13: Overcoming

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Ihr Flüstern fuhr mir durch Haut und Knochen und obwohl sie nur aus rauchigen Silhouetten zu bestehen schienen, war mir beinahe sofort klar, dass es ihre Stimmen waren, die wie durch eine andere Dimension zu mir herübergetragen wurden.

Meine Finger strichen über mein Dekolleté und endeten bei der Feder die wie Samt durch meine Hände glitt.

»Nimm sie nicht ab. Sie soll dich an meine Worte erinnern. Im Jetzt und in deinen Träumen«, hatte er gesagt und mir die Kette erneut um den Hals gelegt, als er gesehen hatte, dass ich sie zum Schlafen beiseitelegte. Nun streichelten die feinen Häkchen der Feder meine Haut und schmiegten sich an mich, als wäre ich ihr Besitzer. Genau wie zur letzten Abendsonne.

Der Weg war der selbe nur diesmal hatte ich ein anderes Ziel vor Augen als ich durch abgelegene Gassen huschte und Brücken überquerte, die einzelne Stadtteile - dem Wasser zum Trotz - miteinander verbanden. Meine Füße steckten in hellbraunen Stiefeln die durch goldene Akzente die tiefliegende Sonne reflektierten. Das graublaue Oberteil, welches ich trug, verdeckte diesmal meinen gesamten Oberkörper und besaß keine Ärmel, was einen besseren Bewegungsradius meiner Arme zuließ. Es steckte in einer dunkleren Hose die zur heutigen Abendstunde lang war. Einzig mein Rücken hatte einige Ausschnitte für meinen Schwanz und offenbarte dadurch Teile meiner Haut. Verdecken tat ich diese unter dem gleichen Umhang, den ich auch schon gestern getragen hatte und welchen ich nun eng um meinen Körper zog.

Das Klirren der Dolche an meinem Körper war mein einziger Begleiter in der Stille die mich umgab, als ich den Wald erreichte und den Pfad entlang eilte, der beinahe sofort Übelkeit in mir hervorrief. Zum fast hundertsten Mal fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat und stand in der Versuchung einfach zurückzukehren. Das Pulver in der Phiole zu benutzen, welche unangenehm durch die Hosentasche in meine Haut stach. Es wäre so einfach gewesen und doch wusste ich um mein Unvermögen.

Seufzend blickte ich ein letztes Mal zurück.
Solaris - meine Heimat - erstreckte sich in naher Ferne über die Täler und Berge und glitzerte im tiefliegenden, rötlichen Sonnenlicht. Ich roch das Wasser der abertausenden Flüsse bis hierhin und nahm die Wärme der Bewohner war, die das Reich des Lichts zum strahlen brachten.

Ich konnte es mir nicht vorstellen an einem Ort zu sein, an dem kein Licht existierte und der genau das Gegenteil widerspiegelte von dem was ich kannte. Mein ganzer Körper sträubte sich gegen diesen Gedanken und noch schwerer war es, mich schließlich von diesem Anblick zu verabschieden, mich umzudrehen und tiefer in die Wälder zu gehen. Begleitet von dem Gedanken, dass dies mein letzter Tag sein könnte.

Tränen brannten in meinen Augenwinkeln und ich versuchte mir erst gar nicht die Sorgen vorzustellen, die durch die Köpfe meiner Freunde gehen würden. Was mein Vater tun und Elijah denken würde, sollten sie mich nicht zum nächsten Sonnenaufgang finden.

»Reiß dich zusammen Tyreen«, mahnte ich mich selbst mit fester Stimme und malte mir wieder und wieder die Zukunft aus, die aus meinem Handeln hervorgehen würde. Wie stolz Alastair und wie sorgenfrei unser Leben doch erst wäre, wenn ich erfolgreich war. Wenn mich die Schattenkreatur nicht belogen und die Wahrheit gesprochen hatte.
Ich war so vertieft in meinen Gedanken, dass ich fast nicht das Wesen bemerkte, dass zu meiner Rechten aus dem Gebüsch trat und innehielt. Erschrocken blieb ich stehen und betrachtete den Nori überrascht, der leicht den Kopf neigte und die tiefliegenden Sonnenstrahlen genoss, die sein weißes Fell wärmten.

Ich hatte keine Ahnung wie lange es her war, dass ich einen zu Gesicht bekam, denn sie lebten tief in den Wäldern und kamen nur selten in die Nähe von Solaris. Aufgrund dessen war ich umso verblüffter und betrachtete das Tier voller Demut, als es seinen Blick mir zuwandte.

Es waren majestätische Wesen die mit ihrer bloßen Schönheit ganze Massen zum schweigen bringen konnten. Bewegen tat es sich auf allen Vieren und besaß schlanke Beine die fast keinen Laut im Unterholz hinterließen. Hinter sich her zog es einen langen, weißen Schweif aus Haaren, der sich hell von dem Gras abhob. Ein schmales Gesicht, das in einer spitzzulaufenden Schnauze endete, musterte mich aus dunklen Augen und war gekrönt von einem riesigen Geweih aus dunkelbraunen Ästen an dessen Verzweigungen lauter Blüten wuchsen die mit ihrer blass rosa Färbung warm im Sonnenlicht strahlten. Auch seinen Schultern erwuchsen blühende Zweige und wie als würde der Nori meinen bewundernden Blick deuten, schüttelte er stolz die lange Mähne vor seiner Brust und schwenkte den Kopf, um mich aus beiden Augen betrachten zu können. Erst dann schritt er an mir vorbei und ich meinte sogar den blumigen Duft seines Fells wahrzunehmen, dass ihm warmen Licht bei jeder Bewegung seiner Muskeln rosa schimmerte wie zerlaufende Farbe.

Er verschwand so schnell zwischen den Bäumen wie er auch aufgetaucht war und ich stand noch eine ganze Weile an Ort und Stelle und sah dem wunderschönen Wesen nach.

Erst mit der nächsten Windböe wandte ich mich ab, legte meinen Schwanz sowie den Umhang eng an meinen Körper und bog vom Pfad. Und dort, hinter den Bäumen und dem kleinen Bach, durch dessen Spiegelung ich das erste Mal die Veränderungen bemerkt hatte, tauchte sie plötzlich auf.

Die magische Mauer erstreckte sich schimmernd in den Himmel und wirkte wie immer viel erhabener, wenn man tatsächlich vor ihr stand. Sie thronte wie ein uralter Hüter zwischen den Welten und sah auf mich hinab, als wäre ich ein Nichts im Vergleich zu ihrer Macht.
Mein Blick huschte über sie hinweg und ohne ein weiteres Mal Zweifel zu hegen, mir Gedanken darüber zu machen, was ich überhaupt hier tat, rief ich mir erneut ihre Worte ins Gedächtnis.

Morgen um diese Zeit, wenn die Sonne sich dem Boden neigt, komm hier her zurück und trete durch die dunkelste Tür.

Erneut musterte ich die wabernde Wand vor mir und versuchte irgendein Anzeichen für das Gesagte aus dem Dunstschleiern der Magie im inneren der Mauer zu ziehen. Und tatsächlich geschah etwas in dem Moment, wo ich mich fragte, ob ich überhaupt an der richtigen Stelle meine skeptischen Erwartungen in den Sand setzte.

Wie am Tag zuvor erzitterte der Magiefluss plötzlich und kräuselte sich, als würde er auf eine Berührung reagieren. Dunkle Schleier schlossen sich wie ölige Tropfen im Wasser zusammen und wanderten die Grenze hinab.

Ich trat angespannt einen Schritt zurück, konnte den Blick jedoch nicht von dem Schauspiel lösen, als abermalig schwarze Schliere den Schleier aus Magie verließen und auf mich zu kreuchten. Ich zog nervös die Luft ein und trat leicht nach dem Rauch, als dieser fast meine Beine erreichte und hinter sich tatsächlich eine schwere Dunkelheit hinterließ, die mich erschauderte.

Wie als hätte sich die gesamte dunkle Masse an einem Fleck zusammen gezogen klaffte sie in der Mauer wie ein Schandmal, das jegliches Haar an meinem Körper aufrecht stellte. Ein Schauer kroch über meine Haut und ich nahm auf einmal eine Kälte war, die mich bis auf meine Knochen auskühlen ließ. Abermals trat ich nach den Schatten. Sie hielten inne und wieder kam es mir so vor, als würden sie mich ansehen; mit ihren nicht vorhandenen Augen und mir einen vorwurfsvollen Blick schenken.

Verstört zog ich den Umhang enger um meinen Leib und ließ ihre Berührung zu, als sie sich wiederholt auf mich zubewegten und meine Beine umstrichen. Ich biss die Zähne zusammen und erschauderte, als ich unerwartet die warme Brise spürte, die von ihnen ausging. Sie wärmten meine Haut, glitten rauschend an meinen Beinen hinauf und drängten mich dann sanft aber bestimmt Richtung Mauer.

Ich gehorchte bebend und spürte, wie sich jede einzelne Muskelfaser in meinem Körper verkrampfte, danach schrie, nicht weiterzugehen und umzukehren, doch für mich gab es kein Zurück mehr.

Die Schatten streichelten meine Haut selbst durch die Kleidung und drückten mich mit ihren Bewegungen immer näher der Dunkelheit entgegen. Ich sah hinauf und musste erschrocken feststellen, wie gewaltig die Grenze aus nächster Nähe doch war. Sie drückte mich fast nieder mit ihrer Größe und Masse und fast hätte ich mir sogar gewünscht, die Schatten würden mich einfach durch sie hindurch bringen, da löste sich der Druck plötzlich und sie ließen von mir ab.

Rauschend glitten sie durchs Gras und strichen um meine Schuhe.
Ich betrachtete sie eine Weile und schluckte dann mit einem entschlossenen Laut meine Angst hinunter. Mein Arm hob sich wie von selbst und vorsichtig streckte ich die Hand nach der Magie aus, betete zu Artemis, dass mir nichts geschah, und tauchte mit den Fingern ein.

Der Wind rauschte durch die Bäume und selbst die Vögel verstummten, als schlagartig ein kühles Prickeln meinen Arm hinauf fuhr. Wie Elektrizität ging es durch meinen Körper und ich keuchte leise auf, als es meinen Kopf erreichte und sich einen Weg durch meine Haare bahnte. Sie glühten förmlich auf, brachen mit einem völlig neuen Gefühl über mich ein, doch umso länger ich die trennende Magie berührte, desto unangenehmer wurde das Gefühl, bis es mich plötzlich stach, wie kleine Nadeln.

Erneut drängten mich die Schatten in Richtung ihres Gleichen und ich beugte mich ihren Wünschen. Schritt weiter auf die wirbelnde Masse aus Kraft und Dunkelheit zu und ertrug die Stiche die mittlerweile in ein schmerzhaftes Ziehen übergingen, umso länger ein Teil von mir in der Mauer verweilte.

Es war fast so, als wäre die Magie genauso verwirrt von meiner Handlung wie ich von meinem Mut als ich den zweiten Arm durch die wabernde schwarze Stelle zwang, von woher die Schatten kamen.

Schau nicht zurück. Geh weiter. Schnell.

Ihr Flüstern fuhr mir durch Haut und Knochen und obwohl sie nur aus rauchigen Silhouetten zu bestehen schienen, war mir beinahe sofort klar, dass es ihre Stimmen waren, die wie durch eine andere Dimension zu mir herübergetragen wurden.

Schneller, beweg dich schneller!

Die Angst zerrte an mir doch umso mehr Zeit verstrich, desto penetranter wurde das Ziehen und Stechen an meinen Armen, bis es in einen Schmerz überging, der mich daran erinnerte, wo mein Platz war.
Die Magie wehrte sich gegen meine Berührung, beschützte mich vor mir selbst und ich konnte förmlich dabei zusehen, wie die Schatten wieder zurück gedrängt wurden, umso mehr Zeit verstrich.

Ich biss schmerzverzerrt die Zähne zusammen und sah ein letztes Mal über meine Schulter hinweg in den Wald bevor ich meinen letzten Rest Mut zusammen nehmen und meiner Bestimmung folgen wollte. Doch so weit kam ich gar nicht.

Zu langsam, du bist viel zu langsam!

Und mit diesen Worten zogen sie mich mit einem Ruck in die Mauer hinein, rissen mich ohne zu zögern in ihre verkappte Sphäre, sodass mir nichts anderes übrig blieb als ihrem Weg zu folgen. Die Pforte schloss sich wie eine Schnappfalle hinter mir und während schmerzhafte Nadelstiche meine Haut durchbohrten, brannte sich die Erkenntnis meiner unwiderruflichen Entscheidung in meinen Geist ein.

Und mit einem Mal wurde alles dunkel.

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