7. Das Ende

Fragend hebe ich den Kopf, sehe wieder hinab ans Meer, wie die Kinder spielen, lachend über das Gras laufen und ein Stück weiter unten der Strand anfängt und irgendwann in Wasser übergeht.

Die warme Hand auf meiner Arm nehme ich erst war, als sie sich leicht bewegt, zuckte verwirrt zusammen und doch fühlt es sich so vertraut an, dass ich nicht das Verlangen habe sie gänzlich zurück zu ziehen. Meine Brauen ziehen sich zusammen, als ich zur Seite und die Gestalt neben mir ansehe.

Sie ist alt, wirklich alt, verzieht den dünnen Mund, die Lippen seltsam fahl, das Gesicht eingefallen, voller Falten und doch funkeln mich diese Augen an, welche ich irgendwoher kenne und umso irritierter bin.

„Da bist du wieder", ihre Stimme klingt abgenutzt, verbraucht, krächzt leicht und ihr Daumen streichelt über meine Haut, sieben Mal, bis sie plötzlich stockt. Die Wärme verschwindet, hinterlässt ein Kribbeln auf meinem Arm und kurz darauf spüre ich sie an meinem Kinn, als sie mich dazu bringt sie wieder anzusehen, obwohl ich nicht einmal realisiert habe, dass ich wieder zu den Kindern gesehen habe.

„Wo steckst du fest?", fragt sie, lächelt, aber ich weiß einfach nicht woher ich sie kenne, blinzle, schließe die Augen, kann jedoch nicht antworten.

Noch an diesem Abend reiste ich wieder ab, sie hatte mich nicht einmal bemerkt, nicht erkannt und ich hätte sie wohl auch nicht erkannt, wenn sie nicht gelacht hätte. Es ist eigenartig, das mit der Liebe, das hatte meine Mutter immer gesagt und ich es nie verstanden, aber plötzlich begriff ich es. Egal wie lange es her war, egal wie sehr ich Emily vergessen hatte, trotz allem tat es weh sie endgültig gehen zu lassen, zu sehen, dass ihr Leben einfach so weiter gegangen war, ohne mich, so wie ich ohne sie weiter gelebt hatte.

Was genau ich erwartet hatte? Etwas anderes, etwas völlig anderes und vor allem nicht Money, nicht diesen Mann. Sie hatte ihn so angelächelt, so wie sie mich immer angesehen hatte und ich fragte mich wieso. Die Reise zurück war schnell vergangen, ich empfand es so und nur die letzten Minuten, in denen ich darauf wartete, dass sich die Türe öffneten und mir die erste salzige Briese entgegen schlagen würde, schienen endlos lang.

Sieben Mal war das laute Klopfen des Schaffners zu hören, als er mit seinem Stock gegen die Wagons schlug und ich der glitzernden Schönheit entgegen sah, mein Herz aufging, wie es bei Emily hätte sein müssen. Wahrscheinlich hatte ich damit gerechnet, darauf gewartet, es vielleicht erhofft, aber das war nicht passiert, die Realität hatte mich eingeholt, die Realität, welche mit einem tiefen, sehnsüchtigen Ziehen kam. Irgendwo war etwas, nicht Emily, nicht das Meer, nicht die Welt, wonach ich suchte, wonach ich mich sehnte und ich war so ratlos wie am Anfang meiner Reise, so ratlos wie bei meiner Geburt, als ich heulend und schreiend in den Armen meines Vaters lag und nicht wusste, was das alles sollte, wohin es gehen würde.

Sieben lange Jahre folgten, in denen ich ziellos umher reiste, nicht wusste wohin und meinen Antrieb immer mehr verlor, nicht mehr wusste, was ich eigentlich tat, warum. Es war alles so sinnlos geworden, die Schönheit war geblieben, ja, aber sie fühlte sich nicht mehr vollkommen an, die Ruhe auf dem Meer, vor allem nachts, wenn nichts blieb bis auf dich selbst und das Wasser, endlos.

Etwas war kaputt gegangen, als ich Emily so sah. Ich hatte immer im Kopf gehabt, dass sie mein Ziel sei, dass ich nur die ganze Welt sehen musste, um dies zu realisieren. Irgendwann hatte sich dieser Gedanke eingeschlichen, sich manifestiert und mein Dasein bestimmt. Man braucht immer einen Sinn, ein Ziel, sonst verzweifelt man, das hatte einer der Seemänner behauptet.

Er hatte seinen verloren, war sturzbetrunken gewesen und konnte nicht einmal mehr gerade aus laufen, aber das hatte er noch heraus gebracht, bevor er sich über die Reling lehnte und seinen Mageninhalt dem Meer übergab. Seine Worte waren für mich wie eine Bestätigung gewesen, ich hatte sie von Anfang an verstanden, hatte völlig nachvollziehen können, was er meinte und war selbst darüber erstaunt, beinahe ängstlich.

Was wenn ich so enden würde? Alt, aufgequollen, betrunken und alleine, irgendwo in der Weltgeschichte herum segelnd, ohne mir bewusst zu sein Wo, aber nicht weil ich es nicht besser wusste, sondern weil ich es nicht mehr mitbekam. Immer mehr manifestierte sich dieser Gedanke, die Erkenntnis, dass das dort vielleicht ich war.

Wie immer legten wir an, ein Schiff legt meist an, außer es gerät in einen Sturm, wird gekapert und versenkt, aber dieses Schicksal hatte mich nie ereilt. Wie immer war der erste Schritt an Land irritierend, als würde die Erde schwanken, es fühlte sich falsch an, unbeholfen, wie ein Neugeborenes, als hätte ich ein ums andere Mal das Laufen einfach verlernt, um es wieder und wieder neu zu lernen. Das Geschrei der Möwen, laute Streitgespräche, lallende Seemänner, gackernde Frauen, Menschen, die sich in den Armen lagen, lachende Kinder, Hunde die bellten und doch, über all dem hing ein Lachen, klar und deutlich, als könnte es einfach alles hinter sich lassen. Es war das Einzige, das ich hören konnte, wirklich wahrnahm, zum ersten Mal, obwohl es mir doch so sehr bekannt war, ich es genau kannte, zumindest angenommen hatte es zu kennen.

Und ich sah auf, direkt in ihre Augen, ihre schönen Augen, das spitzbübische Grinsen, die kurzen Haare, direkt vor mir und wie sie mich auslachte.

„Na komm, alter Mann", nach wie vor hört man es, die Jugend, obwohl ihr Gesicht so alt und eingefallen ist wie das meine. Sie lächelt, das tut sie immer, lächelt und hält meine Hand, um mir langsam aus dem Schaukelstuhl zu helfen, der Körper gebeugt vom Alter. Die Kinder, sie spielen wieder, ich kann sie sehen, bleibe kurz stehen und höre wie sie streiten, wegen einer Kleinigkeit, einer Dummheit, die sie eh wieder vergessen werden.

„Bist du wieder da?", sie wartet, dicht neben mir und als ich sie ansehe wirkt sie müde, das Gesicht nicht länger nur fröhlich, sondern von Enttäuschung überzogen, Trauer. Sie zieht die Mundwinkel hoch, bemüht darum sich nicht runter ziehen zu lassen, stark zu sein, das war sie für uns beide gewesen, so lang und ich hatte sie am Ende beinahe im Stich gelassen. Wie hatte ich sie nur alleine lassen können, wie hatte ich mich so verlieren können, in Erinnerungen?

„Es tut mir Leid, Luca", diese alte Stimme, welche mir so fremd war. Meine Stimme, nicht länger erschreckend, sondern ein so fester Bestandteil, dass ich mich kurz frage, wieso ich so verwirrt gewesen war. Und sie lächelt, erst zögernd, anscheinend nicht sicher, ob sie es richtig verstanden hat, ob sie der Hoffnung nachgeben soll, um dann wieder enttäuscht zu werden. Ich habe sie viel zu oft enttäuscht, viel zu oft zurück gelassen, mich irgendwo verloren.

„Ich werde nicht mehr gehen", flüstere ich, das Gesicht verzogen, vor Schmerz und Freude, sehe sie an und die junge Frau in ihr, die mir über Jahre hinweg gezeigt hat, dass ich die Welt nicht zu fürchten brauche, dass ich sie ertragen kann und die Menschen lieben.

Sieben lange Jahrzehnte habe ich überlebt und als wir nach drinnen gehen, in die winzige Küche, das Windspiel sich lautlos dreht, schimmernd das Licht in den Perlen glitzert, da schwöre ich mir, dass es mit der Sieben nicht enden wird.

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