, ehe er es über sich auf dem Schreibtisch abstellt. „Ich brauche euren Rat." Er setzt sich in den Schneidersitz und neigt seinen Oberkörper nach vorne, um sich mit den Unterarmen auf dem Knie abstützen zu können.
„Was immer es ist, hau es raus!", versichert Sota und schnippst überschwänglich in seine Richtung, ehe er sich auf seine Brust klopft. „Du kannst uns alles sagen! Wir nehmen es mit ins Grab."
„Vermutlich wortwörtlich", murmelt Chishiya und wirft Isamu nur einen ausdruckslosen Blick zu, der ihn mit dem Satz: „Sei nicht immer so pessimistisch", tadelt.
„Also es geht nicht um mich", winkt Mako schnell ab und lässt flüchtig seinen Blick über uns wandern. „Und es ist keine große Sache."
„Du bist verliebt!" Kiko quietscht begeistert auf und klatscht euphorisch in ihre Hände. Doch Mako zuckt bei ihrer Begeisterung zusammen und betont erneut, dass es um einen Freund geht und nicht um ihn.
„Und wobei genau hat dein Freund ein Problem?", fragt Raidon und fängt meinen Blick auf. Genau in diesem Moment verliere ich kurz meine Fassung und lasse meinen Ja-klar-Gesichtsausdruck durchblicken. Raidon nickt und versteckt sein Grinsen damit, indem er nach der Chipstüte greift. Mako kann gerne behaupten, dass es um einen Freund geht aber wir alle wissen, dass es ihn betrifft. Genauso wie wir alle wissen, von wem er spricht. Es ist einfach offensichtlich.
„Also mein Freund mag ein Mädchen aber er weiß nicht genau, ob er es ihr sagen soll. Er ist sich sicher, dass er in der Friendzone ist, aber er wäre gerne mehr für sie und mein Freund weiß nicht weiter. Ich würde ihm da gerne helfen, aber ich weiß nicht wie."
Vorsichtig wandert mein Blick zur Seite, doch meine beste Freundin plündert ahnungslos eine weitere Chipstüte.
Okay, vielleicht gibt es doch eine Person in diesem Raum, die keine Ahnung hat.
„Ich finde, er sollte es ihr einfach sagen", schlägt Sota vor. „Besser wäre es endgültig abgewiesen zu werden, als sich immer zu fragen, >Was wäre wenn, ich etwas gesagt hätte?<."
„Grundsätzlich bin ich auch der Meinung", stimmt Isamu nachdenklich zu. „Aber manchmal gibt es auch Gegebenheiten, da sollte man lieber schweigen. Beispielsweise, wenn sie einen Freund hat oder, wenn man ganz sicher in der Friendzone ist."
„Ist dein Freund denn in Borderland?", fragt Sota.
„Ja, ist er."
„Dann sollte er es ihr sagen. Hier kann es jeden Tag vorbei sein."
„Das finde ich auch", stimmt meine beste Freundin ihm zu, ahnungslos, dass es um sie geht. Meine süße, leichtgläubige Miyu.
„Findest du?" Mako hebt hoffnungsvoll den Kopf. „Dann sollte ich es - ich meine, dann sollte er es ihr sagen?"
„Ja, unbedingt! Je früher, desto besser."
„Manchmal sollte man aber auch einfach schweigen", mischt Chishiya sich in einer Tonlage ein, die das Blut in meinen Adern gefrieren lässt. Seine Augen sind zu engen Schlitzen verzogen, die Finger umklammern das Fensterbrett, als sind sie das einzige, was ihn noch zurückhält. Ich spüre, wie sich Isamu neben mir bewegt, um einzugreifen, falls es nötig sein muss, während Miyu nur verwundert zwischen den beiden Jungs hin und her schaut. Mako beobachtet Chishiya eine Weile abwartend, dann öffnet er den Mund. Doch bevor er etwas sagen kann, lallt Sota ihm dazwischen.
„Ich mache den Anfang!" Stürmisch dreht er sich zu Kiko und greift nach ihrer Hand. „Kiko! Ich weiß, ich kann jede haben. Immerhin sprechen mich jeden Tag so viele Frauen hier an, aber seien wir ehrlich, keine von ihnen interessiert mich! Du bist es die ich will und das schon sehr lang!"
„Sota!", keucht Kiko atemlos hervor und legt ihre freie Hand auf ihr Herz. „Ist das auch wirklich wahr?"
„Ja, ich bin betrunken und Betrunkene sagen die Wahrheit! Ich liebe dich!"
„Oh, Sota, ich liebe dich auch!"
Und als wäre es nicht schon peinlich genug, das mit anzuhören, stürzen sie sich auf einander wie ausgehungerte Tiere und knutschen mit lauten Schmatzgeräuschen auf dem Boden herum.
„Wie süß!", lächelt Miyu, während ich Chishiya aus der anderen Ecke des Raumes grummeln höre: „Ich glaube mir wird schlecht!"
Ja, ich glaube mir auch.
Makos Moment ist allerdings vorbei, denn er jegliche Hoffnung entschwindet aus seinem Gesicht, als Miyu vorschlägt, dass sie ja noch etwas zu trinken holen könnte und Chishiya ihr sagt, dass er sie begleitet und sie zusammen das Zimmer verlassen.
Ich habe eindeutig zu viel getrunken für heute. Müdigkeit überrollt mich und Hitze steigt in mir auf. Wenn ich diesen Punkt erreiche, dann hilft nur noch eines. Also neige ich mich zu Isamu herüber und raune ihm zu, dass ich frische Luft brauche.
„Ich begleite dich", lächelt er zur Antwort. „Ich könnte auch etwas frische Luft vertragen."
„Geht es dir gut?", fragt Isamu, als wir den Hotelflur entlanggehen und greift nach meinem Arm, als ich für einen kurzen Moment das Gleichgewicht verliere und strauchle. „Du siehst ziemlich fertig aus."
„Alles in Ordnung", versichere ich ihm schnell und kann selbst spüren wie rot meine Wangen sein müssen. „Meine Alkoholgrenze ist nur sehr niedrig."
„Soll ich dich stützen?", bietet er an, als ich erneut ins Wanken gerate. Doch ich hebe nur abwehrend die Hand und versichere ihm erneut, dass ich klar komme. Es ist eine glatte Lüge. Ich kann kaum einen Schritt vor den anderen setzen, ohne mich vorher sehr stark darauf zu konzentrieren. Außerdem muss ich mehr Wasser trinken. Von zu viel Alkohol dehydriere ich sehr schnell und bekomme Kopfschmerzen. Das Ganze wird jetzt noch zusätzlich von der lauten Bassmusik unterstützt, die uns hoch wummert, je dichter wir dem Poolbereich kommen.
Ich stoße etwas unsanft die Tür zum Treppenflur auf und halte sie Isamu auf, ehe ich selbst in den kühlen Flur trete. Wir steigen die Treppen hinab, bis wir fast im Erdgeschoss ankommen.
„Wir können auf die Krankenstation. Irgendwo müsste ich dort noch Tabletten gegen Kopfschmerzen haben", bietet Isamu an, als er sieht, wie ich bei der lauten Musik das Gesicht verziehe. Doch anstatt ihm zu antworten, zieht etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich. Oder besser gesagt, jemand.
Mein Fuß schwebt bereits über der Stufe unter mir, als ich stehen bleibe und zu Niragi hinabschaue, der am Fuße der Treppe einem fremden Mädchen seine Zunge in den Hals schiebt.
Ich schlucke schwer, schließe die Augen und wende den Blick ab. Das Stechen in meiner Brustgegend ist das erste Gefühl seit drei Stunden, dass nicht von meinem Alkoholkonsum kommt. Ich atme tief durch und höre meinen Puls in den Ohren widerhallt. Laut und erbarmungslos, genauso wie die Wut, die in mir aufsteigt.
Ich habe versucht es zu verdrängen, es zu ignorieren und mir zu sagen, dass es nicht da ist. Aber zu sehen, wie seine Hände an ihrem halbnackten Körper auf und abwandern machen mich rasend vor Wut. Seit dem Moment im Krankenzimmer, bekomme ich seine Worte nicht mehr aus meinem Kopf und es treibt mich selbst in den Wahnsinn. Und das schlimmste an der ganzen Geschichte ist, dass er seitdem jeden Abend ein anderes Mädchen in sein Zimmer zerrt. Manchmal erwische ich ihn dabei, manchmal höre ich es am nächste Tag, wenn er beim Frühstück seinen „Freunden" davon erzählt. Und jedes Mal trifft es mich einen Schlag fester. Am besten wäre es, ich würde diesen Moment den wir hatten einfach vergessen und mir nicht einreden, dass da mehr ist. Aber dank dem Vorstand, sehe ich Niragi in vielen der Spiele wieder und er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet, nur um kurz darauf mit einem anderen Flittchen im Bett zu landen.
Argh, es macht mich so wütend, dass ich Isamu erst beim dritten Mal höre, als er mich anspricht.
„Akari?", fragt er. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?"
Augenblicklich bin ich wieder geistig anwesend und lasse meinen Blick von ihm zu Niragi wandern, der seine Knutscherei unterbricht und mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck zu mir nach oben schaut.
„Alles besten", knirsche ich hervor und mache auf der Treppenstufe kehrt. „Aber ich habe es mir anders überlegt. Lass uns auf die Dachterrasse gehen. Hier unten ist mir zu viel los und ich wäre gerne mir dir ungestört." Die Wortwahl war beabsichtigt und ich kann nicht verhindern, dass ich dabei zu Niragi schaue, um seine Reaktion mitzubekommen. Tatsächlich steht er immer noch am Fuße der Treppe, schaut zu mir auf und ignoriert jegliche Versuche des Mädchens, die sich ihm mit Küssen an seinem Hals wieder annähern will.
Isamu überlegt nicht lange, wirft Niragi einen letzten Blick zu und folgt mir dann die Treppen nach oben bis zur Dachterrasse. Ich bin mir sicher, dass er die Situation ziemlich schnell erfasst hat. Die Frage: „Läuft etwas zwischen euch?", steht ihm ziemlich deutlich in sein Gesicht geschrieben, als ich die oberste Stufe erreiche und die Tür öffne, um ihm den Vortritt zu lassen. Gerade, als ich ihm hinausfolgen will, greift jemand nach meinem Handgelenk, zieht mich zurück, wirft die Tür zu und drückt mich mit dem Rücken dagegen. Noch bevor ich weiß, wie mir geschieht, schlägt Niragi seine Hand neben meinem Gesicht mit einem lauten Knall gegen die Tür.
„Was soll das werden?!", faucht er mich an. Sein Gesicht ist wutverzerrt, die vollen Lippen aufeinandergepresst und die Augen zu engen Schlitzen gezogen.
„Bitte?!", erwidere ich empört und schlage seine Hände weg. Sofort tritt er einen Schritt zurück und zeigt auf die geschlossene Tür.
„Wieso er?! Wieso muss es immer er sein?!"
Ich drehe mein Gesicht zur Tür, erst dann beginne ich langsam es zu verstehen.
„Isamu? Was ist dein Problem? Er -"
„Er ist mein Problem!" Er weicht zurück und lässt seine Zunge verächtlich mit dem Lippenpiercing spielen. „Dieser Dreckskerl schleicht ständig um dich herum."
„Warte." Meine Gedankenleitung ist wirklich nicht mehr die beste und es dauert etwas, ehe es dämmert mir, worauf er hinaus will. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?" Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und verschränke abwehrend die Arme. Hauptsächlich deshalb, weil ich ihm vermutlich sonst in sein selbstgefällig grinsendes Gesicht schlagen würde. „Ich sehe dich jeden Abend mit einem anderen Mädchen in dein Zimmer gehen. Was kümmert es dich also, mit wem ich Zeit verbringe?"
„Interessant", erwidert er und tritt langsam auf mich zu. Ich presse mich gegen die Tür, die bis eben noch mein Halt war, mir aber jetzt jeglichen Rückzugsort nimmt. In seinem Gesicht erscheint dieses wissende Grinsen, dass ich so sehr hasse.
„Das ist dir aufgefallen?", fragt er belustigt. Seine Augen fixieren mich, ohne sich dabei zu stören, dass es mir unangenehm sein könnte. Ich weiche ihm aus, doch er folgt mir und schiebt sich immer wieder in mein Blickfeld.
„Warst du etwa eifersüchtig?"
Ich gebe ein Schnauben von mir und rolle dabei mit den Augen.
„Bitte, als ob mich interessiert mit wem du ins Bett gehst. Und außerdem bekomme ich von deinen Stimmungsschwankungen Kopfschmerzen."
„Lenk nicht ab", grinst er zufrieden, als habe er mich genau da, wo er mich haben will. „Es macht dich wütend, wenn ich andere Frauen vögel. Ist es, weil jeder die Ehre hatte außer dir? Wollen wir das nachholen? Ich habe noch etwas Zeit, bevor ich Ota treffe."
Bei seinen Worten verspüre ich den puren Hass. Was auch immer ich mir eingebildet habe für ihn zu fühlen, ist in diesem Moment verschwunden.
„Du bist widerlich", speie ich meine Gedanken aus. „Ich würde mich niemals, selbst wenn du der letzte Mensch in Borderland bist, auf dich einlassen!" Mit einem kräftigen Stoß schiebe ich ihn beiseite und haste die Treppen wieder nach unten. Jetzt brauche ich keine frische Luft mehr, sondern mehr Alkohol. Aber so schnell gibt Niragi nicht auf.
Ich habe gerade den Hotelflur zu meinem Stockwerk erreicht, als ich seine Hand erneut an meinem Handgelenk spüre. Ohne auf mich oder die anderen umstehenden Leute zu achten, zieht er mich über den Flur hinter sich her, bis in sein Zimmer. Wie angewurzelt bleibe ich in seinem Zimmerflur stehen und warte darauf, dass er etwas sagt oder tut. Alles in meinem Inneren schreit, dass ich nicht hier sein soll, aber ich kann mich auch nicht dazu aufbringen wegzugehen. Ein kurzer Blick auf sein Gesicht reicht aus, um zu sehen, dass ich ihn verletzt habe.
Niragi schließt die Tür und dreht sich zu mir herum. Die nächsten Worte zischt er nur heraus. Zu mehr ist er nicht in der Lage.
„Sag so etwas nie wieder, verstanden! Nicht du! Du hast überhaupt keine Ahnung, Akari! Du hast keine Ahnung was du in mir auslöst, wenn ich dich anschaue!" Seine Stimme ist bei jedem Wort lauter geworden, unbeherrschter und trotzdem verursachen sie eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper. Meine Füße fühlen sich an, als sind sie an dem roten Teppich festgewachsen. Ich kann einfach nur da stehen und ihn fassungslos anschauen. Habe ich mich gerade verhört? Hat er das wirklich gesagt?
Er kommt auf mich zu, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
„Denkst du sie bedeuten mir alle etwas?", fragt er ironisch. „All die Frauen, Gott sie könnten in den nächsten Spielen drauf gehen und es wäre mir egal! Aber du ... in jedem einzelnen Spiel ... es bringt mich um, diese Angst dich zu verlieren."
Schweiß bildet sich auf seiner Stirn und an seiner Halsbeuge. Ob es von dem Treppen rauf und runterrennen kommt oder einen anderen Auslöser hat, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich nicht aufhören kann ihn anzuschauen. Alles an ihm. Seine Augen, die bis eben noch voller Wut waren und nun den reinen Schmerz ausstrahlen, den er sonst gekonnt verbirgt. Sein schwarzes Hemd, dass durch seinen Flirt von eben zur Hälfte aufgeknöpft ist und der Schweiß der sich auf seiner Brust abbildet. Bis hin zu seinen Händen, die ab und an in die Höhe zucken, als will er nach mir greifen, es sich aber kurz vorher anders überlegen.
Niragi führt einen inneren Kampf und ich bin der Grund.
Ich.
„Als du in diesem Krankenhausbett lagst, so komplett hilflos ... ich dachte, ich würde dich verlieren." Seine Stimme ist ruhiger geworden, viel sanfter. Und das brachte mich dazu auf ihn zuzugehen. Ich wollte ihn so unbedingt berühren, ihm sagen, dass es mir gut geht. Dass es mir dank ihm gut geht.
„Du hast mich gerettet." Ich hebe eine Hand, um sein Gesicht zu berühren, doch ich schaffe es einfach nicht diese Schwelle zu überwinden. Es erscheint mir so absurd. Alles an diesem Moment ist so falsch und trotzdem kann ich nicht aufhören.
„Ich lebe, weil du mich gerettet hast. Der eiskalte Niragi, der, der sich um niemanden kümmert, rettete mein Leben."
Meine Hand schwebt noch immer in der Luft und ich will sie herunternehmen, als er nach meinem Handgelenk greift und meine Hand zu seiner nackten Brust führt. Dorthin, wo sein Herz ist.
Unter seiner schweißnassen, heißen Haut, schlägt es rasend schnell.
„Du machst mich wahnsinnig, weißt du das?", fragt er, greift mit der freien Hand nach meiner Hüfte und zieht mich dichter an sich heran. Trotzdem hat die Bewegung etwas Vorsichtiges, als habe er Angst mich kaputt zu machen. In seinem Atem rieche ich Whiskey. Offensichtlich bin ich heute Abend nicht die Einzige, die etwas zu tief in das Glas geschaut hat.
„Du hast dich von mir ferngehalten", sage ich schließlich und spüre, wie er seine Hand von meinem Gelenk nimmt. Trotzdem ruht meine Hand weiterhin auf der Stelle, als wäre sie an seine Haut geklebt. „Damals, als ich auf der Krankenstation lag." Ich atme tief durch und versuche bei dem benebelten Durcheinander in meinem Kopf, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich habe wirklich geglaubt, dass du dich geändert hast und dann fingst du wieder damit an mit den ganzen halbnackten ... ich verstehe dich einfach nicht."
„Aber das war doch nur weil -" Er unterbricht sich selbst, tritt einen Schritt zurück und verliert damit den Berührungskontakt zu mir. Für einen kurzen Moment schließt er die Augen und reibt sich über sein Gesicht. „Es ist, weil ... ach scheiße!"
„Sag es", bitte ich. „Sprich es aus."
„Das zwischen uns begann sich gut anzufühlen und das kann ich nicht gebrauchen!", schreit er heraus und hebt seinen Kopf. Der Ausdruck in seinen Augen ist ernst und entschlossen. Jetzt wo die Worte seinen Mund verlassen haben, gibt es kein Zurück mehr. „Nicht in einer Welt wie Borderland."
Seine Worte ziehen mich magisch an und ich nähre mich ihm, ohne darüber nachzudenken. Sobald ich ihn erreiche, lege ich eine Hand in seinen Nacken. Ich schiebe es auf den Alkohol, aber seien wir ehrlich, ich hätte es auch nüchtern getan. Sanft ziehe ich sein Gesicht zu mir herunter. Ich will seine Lippen so unbedingt auf meinen spüren, dass es innerlich weh tut.
„Du machst mich angreifbar", haucht er, als sich unsere Lippen annähern. „Ich schaue ständig, ob es dir gut geht und du in meiner Nähe bist. Aber gehe ich in ein anderes Spiel, kann ich mich genauso wenig konzentrieren."
„Niragi?", frage ich und schaue von seinen Lippen zu ihm auf in seine Augen.
„Ja?"
Mein Blick wandert wieder zu seinen vollen Lippen.
„Halt endlich die Klappe." Und dann überwinde ich den letzten Abstand zwischen uns und presse meinen Mund auf seinen. Er zögert keine Sekunde, als er den Kuss erwidert und es dauert genauso lange, bis ich seine Zunge auch schon verlangend in meinem Mund spüre. Wir taumeln zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken bemerke, doch Niragi ist es nicht dicht genug und er presst seinen Körper noch enger an mich heran, bis zwischen uns kein Blatt Papier mehr passt. Seine Hände wandern meinen Körper hinauf und fahre gleichzeitig unter mein T-Shirt, dass ich mir zum Abend übergezogen habe. Sobald er es ein Stück hochschiebt, hebe ich die Arme, damit er es mir über den Kopf ziehen kann. Gleich darauf wandern seine Lippen an meinen Hals, fahren das Schlüsselbein entlang, bis zu meinen Brüsten herunter. Ich spüre das leichte Saugen und genieße das Gefühl seines kalten und harten Piercing auf meiner Haut. In meinem Inneren heizt sich alles vor Verlangen auf. Ich greife nach seinem Nacken und fahre mit den Fingern in seine Haare hinein, um mich in ihren festzukrallen. Dieses Gefühl ist so berauschend und lässt das Blut in meinen Adern kochen.
Ich will mehr.
Viel mehr.
Mehr von ihm.
Er ist mir noch nicht nahe genug. Also greift meine andere Hand zu seinem Hemd und öffnet etwas ungeschickt die Knöpfe. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, als er es sich auszieht und ich nun einen direkten Anblick auf seine nackte Brust habe.
Mein Herz setzt aus und ich vergesse zu atmen. Wow, dieser Anblick ... Wow.
Erst als er eine Hand auf meine Wange legt, merke ich, dass ich ihn angestarrt habe. Aber etwas in seinem Gesicht sagt mir, dass ihm meine Reaktion gefällt. Seine Augen beobachten mich genau, bevor er seine Lippen wieder auf meine presst und seine Finger langsam an meinen Rippen hinabgleiten, bis sie an dem Bund meiner Hose angekommen sind.
Von draußen ist ein lautes Klopfen zu hören und Niragi stöhnt frustriert an meinen Lippen, ehe er den Kopf anhebt.
„Keiner da! Geh weg!"
„Geht nicht." Die Stimme gehört Chiyo. „Es ist wichtig. Aguni hat gesagt, dass ich dich holen soll. Nero und die anderen haben etwas gefunden, was du dir ansehen musst."
„Hat das Zeit?", knurrte Niragi und schaut mich an. Dabei wird sein Blick gleich viel liebevoller und er fügt hinzu: „Ich bin beschäftigt."
„Das ist nichts neues. Du kannst sie auch später noch knallen, aber jetzt komm erstmal mit! Du hast eine Minute, sonst trete ich die Tür ein."
Niragi seufzt genervt, stößt sich von der Wand hinter mir ab und bückte sich nach meinem T-Shirt, um es mir zuzuwerfen. Dabei fällt ihm mein Gesichtsausdruck aus, der alles andere als begeistert aussieht.
„Wir holen das nach", verspricht er und versteht nicht, dass es eigentlich nicht mein Problem ist.
„Vergiss es", erwidere ich angekratzt in meiner Würde. „Du scheinst wirklich viel Damenbesuch zu haben."
„Ich bin eben sehr begehrt."
Zur Antwort ziehe ich nur ungläubig eine Augenbraue in die Höhe, dass dies seine Antwort ist. Schnell ziehe ich mir mein T-Shirt wieder an und rolle mit den Augen.
„Ja, verstehe. Frauen sind solange interessant, bis du hast was du willst. Und dann wirfst du mich weg, wie jede andere vor mir."
„Moment was?", fragt er verwundert, während er sich das schwarze Hemd zuknöpft. „Nein, also ja ... aber hast du meine Ansprache vorhin vergessen? Es ist ... ich weiß nicht, was es ist, aber es ist eben einfach anders!"
„Und wie vielen Frauen hast du das vor mir gesagt?"
„Hey!" Er gibt es auf an seinen Knöpfen herum zu fummeln und stellt sich stattdessen zwischen mir und die Tür, damit ich nicht einfach so einen dramatischen Abgang hinlegen kann. „Soweit ich weiß gehören zu dem, was eben war zwei Leute und du wirktest nicht, als hätte ich dich gezwungen."
Ich seufze und lasse meine Mauer, die ich innerhalb von Sekunden aufgebaut habe, wieder fallen.
„Ich versuche es einfach nur zu verstehen."
„Ja, geht mir auch so. Aber wenn du bei den Spielen in meiner Nähe bleibst, dann haben wir genug Zeit es gemeinsam herauszufinden."
Sobald ich den grünen Scanner überschreite, gibt es ein registrierten Laut von sich und färbt sich rot. Ein Zeichen, dass ich aus dem Spiel nicht einfach so wieder austreten kann. Miyu, Niragi, Mako und Chishiya folgen mir in den Spielbereich des dunklen Ganges hinein.
Ich greife nach einem der vielen Handys auf dem Tisch und lasse es mein Gesicht scannen, um mich einzuloggen. Danach schiebe ich es in meine Hosentasche und warte mit stark klopfenden Herzen darauf, dass das Spiel beginnt.
Meine Hände schwitzen vor Nervosität und ich lasse meinen Blick über meine Freunde wandern, weil ich nach Zuversicht in ihren Augen suche. Aber ich finde nur die gleiche Sorge in ihnen wieder. Niragi umklammert den Griff seiner Waffe fester, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Wir haben uns den ganzen Tag nicht gesehen und nachdem was gestern Abend gewesen ist, weiß ich auch nicht so recht, wie ich jetzt auf ihn reagieren soll. Chishiya hält sich bedeckt im Hintergrund, scannt mit den Augen die Umgebung ab und versucht vermutlich zu erraten, um welche Art Spiel es sich handelt.
Mein Blick wandert weiter zu Miyu, die nach meiner Hand greift und sie fest drückt. Wir wollten nicht mehr gemeinsam in ein Spiel, um unsere Überlebenschancen zu erhöhen, aber der Vorstand hat diese Gruppe festgelegt und ich hoffe wirklich, dass es gut für uns ausgeht. Den ganzen Tag sind wir sämtliche Spiele durchgegangen, um eines zu wählen, dass wir vor kurzem erst entwickelt haben und definitiv kein Herzspiel ist. Dabei kamen wir auf dieses. Es ist ein Escape Room mit der Schwierigkeit einer Kreuz 2. Uns werden keine gefährlichen Tiere angreifen, wir müssen uns körperlich nicht groß anstrengen und niemand wird uns zwingen jemanden umzubringen, um zu überleben. Es ist reines Teamwork mit versteckten Hinweisen, die Miyu und ich In und Auswendig kennen. Das Zeitlimit ist außerdem eine Stunde, also ist eigentlich eines unserer leichtesten Spiele.
Hinter Mako erscheinen zwei weitere Spieler in dem dunklen Gang und treten durch den Scanner zu uns. Es sind zwei Männer Mitte dreißig und sie wirken beide, als verbringen sie ihre freie Zeit im Fitnessstudio, was bei den ganzen Pikspielen sehr von Vorteil ist. Wortlos nehmen sie ihr Handy in die Hand und loggen sich ein, ehe sie sich in die Ecke des Ganges zurückziehen. Die große Digitaluhr über der Tür zählt die Zeit herunter. Ich drücke Miyus Hand fester.
Gleich ist es soweit.
Dann zeigt die Uhr 00:00 an und eine weibliche Computerstimme schallt blechern aus dem Lautsprecher an der Decke. Dazu schaltet sich ein kleiner Fernsehbildschirm an, der die Regeln bildlich wiedergibt.
„Willkommen. Das Spiel heißt Escape Room. Die Teilnehmeranzahl beträgt sich auf sieben Personen. Es gibt fünf Räume. In jedem Raum befindet sich ein Rätsel. Sobald die Lösung in das Eingabefeld neben der Tür eingetippt wurde, öffnet sich die Tür zu dem Nächsten. Ist die Eingabe falsch, bleibt die Tür verriegelt und es gibt kein Entkommen mehr. Die Zeit für jeden Raum beträgt zwanzig Minuten. Danach explodiert eine Bombe. Schwierigkeitsstufe Karo 6."
Ich erstarre augenblicklich.
Nein!
Das muss ein Fehler sein!
„Miyu", hauche ich leise und schaue meine beste Freundin mit wild klopfenden Herzen an. „Sie haben die Regeln geändert."
„Es kommt noch schlimmer", keucht sie und hält unauffällig ihr Handy in die Höhe.
Mordquote für die Dealer: drei Personen.
Ganz von alleine öffnet sich eine Tür und schwingt mit einem unheimlichen Quietschen auf.
„Das Spiel beginnt. Bitte treten Sie in den ersten Raum."
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