Kapitel 11 Akari

Hey, ihr lieben! Es tut uns wirklich leid, dass ihr so lange warten musstest. Aber LadyConall und ich hatten wirklich viel um die Ohren. Wir hoffen, dass es jetzt wieder regelmäßiger wird <3 Danke, dass ihr gewartet habt.

Lg LadyConall und Steffi

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Miyu stellt das Wasserglas neben sich auf den Nachttisch und klettert zu mir auf das Bett, während ich mit zitternden Händen meinen Laptop hochfahre. Ich kann noch immer nicht glauben, dass wir wirklich heile aus der Zentrale rausgekommen sind und alle Beweise und Antworten auf diesen kleinen Stick in Miyus Hand halten. Irgendwie rechne ich damit, dass wir uns zu früh freuen, dass gleich ein Laser von oben auf uns herab schießt und uns die Lichter auspustet. Aber nichts geschieht. Selbst dann nicht, als ich den Stick in die vorgesehene Öffnung meines Laptops schiebe. Für einen kurzen Moment halte ich den Atem.

Jetzt, denke ich erschrocken. Jetzt ist es so weit, dass Miyu und ich zu weit gegangen sind. Aber dann öffnet sich ein kleines schwarzes Fenster und ein Balken beginnt die Daten zu laden.

„Es klappt!", grinst Miyu begeistert und nippt an ihrem Wasserglas, dass sie bereits zur Hälfte ausgetrunken hat.

Ich greife nach ihrer Hand und kralle mit angehaltenem Atem die Finger hinein, bis meine Knöchel weiß hervortreten. In wenigen Sekunden kennen wir die Wahrheit. Die ganze Wahrheit, wieso wir hier sind, was diese Welt ist und wie wir wieder entkommen. Dann haben wir es wirklich geschafft! Als sich ein weißes Dokument öffnet, quietsche ich begeistert auf und wippe aufgeregt auf dem Bett auf und ab, bis Miyu mir eine Hand auf den Mund legt und mir mit einem Blick zu verstehen gibt, leise zu sein.

Quälend langsam lädt das Dokument, doch kaum war der Balken bei 100% angekommen, schaltet sich mein Laptop automatisch aus und der Bildschirm ist schwarz.

„Was ist jetzt passiert?", fragt Miyu verwundert und trinkt ihr Glas Wasser aus, ehe sie aufsteht, um es im Badezimmer erneut mit Wasser aufzufüllen.

„Ich habe keine Ahnung", sage ich verwundert und tippe wie verrückt auf den an/aus Schalter herum. Plötzlich lässt sich mein Laptop nicht mehr hochfahren. Also nehme ich das Ladekabel und stecke es an die Steckdose. Doch kaum verbinde ich das Kabel mit meinem PC, sprühen kleine Funken hervor und das Licht in meinem Zimmer geht aus.

Vor Schreck ziehe ich den Kopf ein und schaue mich mit großen Augen um.

„Haben wir einen Stromausfall?", fragt Miyu und wirft auf dem Weg aus dem Badezimmer, einen Weg nach draußen in den Hotelflur. „Alles dunkel", murmelt sie. „Hast du einen Kurzschluss verursacht?"

„Sieht so aus", gestehe ich schuldbewusst. „Shit." Ich setze mich wieder auf das Bett und betrachte frustriert Miyus Silhouette dabei, wie sie sich neben mir auf das Bett sinken lässt.

„Was jetzt?", fragt sie mutlos. „Haben wir jetzt wirklich den ganzen Weg umsonst auf uns genommen?"

„Sieht so aus." Ich lasse den Kopf in meine Hände sinken und reibe mir mit den Fingerspitzen den Haaransatz und dann über die Augen. Draußen auf dem Flur beginnt es bereits lauter zu werden. Die schrille Stimme eines Mädchens kreisch panisch, ob sich damit das nächste Spiel ankündigt, doch eine andere versucht sie zu beruhigen. Eine männliche Stimme verkündet selbstsicher, dass es nichts Ernstes ist und dass man den Strom wieder hinbekommt.

„Denkst du, sie wissen, dass wir es waren?", fragt Miyu leise und drückt unsicher mein Kopfkissen gegen ihre Brust.

„Ich hoffe nicht." Frustriert atme ich tief durch und sortiere meine Gedanken. Okay, wir müssen irgendwie an die Informationen kommen. Vielleicht ist auf dem Stick ein Virus gewesen? Es kann eine Sicherheitsmaßnahme sein, damit niemand außerhalb der Zentrale das Geheimnis kennt? Heißt das, wir müssen noch einmal in das Büro? Das ist eine Katastrophe. Einmal dort hinein zu kommen ist schwer gewesen. Ein zweites Mal werden wir kein Glück haben. Das ist ausgeschlossen. Aber dann fällt mir etwas ein und mein Kopf schießt hoffnungsvoll in die Höhe.

„Sagtest du nicht, dass du etwas aufschnappen konntest, während die Datei auf den Stick geladen wurde?", frage ich. „An was erinnerst du dich?"

„Hmmm." Während meine Freundin nachdenkt, stellt sie das leere Glas wieder auf den Nachttisch neben meinem Bett.

„Hast du es schon wieder ausgetrunken?", frage ich verwundert. Miyu trinkt eigentlich nicht viel am Tag. Aber jetzt hat sie schon das dritte Glas innerhalb von zehn Minuten geext.

„Irgendwie ist meine Kehle so trocken", erwidert sie murmelnd, während sie die Beine eng an sich heranzieht „Ich hatte nicht genug Zeit alles zu lesen. Aber ich weiß noch, dass Borderland eine Art virtuelle Realität ist und außerhalb von Shibuya kein Leben existiert."

Bei ihren Worten zucke ich leicht zusammen. Es zu ahnen ist eine Sache, aber es zu bestätigt zu hören, gibt mir ein komisches Gefühl. Bei dem Gedanken breitet sich eine unaufhaltsame Gänsehaut über meinen Körper aus. Es gibt also wirklich kein Entkommen aus der Stadt und das ist schlecht. Sehr, sehr schlecht.

„Man stirbt also wirklich, wenn man die Stadt verlässt", murmle ich.

„Jap. Und da ist noch etwas. Erinnerst du dich, als du meintest, dass jeder hier eine schlechte Vergangenheit hat?"

„Ja?"

„Ich denke, dass du Recht hast. Alle Leute hier wurden ausgewählt, weil ihr Leben in der wirklichen Welt einfach scheiße ist. Jeder von uns wurde unbewusst getestet und aufgrund seiner Vergangenheit, unseren Interessen und der Kompatibillität mit dem Programm ausgewählt. Die meisten von uns lieben die Welt hier. Es ist aufregend, voller Adrenalin und es gibt keine Regeln. Man muss nicht arbeiten gehen, um Geld zu verdienen und fühlt sich wie ein Gott, wenn man immer wieder knapp dem Tode entrinnt."

„Und es gibt keine Folgen, egal was man tut."

„Genau." Miyus Nicken ist durch die Dunkelheit schwach zu sehen. „Schau dir die Leute im Beach doch mal an. Sie machen den ganzen Tag Party und tun, als wäre das alles nur ein Spiel."

„Aber was ist mit uns? Wir wollen hier nicht bleiben."

„Vielleicht wollen wir es nicht zu sehr." Miyu lässt ihren Kopf auf meine Schulter sinken und holt tief Luft. „Womöglich mag ein kleiner Teil von uns das Leben hier. Seien wir doch mal ehrlich, unser altes Leben war auch nicht wirklich rosig. Aber ich würde es gerne zurückhaben, da es besser ist, als jeden Tag um sein Leben zu rennen."

„Ich würde vieles anders machen, wenn ich eine zweite Chance bekäme."

„Geht mir genauso. Was ist, wenn der Hutmacher recht hat und wir wirklich nur entkommen, wenn wir alle Karten sammeln?"

„Aber du weißt es nicht."

„Nein, ich vermute es nur."

Wir schweigen eine Weile und während ich so in meinen Gedanken versinke und mich frage, ob es nicht doch eine andere Lösung gibt. Im Grunde sind all die Informationen nichts Neues. Tief in meinem Inneren habe ich es längst erwartet. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich auf einen anderen Ausweg gehofft habe. So etwas wie eine geheime Tür im Hinterzimmer.

Miyus Kopf auf meiner Schulter wird immer schwerer. Langsam drehe ich den Kopf in ihre Richtung. Ist sie eingeschlafen?

„Miyu?", frage ich leise und schubse sie ein wenig mit meiner Schulter an. „Schläfst du jetzt ernsthaft? Wir sind mitten in einer Kriesensitzung." Ich seufze, da sie nicht wach zu bekommen ist, und sinke etwas in mich zusammen. Wir wollten nachher noch in ein Spiel, um unser Visa zu verlängern. Aber wenn sie jetzt schläft, werde ich sie wohl hierlassen. Im Gegensatz zu mir hat sie noch zwei Tage übrig und sie kann etwas Schlaf gut gebrauchen. Der Einbruch in die Zentrale muss sie all ihre Energie gekostet haben. Ein kleines Lächeln umwirbt meine Lippen und ich streichel meiner besten Freundin ihre dunklen Haare aus der Stirn. Doch in dem Moment, in dem ich ihre Haut berühre, zucke ich erschrocken zurück. Miyu fühlt sich heiß an. Sofort packe ich sie an der Schulter und berühre mit der anderen Hand ihre Stirn. Kaltschweiß. Oh, oh. Hat sie Fieber? Sie sagte, sie fühlt sich wie ausgetrocknet. Shit, Miyu dehydriert!

Im selben Moment, als mich die Erkenntnis trifft, leuchtet der Bildschirm meines Laptops auf.

„Neugier muss bestraft werden", steht dort in knallroten Buchstaben geschrieben. Ich keuche auf und klappe ihn zu. Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Es ist Miyus Strafe, weil sie zu viel weiß. Ich muss irgendetwas tun, bevor sie mir völlig austrocknet. Panisch gehe ich in meinen Gedanken sämtliche Lösungen durch, aber am Ende bleibt mir nur eine einzige übrig. Ich muss sie auf die Krankenstation schaffen, bevor es mich ebenfalls trifft, da Miyu mir alles erzählt hat, was sie weiß.

Also schiebe ich meine Freundin beiseite, stehe von dem Bett auf und schaffe es irgendwie, sie ungeschickt auf meinen Rücken zu manövrieren. Taumelnd erreiche ich die Zimmertür, bis hinaus auf den Flur. Ich komme nur langsam voran und muss oft stehen bleiben, um Miyu wieder in eine richtige Position zu rücken, da sie mir sonst von meinem Rücken rutscht. Obwohl sie so zart und dünn ist, ist sie viel schwerer, als sie aussieht. Erschöpfte schaffe ich es bis ins Treppenhaus. Allerdings ist Treppensteigen im Dunkeln viel schwerer, wenn eine bewusstlose Person auf deinem Rücken liegt. Nur mit Mühe und äußerster Vorsicht, setze ich einen Fuß vor den nächsten die Stufe herunter und habe gerade eine Treppe überwunden, als Chishiya von unten heraufkommt und mir mit der Taschenlampe direkt in mein Gesicht blendet. Ich kneife von dem grellen Licht die Augen zusammen und puste mir erschöpft eine ausgeblichene lila Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Ist alles okay?", fragt er verwirrt und lässt das Licht weiter nach oben wandern, bis es bei meiner Freundin hängen bleibt.

„Ist das Miyu?!" Bei dem Klang seiner fassungslosen Stimme öffne ich die Augen. Okay das ist interessant. Chishiya verliert nie die Kontrolle über sich. Aber ich könnte schwören, dass ihm die Panik ins Gesicht geschrieben steht.

„Sie dehydriert", erkläre ich schnell und lasse sie von meinem Rücken heruntersinken, als Chishiya ohne lange zu zögern, die Treppe zu mir heraufläuft und das Tragen für mich übernimmt.

„Erklär es mir auf der Krankenstation", verlangt er bestimmend und verschwindet mit Miyu die Treppen wieder herunter. Ich setzte meine Beine in Bewegung und folge ihm nach unten bis wir die Station erreichen. Isamu ist mit einer Gruppe Jungs damit beschäftigt den Generator in Gang zu bringen, als Chishiya die große Tür aufstößt und ich ihm in den Raum hinein folge.

„Isamu!", rufe ich und zeige Chishiya wortlos, auf welche Liege er Miyu absetzen soll. „Wir brauchen einen Tropf!"

Chishiya folgt meiner Anweisung, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich habe nicht einmal Zeit, mich darüber zu wundern, wieso er so sorgsam und liebevoll mit Miyu umgeht. Sanft legt er sie auf der Liege ab und geht mir sofort aus dem Weg, als ich beginne meiner Freundin den Kimono auszuziehen, damit ich an ihren Arm herankomme.

„Was ist passier?" Isamu eilt mit einem Beutel Flüssigkeit an meine Seite und hängt ihn an den Ständer neben dem Bett. Ohne ihm zu antworten, reiße ich ihm die Nadel aus seiner anderen Hand und ramme sie in die Ellenbeuge meiner Freundin. Wenn sie diesen Moment hätte sehen können, würde sie mich umbringen. Miyu kommt damit zurecht in die Spiele zu ziehen, aber sobald jemand eine Nadel in der Hand hält, fällt sie in Ohnmacht.

Während ich damit beschäftigt bin, die Kanüle festzukleben, damit sie nicht rausrutscht, überprüft Isamu ihre Atmung und den Herzschlag.

„Sie atmet", sagt er erleichtert.

„Gott sei dank." Erschöpft streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht und lasse mich auf der Bettkante sinken. Hoffnungsvoll greife ich nach ihrer Hand und drücke sie fest. „Lass mich nicht hängen, Miyu", hauche ich leise. „Ich brauche doch noch."

„Wie konnte es so weit kommen?", höre ich Chishiya nachdenklich fragen, der sich etwas zurückgezogen hat. „Niemand trocknet so schnell aus." Er zeigt auf ihre Lippen, an der sich Risse bilden, als wäre sie Stundenland draußen in der Kälte gewesen. Auf ihrem blassen Gesicht sondern sich die trockenen Hautzellen von ihrer Wange langsam ab. Bei dem Anblick steigt meine Angst nur noch mehr. Es geht so schnell. Wie ist das möglich? Wie lange wird es dauern, bis sie sich erholt? Wird es sein, noch bevor ihr Visa abläuft? Ich werde wütend und umklammere die Hand meiner besten Freundin nur noch fester. Ist das ihre Art, uns zu beseitigen? Wir haben doch nicht einmal etwas herausgefunden, für das sich die Strafe lohnt! Immerhin wissen wir immer noch nicht, wie wir hier herauskommen sollen. Aber nehmen wir an, wir hätten es herausgefunden ... wären wir dann jetzt tot? Bei dem Gedanken ziehe ich den Kopf ein und spüre, wie mir heiße Tränen meine Wangen hinab laufen. Mein Kopf dröhnt, aber ich schiebe es auf die derzeitige Situation. Ich will gar nicht daran denken, was sie mit mir machen werden, denn ich bin sicher, dass es mich auch treffen wird.

„Akari!" Isamus Stimme ist ungehalten, doch seine Hand auf meiner Schulter ist sanft und irgendwie beruhigend. „Du musst mir sagen was passiert ist. Sonst kann ich ihr vielleicht nicht helfen. Chishiya hat Recht. Niemand trocknet einfach so aus und besonders nicht so schnell."

„Sie haben sie bestraft", sage ich, ohne darüber nachzudenken, ob es weitere Folgen für mich haben wird. Noch im gleichen Moment schließe ich die Augen und bereue meine Worte. Wie soll ich es ihnen erklären? Ich kann ihnen ja schlecht sagen, dass wir in die Zentrale eingebrochen sind. Dann würden sie fragen, woher wir wissen, wo sie liegt, und niemand darf wissen, was Miyu und ich tun. Sie würden uns hassen und man würde uns umbringen. Dann, wirklich. Also wähle ich meine Worte mit bedacht. Die grobe Geschichte kann ich ihnen erzählen, ich muss nur einfach aufpassen, was ich sage.

„Miyu und ich haben nach einem Ausweg aus Borderland gesucht." Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen. Meine Tränen laufen weiterhin stumm herab, bis Isamu mir mitfühlend lächelnd ein Taschentuch reicht in das ich dankend hinein schnäuze. „Wir haben ein wenig herausgefunden", gestehe ich mit bedacht. „Aber keinen Ausweg, jedenfalls keinen anderen, als den Offiziellen."

„Alle Karten zu sammeln", nickt Isamu. „Daran habt ihr gezweifelt?"

„Du nicht?"

„Nun, ich wusste nicht, was sonst in Frage käme."

„Wieso ist dann nur Miyu betroffen und nicht du, wenn ihr es doch beide wisst."

„Miyu hat es selbst herausgefunden und mir dann erzählt. Aber ich kann es euch nicht sagen, sonst bestrafen sie euch auch." Ich merke, wie ich immer müder werde, und lege eine Hand an meine Stirn. Sie ist heiß. Verdammt, ich habe es bereits bemerkt, als wir die Station betreten haben. Ich habe Fieber.

„Aber wer?", fragt Chishiya sachlich. „Wer hat euch das angetan?"

„Die obersten Spielemacher, schätze ich mal. Entweder das oder die Welt hat ein Eigenleben", antwortet Isamu für mich und mustert besorgt mein Gesicht. Ich schaue ihn nicht an, da ich befürchte, meine glasigen und geröteten Augen werden mich verraten. Aber das ist nicht nötig, denn Isamu wäre kein Arzt, wenn er es nicht sehen würde.

„Du solltest dich hinlegen, Akari", schlägt er vor. „Ich könnte dir ein Bett fertig machen, dann könntest du die Nacht mit Miyu hier in -"

„Es geht nicht", unterbreche ich ihn schnell. „Mein Visa läuft ab. Ich muss in ein Spiel."

„Aber doch nicht so!"

„Anders sterbe ich auch." Meine Stimme ist schwach und sie zittert. Das ist alles andere als gut. Aber ich muss in dieses Spiel. Andernfalls lebe ich bis morgen früh definitiv nicht mehr. Also stehe ich auf und streiche Miyu sanft mit der Hand über die Wange.

„Halte durch", bitte ich sie. „Ich beeile mich und komme zurück. Ich verspreche es dir." Mein Blick wandert hoch zu Chishiya, den ich stumm bitte, bei ihr zu bleiben. Er nickt kaum merklich und ich atme dankend auf. Dann drehe ich mich zu Isamu herum.

„Sorgt einfach dafür, dass sie die Nacht übersteht. Ich kümmere mich um mich selbst. Das wird schon gut werden."

„Das kannst du nicht!" Mit ernstem Gesicht greift er nach meinem Arm und hält mich auf. „Wie willst du dich in dem Zustand konzentrieren? Und wie willst du um dein Leben kämpfen? Du könntest ja nicht einmal vor jemanden weglaufen!"

„Was soll ich sonst tun?!", fauche ich ihn an, ohne es zu wollen, und schlage seine Hand weg. „Soll ich hier bleiben, bis mich der Laser trifft?"

„Nein, aber ..." Er gibt einen frustrierten Laut von sich, ehe er leicht nickt und verkündet: „Ich werde dich begleiten."

„Das geht nicht. Du musst hierbleiben und auf sie aufpassen. Was ist, wenn sie einen Anfall bekommt oder sich ihre Werte verschlechtern?" Ich klinge panisch, nahezu hysterisch. „Versprich mir, dass du sie im Auge behälst!", fordere ich ihn auf und greife nach seinem weißen Kittel, um ihn dicht an mich heranzuziehen. „Ohne Miyu, sind wir in den Spielen verloren!" Irgendetwas stimmt ihn um. Ich weiß nicht, ob es die Dringlichkeit meiner Stimme ist oder die Verzweiflung in meinen Augen. Aber er gibt sich geschlagen. Ohne Vorwarnung schlingt er die Arme um mich und zieht mich dicht an sich heran. Kraftlos stolpere ich gegen seine Brust und weiß im ersten Moment nicht so recht, was hier gerade passiert. Doch dann spüre ich seine Hand, die sanft über meinen Rücken streicht.

„Komm bitte zurück. Ich brauche dich hier auf der Station. Und versprich mir, dass du die Fiebermedikamente nimmt, die ich dir mitgebe. Sie werden es etwas unterdrücken und du kannst dich besser konzentrieren. Du wirst alle Kraft brauchen." Ich nicke an seiner Schulter. Zu mehr bin ich nicht fähig. Mein letzter Blick gilt Chishiya, als ich von Isamu zurücktrete. Er sitzt auf dem Fensterbrett und beobachtet Miyu, ohne sie eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ich weiß nicht, woran er denkt, aber ich sehe, dass er sich Sorgen macht. Seine Hände umklammern den Rand des Fensterbrettes so fest, dass seine weißen Knöchel hervortreten. Was auch immer in seinem Kopf abläuft, es fährt auf Hochtouren.

„Ich bin so schnell es geht zurück", verspreche ich ein letztes Mal, ehe ich die Krankenstation verlasse.

Ich sehe schrecklich aus. Wie eine wandelnde Leiche mit blassen Augenrändern und knallroten Wangen. Dass ich Fieber habe, ist mehr als offensichtlich. Noch dazu ist eine Ader in meinem linken Auge geplatzt und färbt den halben Augapfel blutrot. Ich kann mein eigenes Spiegelbild nur verschwommen erkennen. So würde ich auf keinen Fall ein Spiel gewinnen. Meine Muskeln in den Armen fühlen sich schwach und instabil an. Es fällt mir schwer, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Aber irgendwie schaffe ich es aus dem Bad heraus in den Hotelflur. Ich muss mich beeilen. Die Spiele beginnen bald, aber in dem Tempo käme ich nicht einmal rechtzeitig an. Die Tabletten, die Isamu mir gegeben hat, helfen zwar ein wenig, aber nicht genug, um bei klarem Verstand zu sein.

„Du siehst gar nicht gut aus." Ein dunkler Schatten löst sich aus der Ecke der Lobby und stellt sich mir in den Weg, als ich gerade die Treppe herunter gehe.

„Aus wem Weg", brumme ich und will mich an ihm vorbeischieben, als er nach meinem Arm greift und zu sich zurückzieht. Dabei verliere ich die Kontrolle über mein Gleichgewicht und stolpere kraftlos in seine Arme, die er sofort fest um mich schlingt, da ich sonst auf den Boden gefallen wäre. Er riecht gut, stelle ich überrascht fest. Ich weiß, es ist der falsche Moment, aber es stimmt wirklich. Wieso ist mir das vorher nie aufgefallen?

„Bist du krank?", fragt er verwundert und schiebt mich an den Schultern ein Stück von ihm weg. „Du siehst gar nicht gut aus."

„Ich habe jetzt keine Zeit dafür." Ungeduldig schlage ich seine Hände beiseite, schiebe ich von mir weg und laufe die Treppe weiter herunter. Aber so langsam, wie ich mich fortbewege, ist es für ihn ein Leichtes, sich mir erneut in den Weg zu stellen. Schnell greift er nach meinem Kinn und zwingt mich dazu, ihn anzuschauen.

„Du bist krank", stellt er überrascht fest, und wenn ich mich nicht täusche, dann auch ein wenig besorgt. Ich seufze.

„Ich habe jetzt keine Zeit dafür. Mein Visa läuft ab und ich muss mich beeilen, dass ich rechtzeitig in ein Spiel komme."

„In dem Zustand? Alleine?", fragt er missbilligend. „Auf keinen Fall! Willst sofort am Anfang draufgehen?"

„Habe ich denn eine Wahl? Mir wird schon nichts passieren."

„Das ist Unsinn, Akari. Alleine wirst du definitiv drauf gehen. Ich begleite dich."

„Du... was?" Ich bin nicht sicher, ob ich mich verhört habe. Seit wann kümmert er sich um andere? Sind wir ihm nicht eigentlich alle scheißegal? Das Einzige, was für ihn zählt, ist seine Macht.

„Du hast mich schon verstanden. Außerdem muss ich auch noch. Heute ist mein letzter Tag. Und jetzt komm, wir schaffen es nur rechtzeitig, wenn wir das Auto nehmen."

Ich bin viel zu verwundert, um mich dagegen zu wehren und der Nebel in meinen Gedanken, durch das Fieber, untersagt mir jeden klaren Gedankengang. Daher weigere ich mich nicht und folge ihm. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar ein wenig dankbar. Sie haben alle Recht. Alleine würde ich heute so oder so sterben.

„Wartet!" Wir haben die Ausgangstür fast erreicht, als ich Sotas Stimme höre, der sich mit einem breiten Grinsen zu uns gesellt. „Ich komme mit. Isamu hat mir von deinem Zustand erzählt und mich gebeten auf dich aufzupassen."

„Isamu?", frage ich nach und kann das kleine warme Gefühl in meinem Magen nicht ignorieren. Bei dem Gedanken daran beginne ich leicht zu lächeln und nicke Sato dankend zu. Niragis Blick wandert von mir zu Sato und wieder zurück. Missbilligend schnaubt er aus. Aber er sagt nichts weiter dazu. Stattdessen hebt er seinen Arm und brüllt durch die gesamte Lobby, dass mir die Ohren dröhnen:

„Da! Komm her, wir gehen in ein Spiel!"

Dai, auf der oberen Etage an der Säule gelehnt mit einem Mädchen flirtet, dreht seinen Kopf langsam in unsere Richtung.

„Geh alleine! Ich war gestern schon!"

Kurz stockt Niragi neben mir und verstärkt den Griff an meinem Arm, der mich bis eben noch gestützt hat. Vermutlich ist er keine Widerworte gewohnt.

„Jetzt schwing deinen Hintern herunter, bevor ich Aguni erzähle, was du tust, anstatt den Beach zu bewachen!" Seine knurrende Worte scheinen zu wirken, denn Dai gibt dem Mädchen einen kurzen Kuss auf die Wange und kommt dann mies gelaunt zu uns herunter.

„Dafür schuldest du mir was", brummte er und ist der Erste, der das Gebäude verlässt. Niragi lässt meinem Arm los und geht ihm nach, während er brüllt:

„Hey! Ich fahre!"

Ich bin dankbar, als Sato meinen Arm um seine Schultern legt und mich stützt.

„Keine Sorge. Ich lasse dich mit den beiden Durchgeknallten nicht alleine."

Meine Antwort ist ein Lächeln. Zu mehr bin ich gerade nicht fähig. Aber es beweist, das auch in einer Welt wie Borderland so etwas wie Freunde existieren.

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