3: Healing

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Magie durchströmt, wenn der Moment entschwindet, ins Gefäß der Erinnerung, das nie ergründet.

»Keine Entzündung. Keine dunkle Magie und damit auch kein Grund zur Sorge.«
Elijah atmete erleichtert aus und die Anspannung zog sich wieder in die hinterste Ecke des Raumes zurück.

Nairas Hand strich in kreisenden Bewegungen um die Wundränder und das Pulver darin löste ein kühles Prickeln aus, was angenehm in meine Haut sickerte. Wirklich mehr spürte ich nicht, während mein Blick aus der großen Glaswand floh, von der aus man die Grenze in weiter Ferne stetig fließend in den Himmel empor steigen sah. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu den Schatten zurück und zu der Frage, in welcher Hinsicht ich auf meine visuelle Wahrnehmung vertrauen konnte, wenn es sich um etwas vollkommen Unmögliches handelte.

»Ihr solltet euer Training nicht zu nah an dem Magiefluss bestreiten. Alastair gibt euch doch Gebiete vor, in denen ihr euch weit weniger gefährliche Verletzungen zuziehen könnt.«
»Ich jage meine Beute nur. Wo sie hinrennt bleibt ihr überlassen«, antwortete er nur und hob beschwichtigend die Hände, als hätte er rein gar nichts mit der Situation zu tun. Ich löste mich von der Aussicht und noch ehe ich etwas erwidern konnte, sah ich das halbe Grinsen was seine Lippen zierte und die Herausforderung, die in seinen Augen stand. Von seiner Anspannung, mit der er mich vor wenigen Minuten fast schon zur Heilerin gezerrt hatte, war rein gar nichts mehr zu spüren.

Ich hob eine Augenbraue und reckte provokant das Kinn etwas vor, ehe ich erwiderte: »Na, wenn du deine Beute nicht lenken kannst, würde ich mir um deine Fähigkeiten bei einem Einsatz Sorgen machen. Aber du ziehst dem ja eh die Schriften und ein langweiliges Leben im Turm vor, ist es nicht so?« Seine Mundwinkel hoben sich immer weiter an und an dem Funkeln in seinen Augen erkannte ich, wie sehr er diese Art von Kommunikation genoss. »Ach komm«, murmelte er dann belustigt und beugte sich zu mir hinab, sodass sich sein blondes Haar in meinem Schoß sammelte, »du willst mir doch unterschwellig nur damit sagen wie langweilig dein Leben wäre, wenn ich nicht an deiner Seite kämpfen würde.«

Ich erwiderte seinen Blick noch eine Weile, ehe ich mich schmunzelnd abwandte und wieder aus der großen Glaswand sah. »Wartet der Turm nicht auf dich, Elijah?« Er seufzte langgezogen, erhob sich dann jedoch langsam und bejahte meine eher rhetorische Frage. »Wir sehen uns dort?« Ich nickte wie automatisch, ehe er sich von der jungen Heilerin verabschiedete und den Raum verließ.

»Du solltest ihn erwählen«, meldete diese sich dann auch wieder zu Wort und begann mein Bein mit wohlriechenden Bahnen Stoffes zu verbinden, nachdem sie dem Blonden hinterher gesehen hatte. Ich brummte nur wie beiläufig und beobachtete in weiter Ferne die Berge und Täler, die hinter der Stadt ihren Anfang fanden. Jetzt, da ich wusste, dass das was ich gesehen hatte in keiner Verbindung mit meiner Verletzung stand, zerfraß es mir nur noch mehr den Kopf.

Ihre Schritte hallten von den hohen Wänden wieder und ehe ich weiter zur Grenze abschweifen konnte, spürte ich eine weiche Hand an meinem Kinn und sah ihr direkt in die graubraunen Augen, mit denen sie mich innig musterte. Ihre hellbraunen Haare umrahmten ihr rundliches Gesicht und glänzten dank ihrer orangenen Magie in einem warmen Karamellton. Der Duft von Kräutern und Rosen ging von ihrer Hand aus und ich schloss für einen Moment die Augen; es war wie Balsam für meine Seele.

»Tyreen, was ist los? Du wirkst wie benebelt, dabei habe ich dir noch nicht mal etwas derartiges verabreicht.« Sie strich mir über die Stirn und danach über die Wangen, bis ich wieder die Lider öffnete und antwortete: »Hast du etwas, um mir eine Erinnerung zu nehmen?« Naira blinzelte überrascht und ließ ihre Hände sinken, wobei mein Blick an einer der weiß glänzenden Perlen festhing, die ihrem beigen Hemdkleid eine engere Form an der Taille verliehen. Ich hatte sie noch nie um einen derartigen Trank gebeten und war selbst nicht davon ausgegangen, dass ich solch einen mal in Anspruch nehmen würde. »Um was geht es?«, stellte sie vorsichtig eine Gegenfrage und setzte sich langsam neben mich auf die weiche Liege, die sich vor der großen Glasfront befand. Ihr Gesicht war von Besorgnis verzogen und so beschloss ich, sie nicht weiter zu beunruhigen.

»Vorhin im Wald.. ich habe etwas gesehen, was einfach nicht sein kann und nun kann ich nicht aufhören darüber nachzudenken. Es löst unnötige Ängste aus.« Ich ließ mich seufzend zurück auf das cremefarbene Laken fallen und starrte an die Verzierungen im Marmor, die mehrere Meter über mir die Decke schmückten.
Naira betrachtete mich einige Zeit mit ihren heilenden, warmen Augen und nahm dann sanft meine Hand in die ihre, als sie leise sagte: »Ein solcher Zauber gehört zu denjenigen, die ich eigentlich nicht ohne Verlaub ausgeben darf. Jedoch..« Sie zögerte kurz und ich richtete meinen Blick wieder auf die junge Dawnerin, dessen Herz seit Anbeginn ihrer Lebzeiten für die Heilung schlug. »Jedoch vertraue ich dir. Du hast mich noch nie um etwas Irrsinniges gebeten und bist erwachsener als so mancher Krieger der zweiten Garde.«

Sie erhob sich langatmig und ging quer durch den Raum, ehe sie mit einer leichten Handbewegung wortwörtlich die Wände zu bewegen schien. Mehrere kleine kunstvoll verzierte Fließen klappten um und schoben sich zur Seite sodass aus der Wand ein Regal ausfuhr das fast die gesamte Fläche einnahm und mehrere Meter zur Decke reichte. Eine Leiter aus hellem Holz löste sich Stufe für Stufe in der Mitte des Holzes und ich rutschte mit großen Augen von der Liege, um näher an die Braunhaarige heranzutreten. Mein Mund öffnete sich und ich konnte nicht anders als mit vollster Bewunderung die Abertausenden vergläserten Fläschchen zu bewundern, die im Licht der Sonne in all den bunten Farben des Regenbogens schillerten.

Naira schmunzelte leise neben mir als sie dies bemerkte und suchte mit den Augen die verschiedenen Reihen ab, ehe sie fündig wurde und die Leiter empor stieg. Ich beobachtete wie sie ungefähr ab der Hälfte des Regals ein Fläschchen auswählte und wieder zu mir hinunterkam. Ihre Hand griff nach mir und ihre Augen bohrten sich in meine, ehe sie die magischen Worte sprach, die mit diesem Fläschchen in Verbindung standen: »Flüstere den Moment in das Gefäß hinein, und du wirst vergessen, was einst war dein. Magie durchströmt, wenn der Moment entschwindet, ins Gefäß der Erinnerung, das nie ergründet.«

Mein Schlucken durchbrach die anbahnende Stille nach ihren Worten und ich strich mit den Fingern über die Einkerbungen im Glas, die dieses mit kleinen Ranken schmückten. Es war etwa so groß wie meine Handfläche lang war, verlief spitz und besaß einen vergläserten Korken der mit einem kleinen Leinenband an Ort und Stelle gehalten wurde. Im Inneren befand sich ein helles, glitzerndes Pulver das sich fast wie eine träge Flüssigkeit bewegte und meinen Blick einfing. Wie gebannt drehte ich das kleine Fläschchen und sah erst wieder auf, als ein langgezogenes Räuspern die Stille Durchschnitt und Naira sich von mir entfernte.

In der großen Rundbogentür stand ein älterer Jäger dessen gewaltige Hörner fast den Rahmen berührten, als er schleifend durch sie hindurch ging. Seine hellbraunen Haare klebten nass an seiner Stirn und in seiner Schulter steckte ein dunkler, spitzer Ast der sich tief in eine Haut gebort hatte. »Bei den heiligen Göttergaben«, seufzte die junge Heilerin auf und begann den Dawner zu stützen, als der sich gerade auf die Liege hiefte und mit zusammengebissen Zähnen wie ich zuvor aus dem Fenster starrte. »Ihr könnt es echt nicht lassen, oder?« Der Jäger brummte nur verbissen und ich warf ihr einen letzten dankbaren Blick zu, als ich auch schon halb aus dem Raum war und das Abteil der Heiler verließ.

Warmer Wind fuhr durch mein Haar, als ich in die Freiheit trat und mein Gesicht der Sonne zuwendete, die mich mit ihren Strahlen küsste. Das kleine Gefäß drückte ich dabei fest an meine Brust und ging dann gemäßigt durch das Reich, in dem ich aufgewachsen war. Die Stadt, die die Mitte von Solaris darstellte war wahrlich ein Juwel, das auf dem Gipfel eines begrünten Berges thronte, als würde sie von der Natur selbst behütet werden. Der sanfte Fluss unter dem Berg schien im perfekten Takt zu fließen und schlängelte sich glitzernd durch die Stadt, wie ein lebenserhaltenes Netzwerk.

Überall wohin ich blickte, erstreckte sich ein Meer aus sattem Grün. Moos und Pflanzen schmückten die Straßen, Fassaden und Brücken mit einer lebendigen Pracht, die von der ewigen Quelle des Wassers und endlosen Sonne genährt wurden. Die warmen Strahlen schienen die Stadt zu umarmen, sie in ein sanftes Licht zu hüllen, das den Ort in eine traumähnliche Aura tauchte und mich kurzweilig die Sorgen vergessen ließ, als ich über die Pflastersteine ging und ab und an bekannten Gesichtern zulächelte. Die Brücken, die die Straßen miteinander verbanden, waren wie feste Bänder aus Magie, die das Gewebe der Stadt zusammenhielten. Beim Überqueren konnte man das Rauschen des Wassers unter sich hören; eine konstante Melodie der Verbundenheit zwischen den Elementen. Die Türme und Häuser zu meinen Seiten ragten hoch empor, mit riesigen Fenstern, die wie Tore zu einer anderen Welt wirkten und die Schatten vor langer Zeit aussterben ließen.

Die Gebäude waren aus hellem Stein und Holz errichtet, ihre Farben harmonierten perfekt mit der üppigen Vegetation. Als hätten die Dawner die Stadt im Einklang mit den Wäldern und Bergen geformt, schien die Architektur mit der Natur im Einklang zu stehen. Es war eine Symbiose von Kreativität und Natur, eine Stadt, die den Atem von Solaris in sich trug. Und mein zu Hause. Der Ort an dem ich lebte, mit dem Volk, dass ich - so wie ich's einst geschworen hatte - mit meinem Leben beschützen würde.

Meine Gedanken, so erleuchtet sie von dem Anblick meines Reiches auch wurden, verschleierten sich erneut, als ich den Wald hinter dem Fluss fokussierte und die Grenze betrachtete. Jene Magie, von der ich mich einst behütet gefühlt hatte. Wie vermochte ein einziger Blick solch ein vollkommen konträres Bild erzeugen, das nicht einmal im Entferntesten der Wahrheit entsprungen sein konnte?, dachte ich im Verborgenen, sah ein letztes Mal auf das Fläschchen hinab, ehe ich es in den Stoffbahnen verschwinden ließ und den Schriftturm betrat.

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