Tote Katze

„Neugier ist der Katze Tod", zischte mein fünf Jahre älterer Freund, als ich nicht davon ablassen konnte, die goldwaschenden Cowboys im Fluss zu beobachten.

„Aber ich möchte doch nur wissen, warum statt unserer Freunde nun diese Typen herumlatschen", entgegnete ich.

Mit "Freunden" meinte ich die Kinder des Indianerstammes, der hier noch bis vor Kurzem gelebt hatte. Mit "Typen" meinte ich die Gruppe zwielichtiger Männer, der ich instinktiv die Schuld an dem Verschwinden unserer Indianerfreunde gab. Schnell duckte ich mich in die erdige Mulde, als der Blick von einem der Cowboys in unsere Richtung wanderte. „Das war knapp", flüsterte ich daraufhin.

„Hast du dann endlich genug?", wurde mir zurückgeflüstert.

Mein Körper entspannte sich und ich grinste. „Warum denn? Wir sind hier doch sicher." Wie üblich waren wir durch das bewaldete Gebiet nahe unseres Städtchens hierhergekommen. Und wie üblich hatten wir uns dann hier in dieser Mulde am Waldrand auf die Lauer gelegt. „Kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern, dass wir die Indianer manchmal stundenlang beobachtet haben? Und kein einziges Mal haben sie uns dabei erwischt", sprach ich stolz.

„Ich bin mir sicher, dass sie uns jedes Mal entdeckt haben. Aber da wir nur Kinder sind, haben sie sich nichts weiter dabei gedacht. Außerdem waren wir Zwei der Wenigen, die sie mochten." Er krabbelte jetzt vorsichtig Richtung Wald und sagte: „Wie auch immer, ich bin raus."

Ich krabbelte ihm hinterher und sprach enttäuscht: „Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Angsthase bist, Thomas. Dabei bist du schon fast vierzehn."

Er warf mir einen ernsthaften Blick zu. „Vielleicht ist gerade das der Grund, warum ich eine Gefahr erkenne, wenn du es nicht tust." Danach schüttelte er den Kopf. „Ich sage dir, es ist keine gute Idee, hier noch länger zu bleiben. Und am besten vergessen wir auch, was wir heute gesehen haben."

Erst als wir weiter ihn den Wald vorgedrungen waren und uns wieder auf die Füße trauten, fragte ich ihn: „Warum sagst du das?"

„Das sind Kriminelle, Toby. Und ich bin mir sicher, dass die daran Schuld sind, dass die Indianer weitergezogen sind."

„Wenn das so ist, sollten wir etwas dagegen tun und nicht davonlaufen, nicht wahr?", stellte ich ihm empört meine nächste Frage.

„Pst, nicht so laut", ermahnte er mich. „Du bist zwar der Sohn von einem der einflussreichsten Männer in der Stadt, aber hast keine Ahnung, wie das Leben wirklich läuft, oder?"

„Wieso? Unsere Freunde können hier nicht mehr leben, weil diese Typen ihnen das ganze Gold wegnehmen. Also holen wir es ihnen zurück. Problem gelöst."

„Du hast wirklich keine Ahnung." Er schüttelte wiederrum den Kopf. Dann fügte er hinzu: „Ich sag's zum letzten Mal, 'Neugier ist der Katze Tod.' Lass gut sein, Toby."

„Dann kümmere ich mich eben auf eigene Faust um das Problem." Ich machte eine Kehrtwende und ließ Thomas zurück.

„Komm schon, Toby! Lass uns wenigstens mit deinem Vater darüber reden," rief er mir hinterher.

Ich ging stur weiter und hörte nicht auf ihn.

„Wie du willst. Dann gehe ich eben allein zu deinem Vater und erzähle ihm von deinem Vorhaben. Das gibt bestimmt eine anständige Tracht Prügel." Das war sein letzter Überredungsversuch. Doch mein Beschluss stand fest. Und so fand ich mich auch bald wieder in unserem Versteck wieder.

Das war das erste Mal, dass ich allein so weit draußen war. Neben Abenteuerlust erfüllte mich das auch mit einer Menge Stolz. Aber gerade eben konnte ich das nicht wirklich zelebrieren. Ich musste still bleiben, und herausfinden, wo diese Typen ihr Lager hatten. Wie damals, lag ich stundenlang auf der Lauer. Erst gegen Sonnenuntergang packten die Cowboys ihre Sachen. „Na endlich", dachte ich mir dabei und rieb mir meine eingeschlafenen Beine.

„Bringt das Gold in die Hütte weitab der Stadt. Der Boss wird sich dann morgen früh darum kümmern", hörte ich sodann einen der Männer rufen.

Da saßen Zwei auf einer Kutsche, die daraufhin nickten. Drei weitere luden stumm den Rest der Sachen auf. Deren Befehlshaber schwang sich jetzt zufrieden auf ein Pferd. „Also dann. Gute Arbeit, Männer. Und erzählt keinem ein Wort von heute." Danach ritt er davon.

Ich blieb weiterhin still und beobachtete fokussiert die folgenden Geschehnisse. Die nächsten Drei ritten los, nachdem die Kutsche fertig beladen worden war. Kurz darauf startete auch diese, wobei sie langsam in die entgegengesetzte Richtung davongeführt wurde. Ich hatte dabei schon so eine Vermutung, von welcher Hütte deren Anführer geredet hatte. Mein Verdacht bewahrheitete sich schlussendlich, nachdem ich der Kutsche den ganzen Weg über gefolgt war.

Fast jedes Kind kannte die leerstehende Hütte im Wald. Es galt zumal als wahre Mutprobe, sich dorthin zu begeben und etwas davon mitzunehmen. Die Erwachsenen hielten sich aus irgendeinem Grund davon fern, und befahlen uns auch nur zu oft, nicht dort hinzugehen.

Aber heute würde ich entgegen allen Anweisungen dort eindringen. Und was ich mitbringen würde, wäre Gold. Ich würde ein wahrer Held sein, und jeder würde mich respektieren. Außerdem würde ich damit unsere Freunde zurückbringen.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schlich ich mich dann auch schon zu der Hütte. Und ich war eigentümlich ruhig dabei. Wahrscheinlich weil mein Vorhaben ein edles war. Aber auch deshalb, da es mittlerweile schon stockdunkel geworden war und es keine Spur mehr von den zwei Kutschern gab.

Der Boden knarrte, als ich eintrat. Ich zuckte zusammen. Dann tastete ich mich weiter vorwärts. „Kerzenlicht?", fragte ich im Stummen, als ich ein flackerndes Leuchten aus dem nächsten Raum vernahm. „Vielleicht ist doch noch jemand hier", war mein darauffolgender Gedanke.

Ich blieb für einen Moment stehen und musste auf meinen jetzt nervösen Atem achten. Erst als ich mich wieder beruhigt hatte und ich mich wieder in Sicherheit fühlte, betrat ich den Raum. Dort befand sich tatsächlich eine angezündete Kerze, die friedlich vor sich hin flackerte. Und nahe dieser sah ich auch schon einen kleinen Beutel Gold.

„Jackpot!", dachte ich und griff augenblicklich danach. Doch dann hörte ich, dass der Boden im Eingangsbereich von diesmal schwereren Schritten als meinen knarrte. „Verdammt, was jetzt?!" Mein Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. Die Schritte kamen bedrohlich näher. Im letzten Moment kletterte ich aus dem Fenster und fiel in die stacheligen Büsche nahe der Hauswand. Ein schmerzhaftes Ächzen entglitt mir.

„Wer ist da?", krächzte daraufhin ein Mann mit rauchiger Stimme.

Schlagartig sprang ich auf und lief davon. Der Mann schwang sich nun ebenfalls aus dem Fenster. Instinktiv zog er sodann seinen Revolver und gab einen Schuss ins Dunkle ab. Mein Körper fiel zu Boden und gab einen dumpfen Laut. „Habe ich dich erwischt, du Ratte", gab er freudig von sich. Danach rief er: „John, schwing mal deinen Arsch hier rüber!"

Beide näherten sich mir mit einer Laterne. „Bist du nicht ganz dicht, das Kind vom Bürgermeister zu erschießen?!", gab John erschreckt von sich, als er mich an meinem Profil erkannte.

„Was?! Ich dachte, dass wäre einer dieser Indianerbengel?"

Anstatt mir aufirgendeiner erdenklichen Art und Weise zu helfen, brach ein Streit zwischenihnen aus. Mich hingegen umgab eigentümliche Ruhe. Und ich fühlte mich aufeinmal so müde. Ich schloss also die Augen und fing schon davon zu träumen an,wie ich das Gold und unsere Indianerfreunde zurückbringen würde. Bevor ichsodann ewigem Schlaf verfiel, hörte ich nochmal Thomas Stimme: „Neugier ist derKatze Tod."


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