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Vom Winter, der zumindest laut des Kalenders anbrach, war nichts zu merken. Es war kein Winter wie ich ihn kannte, kalt, mit heftigen Stürmen und späterem Schneefall, viel mehr blieb es warm, auch wenn die Einheimischen in langen Gewändern herum liefen und sich laut Gingers Aussage, dieser verstand die Landessprache, über die Kälte beschwerten.
Sand, alles war voller Sand und Staub. Man wurde diesen nicht los, trotz der teils blühenden Gärten, mit bunten, exotischen Blumen, großen, merkwürdig aussehenden Vögeln und doch liefen Kamele durch die Straßen, wurden geritten wie Pferde und überall war Sand.
Er war in den Schuhen und hing in den Kleidern, egal wie oft man diese ausschüttelte, verfing sich in den Haaren und klebte in Ohren- und Nasenlöchern. Egal wie oft man sich wusch, man wurde doch nie richtig sauber, dazu die ab und an heftigen, warmen Stürme, die ihn aufwirbelten und überall hinein trugen, er kam durch die Ritzen, auch wenn man die Fenster und Türen geschlossen hielt.
Einen Tag blieben wir in der florierenden Metropole, ich mied die Märkte, welche weniger durch ihre Früchte, als durch ihre zahlreichen, farbenfrohen Gewürze bestachen.
Am zweiten Tag stellte ein reisender Händler, welcher mit seiner Karawane von Ort zu Ort zog, uns an. Alle drei konnte er nach eigener Aussage gut gebrauchen, da ihm seine vorigen Arbeiter den Dienst verweigerten und er auf die Schnelle niemand geeigneteren fand, jedoch sicherlich nicht alleine weiter konnte.
Wir sollten uns um die Kamele kümmern, diese tränken, füttern und auf sie aufpassen, gleichzeitig beschützten wir die Karawane vor Dieben und das, nach Strongs Aussage, für ein Drecksgehalt.
Es ging also statt zurück auf See immer weiter in das Land hinein und weiter in die Wüste. Mehr Sand, noch mehr Sand, an welchen ich mich nie gewöhnen würde.
Es gibt Menschen, die sind für Wälder geschaffen, Menschen, die sich in Häusern wohl fühlen, Menschen die auf kleinstem Raum mit anderen in Metropolen leben wollen, welche, die für die Wüste geschaffen sind oder für hohe, eisige Berge und zu diesen zählte ich nicht.
Und auch wenn es mir missfiel, so kam ich mit.
Manche verglichen die Wüste mit dem Meer: „Es ist ebenfalls endlos, mit hohen Wellen, die einen unter sich begraben können. Die Stürme sind alles erschütternd, die Hitze manchmal gleich stehend und es gibt in etwa so viel trinkbares Wasser hier, wie auf dem Meer."
Die Worte hatte er schön gewählt, um diese ewige Einöde zu beschreiben. Der Mann, welcher uns angestellt hatte, in lange, dunkle Stoffe gehüllt, welche ihn vor der Sonne schützten und von denen er uns ebenfalls welche gegeben hatte. Nicht so edel wie die seinen und doch wesentlich angenehmer, leichter und kühler, als unsere Kleidung.
Ginger machte die Sonne am meisten zu schaffen, auch wenn er sich versuchte nichts anmerken zu lassen. Ich und Strong wechselten uns nachts mit der Wache ab, ließen ihn oft schlafen, ohne unserem Arbeitgeber, einem gewissen Di.
Seinen Namen konnte ich mir erstaunlicherweise merken, sehr gut sogar, wahrscheinlich weil er so kurz war und sich Ginger und Strong regelmäßig darüber lustig machten, kaum dass er außer hörweite war.
Di verkaufte teure Stoffe und Gewürze, reiste dazu von einer großen Stadt zur anderen und schwärmte immerzu von seinem Heimatort. „Als hätten die Götter es gebaut, hinter hohen, weißen Mauern, mit prächtigen Gärten und goldenen Brunnen, voll klarem, kalten Wasser. Babylons Antlitz war nichts dagegen", erzählte er mit seiner hohen, fremd klingenden Stimme. Selbst die mir bekannten Worte in meiner Sprache schienen bei ihm wie ein Singsang zu klingen, drückend, wie die Wüste selbst.
Er lächelte oft, was sein rundes, dunkles Gesicht nur noch dicker wirken ließ, mit runden Backen, einer großen Nase. Auch der recht sonderbare, am Kinn länger werdende Bart, versteckte dies nicht sonderlich gut.
Dick war er, ritt meist auf einem der weißen Kamele, die, wie er immer wieder betonte, wertvoller Waren, als sein Haus und seine Töchter. „Anmutiger als die anderen Tiere sind sie trotzdem nicht", Strongs tiefe Stimme mischte sich mit dem leisen, heißeren Lachen von Ginger.
Nach einigen Wochen fiel mir immer mehr auf, wie sehr die beiden scheinbar ohne einander nicht konnten. Zwar banden sie mich mit ein und doch verband sie etwas, das beide zum Lächeln brachte, wann immer sie sich unbeobachtet fühlten. Die Blicke zwischen ihnen verstand ich nicht, konnte sie nicht nachvollziehen, auch wenn es mich glücklich machte, dass es den beiden scheinbar gut ging.
Eine Stadt glich der anderen, die anfängliche Fremdheit verflog schnell und nur die größeren Städte hatten prunkvolle Bauten. „Wir nähern uns der Hauptstadt", berichtete Di, als wir abends am Feuer saßen und Kamelmilch mit getrocknetem Fleisch und Datteln aßen.
Das Wort Hauptstadt ließ mich inne halten, ein flaues Gefühl im Magen. Menschenansammlungen, und nach Dis Beschreibungen noch schlimmer, als die, die ich bis jetzt erlebt hatte. „Die Basare größer, als ihr sie euch vorstellen könnt. Und passt auf die Diebe auf, sie sind geschickt, klettern wie die Affen, welche sie mit sich haben. Viele von diesen Tieren stehlen auch", ich horchte auf, hob den Kopf und musterte Di.
Affen? Ich hatte schon welche gesehen, aber nur von weitem, auf Bäumen.
„Schrecklich, diese Tiere. Schlimmer noch als Ratten und schlauer vor allem", schimpfte Di, deutete meinen fragenden Blick wohl falsch und kratzte sich an der kahlen Stelle an seinem Hinterkopf. Er hatte glattes, schwarzes Haar, wie die meisten Menschen hier, auch wenn es bei ihm langsam immer lichter wurde.
Dafür schien der Bart immer länger zu werden.
„Ausgeburten des Bösen, Dämonen, stehlende, kleine Dämonen", schimpfte er weiter, mit dieser einlullenden Betonungen. Es klang exotisch, ein jedes Wort dieser eigentümlichen Sprache, nicht basslastiger, als es Jaques Akzent gewesen war, nicht so schnell und wenn er abends, auf einem Teppich kniend, die Stirn auf dem Boden, betete, hätte ich ihm Stunden lang zuhören können.
Ginger und Strong verzogen sich immer recht schnell, ich hingegen saß am Feuer, beobachtete Di, lauschte seinem tiefen Gesang, in dieser für mich gänzlich unbekannten Sprache.
Ich selbst fühlte mich dabei wie in einer der Gutenachtgeschichte, welche meine Mutter mir immer erzählt hatte, von fremden Welten, weit entfernt, voller Schrecken und Wunder. All dies schien diese Sprache für mich zu verkörpern, egal wie abwegig es klang.
Nicht, wenn die Marktschreier laut ihre Waren priesen und ich jedes Mal zusammen zuckte, mich dem Kamel eher näherte, als den Menschen, als wir uns einen Weg durch die Menge und zu Di's Platz suchten.
Er voraus, ich hinter ihm, dann Ginger und ganz hinten Strong. Es war überfüllt, die Stadt schon von weitem zu sehen gewesen, in einer kargen, harten Umgebung, umschlossen von hohen, sandfarbenen Mauern, lag ein Paradies. Sattes Grün, Bäume, Sträucher, Blumen, mit weiten Gewändern, die Frauen verhüllt, lediglich die dunklen Augen durch einen Schlitz frei gelassen. Tiere, ein Bär, welcher von den Menschen zum Tanzen genötigt wurde und bei jedem Peitschenhieb atmete ich zischend aus, das Tier drehte sich und ich konnte beinahe den brennende Schmerz auf meiner Haut spüren.
Gerüche, Gewürze und vor allem: „Tee", mit diesen Worten begrüßte Di einen älteren Mann, mit ebenfalls langem, aber grauem Bart, als er seinen runden, bunten Hut hob eine Glatze darunter und ein freundliches Lächeln auf den Lippen.
Er versprühte so viel Ruhe, dass ich mich fragte, wie alles um ihn herum so rasen konnte, wieso es so laut war, eine Insel im Sturm. „Nirgends findet ihr besseren Tee als hier", verkündete Di, übersetzte seine Worte dem älteren Mann, welcher zustimmend nickte und einige schnelle Worte, halb lachend, in dieser fremden Sprache sagte.
„Wir sind für heute Abend zu ihm eingeladen", Di nickte, sagte etwas, verneigte sich, so tat es der Mann ihm gleich, beide lachend und Worte tauschend, zum Abschied.
Weiter und weiter ging es, tiefer hinein und ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich an dieser Sprache liebte, ihre Ruhe, nicht diese Menschen, welche durcheinander schrien und dann... plötzlich, hörte ich es.
Gesang, das Läuten einer Glocke, tief, dröhnend und sämtliches Treiben wurde langsamer. Auch die Leute auf dem Platz waren weniger geworden, viel weniger, einige wenige Standbesitzer knieten sich auf eben solche Teppiche, wie auch Di einen besaß und dieser, kaum dass wir eine freie Fläche erreicht hatten, die offensichtlich ihm gehörte, holte eben diesen Teppich und kniete wieder nieder.
Die Leute strömten, dem tiefen Gesang folgend, eher ein Rufen, durch die Gassen und ich konnte einen Blick auf ein großes, helles Gebäude erhaschen, mit hohem Turm, von welchem der Gesang kam.
Es wurde still, die Glocke hörte auf und dann hörte man sie, im Chor, tiefe und hohe Stimmen, in dieser wunderbaren Sprache, Di neben mir, wie sie zusammen sangen und es die ganze Stadt, jede Gasse, jedes Haus und jeden winzigen Raum erfüllte.
Es war ein Wunder, zu schön, als dass man dies mit Worten hätte beschreiben können. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper, Tränen in den Augen und mein Herz, es zog sich zusammen.
„Wie das Glitzern am Horizont, kannst du es sehen Ethan?"
Tags konnte man nichts mit sich anfangen, früh morgens waren die Straßen voll, die Händler handelten, die Bäcker backten und die Käufer kauften, mittags aber war es zu heiß, die Stadt wirkte verlassen, der Wind pfiff heiß durch die Gassen, trug Sand mit sich und man wartete, im Schatten, unter Bäumen, in den Häusern aus kaltem Stein und in dunklen Zimmern darauf, dass die drückende, betäubende Hitze nachließ.
Tee, sie tranken immer Tee, schwarz, leicht bitter, leicht warm und trotzdem oder vielleicht eben deswegen am erfrischensten. Ginger machte die Hitze am meisten zu schaffen, seine Haut war durchgehend scharlachrot, die Augen gerötet, die Lippen leicht gesprungen.
Er klagte über Übelkeit, Schwindel und hielt sich nur noch im Schatten auf, wenn er nicht gerade vor Hitze umfiel. Strong kümmerte sich um ihn, ich selbst sah es als Selbstverständlichkeit an, es schien einfach so zu gehören und runzelte irritiert die Stirn, als Di eben dies hinterfragte.
„Sie stehen sich sehr nahe", meinte er und dabei klang es schneidend, die Stimme etwas schief, was ich nicht besonders mochte, aber trotz allem einfach auf seine Frage hin nickte. „Zu nahe?", ergänzte er, sah mich mit hoch gezogenen Augenbrauen fragend an und schien auf eine Antwort zu warten, die er jedoch nicht wirklich bekam. Wie konnte man sich zu nahe stehen, das begriff ich nicht und sah dementsprechend lediglich zurück und wartete darauf, dass er sich erklärte. Di indes nickte ein paar Mal auffordernd mit dem Kopf, als sei die Aussage offensichtlich, schüttelte diesen dann und wandte sich, laut aufseufzend, ab.
Ich betrat das kleine, kühle Haus, nachdem Di in der Dunkelheit verschwunden war, vielleicht um noch einmal nach den Kamelen zu sehen oder aber um in eine Bar zu gehen und zu trinken, meist tat er beides. Von Ginger und Strong war im Wohnbereich nichts zu sehen, ich ging also auch direkt in mein winziges Zimmer, das ich mir mit niemandem teilen musste, wahrscheinlich, weil es so klein war, dass niemand anderes mit hinein gepasst hätte, setzte mich in der Dunkelheit ans Fenster und sah hinaus in die Nacht.
Unsere Unterkünfte unterschieden sich meist, von Ort zu Ort, nicht wirklich. Aus braunem Stein waren sie geformt, mit Löchern statt Fenstern und davor hölzernen Jalousien, die den ganzen Tag geschlossen waren. Dunkel war es dadurch immer, durch die Schlitze im Holz, meist aneinander genagelte Bretter, kam Staub, Dreck und Sand weiterhin hinein, aber die Hitze blieb draußen.
Der Stein war angenehm kühl, unverputzt, aber machte das Leben hier erträglich. Je weiter wir voran kamen, je mehr sich Strong und Ginger frei fühlten und ausgelassen fachsimpelten, wie viel sie von der Welt sahen, Städte erkundeten und nicht Tage lang wegen Flauten auf See hin und her schaukelten, desto mehr vermisste ich das Meer.
Ich vermisste alles, die warmen und kalten Briesen, die Reflektionen der Sonne auf dem Wasser, das Geräusch der Wellen, das leise Schwappen und Glucksen, das Wiegen des Schiffes, die Tiervielfalt um einen herum, den salzigen Geruch in der Nase und Geschmack auf der Zunge und vor allem vermisste ich die Unendlichkeit von Himmel und Erde. Die Dünen, die Städte, die Menschen, sie schlossen mich ein und die Hitze, diese stehende Schwüle, sie war unerträglich.
Alles zog sich Ewigkeiten in die Länge, Zäh und langatmig, hingegen auf dem Meer spielte Zeit keine Rolle, sie schien nicht vorhanden, es gab lediglich den Sonnenaufgang und dann wieder den Sonnenuntergang, einen selbst und die Ewigkeit.
Und jeder weitere Tag wurde unterträglicher, länger, beengender. Ich fühlte mich eingesperrt und hilflos, wartete darauf, dass hinter der nächsten Düne das Meer auftauchte, sah in der flimmernden Hitze Gestalten, Formen, Schiffe, wo keine waren und plötzlich verwandelte sich der Sand in Wasser, mit wogenden Wellen, man hörte die lauten Befehle, welche über die Decks gebellt wurden, hörte die Takellage knarren, schmeckte das Salz und dann war es vorbei und alles was blieb war die Wüste. Die Wüste und dann sah ich ihr helles Haar, hörte sie lachen.
„Heißt Fata Morgana", dröhnte mir Di's tiefe Stimme in den Ohren, kaum dass ich wieder aufwachte. Dunkelheit und vor allem die Müdigkeit lag schwer auf mir, sodass ich mir sicher war, meine Lider nicht mehr öffnen zu können. Als wären sie einfach zusammen gewachsen und dieser Gedanke machte mir nicht einmal angst, wäre da nicht dieser schreckliche Schmerz gewesen.
Mein Kopf fühlte sich an als würde er bersten, mir war zu warm, nicht so wie wenn ich morgens in einem nass geschwitzten Bett aufwachte, sondern als hätte ich mich verbrannt. Ich war nicht imstande einen klaren Gedanken zu fassen und wollte zurück in die Dunkelheit sinken, nichts denken, nichts fühlen und in der Leere verschwinden. Dann kam der Durst, als die Taubheit nachließ und er übernahm alles, ließ einen krächzenden Laut über meine Lippen kommen, zumindest nahm ich stark an, dass ich ihn von mir gab und die erlösende Nässe folgte.
„Zu wenig Wasser und zu viel Sonne", hörte ich wieder Di's Stimme, in abgehakten Wörtern und mit seinem ausgeprägten, schweren Akzent. „Hat heiße Kopf bekommen und Gestalt in Sand gesehen", murmelte er, während ich trank, das Wasser gierig schluckte. Was passiert war wusste ich nicht, wieso ich so durstig war, warum ich lag, wo ich war oder wie ich dort hin gekommen war.
Die Lider öffnen konnte ich nach wie vor nicht, ließ meinen Kopf zurück auf den weichen Grund sinken, hatte ihn zum Trinken etwas angehoben und seufzte erleichtert, während ich mich erneut von der Dunkelheit überrollen ließ.
Das zweite Erwachen war angenehmer, ich öffnete meine Augen nur einen Spalt breit, spähte hindurch in die Dunkelheit, erkannt das Flackern eines Feuers, hörte Stimmen, wenn auch weiter entfernt, dumpf. Es war ruhig, angenehm kühl und ich stellte fest, dass ich unter einem gespannten Tuch lag, auf und umgeben von Kissen. Mein Hals tat weh, der Mund war trocken und mein Körper schrie nach Wasser. Die Flasche entdeckte ich sofort, schaffte es mit einigem Kraftaufwand mich so weit aufzurichten, dass ich sie erreichen konnte, öffnete sich hastig und mit zitternden, seltsam tauben Händen, gegen die sich drehende Welt anblinzelnd und leerte sie in wenigen Zügen.
So gut hatte noch nie zuvor Wasser geschmeckt, kühl, frisch, nahm es all das Schlechte einfach mit und seufzend sank ich zurück auf die Kissen, sah hinauf zu dem dunklen, leicht durchscheinenden Tuch und erkannte die Sterne und die Silhouette des Mondes. Alles drehte sich, mir war übel, während sich mein Bauch aufblähte und das Wasser in diesem gluckste. Mein Körper fühlte sich schwer an und ich versuchte den Schwindel zu vertreiben.
Die zweite Flasche, welche direkt neben mir lag, trank ich nur langsam aus und sank danach augenblicklich wieder in einen tiefen Schlaf.
Beim dritten Mal war es wieder dunkel, auch kein Feuer war auszumachen und lediglich die Stille war gleich wie in meinen Träumen. Die dunkle Gestalt neben mir bemerkte ich erst nach einigen Minuten, in welchen ich stumm und ohne mich zu rühren über mich gesehen hatte. Er saß ganz still da, rührte sich nicht und selbst sein Atem war nicht zu hören.
„Du hast 7 Tage geschlafen", war das erste was mich auf Ginger aufmerksam machte. Sieben Tage, das war lang, sehr lang. Es konnte ein ganzes Leben sein. Genau dieser Augenblick hatte meinen Entschluss die Wüste zu verlassen, dieses trockene, staubige Land hinter mir zu lassen, endgültig gemacht. Zuvor hatte ich bereits darüber nachgedacht und die Sehnsucht nach dem Meer war immer schlimmer geworden, jedoch war ich mir zu diesem Zeitpunkt sicher, dass es das einzig richtige für mich war.
„Ich und Strong bleiben bei Di, es ist ein gutes Einkommen und auch wenn er etwas eigenartig ist, so wird er uns nicht über den Tisch ziehen", sagte er leise und es kam mir damals beinahe vor, als wüsste er meinen Entschluss, bevor ich ihn selbst wirklich wahrnahm. „Zumindest wird er nicht ungeschoren davon kommen, falls er es versucht", fügte Ginger hinzu und ich erkannte seine Zähne fahl im Mondlicht, als er lächelte.
„Wohin wird es dich ziehen, mein Freund?", fragte Di, als ich bereits meine Sachen zusammen gepackt hatte und bereit zum Aufbruch war. Ich wollte die Karawane nicht mit in die Stadt begleiten, sie war groß, zu groß für mich, zu erdrückend.
Stattdessen wollte ich um sie herum gehen, nicht zu den florierenden Punkten und dann weiter hinab bis: „Zum Meer." Und Di nickte, als hätte er es gewusst, auch Ginger und Strong hatten sich zuvor verabschiedet, kurz und knapp. Beide wussten, dass ich Körperkontakt nicht mochte und hielten sich am hinteren Teil der Karawane auf.
„Zum Meer", meinte er und zog dabei die Worte in die länge, wie es in seiner Sprache typisch war. „Eine Geliebte von viele Mann", dabei sahen mich diese dunklen Augen an, die wie Kohlen wirkten. „Aber eine Fata Morgana zeigt was der Wunsch ist und du hast nicht von Meer gesprochen", diese Worte werde ich nie wieder vergessen.
„Lebe wohl, mein Freund", und das Letzte was ich von Ihnen sah, waren die schwankenden Höcker der Tiere, wie sie hinter den Toren der Stadt verschwanden.
Seufzend hebe ich den Blick und blinzele. Es ist... dunkel, das ist das Erste was ich feststelle und schwerfällig den Kopf anhebe, um mich zu orientieren. Heiß ist es, fahl dringt weißes Licht durch die Spalten der Rolläden und lässt alles im Raum seltsam falsch und unecht wirken.
Warm ist es, beinahe stickig, leises Rauschen unterbricht die Stille und irgendwo knarrt es im Haus. Seufzend lasse ich den Kopf zurück auf das Kissen sinken, zu müde, ihn weiter zu heben. Er ist über all die Jahre immer schwerer geworden, zumindest fühlt es sich so an.
Auch das Aufstehen fällt mir schwer, meine Füße zittern unter dem Gewicht des eigenen Körpers und nur langsam komme ich Schritt für Schritt voran. Wo bin ich, wo ist Ginger, Strong? Und ich spüre keinen Sand, diesen lästigen Wüstensand, den man nie ganz loswird.
Meine Lippen sind spröde, der Mund ausgetrocknet und die Zunge scheint mir am Gaumen festzukleben. Die Tür ist beinahe nicht zu erkennen, direkt daneben die Wanduhr, eine dunkle Silhouette, sie geht nicht mehr, ist irgendwann stehen geblieben und seitdem zeigt sie immer auf die Sieben. War es ein Traum oder ist das hier lediglich Einbildung?
Erneut leises Knarren, ich hebe den Kopf und sehe im Dunkeln eine Gestalt direkt neben mir. Ein leises Krächzen, überrascht auch etwas ängstlich, kommt über meine Lippen und erneut knarrt es. Ich blinzle, halte mir eine Hand an die Brust und realisiere, dass das nur ein Spiegel ist. Ein Schritt, ein Knarren, der dunkle Umriss wird schärfer.
Der Wunsch nach Wasser ist vergessen und die Realität holt mich ein, während ich mich selbst im Spiegel ansehe und entsetzt den Mund öffne. Falten, zahlreicher, als ich mir je erhofft hatte, älter, als ich je dachte zu werden.
Die Haare weiß, mein Körper eingefallen, unförmig, gebeugt und ich sehe mich weiterhin reglos im Spiegel an, völlig verwirrt. Reibe mir über die Augen und schüttle den Kopf, so heftig, dass mir schwindlig wird, so heftig, dass ich nur mühselig zurück zum Bett finde.
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