11: Listening


Folge deinem Herzen und gib dir Mühe nicht zu sterben.

»Hast du jemals von den Erzählungen und Aufzeichnungen des Pantheums gehört? Der Tafel, die die Kraft der Gottheiten in sich trägt und sie auf Ewigkeit bewahrt?«

Seid die Schattenkreatur sich wieder zu mir umgedreht hatte, hatte sie nichts weiter gesagt, als diese Worte, die ich im Leben nicht erwartet hätte.
Ich verzog irritiert das Gesicht, nickte dann jedoch und meinte: »Ein uraltes Entstehungsmärchen.«
Wir erzählten es den Kindern zum Einschlafen und auch mir wurde diese Geschichte so oft vorgelesen, dass ich gar kein Buch mehr benötigte, um sie weiterzutragen.

Sie erzählte von den Anfängen unserer Welt und der Geburt unserer Gottheiten, die für dieses Leben verantwortlich waren und dafür eine Tafel bekamen, die ihren tiefsten Wunsch erfüllen sollte. Er sollte ihre Vorstellung von der Welt und ihren Nachfahren beschreiben, einer Welt, die Artemis und Tenebra gemeinsam erschufen und mit ihrem Blut auf dem Stein verewigten.

»Sieh an, ein Buch bräuchtest du tatsächlich nicht mehr.«
Ein leichtes Grinsen schmückte ihre tief dunklen Lippen und ich atmete scharf ein, als ich sie wieder an der Schwelle meines Unterbewusstseins spüren konnte.
»Das ist nicht nur unhöflich, sondern auch ein grober Eingriff in meine Privatsphäre«, murmelte ich angespannt und ging einen Schritt zurück. Wieder wurden ihre Augen von diesem verspielten Funkeln durchzogen und ich wich ihnen aus. »Aber wie kann ich denn auch erwarten, dass man euch auf dieser Seite irgendwelche Höflichkeiten und Umgangsformen lehrt.«

Sie schob meinen bissigen Kommentar mit der Hand zur Seite und schmunzelte sichtlich belustigt aufgrund meiner Worte, ehe sie sagte: »Deine Zunge ist so scharf wie die Klinge deines Dolches.« Sie warf ihn leichtfertig ins Gras vor meine Füße, sodass der dunkle Nebel für einen Moment von dem Luftstoß vertrieben wurde und sich wie ein kleiner Krater um ihn lichtete. »Aber sie spricht Wahrheiten«, fügte sie hinzu und musterte mich von oben bis unten, ehe ihr Blick an meinem Dekolleté hängen blieb, »wir haben tatsächlich eine etwas andere Vorstellung von Höflichkeiten und Umgangsformen.«

Es war fast als könnte ich ihren Blick durch meine Kleidung hindurch spüren und so zog ich den Umhang noch etwas enger und konzentrierte mich auf ihr blauschwarzes Haar. Es bewegte sich um ihren Körper als würde es von einer leichten Brise getragen und obwohl kein Lüftchen wehte, ich mir Gedanken um diese mysteriöse Magie machen sollte, verschwendete ich einen Gedanken an dessen Schönheit. Wieder musste ich sie mir eingestehen und betrachtete den leichten, glitzernden Schimmer ihrer aschblauen Haut, die Rundungen und Bewegungen ihres Körpers und die filigranen, schwarzen Runen und Ornamente an ihren Beinen.

Ein Blick auf ihre nun wieder grinsenden Lippen ließ mich jedoch die Arme vor der Brust verschränken und meinen Blick abwenden. »Unhöflich«, knurrte ich verbittert und zuckte beinahe bei ihrem spitzen Auflachen zusammen. Es war ja schon blamabel genug, dass ich mir solche Gedanken eingestehen musste aber, dass diese feindliche Kreatur es auch noch wusste, setzte dem ganzen einen säuerlichen Abschluss.

»Auch wenn mir deine Schmeicheleien durchaus gefallen, muss ich dich dennoch enttäuschen und zum Thema zurückkehren.« Sie zwinkerte und ich verzog nur noch mehr das Gesicht, als sie wieder näher kam und die Peitsche betrachtete, die ich immer noch fest umschloss.
»Das Pantheum ist kein Märchen und erst recht keine einfache Gutenachtgeschichte. Die Tafel besteht wahrhaftig, und im Lauf der Zeit hat sie ihre Macht unvermindert behalten.«

Während ihrer Worte hob die Schattenkreatur ein wenig die Hand und wie auf Kommando befreite sich die Waffe aus meinem Griff und so vorsichtig als könnte sie mich verletzen, legte sie sich auch wieder um meine Hüfte und ließ ihre Glieder wie von selbst einrasten. Ich achtete jedoch gar nicht darauf, sondern hing viel mehr an ihren Lippen, als sie erzählte.
»Sie wartet seit jener Tage immer noch auf die Wünsche ihrer Nutzer.«
»Was willst du mir damit sagen..?«, wagte ich misstrauisch zu fragen und versuchte immer noch mit der Wahrhaftigkeit dieses Märchens klarzukommen.

»Verstehst du es wirklich nicht?« Sie verdrehte leicht die Augen, als ich nur eine Braue hochzog und rieb mit ihrem Zeigefinger in die Wunde an ihrer Schulter. Sie verzog keine Miene und zeigte mir dann ihre Hand an dessen Finger ihr dunkles Blut träge hinab tropfte.
»In deinen Adern fließt die Kraft Artemis.« Ihre geschmeidigen Schritte überbrückten den letzten Meter und ehe ich mich versah schmierte sie mir das Zeug über die Wange.

Zu geschockt um sofort zu reagieren griff ich erst verspätet nach ihrem Handgelenk und presste angewidert von ihrer Tat hervor: »Ich sagte doch, dass du mich nicht anfassen sollst!«
Mein Griff war so stark, dass ich ihren dumpfen Puls spüren konnte und erneut nahm ich das Prickeln ihrer Haut unter meiner eigenen wahr. Ihr warmer Atem strich über mein Gesicht und ehe mir unsere Nähe bewusst wurde, senkte sie ein wenig den Kopf und weitete die Augen, als ich mich selbst in ihren großen Iriden erkannte. Der Rauch in ihnen wirbelte um mein Spiegelbild und ich war unfähig mich von diesem Anblick zu lösen.

»Du solltest wegsehen«, hauchte sie viel zu leise als dass es meinen Geist erreichte und ich umfasste ihr Handgelenk nur noch fester, als plötzlich eine starke Macht an mir zerrte. Sie riss mir den Boden unter den Füßen weg und mit einem Mal war es, als würde ich mit einem immensen Druck in den rauschenden Nebel ihrer Augen gezogen werden. Mein Spiegelbild verschwand und umso tiefer ich eindrang, desto düsterer wurde auch meine Umgebung. Mein ganzer Körper wehrte sich gegen den Druck aber ich konnte noch nicht mal Schreien, als ich hart gegen eine Mauer stieß und umgefallen wäre, hätte ich überhaupt noch die Kontrolle über mich selbst.

Alles war dunkel und meine Augen huschten ruckartig durch die Dunkelheit, als wie aus weiter Ferne ein Schreien die vibrierende Stille zerriss und mich fast in den Abgrund stürzen ließ. Meine Füße tasteten nur ein dünnes Band unter mir und ich meinte fast an meiner eigenen Angst zu Ersticken.
»Komm zu-rück! Wo bist du? Wo nur? Was machst du? Wo bleibst du?«
Das Schreien vermischte sich mit einem qualvollen Schluchzen und mir wurde fast übel, aufgrund der seelischen Schmerzen, die mit jedem weiteren Schrei durch meinen Geist fluteten. Ein Name.. ihr Name erklang und wurde so sehr in die Länge gezogen, dass demjenigen erst wegen Luftnot die Stimme versagte.

»Lys, wo b-ist du?! Ich STERBE«, kreischte es erneut nach kurzem Atemringen und wie aus dem nichts prallte etwas Großes gegen mich und schleuderte meinen Körper gegen die harte Wand hinter mir. Mein Rücken knackte doch dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu denen, die die Gestalt vor mir in sich trug. Gelbe zuckende Augen starrten in die meinen und waren das einzige, was ich in der Dunkelheit erkannte. Es schrie mich an, rüttelte an meinem Körper und brach immer wieder weinend zusammen. »W-er bist du? Wo ist s-ie? H-ilf mir!«

Nässe spritzte mir ins Gesicht und als die Gestalt mich erneut umfasste und mich mit ihrer immensen Kraft fast zerquetschte, schlugen meine Hände unwillkürlich gegen den harten Körper vor mir und schleuderten ihn keuchend von mir weg. Der Druck riss auch mich von Ort und Stelle, doch anstatt an der Mauer hinter mir zu zerschellen, riss es mich fort und meine Welt erhellte sich. Ich war wieder Herr meiner Sinne und als ich aus der Kreatur vor mir herausgespült wurde, ließ ich zitternd ihre Hand los und taumelte rückwärts. Meine Beine versagten und ich fiel ins weiche Gras, blieb unberührt liegen und starrte sie an, als wäre sie diejenige die mir fast das Rückgrat gebrochen hätte.

Auch sie starrte zurück und ließ wie in Zeitlupe ihre Hand sinken, als ich atemlos hervorbrachte: »Was.. um Himmelswillen war das..?!«
Das Wesen vor mir verzog etwas das Gesicht und schloss dann für mehrere Sekunden die Augen, als müsste sie selbst ihre Gedanken ordnen und unterstrich ihre Geste mit einem genervten Seufzen. »Du hättest auf mich hören sollen.«

Fassungslos und zugleich verstört lachte ich kopfschüttelnd auf und betrachtete meine Handflächen an denen ich den Druck immer noch spüren konnte.
»Jemand braucht deine Hilfe..«
Ich wusste selbst nicht genau, woher diese Worte und das Wissen kamen mit denen ich sie einfach übergang, doch genauso hörte ich die Stimme noch immer in meinem Kopf. Sie hallte so laut nach, dass meine Augen unruhig umherfuhren, um zu sehen, ob ich mich tatsächlich wieder in der Realität befand.
»Seid wann sorgen sich denn Dawner um Dusker?«, meinte sie leise doch in ihrer Stimme lag auch eine gewisse Dringlichkeit, als sie auf mich zukam und sich neben mich hockte. Ihr langer Schwanz strich rauschend durchs vernebelte Gras und ich wagte es nicht, ihr erneut in die Augen zu sehen. Ich war immer noch wie in einer Schockstarre gefangen und rang ungehindert nach frischer Luft.

»Vergiss was du gesehen hast und hör mir zu. Die Tafel gewährt dir deinen innigsten Wunsch, genauso wie einst deinem Sonnengott im Bündnis mit der Göttin der Nacht.«
»Und wo ist das Pantheum?«, wagte ich vorsichtig zu fragen.
»Ich weiß nur um ihre Existenz, alles weitere werdet ihr herausfinden«, antwortete sie und fügte hinzu, weil sie mir die Frage höchstwahrscheinlich schon von meinen Lippen ablesen konnte, »Die Tafel kann nur im gemeinsamen Bündnis beider Reiche aktiviert und genutzt werden. Du musst einen Dusker finden, der gemeinsam mit dir einen Wunsch niederschreibt und-«
»Wieso hilfst du mir nicht? Wir haben doch dasselbe Ziel«, fragte ich fast schon fassungslos über ihre Worte und sah sie nun doch wieder an.

Ihre Augen verengten sich daraufhin. »Weil ich kein Kind Tenebras bin«, knurrte sie und wischte meine stille Hoffnung beiseite. Die Vorstellung mit dieser Kreatur nach einer uralten Göttertafel zu suchen war schon grauenhaft aber dies mit einem Dusker zu tun... einem zu begegnen, einen zu sehen.

»Heb dir diese Gedanken für später auf.« Sie erhob sich und ich tat ihr diesmal gleich; wenn auch weitaus uneleganter. Mein ganzer Körper bebte noch immer.
»Passier die Grenze. Finde den Prinzen und erzähl ihm von deinem Plan.«
Jedes Wort aus ihrem Mund warf nur noch mehr Fragen auf und jedes einzelne klang unmöglicher als das vorherige. »Morgen um diese Zeit, wenn die Sonne sich dem Boden neigt, komm hier her zurück und trete durch die dunkelste Tür. Ich versichere dir, dass du keinen Schaden nehmen wirst. Lass nur diese grässliche Kette zurück.«

Sie wies verbittert auf mein Dekolleté und ging; ging einfach wieder auf die Grenze zu und ließ mich alleine auf der Lichtung zurück. Der dunkle Nebel folgte ihr und bevor sie wieder durch die Magie hindurchschritt rief ich ihr hinterher: »Warte! Wieso ich? Wieso ausgerechnet ich?«
Ihr gesamter Körper war schon halb verblasst, halb im Inneren der Mauer als ihr unirdischer Blick erneut den meinen streifte. »Weil du die Einzige bist, der ich vertraue, kleiner Funke. Folge deinem Herzen und gib dir Mühe nicht zu sterben.«

Leise und ohne ein weiteres Wort durchschritt sie die Grenze der Welten, ließ ein Rätsel in meinem Geist zurück und Gedanken voller Fragen die als dicke, unsichere Tränen meine Wangen hinab liefen - als mir klar wurde, dass ich nun alleine einer Aufgabe gegenüberstand, der ich nicht gewachsen war.

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