7: Gleaming
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In seinen Augen erkannte ich die Stille der Trauer, spürte die Magie, die ihn durchströmte und verfolgte sie bis zu seiner Hand, wo das Pulver in einem zarten Funkeln erstrahlte.
Als ich das Haus betrat war alles still.
Einzig das verschlossene Arbeitszimmer, in dem mein Vater saß, verriet seine Anwesenheit, als das Schloss der Haustür hinter mir leise klickte und ich durch den geräumigen Flur schritt.
Die Wände zu meinen Seiten waren mit Moos bewachsen, welches sich um die Regale schmiegte, die über und über mit Büchern vollgestellt waren und mir leise ihre Geschichten hinterher flüsterten, als ich an ihnen vorbei Richtung Schlafzimmer ging.
Meine Tür war aus dunklem Holz gefertigt und rollte langsam zur Seite, als ich sie mit meinem Finger berührte. Der Duft von Harz und Lavendel blies mir entgegen und ich schloss für einen Moment die Augen, als ich mein Zimmer betrat. Es war nichts Besonderes an sich - erst recht nicht, weil jede Bleibe hier gleich aussah. Einzig die Pflanzen wuchsen nach ihrem eigenen Willen und die Dekoration nach unserer individuellen Laune und Kreativität.
Mein Zimmer hatte einen runden Grundriss und eine ebenso vergläserte Glaskuppel wie jene im Schriftturm. Der Boden war aus glattgeschliffenem Holz gefertigt und an den Wänden wuchsen hellbraune Verästelungen entlang der Holzpaneele nach oben und schmückten die Kuppel wie zerbrochene Risse. An Ästen und Stämmen, die von den Wänden abwuchsen hingen kleine Laternen, welche ich nun mit einem sanften Pusten anblies, sodass das flackernde Licht des Feuers den Raum erwärmte und die Blätter und Ranken zwischen dem Holz zum Tanzen brachte.
Mein Bett, auf das ich mich nun niederließ, war ebenfalls eine Holzkunst an sich und glitzerte an Fuß- und Kopfende wegen der kleinen, blauen Steine, die ich hineingearbeitet hatte. Außer einem länglichen Schreibtisch, einen Webteppich und einer Kommode befand sich nichts in meiner Räumlichkeit, doch wirklich was verändern tat ich nicht. Stattdessen schweiften meine Gedanken zu der Glasfront zu meiner Rechten und zu dem Anblick des Waldes dahinter, während ich aufstand und das Elaborat auf dem Tisch ablegte - genauso wie die Fiole.
Sie schimmerte wie durchsichtiger Kristall zwischen meinen Fingern und spiegelte an manchen Stellen das orangene Licht des Feuers wider. Es war ein verspiegeltes Spiel aus Farben und Formen, die gegen meine Haut schienen, und wurde einzig durch die Schritte unterbrochen, die durch die leichte Vibration des Bodens zu mir herübergetragen wurden. Der blaue Schimmer in meinen Haaren vertrieb den Schein des Feuers, als meine Strähnen mit meiner Umgebung kommunizierten und ich sogar dem Atem meines Vaters lauschen konnte.
Er ließ mir so viel Privatsphäre wie möglich, aber dennoch kam er immer mal wieder aus dem Arbeitszimmer, wenn ich nach Hause kam.
Die Tür schob sich langsam zur Seite und ich umschloss das kleine Fläschchen in meiner Hand, als seine dunklen Augen die meine trafen. Sie erinnerten mich ein jedes Mal an die klaren Gewässer der Berge - einzig die Scharfsinnigkeit in ihnen, harmonierte nicht mit dieser Vorstellung.
Sein silbriges Haar glänzte im Licht der tiefen Sonne und wurde von derselben bläulichen Magie durchzogen, die er auch mir vererbt hatte. Es fiel in glatten Wellen über seine breite Brust und umschmeichelte seine hohen, ausgeprägten Wangenknochen die ihm schon immer ein aristokratisches Aussehen verliehen hatten.
»Alastair«, begrüßte ich ihn förmlich und deutete den Hauch einer Verbeugung an, wobei ich jedoch lediglich das Kinn senkte. Seine Bewegungen waren anmutig als er die Arme vor der Brust verschränkte und zerknitterten kurzweilig die lange, erdigfarbene Robe die über seinen Schultern lag und seinen Oberkörper umspielte. Seine Schuhe konnte ich gar nicht einsehen; vielleicht trug er auch schon gar keine mehr.
»Ich sagte dir doch, dass du mich in Zweisamkeit nicht so formell ansprechen musst.« Er zog die Augenbrauen zusammen, als ich mein Gesicht verzog und wieder aus dem Fenster sah. »Es ist ungewohnt«, murmelte ich lediglich und betrachtete die unscheinbare Grenze aus der Ferne. Im tiefliegenden Sonnenschein war sie nur schemenhaft zu erkennen und wie als hätte sie mich leise drauf hingewiesen, umschloss ich das Fläschchen stärker, als Alastair näher an mich herantrat.
Seine Augen folgten meinen und er sah mit seiner aufrechten Haltung und verschränkten Händen hinter der Robe viel königlicher aus, als es in der Theorie erlaubt gewesen wäre.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er leicht den Kopf senkte und mit seinen Hörnern, die meinem einen Paar so ähnlich waren, war er eine beeindruckende Erscheinung an sich. Sie waren kräftig und massiv, geformt wie elegante Bögen, die sich seitlich von seinem Kopf erstreckten. Die Basis der Hörner, die nahe am Schädel begann, war breit und kraftvoll, während sie sich allmählich verjüngten und nach außen bogen. Sie symbolisierten seinen Stand und selbst für mich - seiner Tochter - wirkte seine bloße Erscheinung einschüchternd.
Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, kreuzten sich unsere Blicke und er holte Luft. »Mir wurde berichtet, dass es zu ungewollten Unterbrechungen beim Training kam?«
»Es ist nur eine kleine Schramme, keine Vergiftung. Naira hat sich bereits drum gekümmert und wir trainieren demnächst wie vorgesehen im Westen«, meinte ich nur beschwichtigend und wandte meinen Blick wieder dem Fenster zu. Ich spürte wie seine Augen kurz zu meinem Oberschenkel wanderten, wo er die heilenden Stoffbahnen betrachtete, ehe er deutlich langsamer sagte: »Ich rede nicht von deiner Verwundung. Eher interessiert mich, was du glaubst gesehen zu haben.«
»Erzählt Elijah dir wirklich alles?«, fragte ich seufzend und drehte mich meinem Vater zu, der jedoch nur eine Braue hochzog und mich für eine Weile musterte, als würde er in meinen Augen nach etwas suchen was er schon längst gefunden hatte. Seinem Gesicht entwich die Härte und für einen klitzekleinen Moment huschte Trauer durch das Blau seiner Augen.
»Ich bin an deinen Fortschritten interessiert, Tyreen.« Ein Wimpernschlag und die flüchtige Emotion war fort. »Außerdem ist es seine Pflicht, mir als obersten Kommandanten Auffälligkeiten mitzuteilen. Also?«
Ich atmete tief durch und beobachtete die Grenze in der Ferne. Ihr schwaches Pulsieren, was aus dieser Entfernung nur mit engen Augen zu erkennen war. Sollte ich es ihm wirklich erzählen?
»Meine Sinne haben mir einen Streich gespielt. Du hältst mich für verrückt, wenn ich-«
»Tyreen«, unterbrach er mich bestimmt und umfasste vorsichtig mein Kinn, um mein Gesicht wieder zu ihm zu drehen, »ich möchte hören, was du zu sagen hast.«
Mein Schlucken erfüllte den gesamten Raum und ich schloss für wenige Sekunden die Augen, um nicht in dieses kalte Gewässer blicken zu müssen, ehe ich leise murmelte: »Mir war, als hätte ich Schatten gesehen. Sie kamen aus der Mauer.« Seine Hand rutschte wie in Zeitlupe von meinem Kinn und als ich die Augen wieder öffnete, durchbohrten mich diese blauen Eissplitter wie ein hilfloses Getier. »Sie flossen aus ihr hinaus; völlig unbeeindruckt von der Magie und als ich kurzweilig wegsah, waren sie verschwunden.«
Meine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch ich wusste, dass er mich gehört hatte. Anders als Elijah beschwichtigte er mich nicht, sondern sah mich eher so an, als müsste er darüber nachdenken, ob diese Nachricht nun beunruhigend oder gar gefährlich war.
Lange Zeit herrschte Stille und ich erschrak beinahe, als meine eigene Stimme durch den Raum tanzte. »Aber das ist doch völlig unmöglich, oder? Sie können nicht durch die Mauer.«
»Die Magie, die die Grenze bewacht, lebt schon seit Anbeginn der Sonnenzeit. Es ist nicht auszuschließen, dass auch sie Lücken bekommt oder gar unser Feind Wege und Löcher findet«, meinte er nur ohne seinen Ausdruck zu verlieren und mir wurde erst jetzt so richtig klar, was das eigentlich zu bedeuten hatte. »Heißt das, die ganze Geschichte spielt sich wieder von vorne ab? Der Krieg, die Morde und die Unterdrückung?«
»Wenn das wirklich stimmen sollte, werden wir vorbereitet sein. Das sind wir schon seitdem wir voneinander getrennt wurden. Ich werde zum nächsten Sonnenhoch einen Trupp losschicken, um deinen Verdacht zu untersuchen. Bis dahin; kein Wort zu irgendjemandem. Das würde nur unnötige Panik auslösen.«
Ich meinte ein leises Beben in seiner Stimme zu vernehmen, als er sich erneut dem Fenster zudrehte und die Wand aus Magie betrachtete, die mir eigentlich immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben hatte.
»Wenn ich könnte, würde ich sie auslöschen. Ihre gesamte Art mitsamt der Schatten und Schwärze dahinter«, murmelte ich leise meine Gedanken und lauschte auf, als mein Vater schmunzelte und erwiderte: »Du bist genauso willensstark wie deine Mutter es war.«
Seine langen Finger streichelten das Glas einer Laterne und ehe ich mich versah, tanzte die Flamme in seiner Hand und umwob seine Finger.
Meine Aufmerksamkeit galt jedoch viel mehr seiner Stimme als der Magie, die er heraufbeschwor. Er redete selten, so gut wie nie über meine Mutter und dass er es nun freiwillig tat, ließ mich erneut an der Realität dieses Tages zweifeln.
»Ihr Verlangen, fortwährend ihre Furcht zu überwinden und das scheinbar Unmögliche zu verwirklichen, war stets präsent«, fügte er leise hinzu und streichelte über die glühende Flamme, ehe er sich langsam zu mir umdrehte und meine Hand nahm. Sein Finger strich über meine Handfläche und ehe ich mich versah, setzte Alastair die kleine Flamme behutsam auf meine Haut. Sie war heiß, aber verbrannte mich nicht.
»Sie liebte das Feuer und genau wegen ihres Kampfgeistes, ihrer unerschütterlichen Art, der wilden Seite liebte ich sie.« Er verzog kurz das Gesicht, als hätte er sich an etwas erinnert, was er eigentlich vergessen wollte. »Alles war so klar.. trotzdem habe ich nichts vorher gesehen und dachte, ich hätte euch beide verloren.«
»Ich verstehe nicht«, hauchte ich leise und sah zwischen ihm und der Flamme hin und her, als er sanft über meine Wange strich und ein trauriges Lächeln über seine Lippen huschte. »Und das musst du auch nicht. Deine Augen sprechen tausend Bände; sie tragen die gleiche Farbe und denselben Glanz wie einst auch die deiner Mutter.«
Seine Hand löste sich und er nahm mir wieder das Feuer ab. »Sie ist für uns gestorben, als du noch zu jung warst, um es zu begreifen und ich zu engstirnig, um es zu erkennen. Mittlerweile ist sie es wahrscheinlich wirklich.«
Seine Worte ergaben für mich keinen Sinn und ich blinzelte ihn befremdet an, als ich sogar meinte, einen feuchten Glanz in seinen Augen erkennen zu können, als er die Flamme betrachtete. Und für einen Moment war seine Autorität verflogen. Er schien um mehrere Jahre gealtert zu sein und in eine Zeit versetzt, in der ich mich fehl am Platz fühlte.
Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern als ich vorsichtig fragte, was er mir all die Jahre vorenthalten hatte. »Wie ist sie gestorben?«
»Es war ein Verrat für den sie nichts konnte. Eine Dominanz der Dunkelheit, die ihr das Licht geraubt hatte.«
Sein Blick richtete sich wieder aus dem Fenster und mit dem Beenden seiner letzten Worte, erlosch auch das Feuer in seiner Hand. Ich folgte seinen Augen und betrachtete die Mauer in der Ferne, bis mir plötzlich die Botschaft seiner Antwort bewusst wurde.
»Warte.. sie wurde von Duskern ermordet?! Aber wie ist das möglich? Du hast nie..« Mir fehlten die Worte und ich hatte das Gefühl, mich mit jedem neuen Buchstaben selbst noch mehr zu verwirren. Mein Vater schüttelte jedoch nur seufzend den Kopf und trat näher an mich heran, als ich schon zu meiner nächsten Frage ansetzen wollte. Er griff nach meiner anderen Hand, dessen Inhalt ich schon längst vergessen hatte, und nahm mir die Fiole ab.
Das Glas leuchtete im tiefliegenden Sonnenlicht und ich wollte mir schon eine Ausrede einfallen lassen, als er jedoch nur die Hand hob und mich zum Schweigen brachte. Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe, als er den gläsernen Korken öffnete und die Magie durch sein Haar pulsierte.
Die blaue Farbe ließ ihn in jenem Moment wie eine Lichtgestalt erscheinen und reflektierte in tausenden Facetten in dem glitzernden Pulver, als er ein wenig in seine Handfläche rieseln ließ.
Wie gebannt beobachtete ich ihn dabei und blickte erneut in diese kühlen Gewässer, als er mir mein Haar zurückstrich und sich zu mir hinab beugte. Schimmernde Tränen glitzerten in den sonst so sorglosen Augen und seine Stimme schien wie belegt als er leise sagte: »Du weißt nicht was für eine entsetzliche Angst ich habe. Wie groß meine Furcht ist, wenn ich darüber nachdenke dich ebenfalls zu verlieren; allein durch dieses Wissen.«
In seinen Augen erkannte ich die Stille der Trauer, spürte die Magie, die ihn durchströmte und verfolgte sie bis zu seiner Hand, wo das Pulver in einem zarten Funkeln erstrahlte. Er blies es mir warm entgegen und noch ehe ich mir dessen richtig bewusst wurde, legte sich der feine Staub auf meinen Geist und benebelte mich für all die Fragen, die noch bis gerade auf meiner Zunge gelegen hatten.
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